Der Schreiner und die Software. Professionalität beginnt beim Werkzeug – Shu Ha Ri

Beherrschen Sie das Werkzeug, das Sie täglich benutzen? Wirklich?

Nehmen Sie für einen Moment an Sie gehen zu einem Schreiner und möchten einen größeren Schrank beauftragen.

Der Schreiner

Sie kommen zur Tür herein und sehen ihn bei der Arbeit, so dass Sie ein bisschen warten müssen, bis er seinen Arbeitsschritt beendet hat. Soeben greift er zum Hobel. Energisch setzt er den Hobel auf dem Holz an und zieht durch. Er nimmt den Hobel hoch und blickt auf seinen Daumen: Etwas Blut läuft. Er hat den Hobel leider mit der Unterseite nach oben gehalten. Auf dem Werkstück ist eine Kerbe zu sehen von der Rückseite des Hobels. Er setzt erneut an, nimmt den Hobel diesmal jedoch quer und erzeugt eine neuerliche sonderbare Spur im Werkstück. Beim nächsten Versuch setzt er den Hobel zwar mit der Unterseite nach unten auf das Holz, jedoch nicht in Arbeitsrichtung, so dass der Hobel eben nicht hobelt. Erst beim vierten Versuch gelingt es, und eine feine Spur Holz rollt sich nach oben, die jedoch mehrere Male abreißt, da der Schreiner nicht mit kontinuierlichem Druck und Geschwindigkeit durchzieht.

Hobel

Wie groß ist Ihr Vertrauen jetzt? Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie tatsächlich diesen Schreiner mit Ihrem Schrankprojekt beauftragen? Eher nicht so?

Vertrauen durch Souveränität

Nehmen wir weiter an, der Schreiner zeigt Ihnen einige Schränke, die gerade vor Auslieferung stehen. Diese sehen auf den ersten Blick sauber aus, doch bei näherem Hinsehen erscheint Ihnen das Holz auf der Rückseite bisweilen in Mitleidenschaft gezogen.

Viele würden diesen Schreiner trotzdem beauftragen, wenn er der billigste ist. Gerade in Deutschland zieht billig oft gut. Viele würden ihn aber eben auch nicht beauftragen.

Was denken Sie über diesen beschriebenen Schreiner? Ein Meister seines Fachs? Was denken wohl dessen Kollegen?

Egal, wo seine Spezialität liegt – vielleicht macht er ganz wunderbare Intarsien –, Sie ziehen seine Kompetenz in Zweifel und haben eher weniger Vertrauen in seine Fähigkeiten.

Besehen Sie sich den Grund: Sie ziehen seine generelle Fachkompetenz in Zweifel, weil er mit seinem grundlegenden Werkzeug nicht souverän umgeht, sondern elementarste Bedienfehler macht, bevor er eventuell zum Resultat kommt.

Vertrauen in die Fähigkeiten und kommt auch aus der Souveränität mit den Arbeitsmitteln.

Was ich immer wieder gemerkt habe, sowohl bei anderen als auch mir selbst: Vertrauen in die Fähigkeiten und kommt auch aus der Souveränität mit den Arbeitsmitteln.

Professionalität durch Souveränität

Der Schluss „Professionalität durch Souveränität“ klingt zunächst banal, meint aber folgendes:

Während wir im vorigen Abschnitt den Einfluss des sicheren Umgangs mit dem Werkzeug auf die Wahrnehmung durch Kunden und Kollegen betrachteten, geht es in diesem Abschnitt um die Wirkung auf einen selbst.

Wenn ich ständig meine kognitive Kapazität zu einem großen Teil dafür brauche, mein Werkzeug effektiv zu benutzen, dann habe ich weniger geistige Energie übrig, mich mit meinem eigentlichen Ergebnis zu beschäftigen, und brauche vermutlich länger. So wird der Schreiner im obigen Beispiel viel länger brauchen, weil er ja immer mehrere Versuche mit dem Werkzeug braucht, und er wird und vermutlich wenig Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit des Holzes legen können.

Fordert mich die Benutzung meines Werkzeugs völlig heraus, dann bin ich schon davon ganz beansprucht. Fühle ich mich in dem Teil der Benutzung des Werkzeugs, den ich gebrauche, sicherer als ich tatsächlich bin, so bin ich zwar nicht vollends beansprucht, aber das Ergebnis wird deutlich zu wünschen übrig lassen.

Auch der Schreiner, der in völliger Gemütsruhe den Hobel verkehrt herum über das hölzerne Werkstück schrubbt, erschafft nichts Vollkommenes. Er erschafft noch nicht einmal etwas mittelmäßiges, sondern ruiniert mit hoher Wahrscheinlichkeit eventuelle Vorarbeiten und verursacht längere Nacharbeiten.

