Zeit, einen Klassiker hervorzuholen – Simplify your Life: Einfacher und glücklicher leben von Werner Tiki Küstenmacher und Lothar J. Seiwert. Weniger ist mehr.
Es geht ums Vereinfachen. Nicht allein ums Aufräumen wie bei Marie Kondo, nicht allein um Produktivität und Fokus wie bei David Allen. Hier geht es darum, das eigene Leben zu entrümpeln. Das Buch lese ich gerne immer wieder, um mich daran zu erinnern, was ich als nächstes umsetzen möchte, oder wo wieder etwas aus dem Ruder läuft.
„Simplify your Life: Einfacher und glücklicher leben“ aus 2001/2004 spricht mich an, weil der Autor Werner Tiki Küstenmacher und Lothar Seiwert lange vor dem Minimalismus-Trend und Autoren wie Leo Babauta oder Joshua Fields Millburn konkret aufzeigt, wie man sich auf das wesentliche besinnen kann und sein Umfeld entsprechend ausrichten.
Lebenspyramide
Küstenmacher und Seiwert bauen ihr „Simplify your Life“ als Lebenspyramide auf:
- Stufe 1: Sachen. Also alle Dinge, die wir besitzen, in Ordnung zu bringen.
- Stufe 2: Finanzen. Klarheit in Geldangelegenheiten bringen.
- Stufe 3: Zeit. Wie wir unsere Zeit verbringen.
- Stufe 4: Gesundheit. Wie wir mit unserem Körper umgehen.
- Stufe 5: Mitmenschen. Wie wir mit zwischenmenschlichen Kontakten umgehen.
- Stufe 6: Partner. Wie wir mit unserem Lebenspartner oder in unserer Beziehung umgehen.
- Stufe 7: Ich. Auf sich selbst treffen, auf die eigenen Ziele, das eigene Glück.
Diese Stufen der Pyramide bilden auch die Hauptkapitel des Buches.
Ent-wirren
Die insgesamt 33 Unterkapitel im Hauptteil haben allesamt das Präfix ent- in der Überschrift. Das verdeutlicht, dass es in dem Buch nicht darum geht, einem ohnehin schon komplexen Leben noch etwas hinzuzufügen, sondern im Gegenteil eben unnötiges zu entfernen.
Hier finden sich so schöne Wortspiele schon in den Überschriften, dass es sich lohnt, diese Worte aufzulisten:
Ent-wirren, ent-stapeln, ent-rümpeln, ent-machten, ent-fernen, ent-zaubern, ent-schulden, ent-kommen, ent-werfen, ent-doppeln, ent-perfektionieren, ent-lasten, ent-schleunigen, ent-fliehen, ent-locken, ent-zünden, ent-krampfen, ent-schlacken, ent-spannen, ent-inseln, ent-wirren, ent-krampfen, ent-kräften, ent-ärgern, ent-falten, ent-dramatisieren, ent-zerren, ent-fesseln, ent-scheiden, ent-decken, ent-wickeln, ent-lasten, ent-rätseln.
Um einen kleinen Einblick zu gewähren, liest du im Folgenden aus jedem Kapitel ein oder zwei ziemlich willkürlich ausgewählte Tipps.
Ordnung
- Schritte-Mappen sind echte oder digitale Hängeregistermappen für Vorgänge, die bestimmte nächste Schritte definieren. Beispielsweise „anrufen“, „besprechen mit…“, „auf Rückantwort warten“. Das witzige daran: Das entspricht ziemlich genau der Definition von Kontext bei Getting Things Done.
- Oberflächenbewusst bedeutet, „horizontale Ablageflächen verringern und die restlichen freihalten.“ Das ist für mich sehr herausfordernd, und die Entropie ist gewaltig. Das Mantra jedoch hilft.
Finanzen
- „Sie entscheiden über Ihre finanzielle Realität.“ Jeden Tag, durch das, was wir ausgeben, und das, was wir entscheiden, zum Einkommen beizutragen oder eben nicht.
Zeit
- „Vereinfachen Sie alteingesessene Abläufe.“ Nur, weil man etwas schon lange so tut, muss man es nicht immer so weiter machen. Was damals sogar aus gutem Grund eingeführt wurde, passt vielleicht nicht mehr zum aktuellen Kontext.
- „Lesen Sie keine Tageszeitung.“ Das meine ich auch und praktiziere das weitgehend Tageszeitungsfreie Leben.
Gesundheit
- Bereite den Morgen vor, lege Kleidung heraus und die „Arbeitsutensilien am Vorabend zurecht.“ Hilft. Auch wenn ich früh aufstehe, geht es mir auf diese Weise besser und ich bin nicht gestresst.
- Wasser trinken – ohne irgendetwas dazu. Viel Wasser. Wenn es mir nicht gut geht, helfen oft raue Mengen an Wasser.
Mitmenschen
- Unser Urteil und die Realität unterscheiden sich. Und jeder nimmt dieselbe Realität anders wahr und kommt deshalb zu anderen Schlüssen. Etwas Empathie dafür hilft.
- „Verdeutlichen Sie sich, welche Charaktereigenschaften Sie mit Ihren Eltern teilen.“ Auch wenn wir es bisweilen nicht begrüßen oder sehen wollen: Unsere Sozialisierung prägt uns.
