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Lesen über Bescheidenheit – Ego Is the Enemy

Monument Valley

Ein Buch bewegt mich derzeit besonders: Ego Is the Enemy von Ryan Holiday. Ein Buch über das Ego, und wie es uns bei Aufstieg, Erfolg und Misserfolg beeinträchtigt. Das Ego ist der Feind. Das Ego. Nicht im Freudschen Sinne gemeint, sondern Ego als das Sich-selbst-wichtig-nehmen.

Zwar ist dies die zweite Buchbesprechung in Folge, doch diese Entdeckung, die gerade erst im Juli erschienen ist, muss ich mit Ihnen teilen!

Das vorliegende Buch ist die logische Ergänzung zu Ryan Holiday hier bereits besprochenen The Obstacle Is the Way.

Tun oder Sein. Werte und Prinzipien leben oder diese kompromittieren.

Ego Is the Enemy hat mich zutiefst angesprochen, so dass ich das Hörbuch bereits zwei mal durch habe. Denn ich bin nicht gefeit gegen die Verlockungen des Ego, die letztendlich das gewünschte Ergebnis beeinträchtigen.

Doch von vorne.

Ego und Erfolg stehen in keinem kausalen Zusammenhang

Ryan Holiday führt anhand mehrerer historischer Beispiele die Effekte von Ego in den Phasen und Situationen des Lebens aus. Dabei beschränkt er sich bis auf wenige Ausnahmen bewusst auf Personen, deren Hoch-Zeiten oder deren Leben bereits mehr als vierzig Jahre zurück liegen.

Er vergleicht US-Präsidenten aus dem 20. Jahrhundert wie Dwight D. Eisenhower, Richard Nixxon, oder Militärangehörigen aus Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs wie Sherman.

Eine der wenigen zeitgenössischen Personen, die er analysiert, ist tatsächlich Angela Merkel. Nun mag unsere Innensicht etwas anders aussehen, doch ist es interessant zu sehen, wie sie in den USA wahrgenommen wird.

Ego Is the Enemy sagt, dass Ego eben keine Voraussetzung für Erfolg und vor allem geschichtliche Wirksamkeit ist, sondern entweder unabhängig, oft aber sogar hinderlich ist.

So betont Ryan Holiday, dass der oft für sein Ego angeführte Steve Jobs ja eben wegen diesem Ego aus seinem eigenen Unternehmen Apple rausgeworfen wurde. Erst nach einer gewissen Läuterung und mehr Erfahrungen kehrte er schließlich zurück.

Nixxon hielt sich für unfehlbar, für über dem Gesetz stehend, und stürzte darüber.

Ego verhindert Lernen und Wachsen.

Je größer das Ego, desto größer das Gefühl, angekommen zu sein, genug gelernt zu haben. Und genau das verhindert, dass wir uns weiterbilden, lernen, offen bleiben. Wer alle Antworten kennt, stellt keine Fragen mehr. Und scheitert früher oder später deswegen.

Das Credo von Ryan Holidays Ego Is the Enemy lässt sich meiner Ansicht nach am besten wie folgt ausdrücken:

Mach Dein Ding, aber nimm dich nicht so wichtig.

Je größer das Ego, desto größer das Gefühl, es sich verdient zu haben. Und verhindert damit das Wachsen an sich selbst.

Immer weiter lernen

Auf der anderen Seite stehen als Beispiel viele Spitzensportler, die eben gerade an der Spitze permanent trainieren, lernen, sich verbessern. Die um Rat fragen, und sich von Trainern kritisieren lassen, um noch besser zu werden.

Erfolgreiche Kampfsportler leben daher nach dem Prinzip größer, gleich, weniger: Jeder Meister braucht einen Trainingspartner, der besser ist, und einen, der gleich stark ist, und einen, der schwächer ist. Vom Stärkeren lernt sie, was sie noch nicht kann. Mit dem gleich starken trainiert sie Abläufe. Den Schwächeren leitet sie an, und hebt damit das eigene Verständnis für die Hintergründe an.

Ego in drei Phasen

Ego Is the Enemy zeigt Ego, die Effekte und Nebenwirkungen sowie Lösungen in drei Phasen auf:

  1. Streben (Aspiration). Im Streben sorgt übermäßiges Ego dafür, dass wir meinen, schon weiter zu sein, als wir tatsächlich sind. Wir gehen zu schnell voran, überheben uns, und wollen die Früchte ernten, ohne die Arbeit hineingesteckt zu haben.
  2. Erfolg (Success). Ego sorgt im Erfolg dazu, dass wir meinen, es geschafft zu haben und nachlässig werden. Wir hören auf zu lernen, und fallen zurück oder übersehen, was sich in unserer Umgebung ändert.
  3. Misserfolg (Failure). Im Misserfolg flüstert unser Ego ein, wir sollten nach dem Schuldigen suchen, je nach Veranlagung entweder destruktiv in unserer Persönlichkeit selbst, oder in anderen. Wir schauen nur aufs Problem, statt einen Ausweg zu finden. Wir vergessen, dass es oft noch nicht einmal einen speziellen Grund für den Fehlschlag gibt, außer dem Zufall, der nach der Statistik manchmal zuschlägt.

Überbordendes Ego beeinträchtigt uns in allen Phasen und Lebenslagen. Je mehr wir zu leisten vermögen, desto höher ist das Risiko, dass uns Erfolge zu Kopf steigen oder wir diese aus selbst bezogenen Gründen verfolgen.

