Die Frage für alle Eltern von Viertklässlern ist wohl die: Auf welche Schule soll unser Kind im kommenden Schuljahr gehen? Jetzt ist gerade die Zeit, in der das entschieden wird.
Mittelschule, Realschule oder Gymnasium?
Ohne an dieser Stelle näher auf Fantastereien zu Selektion und dem ach so schrecklichen bayerischen Bildungssystem eingehen zu wollen, haben Kinder verschiedene Arten des Denkens und der Problemlösung, und unterschiedliche Neigungen. Was die richtige Schulart für das Kind ist, lässt sich im Gespräch mit der Grundschullehrererin klären, und zwar ergebnisoffen. Neben den Noten und den kurzen Texten dazu, die ja auch in der Grundschule schon trocken daherkommen, kann die Lehrerin eine Einschätzung geben, wie das Kind schulisch tickt.
Und manche Kinder, die jetzt für eine Schulart wie geschaffen sind, ändern sich Jahre später noch und wählen einen anderen Weg. Der Gymnasiast stellt in der Mittelstufe fest, dass das alles zu theoretisch ist, geht ab oder bricht ab und macht eine Lehre. Der Hauptschüler haut nach dem Quali so richtig rein und kommt über BOS bis zum Studium und Promotion. Beide Fälle habe ich im Bekanntenkreis.
Jetzt muss aber erst einmal eine Entscheidung her. Im Falle des Sohnes soll es also das Gymnasium sein.
Aber welches?
Sie dürfen mir helfen, widersprechen, fragen, nachbohren.
Gymnasium, doch welches?
Auf dem flachen Land fällt die Wahl da oft leichter: Es gibt nur ein Gymnasium, das in akzeptabler Zeit erreichbar ist. So war das auch bei mir.
Ich wohnte eineinhalb Kilometer neben dem Königsbrunner Gymnasium, und es war überhaupt keine Frage, ob ich dort oder woanders hingehen sollte. Bei der besten Ehefrau von allen war es ebenfalls keine Frage – das nächste Gymnasium war Maria Stern, eine private katholische Mädchenschule. Früher ging man einfach in die nächstgelegene Schule.
Heutzutage, in einer größeren Stadt ist das anders. Im Stadtgebiet von beispielsweise Augsburg gibt es zehn Gymnasien, und daneben ist auch Königsbrunn gut zu erreichen.
10 Auswahlkriterien
Im folgenden lesen Sie unsere Kriterien und Gedanken dazu. Dies stellt zweifellos eine Meinung dar, nichts allgemein gültiges.
1. Wie ist die Atmosphäre?
Eine ziemlich komplexe Gemengelage aus vielen verschiedenen Eindrücken, und auch der weiteren Kriterien. Ein Gefühl mehr als harte Fakten, insgesamt ziemlich wichtig.
Die Atmosphäre ist hauptsächlich die Wirkung auf die Eltern, und ein Stück weit auch auf das Kind. Für das Kind ist ja jede andere Schule neu und aufregend, und am Kennenlernabend präsentiert sich jedes Gymnasium ja hoffentlich von seiner besten Seite. Ältere Schüler begrüßen die Kinder und führen sie durchs Haus. Lehrer geben Unterrichtsproben und zeigen spannende Seiten des Lernens.
Die Atmosphäre beinhaltet für uns, wie Schüler mit Schülern umgehen, Schüler mit Lehrern, Lehrer mit Schülern, Lehrer mit Lehrern, Lehrer mit Eltern. Schüler mit ihrem Schulgebäude. Welche Gedanken stecken im Schulgebäude? Was ist aus der Substanz gemacht?
St. Stephan zum Beispiel fühlte sich warm an, herzlich. Eine Gemeinschaft von Lehrern und Schülern. Lehrer, die zusammen einen Abend vorbereiteten. Schüler, die sich einbringen. Schüler sind ja immer da an einem Einführungsabend, und wir nehmen wahr, wie Lehrer und Schüler miteinander umgehen.
Schüler, die im Maria Theresia Gymnasium auf die neuen Kinder zugehen und sie einladen, mitzukommen. Nicht als vorbereitete Rede, sondern im direkten Kontakt. Das ist herzlich.
Anders an einem anderen Gymnasium, an dem zwei Schüler eine auswendig gelernte Rede aufsagen. Nichts gegen Auswendiglernen, doch alles bitte zu seiner Zeit.
2. Wie ist der Direktor?
Der Fisch stinkt immer vom Kopf her. Wenn ich also wissen möchte, welches Klima mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Schule herrscht, dann muss ich mir den Direktor ansehen.