Was hat jetzt jeder von uns, der kein Schreiner ist, mit genau dem Schreiner aus dem Beispiel oben zu tun?

Was ist Ihr Werkzeug?

Was sind Ihre drei bis sechs hauptsächlichen Werkzeuge?

Wenn Sie in einem Büro arbeiten, könnte es Windows, Word, Excel, PowerPoint, Skype und Outlook sein.

Eventuell verwenden Sie oft Windows direkt, arbeiten also viel mit Dateien, oder Sie verwenden vielleicht mehr eine Versionsverwaltung Subversion oder Git. Oder, wenn Sie im Vertrieb arbeiten, dann SalesForce und Outlook. Oder, wenn Sie im Marketing tätig sind, dann ihr Content Management System und Google Analytics. Vielleicht ist es bei Ihnen das Intranet-System Confluence.

Sie benutzen ebenso wie der Schreiner Werkzeuge, um Ihre Arbeit zu erledigen und Ihre Ergebnisse zu erzielen.

Welche kognitive Last erzeugen Ihre Werkzeuge bei Benutzung für Sie?

Wie wirkt Ihre Benutzung Ihrer hauptsächlichen Arbeitsmittel auf Außenstehende, auf Kunden und Kollegen?

Warum sind wir begeistert, wenn wir virtuosen Fußballspielern, Musikern, Kampfsportlern oder Handwerkern bei der Arbeit zusehen? Die Präzision und Effektivität ihrer Bewegungen beim Erschaffen wundervoller Ergebnisse sind schon das Erlebnis.

Die Präzision und Effektivität ihrer Bewegungen beim Erschaffen wundervoller Ergebnisse sind schon das Erlebnis.

Schauen Sie mal Bob Ross, den leider viel zu früh verstorbenen Lehrer der Ölmalerei für alle. Der ist wirklich gut, hat tolle Bewegungen und kann Ihnen dabei alles mögliche erzählen.

Shu-Ha-Ri

Wo stehen Sie mit Ihren Werkzeugen? Wie gut beherrschen Sie die Software, die Sie nutzen? Sind Sie sich überhaupt bewusst, dass Sie Werkzeuge und Software benutzen, und dass Sie das können können?

Das den japanischen Kampfkünsten entlehnte Konzpt Shu Ha Ri sieht drei Phasen auf dem Weg zur Meisterschaft:

  1. Shu wird übersetzt mit „erhalten, gehorchen“. Jedes Werkzeug ist für gewisse grundlegende Bewegungen oder Abfolgen geschaffen. Diese gilt es als erstes zu erlernen. Hier gehe ich strikt nach Anleitung vor.
  2. Ha bedeutet etwa „(auf)brechen, frei werden, abschweifen“. Erst wenn Shu hinreichend eingeübt ist, kann ich die Bewegungen oder Abfolgen variieren. Ich kombiniere verschiedene Teile aus der Anleitung.
  3. Ri heißt ungefähr „verlassen, trennen, abschneiden“. Habe ich Ha intensiv genug praktiziert, werde ich irgendwann gar nicht mehr bewusst irgendwelche geregelten Bewegungen des Werkzeugs ausführen, sondern habe die Prinzipien des Werkzeug so sehr verinnerlicht, dass mein Wille zum Werkstück durch mein Werkzeug einfach umgesetzt wird.

Shu Ha Ri funktioniert nur, wenn ich überhaupt erst einmal erkenne und anerkenne, dass es etwas zu lernen gibt.

Shu Ha Ri funktioniert nur, wenn ich überhaupt erst einmal erkenne und anerkenne, dass es etwas zu lernen gibt. Es geht nur, wenn ich mir bewusst mache, dass ich ein Werkzeug benutze und meine Benutzung einen Einfluss auf mein Handeln und meine Resultate hat.

Niemand muss bis zum Ri kommen. Doch wenn Sie ein Werkzeug mindestens mehrmals die Woche verwenden, dann sollte Shu und Ha doch das Ziel sein.

Aber ich bin doch nicht Profi für <X>

Doch. Wenn Sie Ihren Tag hauptsächlich mit einigen wenigen Programmen oder Technologien verbringen, dann sind Sie Profi dafür, ob Sie wollen oder nicht.

Wie oft sehe ich Menschen an PowerPoint scheitern, die jeden Tag damit arbeiten. Die wild herum klicken, statt den Präsentationsmodus zu finden, oder völlig verloren sind, wenn während des Vortrags zu einer anderen Folie gesprungen werden muss.

Wie oft sehe ich Menschen, deren täglich Brot der Vortrag mit Computer ist, planlos vor Verbindungsproblemen mit dem Projektor stehen.

Wie oft sehe ich Menschen beim Ausfüllen von elektronischen Formularen mit dem rechten Arm zwischen Tastatur und Maus hin- und her wechseln, dass man sich vorkommt wie beim Tennis?

