Warum LaTeX lernen?

Warum heute noch LaTeX lernen? In einer Zeit, in der es ein fähiges, mächtiges Office mit Word von Microsoft gibt, ein ähnlich mächtiges iWork mit Pages von Apple, oder kostenlos ein OpenOffice.org beziehungsweise LibreOffice? Warum die ganzen LaTeX-Befehle lernen?

Der folgende Artikel erschien ursprünglich auf der LaTeX-Buch Seite und ist im Original dort zu finden.

Dokumente, die mit Word in einer der neuesten Versionen geschrieben wurden und der Autor nie die Vorlage, Schriften und den Satzspiegel angefasst hat, sehen mittlerweile recht passabel aus. Leider stellen in einer Art Reflex viele immer noch sofort die Schrift auf Times oder Arial und die Seitenränder auf Anschlag. Und auch weit über zwanzig Jahre, nachdem Formatvorlagen den Einzug ins WYSIWYG-Texten gefunden haben, ist das Wissen darüber und die Anwendung dessen noch immer nicht wirklich verbreitet.

Zen

Enso by Alex Castro

LaTeX ist anders. LaTeX hat den Fokus aufs Wesentliche – den Inhalt eines Textes – so tief in den Genen, so tief im Konzept verankert, dass es viel leichter fällt, sich darauf ein und die Finger von wilden manuellen Formatierungen zu lassen. LaTeX zu lernen heißt, sich auf eine andere Art des Schreibens einzulassen. Eine Art des Schreibens, bei der das geschriebene Wort zunächst wichtiger ist als der Schriftsatz, in der das Wort aufs Papier oder ins PDF gebracht werden soll. Und doch: Indem sich der Student, Doktorand, Wissenschaftler, Literat, Lehrer, Schüler oder Autoren und ganz normale Menschen wie Du und ich auf das Schreiben von Text und Struktur des Dokuments beschränken, lassen wir den Automaten, der LaTeX heißt, seine Kenntnis ausspielen, wie ein gutes, schönes Schriftstück aussieht.

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LaTeX ist eine Rückbesinnung aufs Wesentliche, es ist Zen-Schreiben. Im Zen-Schreiben kommen die ablenkenden Gedanken zur Ruhe, Ihr Geist kann sich voll und ganz auf das Thema Ihrer wissenschaftlichen Arbeit konzentrieren. Alle Ablenkungen wie bunte Schaltflächen, Schriftarten, mannigfaltige Knöpfe, um dem Wort ein ganz anderes Aussehen zu geben, sind allesamt nicht vorhanden. Sie sind mit Ihrem Text ganz allein. Zen-Schreiben allein bietet – deswegen heißt es ja Zen – nichts inhaltliches zu Ihrer Aufgabenstellung an. Es ist ein Werkzeug, um sich ganz auf den eigenen Text, auf das eigene Schreiben einzulassen.

Ja, LaTeX lernen bedeutet, sich mit seltsamen Ausdrücken auseinanderzusetzen die man mitten in seinen Text schreiben soll. LaTeX lernen bedeutet zu akzeptieren, dass man nicht sofort auf dem Bildschirm sieht, wie es später genau auf Papier herauskommt. LaTeX lernen heißt, die Struktur seines Dokuments wirklich zu bestimmen. LaTeX lernen heißt Demut zeigen und sich nicht für den Experten für Ästhetik von Schriftstücken zu halten.

Obgleich ich in LaTeX natürlich die Ästhetik der Schriftstücke auch selbst in allen Feinheiten entwerfen kann, sei es Satzspiegel, Schriften, Schriftbild, Abstände und Einzüge, das Aussehen von einzelnen Elementen des Dokuments, wirklich alles, ist ja der Sinn gerade, es nicht selbst entwerfen zu müssen. Die wenigsten Autoren sind Layouter oder Typografen oder Designer, und Sie brauchen es auch nicht zu sein. Es reicht völlig aus, wenn Sie in Ihrem eigenen Fachgebiet der Experte sind oder werden. Denn LaTeX stellt die Arbeitsteilung aus früheren Jahrhunderten wieder her: Der Autor verfasst das Manuskript, der Layouter und der Setzer machen daraus die Druckvorlage. Der Unterschied zu früher ist der, dass Layouter und Setzer nun keine Menschen mehr sind, sondern Software.

Die Möglichkeit, ja mehr noch, die Führung des Autors hin zum reinen Schreiben, das ist für mich Zen, im Sinne der Versenkung ins eigene tägliche Schreiben.

LaTeX ist Zen-Schreiben.