Ist ehr integer, entsprechen seine Taten seinen Worten? Was für einen Stil pflegt er oder sie?
Wie spricht der Direktor oder die Direktorin? Spricht nur der Direktor zu den Eltern, oder ist es eine Gemeinschaftsarbeit?
Wie konsistent ist ein kurzes Gespräch mit dem Direktor zur gehaltenen Rede? Lebt er das, was er erzählt?
Auf diese Weise konnten wir z.B. ein Gymnasium direkt ausschließen. Der Direktor sprach vom Mensch im Zentrum und Geduld mit Kindern, vom Nachforschen und Nachfragen und von den großen philosophischen Werten. Und drängte uns im nachfolgenden Gespräch dazu, den Sohn doch bitte ob seines zarten Alters von knapp 9 Jahren auf die Mittelschule zu tun, damit er noch das Jahr Zeit hätte.
Klar, erst überspringt das Kind, damit es sich nicht langweilt und stört, und dann parken wir ihn auf der Mittelschule, oder? Nicht der beste Einstieg mit einem Direktor. Der Eindruck wurde bestätigt durch die ablehnende Haltung der Beratungslehrerin in selbiger Frage.
Was soll ich mit einem begabten Kind also tun? Täglich mit der Bratpfanne auf den Hinterkopf hauen, damit das weg geht?
Wie angenehm dagegen andere Direktoren. Ebenso eloquent, aber eben auch offen und neugierig.
3. Ort/Anfahrt. Wie kommt das Kind dort hin?
Ist es die nächste Schule, oder kommt da eine Reise durch die ganze Stadt dazu?
Sicher, mit dem Fahrrad kommt man überall hin, aber vielleicht nicht in der fünften Klasse und nicht im Winter. Busse fahren überall hin. Und notfalls auch ein Elternteil mit dem Auto. Aber wie praktikabel ist das ganze? Wie lange dauert das morgens, mittags, nachmittags?
Muss der Fünftklässler unbedingt im Winter erstmal zweieinhalb Kilometer bis zum Bus radeln oder laufen?
Wie problematisch ist es, ihn über den zentralen Platz Augsburgs fahren zu lassen, an dem viele Schüler rauchend hängen bleiben?
Sind wir in dieser Frage (zu) zimperlich?
4. Welche Zweige werden angeboten?
In der gymnasialen Mittelstufe in Bayern stehen verschiedene Ausbildungszweige zur Wahl. Von naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Schulen über neusprachlich oder humanistisch fokussierten Gymnasien bis zu musisch oder wirtschaftlich orientierten Schulen ist alles geboten.
Gibt es einen Zweig, der den Neigungen des Kindes entgegen kommt? Wie stark ist dieser Zweig ausgeprägt? Ist er gerade am entstehen oder schon etabliert? Sicher, nach der Unterstufe könnte man die Schule wechseln, aber ehrlich – wer will das schon?
Die einen sagen, da die Spezialisierung durch die Zweige ohnehin nur in der Mittelstufe zum tragen kommen, sei die Frage unerheblich. Die anderen halten es für sehr wichtig, weil hier die Weichen gestellt würden fürs spätere Studien- und Berufsleben.
Naturwissenschaften sind ein Grundpfeiler des Verständnisses für logisches Denken, für Zusammenhänge, und für das Beeinflussen der Vorgänge um einen herum.
Ich bin nunmal Technologe – im Jahre 2015 halte ich eine gymnasiale Ausbildung ohne Programmieren, ohne Physik, Biologie und Chemie für verfehlt. Natürlich ist eine Programmiersprache letztlich auch nur eine Sprache, und die lernt man als Kind nun mal leicht. Aber lieber man lernt sie.
Naturwissenschaften, Technik und das in Verbindung mit Programmieren halte ich für eine sehr wichtige Komponente in der Ausbildung. Lehrt doch Programmieren, dass die Welt um mich herum veränderbar und automatisierbar ist. Wer programmieren kann, und wer naturwissenschaftliche Zusammenhänge versteht und anwenden kann, hat einen sehr langen Hebel zur Hand.
Widersprechen Sie mir gerne!
5. Was ist die erste Fremdsprache? Latein oder Englisch?
Hat beides etwas.
Englisch ist unmittelbar praktischer. Hätten Sie mich noch vor zehn oder fünfzehn Jahren gefragt, hätte die Antwort ganz klar Englisch gelautet. Auch macht es Englisch als erste Fremdsprache deutlich leichter, nach ein oder zwei Jahren noch die Schule zu wechseln, egal ob zu oder von.
