Was bedeutet Industrie 4.0 für Sie, was für Ihr Unternehmen?
Welche Chancen ergeben sich für Sie?
Welche Veränderungen in Ihrem Geschäftsumfeld erwarten Sie? Optimistisch? Realistisch? Pessimistisch?
Vernetzung
Industrie 4.0, nach der Maschinisierung, Elektrifizierung und Steuerung der Produktion nun die Vernetzung und damit eben die vierte Generation von Industrie, ist irgendwo zwischen Hype und Sorge.
Die einen fragen, welche Rolle Menschen in einer vernetzten Fabrik spielen werden. Die anderen fragen, welchen konkreten Nutzen einzelne Massnahmen der Vernetzung haben. Wieder andere setzen innovativ und pragmatisch einige Konzepte der Industrie 4.0 um und erzeugen damit Mehrwert. Und wieder andere haben viele Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat.
Aus- und Weiterbildung
Laterales Denken ist für Industrie 4.0 ebenso nötig wie die Fähigkeit mit Modellierung und Simulation umzugehen.
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Mich treibt neben der Bedeutung von Industrie 4.0 für den Innovations- und Produktionsstandort Deutschland auch die Frage um, wie wir junge und alte Mitarbeiter und Studierende so auf die neue Welt der vernetzten Industrie vorbereiten, dass diese auch künftig einen großen Beitrag zur Wertschöpfung leisten können.
Wie sieht eine Weiterbildung aus? Welche Fähigkeiten werden benötigt, und wie können diese Fähigkeiten gelernt werden? Merke: Ich frage, wie diese gelernt werden, nicht wie diese vermittelt werden. Also lern– statt lehrzentriert.
Laterales Denken wird für Industrie 4.0 ebenso gefragt sein wie die Fähigkeit, mit Modellierung und Simulation umzugehen.
Kürzlich war ich auf dem Industrie 4.0 Summit vom Markt & Technik Magazin in München.
Schon die zwei Einstimmungsvortäge zeigten das Spannungsfeld, das sich mit Industrie 4.0 auftut: »Die Deutsche Normungsroadmap zu Industrie 4.0« und »Industrie 4.0 ‒ Der Weg ist das Ziel oder wie plane ich die Zukunft ohne sie zu kennen?«
Viele Vorträge beschäftigten sich mit Schnittstellen, mit Infrastrukturthemen, mit Management. Einige forschungsbezogene Vorträge, die Theorien oder im besten Fall Demonstratoren zeigten.
Einige wenige Vorträge, die etwas vorzuzeigen hatten, das bereits in der Fertigung in Serie läuft, wie etwa der von Frank Knafla. Die Quintessenz daraus: Das machen, was jetzt schon einen konkreten Nutzen erbringt ‒ wie im Beispiel schnellerer Produktionsdurchlauf bei variantenreichen Linien. Keine Änderung um der Änderung willens.
Daten haben und verwalten allein reicht nicht. Sie müssen schon was damit anfangen.
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Mein Vortrag »Den Datenschatz heben und Zeit- und Energieeffizienz steigern: Mathematik und Regelung im Maschinen- und Anlagenbau der Industrie 4.0« spannte den Bogen zwischen Big Data und Steuerung/Regelung.
Das Credo: Daten haben und verwalten allein reicht nicht. Sie müssen schon was damit anfangen.
Je mehr ich über Industrie 4.0 und das im englischen Sprachraum vorherrschende Internet of Things (IoT) lese und nachdenke, desto mehr kristallisieren sich für mich fünf Thesen heraus.
1. Internet of Things ist mehr als Industrie 4.0
Internet of Things ist mehr als Industrie 4.0.
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Der Begriff Industrie 4.0 ist als Industry 4.0 im globalen Sprachgebrauch fast nicht bekannt, weil er ja erst vor zwei Jahren im Vorfeld der Hannover Messe geprägt wurde, weil die Begriffswelt rund um die agendaCPS, die Agenda der Cyber Physical Systems der acatech wohl im Maschinenbau schwer verständlich war.
Internet der Dinge also. Internet of Things ist aber mehr als nur Industrie 4.0. Internet of Things (IoT) beschäftigt sich ja nicht nur mit der Fabrik, sondern mit allen Gegenständen der Welt. Mit Verbrauchsmaterialien genauso wie mit kleinen und großen Geräten um uns herum. Mit Wohn- und Bürogebäuden.