Zuverlässigkeit

Noch vor einigen Jahren war der Fall klar – sobald eine wissenschaftliche Arbeit mit Literaturhinweisen versehen sein soll, und diese Referenzen und das Literaturverzeichnis jederzeit sauber und halbwegs automatisch erzeugt werden soll, führte am Lernen von LaTeX kein Weg vorbei. Ebenso wie für saubere Zeilenumbrüche. Und wenn man noch einige Jahre weiter zurückdenkt, war LaTeX auch eine der wenigen stabilen Möglichkeiten, große Dokumente zu erstellen. Literaturverzeichnis kann heute auch ein Microsoft Word, sogar ein LibreOffice hat für Literaturverweise eine Funktion vergraben. Word stürzt fast nie mehr ab, und es hat nun ein einigermaßen nachvollziehbares Dateiformat. Doch auch heute machen insbesondere Anwender von Textverarbeitungsprogrammen immer noch regelmäßig einen Probeausdruck. Warum, wenn das System doch darauf ausgelegt ist, schon auf dem Bildschirm anzuzeigen, was man später bekommt? (WYSIWYG = what you see is what you get) Weil sie sich eben nicht sicher sind. Weil es auf dem Bildschirm eben doch anders wirkt.

Mit LaTeX mache ich fast nie einen Probeausdruck, denn das, was ich im PDF sehe, ist exakt das, was ich später auf dem Drucker erwarten kann. Mit LaTeX habe ich die Gewissheit, jede Anforderung an das Aussehen eines Literaturverzeichnis auf dieselbe Weise umsetzen zu können, und jede Art von Literaturverweis sauber und zuverlässig zu setzen – und wie die jüngere Vergangenheit lehrt, kann das über Karrieren entscheiden. Mit LaTeX habe ich die Gewissheit, jede Dokumentgröße bearbeiten zu können, jedes Kapitelformat absolut reproduzierbar gestalten zu können. Wer schonmal ein Microsoft Word Dokument in LibreOffice oder OpenOffice.org geöffnet hat und andersherum, der wird es in LaTeX als sehr angenehm empfinden, wenn der Konferenzbeitrag, die Masterarbeit nach verarbeiten durch eine andere LaTeXDistribution genauso aussieht wie bei der eigenen.

Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Microsoft Word bei Dokumenten länger als hundert Seiten regelmäßig abstürzte, doch ist die Robustheit von LaTeX bei Dokumenten mit vielen hundert Seiten und Hunderten von Abbildungen und mathematischen Gleichungen immer noch unerreicht. Egal wie viele und wie große Grafiken und Gleichungen Sie verwenden, LaTeX wird Ihr Dokument zuverlässig und robust verarbeiten. Denn das letzte, was Sie brauchen können, sind umherhüpfende Abbildungen, die man wieder und wieder an die richtige Stelle ziehen muss. Das letzte, was Sie brauchen, sind instabile Querverweise auf andere Kapitel. Das letzte, was Sie brauchen, sind unzuverlässige Literaturverweise.

Denn Sie sollen oder wollen ja einfach schreiben. Sie wollen ja mit Ihrer Arbeit fertig werden. Natürlich bietet LaTeX hervorragendes Potential zur Prokrastination mit all den Einstellmöglichkeiten und Paketen, doch wird Sie LaTeX in der Regel nicht zur Fremdbeschäftigung zwingen.

LaTeX funktioniert schlichtweg.

Überlegenheit

LaTeX ist auch und gerade nach dreißig Jahren seines Bestehens vielen anderen Programmen überlegen in Qualität der Ergebnisse von zu druckenden Dokumenten. Das gilt zum einen für die grundlegende Qualität der Satzvorgaben, also wie eine Seite aussieht, die auch Makrotypografie genannt wird. Ohne eingreifen zu müssen, sehen Schriftbild und Layout moderner LaTeX-Klassen einfach gut aus.

Querverweise und Literaturverzeichnis sehen immer gut aus, und das auch wenn Sie noch ganz spät beim Schreiben noch ein paar Quellenangaben hinzufügen, oder wenn sich die Vorgabe zur Formatierung des Literaturverzeichnisses und der Literaturverweise noch einmal ändert.

Und auch in der Mikrotypografie, also auf Buchstabenebene, sieht LaTeX einfach gut aus, und das oft ohne, dass man es bewusst merkt, sondern eben in dem, was gute Typografie ausmacht: Ermüdungsfreies Lesen. Das geht bei korrekten Abständen zwischen Wörtern und Buchstaben, inklusive dem Kerning, los, und hat beim optischen Randausgleich, bei dem beispielsweise Trennstriche leicht in den Rand hineinragen und so einen optisch geraderen rechten Rand bewirken, noch lange nicht ein Ende.

