Gebäude Modell

Wenn Trauer das Projekt gefährdet: 10 Lehren + Bonus

Ein Bauprojekt. Interessen. Planungsprozess. Eskalation. Frust. Protest. Unverständnis. Anschuldigungen. Bei näherem Hinsehen ein Geflecht aus Annahmen, Emotion und Trauer. Der Versuch einer subjektiven Analyse und 10 Lehren daraus. Plus Checkliste als Bonus.

Dieser Artikel erzählt eine wahre Geschichte. Das konkrete Projekt mag für Sie weniger interessant sein, doch können Sie einige Muster erkennen, die Sie möglicherweise auch in Ihren Projekten identifizieren. Muster, die weniger mit den Inhalten des Projekts zu tun haben, sondern mit den Menschen im und am Projekt. Es muss nicht immer ein Desaster sein.

Bonus-Material zu diesem Beitrag: Die umfassende Checkliste zur Projektkommunikation. Einfach am Ende kostenlos anfordern.

Beginn

Das Projektteam fing gut an mit dem Projekt des Neubaus eines Pfarrheims. Alle die wollten, waren eingeladen, sich zu beteiligen und Anforderungen zu erarbeiten. Eine externe Moderation begleitete den Prozess in der Anfangsphase. Der Architektenwettbewerb war ergebnisoffen – ein Beitrag sah sogar die Sanierung des bestehenden Hauses vor. Ein Favorit wurde ermittelt. An diesem Entwurf arbeitete das Projektteam nun weiter.

Stille

Hier geschah ein entscheidendes Missgeschick, nicht in der Sache, sondern in der Kommunikation. Das Projektteam, eine Gruppe engagierter Menschen, die das bestmögliche Ergebnis im Dreieck aus Wünschen, Kosten und Planungsbedingungen erzielen wollten, sahen sich in der Verantwortung, eben dieses Ergebnis in ihrem Team zu erarbeiten. Das Projektteam ging somit auf Tauchstation.

Beinahe ein Jahr drang Information nur sehr spärlich nach außen. Rückmeldungen der hauptsächlichen Nutzergruppen wurde im Projektteam bearbeitet, jedoch waren diese Nutzergruppen nach deren eigenem Dafürhalten nicht oder kaum mit Gesprächen eingebunden.

Somit fühlten sich diese sich zum einen nicht gehört, und begannen zum anderen aufgrund der spärlichen Informationen damit, Vermutungen anzustellen und entwickelten Zorn gegenüber der Projektleitung.

Belehrende Kommunikation – man hatte ja lang alle Aspekte durchdacht und zudem lange Erfahrung – tat ihr übriges. Keine großen verbalen Übergriffe, sondern permanentes Kommunizieren aus dem Hochstatus des Erfahrenen.

Knall

Es kam es zum Knall. Forderungen nach Projektstopp, nach kompletter Neuplanung. Unterschriftenlisten. Demonstration bei der öffentlichen Planvorstellung. Schaltung einer eigenen Website.

Trotz eines gemeinsamen Planungsgesprächs, in dem die meisten inhaltlichen Kritikpunkte direkt adressiert und Lösungen angedacht werden konnten, kam es zum Blockadewunsch.

Warum?

Es folgt mein Versuch einer subjektiven Analyse und Interpretation. Ich nenne keine Namen, weil es für die Lehren daraus nicht auf die konkreten Personen ankommt, sondern auf die Persona.

Trauer

Die Jugendlichen und die Jugendleiter wären wahrscheinlich noch spät wieder ins Boot zu holen gewesen. Immerhin arbeitete die Projektleitung ja daran, so weit wie möglich die Wünsche auch der Jugend und der Jugendgruppen im Plan zu realisieren.

Dabei wurde ein wesentliches Teil des Puzzles übersehen.

Die Struktur der Pfarrjugend ist nicht das, was man vermuten würde: Jugendliche in Gruppen, ebenfalls jugendliche Gruppenleiter und ein spätjugendliches Leitungsteam.

Diese Phasen gibt es hier auch. Aber es gibt noch zwei Stufen mehr: die Freiwilligen Mitarbeiter, die in ihren Zwanzigern sind und bei größeren Unternehmungen mithelfen. Soweit so gut, diese gibt es in jeder Pfarrei. Schließlich gibt es noch die Ex-Jugendlichen. Alle Menschen waren einmal jung, doch diese hier im Alter von Ende dreißig, Mitte vierzig und teilweise bis sechzig Jahren mischen immer noch mit.

In einer Studentenverbindung hieße das Alte Herren. Mit einem Unterschied: Diese alten Herren nehmen großen Einfluss auf die Jugendlichen.

Das macht das Projekt Neubau nun so interessant und brandgefährlich.