Die beste Ehefrau von allen ist seit jeher Lateiner. Latein erzwingt ein deutlich besseres Verständnis und einen präziseren Umgang mit der deutschen Sprache, außerdem kommt die Logik mathematischen Kindern sehr entgegen.
Das reine Schul-Englisch, so wie wir es gelernt haben, benötigt ohnehin noch intensive Zusatzbeschäftigung und Interesse, dass man es tatsächlich in Unterhaltungen und Literaturrecherche einsetzen kann. Da Englisch in praktisch allen Studienfächern unbedingt notwendig ist, kommt man nicht drumherum. Und genau deswegen finde ich müssen Kinder nicht unbedingt mit Englisch beginnen.
Die Schule ist doch ein Ort des Ausprobierens, des Experimentierens. Wann kann man im Leben nochmal Latein lernen? Wann im Leben wird man sich dadurch nochmal so intensiv mit der eigenen deutschen Sprache beschäftigen, die sprachliche Präzision erlernen, die eher ein Kennzeichen des Lateinunterrichts als des Deutschunterrichts ist?
Die Kinder haben in der Grundschule schon Englisch gehabt. Vergessen sie das dann in der fünften Klasse? Es ist ja nur die fünfte Klasse, denn die zweite Fremdsprache beginnt bereits in der sechsten. Praktisch alle Gymnasien bieten eine so genannte Erhaltungsklasse für Englisch an.
Das Kriterium Englisch oder Latein als erste Fremdsprache am Gymnasium fällt zugunsten Latein aus. Im Nachhinein betrachtet fehlt mir Latein.
6. Wie groß ist die Schule?
Sind hier 400 oder 1400 Kinder beisammen?
Nun könnte man meinen mit weniger Kindern auf eine eher familiäre Atmosphäre schließen als mit mehr Kindern, doch das allein macht es nicht aus. Die Anzahl der Schüler ist ein Faktor, dennoch.
Weniger Kinder kann heißen, dass das einzelne eher gesehen wird. Mehr Kinder kann dafür bedeuten, dass es dadurch mehr verschiedene Angebote gibt.
Ich war an meiner alten Schule am Elternabend zu Gast. Das Gymnasium Königsbrunn ist seit meiner Zeit noch einmal gewaltig gewachsen. Der Gebäudekomplex sieht komplett anders aus als damals, er dürfte fast doppelt so groß sein. Die haben 1400 Schüler.
Das ist einerseits ein Massenbetrieb. Es dürfte schwer fallen, dort noch alle Lehrer mit Namen zu kennen. Andererseits erlauben die Skaleneffekte eben viel mehr Angebote, sei es in Sachen Ausstattung als auch Arbeitsgruppen.
Andererseits hat auch eine relativ kleinere Schule Vorteile. Man kennt als Schüler jeden Lehrer, und irgendwann vom Sehen her die meisten Schüler. Eine Gemeinschaft, die die gesamte Schule umfasst, entsteht meiner Ansicht nach leichter, wenn es nicht ganz so viele Schüler sind.
Was ist denn nun besser?
7. Wie ist die Ausstattung?
Sind die Gebäude halbwegs in Schuss? Gibt es eine moderne Turnhalle, die für die Größe der Schule angemessen ist? Wie sieht es mit naturwissenschaftlichen Räumen aus? Sind die Toiletten ohne Ekel benutzbar?
Die Ausstattung alleine macht keine Schule, doch die Schüler brauchen Raum, um zu lernen. Im Sport ebenso wie in Naturwissenschaften. Es muss nicht das neueste und größte sein, sondern eben angemessen.
Was bringt ein Mikrobiologielabor, das in nur der Oberstufe genutzt werden kann? Ganz einfach: Es bringt einen exzellenten Biologielehrer, in dessen Obhut das Labor ist. Er ist derart enthusiastisch bei der Sache, dass sich das auf den gesamten Fachbereich und andere Lehrer auswirkt. Exzellenz zieht Exzellenz an.
Was bringt es, wenn die Schule drei große Computerräume hat statt nur einen? Skaleneffekte. Hier lassen sich auch größere Projekte stemmen, und es gibt Lehrer – weil es sie dann geben muss – die mit einem derartigen Rechnerpool umgehen können.
Eine Mehrfachturnhalle erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass nicht allein aus Platzgründen Nachmittagsunterricht statt finden muss.
8. Wie positioniert sich die Schule?
Was ist der Schule wichtig? Was tut die Schule, um die ihr wichtigen Dinge zu realisieren?
Dies hängt natürlich eng zusammen mit der Person des Direktors, doch gerade bei alten Schulen gibt es eine Kultur, bereits lange vorher da war. Wie wird diese Kultur gelebt?
