Zusammen mit drei Kollegen hatte ich die Gelegenheit, an einem Scrum Master Advanced Pro Training von Boris Gloger teilzunehmen. Das Training heißt zwar Scrum Master Advanced Pro, und natürlich geht es um agile Methoden, Scrum allen voran, doch faktisch wurden unsere zwei Tage zu einem Führungskräftetraining. Was nicht verwunderlich ist, agiert doch der Scrum Master als laterale Führungskraft.
Aus dem Training blieben mir einige Dinge besonders haften, die du unten aufgelistet findest.
Die Mischung macht’s: Setup des Scrum-Trainings
Das Training wurde von Boris Gloger (Twitter) gut geführt; auf den Punkt, aber immer offen, die Unterhaltung dort hin zu lenken, wo die Gruppe einen Bedarf hat. Er hat ganz klar eine Meinung, die auf Erfahrung beruht, und ist dennoch immer offen, neue Facetten zu hören und sein Denken zu ändern.
#Scrum Master Class mit @borisgloger und Kollegen von @EB_Automotive.
„Der PO war nie der, der die Stories alleine schreiben soll.“ pic.twitter.com/BYBp3nGnqv— ツ Dr. Joachim Schlosser (@schlosi) March 14, 2017
Der Trainer macht freilich nicht das allein Training, sondern auch die Mit-Teilnehmer. Wir hatten unter anderem:
- Einen Projektleiter aus der Mechaniksparte eines Automobilzulieferers
- Einen Software-Leiter von einem Server/Computerhersteller
- Einen Software-Leiter eines Mediensoftwarehauses
- Einen Scrum Coach eines Zahlungsdienstleisters
- Einen IT-Leiter einer Elektronik-Einzelhändlerkette
- Einen Scrum Master eines Softwareherstellers für Marketingportale
- Einen Leiter einer Embedded Software Entwicklung
Gerade die Mischung der Gruppe aus verschiedenen Branchen, mit verschiedenem Hintergrund, teilweise mit disziplinarischer Führungserfahrung, machte das Training so interessant und abwechslungsreich. So konnten wir auch voneinander lernen, auch wie verschiedene Typen dasselbe Problem betrachten.
Erkenntnisse in Scrum und Agile Leadership
Einige Schlüssel-Erkenntnisse für mich – teilweise wieder erkannt und verstärkt, teilweise auch neue Hinweise, umfassen:
- “Community building first, decision making second.”
Auch, wenn nur wenig Zeit zur Verfügung steht: Schaffe etwas mentalen und zeitlichen Platz, um die Gruppe wirklich zusammen zu bringen, bevor du mit der Gruppe etwas erledigt bekommst. - Scrum Master ist eine Führungskraft, die mit dem Management arbeitet, um den Kontext für das Scrum Team positiv zu verändern.
Vieles, was ein Scrum Master bewirkt, ist kein Resultat von Interaktionen mit dem Team, sondern von Interaktionen mit Managern außerhalb des Teams.
- In einer agilen Organisation wird ein Scrum Master idealerweise in den Reihen der existierenden Projektleitern und Führungskräften rekrutiert.
Einige Sprints nach der Einführung von Scrum wird sich das Scrum Team weitgehend selbst organisieren können. Dann sollte der Scrum Master den Fokus darauf richten, die Umgebung zu verändern. Falls ein Scrum Master nicht nach aussen wirkt und handelt, liegt es am Management, genau dies einzufordern.
Organisationen, in denen Scrum verendet und schließlich wieder durch herkömmliche Prozesse ersetzt wird, leiden oft daran, dass Scrum Master nur nach innen mit dem eigenen Scrum Team arbeiten. - Aufhören mit angstbasierten Schätzungen. Messen anstatt schätzen.
Im Storypoint Poker drücken die Menschen üblicherweise ihre Sorge und Angst über Mehrdeutigkeit in unfertigen Stories aus, und die Angst vor negativen Trigger-Momenten in ihrem bisherigen Leben. Das Ergebnis kann zum einen eine Schätzung sein, die viel zu hoch liegt – „Ich bezog Prügel, wenn ich nicht in der Zeit fertig wurde” – oder viel zu niedrig – „Wie sehe ich denn aus, wenn ich sage, dass ich so viel Zeit brauche“. Boris Gloger empfiehlt, mit der Schätzerei ganz aufzuhören, und nach einigen Sprints einfach den Durchschnitt, den Median und den Maximalwert für die Fertigstellung einer Story anzugeben.
- Der Product Owner ist verantwortlich für
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- Vision und Einschränkungen
- Priorisierung
- Backlog
Vor allem ist er nicht derjenige, der allen sagt, was sie zu tun haben.
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- Werfe Stories weg, die schon ewig im Backlog sitzen.