Veränderung braucht Raum für Trauer.
Das twittern

Hier sind Ex-Jugendliche. Ihre eigene Jugend ist lange vorbei. Zwanzig, dreißig, vierzig Jahre. Die ältestem erinnern sich noch an Planung und Bau des jetzt abzureißenden Hauses. Sie haben ihre Jugend dort verbracht. Sich einen Aufenthaltsraum ausgebaut, den sie Partykeller nennen. Sie setzen jetzt ihre Energie daran, den jetzt Jugendlichen ebenfalls diese schönen Erinnerungen zu bescheren.

Diese alten Herren fühlen sich wieder jung, wenn sie mit den aktuellen Jugendlichen zusammen Zeit verbringen. Sie tun sich möglicherweise schwer, zu akzeptieren, dass sie sich in einem ganz anderen Lebensabschnitt befinden.

Und nun kommen ein neuer Pfarrer und eine Kirchenverwaltung daher, die scheinbar willkürlich beschließen, das alte Pfarrheim abzureißen und ein neues an den Platz zu stellen.

Es soll das Haus abgerissen werden, in dem sie ihre Jugend verbracht haben. Das Symbol ihrer lange vergangenen Jugend soll weichen, und somit das letzte Zeichen, das sie noch an ihr Jungsein erinnert, einfach verschwinden.

Trauer. Das Gefühl, das in dieser Situation entsteht, ja entstehen muss, ist Trauer. Tiefe Trauer. Nicht wegen der Steine, nicht wegen des Gebäudes an sich. Trauer der Erkenntnis, dass die eigene Jugend vorbei ist, schon lange vorüber. Man blickt in den Spiegel und denkt: »Mein Gott, ist das so lange her?«

Der Abriss des Symbols der eigenen Jugend erinnert daran, dass man alt wird.
Dies twittern

Was ist also der Neubau? Der Neubau ist die Ursache für den Abriss des Altbaus, dieser jedoch ist das Zeichen der vergangenen Jugend. Es wird überdeutlich, dass man alt wird. Somit ist der Neubau der Grund für tiefe Trauer.

Veränderung

Veränderung kosten Kraft. Veränderungen heißen so, weil sie etwas ändern: den Fortgang der Dinge. Dinge, die jetzt ja auch schon in Bewegung sind. Jede Änderung einer Bewegung, sei es eine andere Richtung, abbremsen oder beschleunigen, alles muss die Trägheit überwinden und dazu Kraft aufwenden. Dazu gibt es ein ausgezeichnetes Buch mit dem Titel Switch. Veränderungen wagen und dadurch gewinnen!.

Menschen haben Gefühle. Bei Veränderungsprozessen vergessen wir gerne, dass wir es mit fühlenden Menschen zu tun haben. Wir gehen davon aus, dass wenn wir Ihnen eine neue Umgebung bieten, die moderner ist und viele Annehmlichkeiten hat, dass sie das begrüßen müssten. Und vergessen dabei, dass der Verlust des alten dennoch Trauer erzeugt.

Wird dieser Trauer nicht explizit Raum gewährt, und wird diese Trauer nicht als solche an die Oberfläche geholt, dann verbleibt sie im Verborgenen und sich ändere Kanäle als Ausdruck. Zum Beispiel die Opposition gegen das Neue.

Menschen, die sich ihre Trauer nicht selbst eingestehen, können dieser Trauer keinen sinnvollen Ausdruck verleihen.
Dies twittern

Menschen, die sich ihre Trauer nicht selbst eingestehen können, werden dieser Trauer auch keinen sinnvollen Ausdruck verleihen können.

Ein möglicher Kanal der Trauer ist dann, auf mögliche Verschlechterung der Situation hinzuweisen. Das ist an sich eine gute Sache, sollen doch die neuen Gegebenheiten mindestens so gut sein wie das, was vorher verfügbar war. Werden jedoch Defizite überhöht und jegliche Lösungsansätze als nicht ausreichend angetan, vermischt sich der notwendige kritische Blick mit dem Gefühl der Trauer.

Jugendliche, die respektvoll auf ihre Ex-Jugendlichen blicken und bei Ihnen Rat und Orientierung suchen, die sie bei ihrem Pfarrer nicht zu finden glauben, übernehmen deren Argumente und Fundamentalopposition. Das muss auch so sein, denn Jugend, »Adoleszenz« ist der Prozess der Abnabelung, in dem etwas Rebellion gut und wichtig ist.

Ein Projekt, das die menschliche Komponente der Veränderung ausklammert, geht also ein hohes Risiko ein.

Schuld?

Diese Frage ist letztlich irrelevant, weil sie nichts zur Lösung beiträgt.

Jeder hat seinen Beitrag geleistet, eingebettet in seinem eigenen Kontext und Glaubenssätzen.