Mir hat die staatliche Klosterschule sehr gut gefallen. Sicher ist der Direktor der Direktor, und sicher gibt es nur noch wenige Mönche im Schuldienst. Doch gibt es auch noch einen Abt, der neben dem Direktor die Kultur prägt. Es gibt eine lange Historie, die alle Lehrer spürbar erfüllt.
Ist es eine Schule einzelner Stars, oder eine Schule der Uniformität, oder eine Schule des kreativen Miteinander?
Wird Mädchen-MINT-Förderung betrieben oder werden alle Schüler sowohl für MINT-Fächer als auch für sprachliche und philosophische Themen begeistert?
Schon in der Informationsveranstaltungen haben wir deutliche Unterschiede erlebt. Da gibt es den Direktor, der ganz klar sagt »Hier werden zukünftige Führungskräfte ausgebildet«. Da gibt es die Direktorin, die die Berufswahl offen lässt: »ob ihr Kind später einmal eine Berufsausbildung macht ein Studium anstrebt, wissen wir noch nicht, und das ist in Ordnung.«
Was ist sympathischer? Was geschieht mit Kindern, denen ich immer schon eintrichtere, sie müssten einmal Führungskräfte werden? Wie erklärt sich die Schule, dass trotzdem nicht alle ehemaligen Schüler auf dem Chefsessel Platz nehmen?
9. An welchen Wettbewerben nehmen die Schüler teil?
Welche sportlichen Wettbewerbe? Sprachliche? Naturwissenschaftliche?
Wie immer gibt es kein richtig und falsch. Es muss halt passen. Eine Schule ohne jegliche Beteiligung halte ich für schwierig. Auf der anderen Seite sollte wohl auch nicht jeder Schüler bei mindestens X Wettbewerben mitmachen müssen.
Da ich MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) für sehr wichtig halte, schaue ich natürlich, ob es Lehrer gibt, die für Jugend forscht Schüler betreuen. Das garantiert nichts, noch nicht einmal, ob sich ein Kind für eine Teilnahme entscheidet. Eine gute Betreuungsinfrastruktur schafft Möglichkeiten und damit die Wahrscheinlichkeit.
Machen Schüler der Schule bei Mathematik-Olympiade oder Informatik-Olympiade mit?
Schülerwettbewerbe sind für mich eine wesentliche Form von Begabtenförderung in jeglichem Gebiet, egal ob sportlich, sprachlich oder naturwissenschaftlich.
Eine Freundin – Sportlehrerin – fährt mit Ihren Schülern regelmäßig zu Leichtathletik-Wettbewerben und Fußballturnieren. Die Schüler sind begeistert, identifizieren sich mit der Schule und sind auch in anderen Fächern oft herausragend. Korrelation oder Kausalität?
10. Wie geht die Schule mit Andersartigkeit um?
Findet eine Integration oder eine Assimilierung statt?
Hier geht es mir nicht um Inklusion von Mensch mit Behinderung, sondern um die Art, wie Kinder eben sind. Wie wird mit unterschiedlichen Arten zu Lernen umgegangen? Introvertierte vs. Extrovertierte?
Wie wird mit einem – unserem – Kind umgegangen, wenn dieses zwar alles versteht und prinzipiell umsetzen kann, aber bei niederschreiben in Gedanken immer abschweift?
Wie wird mit Schülern umgegangen, die ein bis zwei Jahre jünger sind als die Mehrheit der Klasse?
Laufen da als Schüler lauter mit denselben Frisuren herum (Stichwort » Popper-Frisur«) herum? So gesehen an einer Schule. Kann ein Kind an solch einer Schule bestehen, wenn es sich dem Trend verweigert oder einem anderen Trend folgt? Oder wird der allgemeine Schultrend zwangsläufig angenommen?
Wie kann ich das überhaupt a priori herausfinden? Für einige Schulen kennen wir Kinder und deren Eltern, die das jeweilige Gymnasium besuchen, doch das ist freilich auch nur eine Einzelmeinung. Wie also?
Wenn es eine einfache Entscheidung wäre, wäre es einfach (sic!).
Die eine richtige Entscheidung gibt es nicht
Die eine richtige Entscheidung gibt es nicht. Wir können meinen, an alles gedacht zu haben und dann kommt alles anders. Auch ist die Entscheidung für eine Schule nichts, was sich nicht verändern ließe.
Wie sehen Sie das? Was war und ist Ihnen wichtig bei der Wahl der Schule? Was raten Sie mir?
Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!
Photo: Jonathan Ernst, World Bank Photo Collection, on Flickr, License Creative Commons Attribution Non-Commercial
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