Wie oft sehe ich Menschen, die einen erheblichen Teil ihres Tages Dateien herum schieben, dabei fehlerträchtige Zwischenkopien erstellen und ständig mit der Maus zwischen zwei Ordnern wechseln.

Wie oft sehe ich Menschen, die qua Amt eigentlich den ganzen Tag in Besprechungen verbringen, viele Minuten zu Beginn eines Meetings mit erfolglosen Versuchen verbringen, sich in Skype Business einzuwählen und die gewünschten Inhalte einzustellen.

Wie oft sehe ich Menschen, die bei der kleinsten Konzeptänderung in ihrem Excel manisch dutzende Zellen erneut manuell editieren, weil sie weder Suchen/Ersetzen benutzen noch vorab schon gleich mit Zellverweisen oder benannten Bereichen statt fester Zahlenwerte gearbeitet haben.

Wie oft sehe ich Menschen, die sehr viel Zeit in Workshops verbringen und sich jedes Mal wundern, wenn Klebezettel nicht von mehr als ein paar Zentimetern entfernt lesbar sind und eingerollt zu Boden fallen, weil sie weder leserlich und groß und mit guten Stiften schreiben, noch Klebezettel richtig abziehen.

Wie oft sehe ich Menschen, die stoisch ein ums andere Mal sagen „ja, das macht er immer“ und das dann manuell beheben, anstatt einmal nachzusehen, wieso der Computer das so macht und wie sie das umstellen können.

Das muss nicht sein. Es tut mir immer leid für die Menschen, die unter Umständen gar nicht sehen, wie sie arbeiten, oder resigniert akzeptiert haben, wie sie arbeiten. Denn jeder Mensch, der in einer Profession arbeitet, kann in seiner Profession zum Meister werden, mindestens jedoch zum Gesellen, mehr Wirkung entfalten und mehr Freude an der Tätigkeit haben.

Aber es geht doch nicht ums Tool, sondern um die Arbeit

Ja, das ist richtig. Das Werkzeug ist nicht der Zweck, das Werkzeug ist das Mittel.

Was ich immer wieder höre, sind zwei Lager: Die einen meinen der Besitz einer Software würde die Arbeit ja so gut führen, dass es alle können. Die anderen sagen das Tool ist egal, es kommt auf den Menschen an und die Interaktion und dafür bräuchte man überhaupt keine Software.

Beides hat gute Ansätze, aber beides wird gerne falsch verstanden und angewandt.

Die Software allein kann nicht einen Meister-Benutzer hervorbringen.

Die Software allein kann nicht einen Meister-Benutzer hervorbringen, egal wie gut die Benutzerführung ist. Wenn die Software so gut ist, dass sie Resultate quasi von selbst erzeugen kann, dann braucht es gar keinen Benutzer mehr. Und alle oben genannten Programme sind mittlerweile gut, aber bei weitem nicht so gut.

Und die anderen haben ebenfalls recht und auch wieder nicht. Natürlich kommt es auf die Interaktion an und das Verständnis des Vorgangs. Da aber nun einmal der Vorgang mit irgendeinem Werkzeug – meist Software – abgebildet ist, muss ich mich eben mit der Software beschäftigen, wenn ich der Meister des Vorgangs werden möchte.

Meister und Geselle beherrschen ihr Werkzeug.

Und beide hören nicht auf, sondern verbessern ihre Werkzeug-Fähigkeiten, denn auch das ist Bestandteil ihrer Professionalität.

It is your responsibility to know how to use your tools. Invest your own time to become an expert with your digital tools. Helping yourself helps everyone work smarter

Jason Franzen

Jason Franzen hat es wunderbar auf ein Plakat gepackt:

Memo Randoms: Tools
Memo Randoms: Tools. Image courtesy Jason Franzen

Ihre Werkzeuge sind Ihre Arbeit

Alle mal kurz durchatmen.

Ihre Werkzeuge sind elementar für Ihre Arbeit.

Nicht das Ergebnis. Nicht der Sinn. Aber das was Sie tun.

Das Beherrschen Ihres Werkzeugs hat nichts mit Veranlagung zu tun, nichts mit Computermensch oder Beziehungsmensch. Es ist eine Frage Ihrer Professionalität.

Finden Sie sich damit ab, und vor allem: machen Sie was draus!

Titelfoto: Bild von Michel Rohan auf Pixabay. Kleiner Hobel: Bild von Bild von Ky0n Cheng auf Flickr, CC0.

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Kommentare

2 Antworten zu „Der Schreiner und die Software. Professionalität beginnt beim Werkzeug – Shu Ha Ri“

  1. Avatar von Baron Münchhausen
    Baron Münchhausen

    A fool with a tool is still a fool. Klasse Post. :*

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