Internet der Dinge beschreibt die Vernetzung von allem, was wir nutzen, und daraus emergente Eigenschaften und Dienste, die einen Mehrwert bieten. Woraus diese Mehrwert jeweils besteht, wird zu diskutieren sein. Als Technologieoptimist sehe ich Mehrwert für die Nutzer, doch ist mir auch klar, dass Mehrwert für alle anderen juristischen Personen entstehen wird.
2. Industrie 4.0 ist mehr als Internet of Things.
Industrie 4.0 ist mehr als Internet of Things.
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Internet of Things (IoT) ist aber keine echte Obermenge von Industrie 4.0. Denn Industrie 4.0 umfasst mehr als das Internet der Dinge.
Industrie 4.0 heisst nicht nur Vernetzung von Werkstücken und Anlagen, sondern vor allem das Konzept der Individual-Massenfertigung (mass customization), bei der hohe Stückzahlen hoch individualisiert realisiert werden.
Ein Beispiel, bei dem heute schon stark individualisierte Einzelstücke bei hohen Stückzahlen entstehen, zeigt der Automobilbau. Ziemlich frei miteinander kombinierbare Extras aus Sonderaustattungslisten, die länger als die ABGs von Amazon sind, ergeben einen verdammt großen Möglichkeitsraum der Produktion.
Und in diesem Raum muss das passende Teil zum passenden Zeitpunkt an der passenden Stelle sein.
Je mehr dieses Konzept in alle Bereiche der industriellen Fertigung Einzug hält, und je mehr die einzelnen Faktoren der Produktion dazu interagieren müssen ‒ Maschinen und Maschinen, Maschinen und Menschen, Menschen und Menschen ‒ desto mehr sprechen wir von Industrie 4.0.
3. Industrie 3.0 ist noch voll im Entstehen.
Industrie 3.0 ist noch voll im Entstehen.
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Sind wir flächendeckend schon so weit, dass die Firmen Industrie 4.0 einführen können, wollen und sollen?
Mitnichten.
Industrie 3.0 ist noch voll im Entstehen. Das Thema Maschine ist durch. Das Thema Elektrifizierung ist durch. Aber die elektronische Steuerung, die nicht nur stupide eine vorgegebene Aktion abfährt und die Umgebung ignoriert, sondern mittels Sensoren auf Veränderungen reagiert ‒ also eine intelligente Regelung ‒ ist noch lange nicht flächendeckend da.
Da werden noch ganz viele Steuerungs- und Regelungseinheiten per Hand justiert, was manchmal gute Ergebnisse liefert, oft aber nur zum Preis verminderter Effizienz in Sachen Zeit und Energie.
Intelligente Antriebe, Steuerungen, geregeltes statt nur geschaltetes Verhalten, das alles ist noch im Entstehen.
Oft sehe ich bei Firmen, dass zwar Regler eingesetzt werden, aber die Kompetenz, was diese Regelung eigentlich tut, nicht im Haus ist. Erst in den letzten Jahren lernen die Unternehmen im Maschinenbau, dass das Wissen um die beste Regelung und Steuerung Kernkompetenz ist und einen Wettbewerbsvorteil bedeutet.
Deswegen beschäftigen sich viele meiner Kollegen eben bei Kunden und Interessenten mit Themen von Berechnung, Modellierung und Simulation. Diese Modelle dann auf die echte Maschinensteuerung zu bringen, ist dann nur ein kleiner logischer Schritt.
Also: Aus der Industrie 3.0 sind noch ganz viele Hausaufgaben zu erledigen.
4. Bildung ist der Schlüssel für Industrie 4.0
Bildung ist der Schlüssel für Industrie 4.0.
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Das Internet der Dinge (These 1) bringt mehr Vernetzung von allem. Industrie 4.0 (These 2) bringt mehr Varianten in Entwicklung und Produktion. Das zusammen macht das System »Industrie« komplexer.
Diese Komplexität geht nicht einfach weg. Sie lässt sich auch nicht unbedingt vereinfachen, sondern nur annehmen und verarbeiten (»Embracing complexity«).