  • Die Projektleitung sah zu Anfang den Menschen, verlor diese im Verlauf dann aus Sachzwängen und im Fokus auf das Ergebnis aus den Augen.
  • Der Pfarrer sah lange, dass der Kontakt zur weitgehend autonom agierenden Jugend intensiver werden muss, und erreichte durch häufige Wechsel im Pool an Hauptamtlichen keinen Durchzug mehr.
  • Die Jugendlichen zogen sich nach anfänglichem Interesse am Projekt zurück und warteten darauf, wieder eingeladen zu werden, und orientierten sich lieber an Ehemaligen.
  • Die Alten Herren wollten immer nur das Beste für die Jugend, und übersahen, dass sie ihrer eigenen Jugend nachtrauern.

Das Problem entzündete sich am Bauprojekt, geht jedoch viel tiefer. Rückblickend lassen sich immer Zeitpunkte finden, an denen man es hätte besser machen können. Hätte, hätte, Fahrradkette. Für das konkrete Projekt ist das ohne Bedeutung, denn die Vergangenheit ist gesetzt, nur die Zukunft kann gestaltet werden.

Was auch mittlerweile sehr konstruktiv geschah. Es kam zu einem moderierten Gespräch zwischen Jugend und Projektleitung, und zu einer gemeinsamen Presseerklärung. Mehr Info und Links auf diverse Presseartikel gibt die Projektseite für den Neubau.

Lernen

Was können wir aus dem beschriebenen Projekt an Erkenntnis mitnehmen? Mir sind zehn Punkte aufgefallen, für die ich in eigenen Projektbeteiligungen Wege finden möchte, sie zu berücksichtigen.

  1. Veränderungen geschehen nie im luftleeren Raum. Es sind Menschen beteiligt.
  2. Veränderung erzeugt Trauer, mit der aktiv umgegangen werden muss.
  3. Autonom agierende Gruppen können zwar durch ein Projekt wieder stärker eingebunden werden, jedoch nur, wenn permanente Kommunikation stattfindet.
  4. Mitfühlende Kommunikation ist hoch notwendig. Ängste und Wünsche vorbehaltlos anerkennen.
  5. Transparenz ist ein wesentlicher Beitrag, um Gerüchte zu verhindern.
  6. Ein Zwischenstand darf als solcher immer kommuniziert werden, wenn klar gemacht wird, dass sich alles daran ändern kann.
  7. Jungen Menschen darf man Pragmatismus zutrauen.
  8. Offizielle Stellen raten immer von Kommunikation ab, weil sie absolute Hoheit behalten möchten. Das heißt nicht, dass das zum Erfolg führt.
  9. Wer sich selbst seine Gefühle nicht bewusst macht, kann großen Schaden anrichten.
  10. Aussitzen oder Blockade funktioniert nur, wenn Kollateralschäden akzeptiert werden können.

Würde ich nicht in eine der Kommunikationsfallen tappen? Möglich. Ich habe das Zeug zum Technokraten, und selbst bei bewusster Kommunikation neige ich zur Technokratie.

Mir fällt mitfühlende Kommunikation selbst bisweilen schwer, und der Umgang mit Trauer ist kein leichter. Ich lerne, meine eigenen Gefühle frühzeitig zu registrieren und zu erkennen, was mir hilft, mich nicht durch sie zu etwas hinreißen lassen.

Die Checkliste

Sie wollen Ihre Projektkommunikation verbessern? Dann laden Sie sich zu diesem Beitrag die umfassende kostenlose Checkliste mit 50 Fragen und Checkpunkten herunter, im Austausch mit Ihrer E-Mail-Adresse (wenn Sie meine Beiträge schon per E-Mail bekommen – einfach nochmal dieselbe Adresse hier eintragen.):





Dieses Häkchen müssen Sie anklicken, damit Sie überhaupt etwas bekommen. Erklärung:

Mein Newsletter informiert Sie über die Führung, Effektivität, Fotografie. Informationen zu den Inhalten, der Protokollierung Ihrer Anmeldung, dem Versand über den US-Anbieter MailChimp, der statistischen Auswertung sowie Ihren Abbestellmöglichkeiten, erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.









Und nun?

Und sie? Wo haben sie schon Fälle von vielschichtigen Problemen erlebt?

Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich bitte teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!

Offenlegung: Ich bin Leiter des Öffentlichkeitsausschusses der Pfarreiengemeinschaft. Dieser Artikel stellt meine persönliche Meinung dar. Obwohl ich durch meine Aufgabe in der Öffentlichkeitsarbeit bei einigen zusätzlichen Gesprächen in der Endphase dabei war, beziehe ich mich hier ausschließlich auf öffentlich verfügbare Informationen wie Zeitungsartikel und öffentliche Sitzungen.

Photo: Joachim Schlosser, Modell Eberle Architekten, License Creative Commons Attribution Share-Alike

Teilen & Verweilen

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert