Kürzlich hatte ich das Vergnügen, eine Woche lang an einem Foto-Workshop in Schottland teilzunehmen. Eine wunderbare Erfahrung, und das nicht nur ob sagenhafter Landschaften und daraus resultierenden Fotografien, und nicht nur wegen des Workshop-Leiters. Sondern eben auch und gerade wegen der Workshop-Teilnehmer.
Mit Stefan Mayr und vier weiteren ambitionierten und passionierten Fotografen bewohnten wir eine Woche lang ein Cottage in den schottischen Highlands nahe der Insel Skye.
Die fünf Teilnehmer inklusive mir machten für mich insgesamt den Mehrwert des Workshops gegenüber einer selbst und allein durchgeführten Reise aus. Nicht nur, weil man überhaupt jemanden zum reden hat, sondern wegen ganz unterschiedlicher Ansätze der einzelnen Teilnehmern.
Vortragsmitschnitt
Jetzt mit Live-Mitschnitt des Vortrags auf dem Feinwerkmechanikerkongress am 25. Oktober 2019 in Würzburg.
Weitere Hinweise im Vortrag auf u.a. das Buch Professionelle Intelligenz von Gunter Dueck und unser Scrum Transition Boot Camp.
Unterschied als Wert
Wenn ich mit lauter Menschen arbeite, die genauso arbeiten wie ich, dann werde ich eher nicht so oft die Gelegenheit haben, etwas zu lernen. Haben alle die gleiche Herangehensweise und ungefähr die gleiche Erfahrung, dann denken wir ähnlich, dann handeln wir mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnlich.
Um etwas neues zu erfahren, ist es jedoch notwendig, sich zum einen in neue Situationen zu begeben – das habe ich allein durch die Reise nach Schottland getan, wo ich vorher noch nicht war –, zum anderen auch sicherzustellen, dass die Menschen um mich herum anders sind als ich.
Die Unterschiede müssen nicht gravierend sein, dürfen aber. Eine verschiedene Stufe der Erfahrung ist schon gut, aber verschiedene berufliche Hintergründe und damit ganz andere Wege und Herangehensweisen sind noch besser. Verschiedene Persönlichkeiten schließlich sind die Krönung.
Inspiration statt Angleichung
Nun könnte man annehmen dass ein Kurs, ein Workshop dazu da sind, dass wir alle auf das gleiche Niveau kommen und alle eine bestimmte Vorgehensweise annehmen, dass wir uns angleichen. Dem ist mitnichten so.
Es geht nicht darum, dass wir uns angleichen. Natürlich erläutert der Leiter des Workshops Stefan, was er als Vorgehensweise empfiehlt, und macht dazu auch Übungen. Diese Übungen und Vorgehensweisen dienen jedoch dazu, den eigenen Werkzeugkasten zu vervollständigen, und somit die eigene Methode zu bereichern, nicht sie zu ersetzen.
Die anderen Teilnehmer des Workshops zu erleben heißt für mich nicht, ihre Vorgehensweisen eins zu eins zu kopieren, sondern dass ich mich von ihnen inspirieren lasse.
Was heißt nun Inspiration? Eben nicht, dass ich nun die Herangehensweise kopiere. Ebenso wenig, dass ich meine Ansichten ersetze durch fremde. Sondern dass ich meine Herangehensweise und Denkweise bereichere durch das, was ich bei anderen sehe. Gerade weil ich die Unterschiede sehe.
Wir bereichern uns also gegenseitig, indem wir verschieden sind und das auch reflektieren und kommunizieren, wie wir herangehen. Wie die einzelnen Fotografen vorgehen, lesen Sie in meinem Post Verschiedenartigkeit beflügelt – 6 Fotografen in Schottland.
