12 unausweichliche Trends der Digitalisierung: The Inevitable – Kevin Kelly

Die nächsten zwanzig bis vierzig Jahre werden laut Kevin Kelly, Mitgründer des Wired Magazine, bestimmt durch den Übergang vom Fokus auf Produkte zum Fokus auf Prozesse des täglichen Lebens.

Was das im Einzelnen bedeutet, zeigt Kevin Kelly in „The Inevitable“ anhand von 12 Trends auf, welche die nächsten Jahrzehnte seiner Ansicht nach in der technischen Entwicklung prägen werden.Kevin Kelly Inevitable Cover

Sein Buch „The Inevitable“ hat mich angesprochen, weil er zwar Szenarien der Digitalisierung entwirft, gleichzeitig aber wohl versteht, die Trends daraus zu destillieren. So betont er auch immer wieder, dass er einen Trend sieht, niemand jedoch die genaue Ausprägung vorhersehen kann.

„Mobile Kommunikation war unausweichlich und schon vor vielen Jahren absehbar. Dass Teenager sich täglich hunderte Emojis per WhatsApp schicken, nicht.“

In der globalen Vernetzung, so Kevin Kelly, würden viele physischen Produkte zunehmend durch digitale Dienstleistungen entweder ersetzt, mindestens jedoch in ihrer Nützlichkeit potenziert. Ein wiederkehrendes Thema sind die Grenzkosten für digitale Verbreitung, die zwar in Summe gewaltig ist, für das einzelne Gut jedoch gegen Null geht.

Besser als kostenlos

Immer wieder kommt berechtigterweise die Frage auf, wie sich Medien und automatisierte Dienstleistungen finanzieren lassen, wenn im Netz alles auch irgendwo kostenlos verfügbar ist. Digitalisierung macht vor nichts halt, aber was sind dann Anreize im Markt?

Kevin Kelly listet 8 Eigenschaften auf, die besser als kostenlos sind.

  1. Direktheit (Immediacy): Wenn ich nicht erst lange suchen muss, sondern es sofort zugreifen kann, kann dies besser als kostenlos sein.
  2. Verkörperlichung (Embodiment): Musikaufnahmen sind im Preis gefallen, und Künstler verdienen immer weniger pro verkaufter Aufnahme. Konzertkarten jedoch sind im Preis gestiegen, und Tourneen machen einen immer signifikanteren Anteil der Einnahmen aus.
  3. Interpretation: Ein Werk nicht nur als solches zu konsumieren, sondern eben auch Begleitinformation dazu abrufen zu können, kann einen Wert darstellen.
  4. Zugänglichkeit (Accessibility): Wenn ich ein digitales Gut problemlos auf allen Geräten konsumieren kann, ist das etwas wert.
  5. Echtheit (Authenticity): Es gibt vieles ähnlich aufgebautes wie das Original. Das Original bleibt jedoch ein solches. Wir vertrauen oftmals Marken.
  6. Entdeckbarkeit (Discoverability): Auf Anbieterseite ist es kein Problem, seine Produkte digital verfügbar zu machen. Dass diese jedoch auch gefunden werden, kann Geld wert sein.
  7. Personalisierung (Personalization): Ein Produkt genau auf meine Bedürfnisse zuzuschneiden stellt einen Zusatzwert dar.
  8. Flüssigkeit (Liquidity): Von einem Produkt wie etwa einem Musikstück nicht nur das fertige Werk nutzen zu können, sondern auch die einzelnen Tonspuren, um damit etwas neues zu erschaffen, kann einen geldwerten Zusatznutzen stiften.
Kevin Kelly
Von Christopher Michel – Kevin Kelly, Wired, CC BY 2.0

Diese acht Eigenschaften findet Kevin Kelly denn auch in den 12 größeren Trends, die er benennt:

12 Trends

Kevin Kelly gliedert sein Buch „The Inevitable“ in 12 Trends der Digitalisierung, die alle absichtlich in der Verlaufsform, also als aktive Handlung benannt sind:

  1. Werdend (Becoming): Alles ist im Werden begriffen. Der Übergang von Produkten zu Prozessen.
  2. Wahrnehmend (Cognifying): Alle materiellen Dinge bekommen mittels Sensoren und Onlineverbindung Zugriff auf künstliche Intelligenz, deren Algorithmen alle Dinge nützlicher machen.
  3. Fließend (Flowing): Alles wird ein Strom von Information, aus dem wir bewusst oder unbewusst, direkt oder mittels Algorithmen auswählen und zugreifen.
  4. Bildschirmend (sic!) (Screening): Alles bekommt einen Bildschirm bzw. alles wird ein Bildschirm, egal mit welcher Darstellungstechnologie.
  5. Zugreifend (Accessing): Entscheidend wird weniger der Besitz von Dingen, sondern der Zugriff auf diese bzw. den Zweck, der hinter dem Ding steht. Beispiele sind Autos ebenso wie Kleidung, Campingausrüstung, elektronische Geräte.
  6. Teilend (Sharing): Zusammen arbeiten, zusammen nutzen, in immer neuen Konstellationen, und natürlich unterstützt von Technologie.
  7. Filternd (Filtering): Dienstleistungen und bisherige Produkte werden auf die einzelne Person passend zugeschnitten.
  8. Neu mixend (Remixing): Bislang atomare Produkte wie Bücher, Filme können bis in alle Einzelheiten einzeln weiter verwertet werden. Klar, dass dazu die Copyright-Frage zuerst geklärt werden muss, aber rein technologisch ist das laut Kelly unabwendbar.
  9. Wechselwirkend (Interacting): Was nicht interaktiv ist, kann weg. Und Interaktion geht von den Benutzeroberflächen von gestern zur Sprachsteuerung von heute zur Gestensteuerung von morgen und Gedankensteuerung von übermorgen.
  10. Verfolgend (Tracking): Die totale Überwachung können wir heute dank Edward Snowden, Google und Facebook und unserer Bundesregierung erahnen. Neu wird, dass wir als Bürger und Kunden auch was davon haben werden.
  11. Fragend (Questioning): Wichtiger als dem Computer Antworten einzuprogrammieren ist, ihm beizubringen gute Fragen zu stellen. Fragen, die sich nicht sofort beantworten lassen, sind mehr Wert.
  12. Beginnend (Beginning): Das alles ist der Beginn eines erdumspannenden Systems, das alle Menschen und Maschinen in eine Verbindung treten lässt.

Die Trends bauen durchaus aufeinander auf und gehen von konkret zu abstrakt.

Kevin Kelly wertet hier nicht. Er bespricht Vorteile der Trends, und auch Nachteile. Ganz Silicon-Valley-Bewohner überwiegen für ihn die Vorteile.

Einige der Trends mögen beunruhigend sein. Manches klingt aus unserer heutigen Warte furchteinflössend, mindestens ablehnenswert. Die Geschichte zeigt jedoch, dass in der technologischen Entwicklung viele Innovationen ungeachtet von Befindlichkeiten entstehen. Wie wir damit umgehen, bleibt uns als Einzelnen und uns als Gesellschaft überlassen. Die Trends selbst sagen noch nichts darüber aus, zu wessen Nutzen sie hauptsächlich eingesetzt werden.

Somit ist Kevin Kellys „Das Unausweichliche“ auch keine Prophezeiung à la Nostradamus, sondern gibt Ausblick auf einen wahrscheinlichen Rahmen. Was wir daraus machen, ist komplett offen.

Schreibstil und Audio

Kevin Kelly schreibt locker und bildgewaltig. Er streut konkrete Szenarien ein, um seinen Analysen zusätzlich Farbe zu verleihen. Ebenso erläutert er, woher er seine Annahmen für die Trends hat.

Kevin Kellys „The Inevitable“ ist mit 336 Seiten in der Buchausgabe lang genug für einige vergnügliche und nachdenkliche Abende, und kurz genug, dass ich mich am Ende noch an den Anfang erinnern konnte.

Das Hörbuch von „The Inevitable“, von George Newbern gesprochen, kommt in klar verständlichem Englisch, so dass sich auch unregelmäßige Hörer englischer Bücher herantrauen dürfen.

Für mich eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die eine Ahnung davon bekommen wollen, was wahrscheinlich kommt.

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Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Gedanken und kommentiere!

Photo: Courtesy Death to the Stockphoto

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Kommentare

Eine Antwort zu „12 unausweichliche Trends der Digitalisierung: The Inevitable – Kevin Kelly“

  1. Hallo, toller Beitrag!

    Ich schreibe gerade eine Rezension dieses Buches für den bigi.blog.

    Thema: Einflüsse dieser 12 Trends im Berufsalltag der Architekten und in der gebauten Umwelt generell.

    Ich hatte die Schwierigkeit „screening“ ins Deutsche zu übersetzen. Habe also google gefragt wie’s andere übersetzen.

    „Freut mich“ zu sehen, dass auch andere mit diesem Begriff streiten

    Fazit in unserem Beitrag wird sein, dass wir durch diese Trends unseren ökologischen Fussabdruck drastisch reduzieren können.
    Aka:
    -Pepierlose Planung
    -Durch AI, Robotik, reduzieren sich die Distanzen zwischen Produktion und Nutzer und somit auch Lagerung und Transport
    – Home Office wird immer weniger Hürden haben, was die erstellung von Bürogebäuden und Pendel-Verkehr reduzieten wird.

    Voraussetzung für dieses positive Szenario ist aber unser Verhalten. Es braucht Offenheit, Anpassbarkeit, lebenslanges Lernen, Interdisziplinarit, Geduld, Fehlerkultur…

    Grüsse aus Zürich

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