Sinn statt Ego

Laut Ryan Holiday können wir einige Haltungen dem Ego entgegensetzen:

  1. Konzentration darauf, anderen eine Leinwand anzubieten, auf der diese besseres erschaffen können. Sich in den Dienst anderer stellen und lernen. Die Einstellung, lebenslang ein Schüler zu sein.
  2. Konzentration auf den tieferen Sinn unseres Tuns, der weit über uns selbst hinaus geht. Wer einer Idee oder Sache dient, kann wirksam sein. Die Freude und Erfüllung, die daraus entspringt, hilft uns selbst.
  3. Konzentration auf die Tätigkeit, den handwerklichen Aspekt. Der Meister liebt die Arbeit, und erschafft deswegen Meisterwerke. Der Meister sucht stets nach Wegen, seine Fertigkeiten zu verbessern, die einzelnen Schritte besser auszuführen.
  4. Konzentration auf persönliches Wachstum. Der Spitzensportler trainiert seine Fähigkeiten immer weiter und sucht sich Coaches für die verschieden Aspekte seines Tuns. Auch hier ist der Fokus auf lebenslangem Lernen.

In mehreren Beispielen zeigt Ego Is the Enemy, wie der Fokus auf das Verhalten statt auf das Ergebnis wunderbare Früchte trägt. Wie beim erfolglosen Footballteam, das der neue Coach strikt auf exzellente Bewegungsausführung und Disziplin in allen Belangen einschwört, und das zwei Jahre später dann viele Meisterschaften gewinnt. Kümmere dich um die Details, dann kommen die Siege von allein, so die Botschaft.

Gleichzeitig wird jedoch auch deutlich: Wer sich seinem Ego widersetzt und es in Schranken verweist, erhält möglicherweise nicht die Position und Ruhm, die das Ego gerne hätte. Jeder muss letztendlich selbst entscheiden, was ihm seine geistige und seelische Gesundheit wert ist. Auf der anderen Seite gibt und gab es Führungspersönlichkeiten in herausragenden Rollen, die dennoch bescheiden geblieben sind.

Sehr persönlich

In einer Zeit, in der wir von allen Seiten bombardiert werden, man müsse mit großen Zielen und einer riesigen Vision alles mögliche anhäufen, ist den Tenor von Ego Is the Enemy ein sehr stiller. Mehr Bescheidenheit, mehr Achtung der Tätigkeit.

Ryan Holidays Buch ist für mich sehr persönlich. Denn vieles davon spricht mich direkt an. Auch ich verfiel und verfalle den Verlockungen des Ego.

Beim Hören wurde ich oft nachdenklich, wenn ein Beispiel mit mir resoniert hat, wenn ich mich erinnerte an einen Widerstand, einen Misserfolg oder auch Erfolg in der Vergangenheit und erkannte: Das wäre anders gelaufen, wenn ich weniger mich selbst im Blick gehabt hätte.

Und das gilt selbstverständlich in allen Teilen des Lebens. Im Beruf kam mir das Ego ebenso bisweilen in die Quere, wie auch in der Beziehung. Ganz selbst bleiben, aber sich nicht so wichtig nehmen. Persönliches schaffen, nicht Persönlichkeit sein.

Persönliches schaffen, nicht Persönlichkeit sein.

Wie passt aber die Bescheidenheit, die Ego Is the Enemy propagiert, zu einem Selbstbewusstsein, zu einem Selbstwertgefühl, das ja auch wichtig für die geistige Gesundheit ist?

Selbstbewusstsein ist – entgegen der üblichen Auffassungsweise – ja erst einmal nur dem strengen Wortsinn nach das Bewusstsein des selbst, also die Wahrnehmung der eigenen Person. Daraus ergibt sich noch keine Selbstbezogenheit.

Selbstwertgefühl kommt schon näher, ist aber auch wichtig. Es ist der Wert, den man sich selbst beimisst. Zu wenig, und Selbstverleugnung kommt zum Tragen. Zu viel führt dann tatsächlich zu dem übersteigerten Ego, vor dem Ryan Holiday warnt.

Schreibstil und Kritik

Ryan Holiday vermag es in Ego Is the Enemy (Amazon Link), historische Geschichten kurzweilig und anschaulich rüber zu bringen und mit den Geschichten der historischen Personen seinen Punkt zu machen.

Mehr als einmal dachte ich mir »Mensch, das hast du so noch gar nicht gesehen.«

Der Aufbau ist einfach und durchdacht, und führt jeden an den Kernpunkt des Buches hin, egal wo man gerade in seiner Laufbahn, im Erfolg und im Werden steht.

Ryan Holiday liest das Hörbuch von Ego Is the Enemy (Audible Link) selbst – wie auch sein anderes von Tim Ferriss produziertes Hörbuch »The Obstacle Is the Way«. Er ist ein guter, wenngleich kein großartiger Leser. Es dauert einige Kapitel, bis man spürt, dass er im Vorlesen ankommt. Das Englisch ist sehr gut verständlich.

Ego Is the Enemy ist meine uneingeschränkte Leseempfehlung für den Sommer, und nebenbei noch ein brandneues Buch.

Mach Dein Ding, aber nimm dich nicht so wichtig.

Mach Dein Ding, aber nimm dich nicht so wichtig.

Wo sind Sie schon mal über das Ego gestolpert? Und was tun Sie, um im größeren Sinn zu bleiben?

Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!

Photo: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike

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Joachim Schlosser:
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