An Stories festzuhalten, die wahrscheinlich nie umgesetzt werden, müllt nur das Backlog zu und hilft nichts. Wenn eine Story tatsächlich wichtig ist, wird sie wieder aufgenommen werden.
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„Tatsächlich beginnt alles mit Architektur. Mit der Organisationsarchitektur.“
Das meiste, was Teams zu erreichen vermögen resultiert aus der Architektur der Organisation. Wenn du verändern möchtest, wie Kommunikation geschieht, und wie Produkte entwickelt werden, schau zuerst, ob die Organisationsarchitektur das erlaubt, was du dir vorstellst.„In Wirklichkeit fängt alles mit der Architektur an. Mit der Organisationsarchitektur.“@borisgloger #Scrum #Advanced Training pic.twitter.com/AJZYZrV1cZ
— ツ Dr. Joachim Schlosser (@schlosi) March 14, 2017
- Gilde ≠ Community of Practice.
Eine Gilde ist von einer Einzelperson initiiert und bringt Experten für ein bestimmtest Thema zusammen. Die Gilde besteht nur temporär und löst sich auf, wenn ein Thema erledigt ist.
Eine Community of Practice (dt. Arbeitskreis) hat mehr Struktur und üblicherweise einen Leiter, der durch Management eingesetzt ist. -
Das Scrum Framework in 6 Ebenen
Die Liste reicht von der obersten bis zur grundlegendsten Ebene:
- Organisation 4.0/ Agile Leadership
- Scrum/Kanban
- Product Development
- Skills / Know-How
- Kommunikation / Entwicklung
- Organisations- und Produkt-Architektur
- Der Circle Way in einem Meeting fördert Beiträge und gegenseitiges Wahrnehmen.
Diese Methode, die von den Kommunikationslotsen propagiert wird, setzt alle Teilnehmer in einen Kreis mit einem visuell markierten Zentrum. Das visuelle Element im Zentrum begünstigt, dass man in die Mitte spricht und damit zu allen, anstatt viele 1-zu-1 Gespräche zu haben. - „Organisation ist ein Netzwerk aus Commitments.“
Ohne Commitments gibt es keine Organisation, nur eine Ansammlung von Individuen. - „Der Zweck von Management ist es, reflexive Prozesse zu etablieren.“
Das klingt abstrakt und schwer verdaulich, meint aber einfach nur, dass Management zum Ziel haben sollte, Verhalten in einer Organisation so einzuführen und zu fördern, dass dieses nach einiger Zeit sich vollkommen natürlich und logisch für die Menschen anfühlt, vor allem, dass sich die Menschen selbst führen (siehe dazu auch Marcus Raitner). - „Zuerst warum und dann vertrauen.“ (Simon Sinek, TEDx talk of same title)
- „Du bekommst mehr von davon, dem du deine Aufmerksamkeit schenkst.“
Benutze deshalb die Appreciative Inquiry Methode, auch 5D-Methode:
- Definition: Wovon wollen wir mehr?
- Discovery: Wo hatten wir schonmal Erfolg, davon mehr zu bekommen?
- Dream: Wie können wir das wiederholen?
- Design: Was werden wir tun (ganz konkret)?
- Deploy: Tun!
- Lemma des vorigen: Verweigere dem Verhalten, das du nicht willst, die Aufmerksamkeit.
Denn wenn unerwünschtes Verhalten erhöhte Aufmerksamkeit bedeutet, dann führt das zu mehr davon.
Alles in allem ein fantastisches Training, das meine Zeit sicher wert war. Die Trainingsinhalte gibt’s auf der Seite von Boris Gloger.
Besprochene Bücher (Auswahl)
- Scrum: Produkte zuverlässig und schnell entwickeln von Boris Gloger
- Zurück an die Arbeit – Back To Business von Lars Vollmer – siehe meine Buchbesprechung zu „Zurück an die Arbeit“
- The Principles of Product Development Flow: Second Generation Lean Product Development von Donald G. Reinertsen
- Scrum. Die Kunst, doppelt so viel Arbeit in der halben Zeit zu schaffen von Jeff Sutherland – siehe meine Buchbesprechung zu Jeff Sutherland
Agil bleiben
Was ist Agile Leadership für dich? Was ziehst du aus den Lehren dieses Trainings, die oben geschrieben sind?
Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Gedanken und kommentiere!
Foto: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike. Alle Flipchart-Zeichnungen mit freundlicher Genehmigung von Boris Gloger. Alle Flipchart-Fotos: Steffen Kuhn, überarbeitet und aufgefrischt von www.joachimschlosser.de
Offenlegung: Meine Trainingsteilnahme hat Elektrobit Automotive Consulting bezahlt. Dieser Artikel spiegelt meine persönliche Meinung wider.
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