Partnerschaft
- „Für meine Gefühle bin ich selbst verantwortlich.“ Dieser Satz macht Beziehungen viel leichter, weil jeder zunächst bei sich selbst nachsieht, wenn etwas nicht passt. Wir können dann mit viel mehr Liebe ergründen, welches Muster im Außen geändert werden könnte, auch durch uns selbst.
- „Seien Sie nicht böse, wenn der andere Ihre Wünsche nicht errät.“ Bei uns in der Familie gibt es das Mantra: Wenn man nicht sagt, was man will, kriegt man es nicht. Damit befreien wir die Beziehung von übersteigerter Erwartung und werden viel leichter überrascht und erfreut.
Ich
- „Identifizieren Sie Ihre kleinen Richter.“ Wenn wir Schuldgefühle haben, dann lohnt es sich, in sich nachzuforschen, wer da wirklich spricht. Ein Elternteil, ein Partner, jemand aus der Vergangenheit. Besser wir entscheiden selbst, was für uns richtig ist.
Freilich reisst diese Auswahl den Schatz an Hilfestellungen nur ganz wenig an. So viel bietet das Buch.
Layout
Die gebundene Fassung von „Simplify your Life“ ist sehr schön gesetzt und gestaltet. Passende Zeichnungen des Autors Küstenmacher sind in blauer Farbe abgedruckt und illustrieren den Inhalt. Eher selten sind es Ergänzungen zum Inhalt oder Hauptbestandteile, sondern eben Illustrationen, um das Geschriebene aufzulockern.
Der Satzspiegel weist vernünftige Ränder auf, Merklisten sind grafisch abgesetzt. Das Buch sieht wirklich wie aus einem Guss aus und ist wirklich als Buch konzipiert, nicht nur als gedruckter Text.
Schreibstil und Kritik
Küstenmacher und Seiwert schreiben in „Simplify your Life“ anschaulich und unaufgeregt. Mir fiel es leicht, dran zu bleiben. Die Natur des Genres bringt es mit sich, dass sie viel mit Aufzählungen arbeiten. Das kommt meinen Lesegewohnheiten sehr entgegen, möchte ich doch ein konkretes Werk, aus dem ich Handlungen ableiten kann, und das bei vielfältigen Themenbereichen. Da hätte eine durchgehende Erzählung als Rahmenhandlung wie bei den 5 Dysfunctions nur aufgehalten.
So, wie es jetzt ist, hat „Simplify your Life“ mit 370 Seiten eine angenehme Länge. Da der Inhalt locker gesetzt, aber eben sehr komprimiert geschrieben ist, ist es für mich kein Buch, das ich in einem Rutsch durchlese. Zumindest nicht, wenn ich etwas behalten und umsetzen möchte.
Küstenmacher und Seiwert bringen nichts wirklich grundlegend neues, doch dafür sind sie auch gar nicht angetreten. In einem Kapitel nennen Küstenmacher und Seiwert die Zahl der Bücher, die die beiden in der Recherche zu diesem Werk durchgearbeitet haben. Somit ist es eben auch die Essenz, das Beste aus einem ziemlich großen Bücherregal, was hier drin steht. Das Buch mag sich zeitweilig anfühlen wie ein Sammelsurium, das alles anreißt, doch ist das andererseits seine Stärke.
Für mich eine uneingeschränkte Leseempfehlung für jeden, auch weil es sehr verständlich geschrieben ist. Ich konnte keinen Akademiker-Jargon oder Tech-Jargon feststellen, das Buch wird für jeden etwas bereit halten.
Auswirkung, Kontext
„Simplify your Life: Einfacher und glücklicher leben“ ist ein unaufgeregtes Buch. Kein Hype, kein Kult, keine neue Methode.
Und während ich nicht alles hier umsetze – zur Aufgaben- und Zeitverwaltung halte ich mich nach wie vor eher an Getting Things Done von David Allen – sind doch in allen Bereichen gute und sinnvolle Vorgehensweisen beschrieben.
„Simplify your Life“ geht eben nicht nur auf einen Aspekt ein, sondern macht einen Streifzug durch die vielen Lebensbereiche. Das eine funktioniert eben nicht ohne das andere. Finanzen ist schön, doch ohne Gesundheit hilft es nichts. Beziehungen sind gut, doch im kompletten Chaos kommt auch da nichts voran.
Die Lebenspyramide ist nicht unbedingt nach Wichtigkeit aufgebaut, sondern eher nach Schwierigkeitsgrad. Es ist nun mal am unkompliziertesten, seine Sachen im Haus oder am Arbeitsplatz in Ordnung zu bringen. Nicht notwendigerweise einfach, aber unkompliziert.
Ich lese „Simplify your Life“ immer wieder gerne – weil ich eben immer wieder feststelle, dass sich in einem Leben so einiges ansammelt an Dingen, Gewohnheiten. Diese lohnt es sich immer wieder anzusehen und zu prüfen, was ich anders handhaben möchte. Das Buch von Küstenmacher und Seiwert hilft mir dabei.
„Simplify your Life: Einfacher und glücklicher leben“ empfehle ich uneingeschränkt jedem.
Einfach werden
Und wie siehst Du das? Was hilft dir, unnötige Kompliziertheit aus deinem Leben los zu werden?
Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Gedanken und kommentiere!
Photos: Joachim Schlosser Foto, Alle Illustrationen: Werner Tiki Küstenmacher
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