LaTeX liefert exzellente Ausgabequalität, ohne dass Sie zum Typografen werden müssen.

Die Qualität von mathematischen Gleichungen sucht ihresgleichen. Selbst komplexeste Konstrukte stellt LaTeX einwandfrei und schön dar, mit mathematischen Zeichen, die sogar zum allgemeinen Schriftbild passen, mit Linien, die ebenfalls den Linien der Textschrift entsprechen, mit Klammern, die in Größe und Form sich dem Inhalt anpassen. Und das nicht nur für Mathematik, die in Physik, Informatik und Ingenieurwissenschaften Anwendung findet, sondern auch chemische Formeln für Chemie und Biologie.

LaTeX beherrscht viele arabische und asiatische Schriften, selbst vergleichende Wissenschaft wird damit möglich, und sieht dabei eben immer exzellent aus.

Lernen

LaTeX lernen in Mathematik, Physik, Informatik oder Ingenieurwissenschaften wie Elektrotechnik oder Maschinenbau heißt, den theoretischen Unterbau der Fächer leichter zu Papier bringen zu können und auf viel Erfahrung und bestehendes Material zurückgreifen zu können. LaTeX lernen in Jura, Lehramt, Wirtschaftswissenschaften, Naturwissenschaften oder Geisteswissenschaften heißt, die sprachliche Präzision, die angemessen ist, auch auf das Schreiben und in Dokumente zu übernehmen. Und damit ein Zuwachs an Professionalität, die in allem, was Sie publizieren, durchscheint.

LaTeX lernen in einer Umgebung, in der nicht sowieso alle in LaTeX schreiben heißt, auch mal schief angesehen und für seltsam erklärt zu werden. Das ist in Ordnung. Denn LaTeX überzeugt am Ende immer mit der Qualität der Ergebnisse.

LaTeX lernen heißt freilich auch, manchmal einen Fehler zu suchen, der das Verarbeiten des Dokuments verhindert. Eben dieser Fehler hat oft seinen Grund darin, dass Sie irgend einen Automatismus überlisten wollen und das jedoch meist gar nicht bräuchten. Und damit heißt LaTeX lernen eben auch, immer wieder subtil darauf hingewiesen zu werden, dass das Eigentliche am Schreiben der Inhalt des Textes ist. Es geht immer um den Inhalt, um Ihre Gedanken, um Ihre Forschung, um Ihre Arbeit.

Ebenso heißt LaTeX lernen damit auch, sich immer wieder aufs neue zu freuen, welch schönes Ergebnis am Ende steht. Die Qualität des Satzbildes spricht für sich. Besser noch: Die Qualität des Satzbildes spricht für Sie, für Ihre wissenschaftliche Arbeit, für Ihre populärwissenschaftliche Arbeit oder einfach für Ihren Text.

Warum also LaTeX lernen? Nicht obwohl es anders ist. Sondern genau darum.

Fangen Sie an. Darum gibt es mein LaTeX-Buch.

Kommentare bitte beim gleichnamigen Artikel in meinem Blog.

(Bild: Enso von Alex Castro auf Flickr. Lizenz CC-BY)

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Kommentare

2 Antworten zu „Warum LaTeX lernen?“

  1. ist ja wohl voll krank, zur Rechtfertigung des LaTeX-Wahnsinns immer Vergleiche mit Word heranzuziehen – an den Haaren, versteht sich. Es gibt RICHTIGE Schriftsatzprogramme – Word zählt sicherlich nicht dazu. Und in RICHTIGEN Satzprogrammen sieht man auf dem Bildschirm, was rauskommt. Und selbtverständlich kann man formatieren, automatisch numerieren etc. Nur muss man eben nicht so’n Quark machen und einen Text mit Tags schreiben.

    1. Muss man LaTeX einsetzen? Nein, von müssen kann keine Rede sein. Gibt es gute Satzprogramme? Ja, sicher, sehr gute sogar. Sind diese Satzprogramme in ihren Feinheiten einfach zu bedienen? Komplexe, reichhaltige Funktionalität bedingt eben eine gewisse Komplexität in der Bedienung, egal ob das mit Befehlen oder mit der Maus geschieht. Kann ich – trotzdem – das meiste auch in Word machen? Ja, und es sogar vernünftig aussehen lassen.

      Das alles ist nicht der Punkt. Niemand muss LaTeX rechtfertigen. Auch ich nicht. Ich mag LaTeX einfach.

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