Diese Entwicklung wird zusehends fähigere Mitarbeiter in den Werken und Entwicklungsabteilungen fordern. Der Werker, der an einer Produktionsanlage arbeitet, muss eben damit umgehen können, dass sich diese Anlage selbst umkonfiguriert, um auf sich ändernde Anforderungen zu reagieren. Er muss wissen, was da passiert, und verstehen, wie er selbst Einfluss auf die Produktion nehmen kann. Der Entwickler muss sich schon frühzeitig Gedanken machen, wie alles, was da geschaffen wird, flexibler agieren kann.
Systemverständnis wird für alle, Modellierung und Simulation wird für Entwickler zum unverzichtbaren Werkzeug. Ich stimme Schwickert und Heisterhagen zu, die »Konzepte für Weiterbildung und lebenslanges Lernen« fordern. Die Verantwortung für Qualität und Umsetzung liegt bei Unternehmen und Universitäten ‒ und zukünftig auch bei Schulen und damit Kultusministerien. (Dazu werde ich nächste Woche schreiben.)
Die Digitale Agenda der Bundesregierung springt zu kurz, falls man da überhaupt von springen sprechen kann.
Gottseidank warten Firmen nicht darauf, wie der Vortrag von Dr. Eberhard Niggemann zeigte. Und auch die Trainings zu Modellierung und Simulation meines Arbeitgebers sind regelmäßig proppenvoll.
5. Big Data haben und verwalten reicht nicht. Sie müssen schon was damit anfangen.
Big Data haben und verwalten reicht nicht. Sie müssen schon was damit anfangen.
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Big Data P0rn. Das ist es, was leider vielerorts betrieben wird.
»Schauen Sie mal, was Sie hier alles an Daten aufzeichnen können. Wir nehmen jede Sekunde hundert Samples auf an neunhundertdreissig Data Points. Diese siebeneinhalb Gigabyte laufen in unsere top notch Datenbank. Alles cloudbasiert, skaliert ganz easy. Sie können jederzeit auf alle Daten der letzten vier Jahre zugreifen, also aus über zwölf Terabyte. Super, nicht? Wir managen die Daten für Sie und stellen das ganze als Software as a Service bereit. Schauen Sie hier, das Dashboard, alles mobile. Unterschreiben Sie einfach hier.«
Was bringt das? Kosten für die Infrastruktur?
Aber was machen Sie mit all den Daten? Wie verbessern Sie Ihre Produktion und Ihre Entwicklung mit den Daten?
Daten sind noch keine Information. Daten sind Daten. Daten werden zu Information, wenn Sie sie verarbeiten, aufbereiten. Daten tragen zur Wertschöpfung bei, wenn Sie aus den Daten tatsächlich Entscheidungen ableiten.
Finden Sie Auffälligkeiten in den Daten. Finden Sie Korrelationen in den Daten. Finden Sie Kausalitäten. Finden Sie heraus, ob eine Auffälligkeit eine Kausalität oder nur eine Korrelation ist. Finden Sie die Ursache für die Korrelation.
Fahren Sie mit Hilfe von Simulation verschiedene Szenarien und sehen Sie, ob sich die Daten ändern. Führen Sie mit Hilfe von Optimierungsmethoden gesteuerte Experimente durch, zunächst rein simulativ.
Tun Sie was!
Sie hatten noch nie so viel Rechenleistung unter Ihren Fingern wie heute. Sie schreiben Ihre Analysen und Simulations-Experimente auf einem kleinen Ausschnitt der gesammelten Daten, gerade so viel, dass Sie noch flott auf Ihrem Computer arbeiten können. Und dann skalieren Sie genau dieses Experiment auf alle Daten, und lassen das massiv parallel rechnen.
Industrie 4.0 ‒ Mitgestalten!
Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Vieles, was Industrie 4.0 verspricht, können Sie heute bereits gewinnbringend einsetzen. Anderes wird noch eine ganze Zeit lang dauern. Um aber dort hin zu kommen, bedarf es erster Schritte.
Ich sehe ‒ endlich ‒ die Informatik und den Maschinenbau zusammen rücken, um gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten. Ingenieure, Maschinenbauer und Informatiker werden noch viel voneinander lernen dürfen, doch die Richtung stimmt.
Schreiben Sie mir, was Sie von diesen 5 Thesen halten. Welche Thesen sehen Sie in Ihrem Umfeld Realität werden?
Photo: Steve Jurvetson on Flickr, License Creative Commons Attribution
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