Prinzipien für Heterogenität in Teams
Teams in vielen Organisationen profitieren von der Unterschiedlichkeit der Mitglieder. Um diesen Nutzen wahrnehmen zu können, gelten diese Prinzipien für die Verschiedenartigkeit in Teams. Um zu verdeutlichen, dass die Annahme der Verschiedenheit in der Verantwortung eines jeden einzelnen liegt, sind die Prinzipien in der ersten Person singular Präsens geschrieben.
- Ich bin neugierig auf die Erfahrung und Vorgehensweisen anderer Menschen.
- Von jedem Menschen kann ich etwas neues lernen und dann für mich bewerten, inwieweit ich dieses Neue einsetzen möchte.
- Ich akzeptiere die Verschiedenheit anderer Menschen ebenso wie meine eigene Verschiedenheit.
- Ich nehme meine Verschiedenheit von anderen in Bescheidenheit an. Anders sein ist kein Selbstzweck, sondern ein naturgegebenes Phänomen.
- Ich suche bei der Zusammenstellung von Teams Menschen, die anders sind als ich, damit das Team vielfältige Aufgaben übernehmen kann und ich selbst Inspiration finde.
- In meiner Verschiedenheit von anderen lebe ich Professionalität, denn Anderssein in Teams ist keine Entschuldigung für Unprofessionalität.
Diese Prinzipien gelten wohl universell und würden ein besseres Zusammenleben befördern. Leider sind es im täglichen Umgang Sonntagsreden.
Scheitern und Schwierigkeit der Prinzipien
Die Prinzipien sind ein hehres Ziel, nur verletze ich diese oft. Denn was heißt das jeweilige Prinzip nun konkret?
In der Workshop-Situation geht das noch gut, weil ich letztendlich ja nicht die Ergebnisse anderer brauche – anders als in Teams, in denen eines jeden Arbeit zusammenwirkt. Deshalb möchte ich noch einmal durch die sechs Prinzipien gehen, diesmal aber meine Meinung, Erfahrung und Eindrücke dazu wiedergeben. Und das nicht im Kontext des Foto-Workshops, sondern im Kontext von Beruf und Verein, also da, wo in endlicher Zeit zusammen Ergebnisse erzielt werden sollen.
1. Ich bin neugierig auf die Erfahrung und Vorgehensweisen anderer Menschen.
Nein, bin ich oft nicht. Das hieße ja, dass ich bei jedem Arbeitsschritt, den ich beobachte, die spezifische Erfahrung des anderen interessant finde. Tu ich aber nicht. Wenn ich jemanden sehe, der beispielsweise ineffizient mit seinem Hauptarbeitsgerät, dem Computer umgeht, dann fällt es mir schwer ruhig zu bleiben. Oft will ich einfach, dass es so gemacht wird, wie ich es für optimal halte. Ich bin oft nicht neugierig. Ich will fertig werden. Und das ist mir oft wichtiger als die Neugier.
2. Von jedem Menschen kann ich etwas Neues lernen und dann für mich bewerten, inwieweit ich dieses Neue einsetzen möchte.
Das Prinzip stimmt schon, nur fällt die Bewertung bei mir bisweilen sehr schnell. Wirklich sehr schnell. Im Arbeitsleben oft nach ein paar Sekunden, und zwar mit einer klaren Antwort „Nein“. Und ja, ich kann von jedem Menschen etwas lernen, nur sehe ich bisweilen nicht die unmittelbare Notwendigkeit oder möchte nicht die Zeit aufwenden, überhaupt herauszufinden, was ich vom anderen lernen kann.
3. Ich akzeptiere die Verschiedenheit anderer Menschen ebenso wie meine eigene Verschiedenheit.
Das klingt schön, nicht wahr? Akzeptieren ist nur ein so großes Wort.
Akzeptanz. Lateinisch accipio = gut-heißen, annehmen, billigen.
Nein, das ist es oft nicht bei mir. Eher Toleranz.
Toleranz: Lateinisch tolero = ertragen, aushalten, erdulden.
Oft ertrage ich die Verschiedenheit lediglich, besonders dann, wenn ich sie nicht als nutzbringend wahrnehme. Und bisweilen ertrage ich auch meine eigene Verschiedenheit nur, weil es ja nicht anders geht. Sitze ich mit jemandem im Fachgespräch, der wohl was weiß, aber einen Gedankengang in so quälend langsamen Tempo denkt, möchte ich am liebsten an den Gehirnwindungen ziehen und durchrütteln. Kaut mir einer ein Ohr ab, ist Akzeptanz der Unterschiedlichkeit auch nicht unbedingt das, was mir als erstes einfällt.
4. Ich nehme meine Verschiedenheit von anderen in Bescheidenheit an. Anders sein ist kein Selbstzweck, sondern ein naturgegebenes Phänomen.
Oha, in Bescheidenheit. Nein, eigentlich nicht, auch wenn das oft schön wäre. Oft bin ich über manche Aspekte meiner Verschiedenheit ganz froh, und spiele die Karte offensiv aus. Nicht bescheiden, sondern an der Grenze zur Arroganz. Weil ich mich bisweilen ziemlich gut finde mit dem, was ich denke und mache.
Natürlich ist anders sein kein Selbstzweck, aber fühlt sich oft gut an, vor allem in den Bereichen, die eben meine Spezialität sind. Da stets bescheiden zu bleiben gelingt mir oft nicht.
5. Ich suche bei der Zusammenstellung von Teams Menschen, die anders sind als ich, damit das Team vielfältige Aufgaben übernehmen kann und ich selbst Inspiration finde.
Die Diskussion hatten wir neulich im Manager-Team. Und dazu stehe ich nun tatsächlich, es ist das Prinzip, das ich am direktesten umsetzen kann.
Natürlich muss ein Team aus Menschen bestehen, die eben geeignet sind, die Aufgaben, die an das Team gestellt werden, auch tatsächlich zu bearbeiten und zu erfüllen. Doch wie sie das tun, kann sich von Person zu Person unterscheiden.
Führe ich ein Bewerbungsgespräch, dann interessiert mich über Fachqualifikation und diverse professionelle Merkmale hinaus ganz gravierend, was ich von dieser Person lernen kann. Finde ich etwas, das ich ganz persönlich etwas von diesem Bewerber über die Zeit lernen kann, dann ist das ein starker zusätzlicher Einstellungsgrund.
Und ebenso schaue ich, was unser Team braucht. Das Team braucht nicht lauter Revoluzzer, aber ein oder zwei unbedingt. Das Team braucht nicht lauter Visionäre, aber ein oder zwei unbedingt. Das Team braucht nicht lauter Detailverliebte, aber ein paar eben schon. Und so weiter. Das Team funktioniert nur, wenn und weil wir verschieden sind.
6. In meiner Verschiedenheit von anderen lebe ich Professionalität, denn Anderssein in Teams ist keine Entschuldigung für Unprofessionalität.
Professionalität als Begriff ist angelehnt an den Begriff der Professionellen Intelligenz von Gunter Dueck (meine Buchbesprechung). Ich meine damit die Bereitschaft, etwas beizutragen, Transparenz, Integrität, Verlässlichkeit und Wohlwollen.
Innerhalb dieser Leitplanken darf jeder gerne verschieden sein, doch man sollte eben zusammenarbeiten können und wollen.
Verschiedenheit annehmen – nicht leicht
Sie sehen: Es fällt mir nicht leicht, Verschiedenheit immer anzunehmen. Ich scheitere, ich zetere, ich lehne bisweilen ab. Gerade deshalb war es für mich wichtig, oben die Prinzipien aufzuschreiben. Als Leitmotiv für mich selbst.
Anders bleiben
Und wie anders sehen Sie das? Wo nehmen Sie Unterschiede als besonders positiv wahr?
Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Gedanken und kommentiere!
Photo: www.joachimschlosser.de, License Creative Commons Attribution Share-Alike.
Dieser Beitrag erschient zuerst am 16.05.2018, überarbeitet und mit Video neu am 29.10.2019.
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