Kind auf Feld

Sabbatical – Kleiner Realitätscheck und 8 Einsichten

Heute schreibe ich beinahe am Ende einer sehr intensiven Erfahrung: Ein kurzes Sabbatical. Einer Erfahrung, die für einige von Ihnen nichts großartiges darstellt, die andere zum schmunzeln bringt, und wieder für andere normaler Alltag ist. Für all diese ist dieser Artikel nicht gedacht.

Vielmehr ist dieser Beitrag geschrieben für normalerweise in Vollzeit arbeitende Menschen, die Zeit mit der Familie nur am Abend und am Wochenende verbringen.

Denn genau das tat ich die vergangenen sechs Wochen: Zeit mit der Familie verbringen. Da ich im Januar eine neue Arbeitsstelle antreten werde, hatte ich mir davor seit Mitte November ein Sabbatical von der Arbeit genommen. Wann habe ich sonst schon mal die Zeit dazu?

Wir waren nicht fort, sind nicht in Urlaub gefahren, haben keine großen Ausflüge gemacht – es ist Schulzeit, und der einzige, der frei hat, bin ich. Nun, „frei haben“ ist ein großes Wort, das nicht wirklich zutrifft, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, auch der Gattin eine Auszeit zu verschaffen.

Rollenverteilung

Ich bin mir durchaus bewusst, dass unsere Familie in einer privilegierten Situation ist, die gleichzeitig allen Feministen den Schweiß auf die Stirn treiben muss: Die Frau (die Bezeichnung für meine Gattin) ist Profi-Mutter und Profi-Hausfrau und schmeißt großteils den Laden mit unseren drei Kindern.

Diese Arbeitsteilung mag vom Rollenmodell nicht sehr fortschrittlich erscheinen, doch ist sie sehr bewusst gewählt. Es soll jeder das tun, was er am besten kann. Und die Meisterschaft Der Frau mit Kindern ist einfach neidlos anzuerkennen.

So sah ich in unserem Familienleben, dass Die Frau viele Entscheidungen trifft, viel tut und viel Verantwortung trägt. Das ganze Ausmaß wurde mir jedoch in diesen sechs Wochen Sabbatical nochmal sehr viel mehr gewahr.

Der Morgen: Takt

Da ich schon immer von Augsburg nach München und darüber hinaus pendle, verlasse ich normalerweise um 6:30 Uhr das Haus. Zu einer Zeit, zu der von unseren drei Kindern maximal das größte bereits wach ist und beim Frühstück sitzt.

Von Aufweck-Ritualen, Brotzeit machen, Antreiben zum Waschen, getaktetes zur-Türe-begleiten und in-den-Kindergarten-bringen weiß ich nur soviel, soweit es mich bei seltenen Heimarbeitstagen betraf. Nicht jedoch jeden Tag, und nicht alle drei.

Was ich lernte 1: Batch Processing funktioniert auch beim Brotzeit schmieren wunderbar.

In den sechs Wochen lernte ich, dass es Vorteil hat, wenn das eine Kind aus dem Haus ist, bevor das nächste aufsteht. Das geht, weil der Große quer durch die Stadt zu seiner Schule fährt, die mittlere die Grundschule besucht und die kleine in den Kindergarten.

Sind mehrere Kinder gleichzeitig wach in der früh, kann ich mich erstens nicht exklusiv mit einem Kind beschäftigen – wobei exklusiv nur insofern gilt als dass ja die Brotzeit auch gemacht werden will. Zweitens steigt der Lärmpegel bei >1 Kind mehr an, als ich es am Morgen vertrage. Wir erinnern uns: Ich verbringe meine Morgen seit fünfzehn Jahren weitgehend allein und in Stille.

Was ich lernte 2: Struktur gibt Ruhe – gerade da, wo Nähe gefragt ist.

Sind alle Schulkinder aus dem Haus und das Kindergartenkind in ebendiesen gebracht, ist Zeit. Zeit, aufzuräumen. Zeit, im Keller zu räumen. Zeit, einzukaufen. Zeit, zu tun, was eben getan werden muss. Und bisweilen auch Zeit für produktives Arbeiten, für Lernen, für Müßiggang.

Der Mittag: Präsenz, nicht Aktion

Ab Mittag trudeln die Kinder wieder ein, erst die Mittlere, dann wird die Kleine geholt, dann erscheint der Große.

In unserer Familie machen die Kinder ihre Hausaufgaben am Esstisch, denn freilich sollen Kinder lernen, ihre Hausaufgaben selbständig zu machen, doch irgendwoher müssen sie es ja lernen.

Beim einen Kind geht das weitgehend ohne Aufsicht, beim anderen Kind braucht es deutlich mehr und regelmäßige strukturgebende Maßnahmen. Das Kind schweift oft ab und braucht somit deutlich länger, als es vom Umfang der Aufgaben her nötig wäre.

Was ich lernte 3: Die Herausforderung der Hausaufgabe kann im Erledigen der Hausaufgabe bestehen, oder im Konzentrieren eben darauf.

Und das gilt nicht nur für das Kind, das gilt auch für mich. Denn für mich war es durchaus eine Herausforderung, weniger lenkend denn unterstützend einfach nur dabei zu sitzen.

Der Nachmittag: Travelling Without Moving

Soweit so gut. Nun haben sich die Kinder alle ihren Sport als Hobby gesucht, und der fordert zeitlich seinen Tribut. Der Große geht drei mal die Woche turnen, jeweils zwischen zwei und vier Stunden. Die Mittlere geht vier mal die Woche turnen und zur Sportgymnastik, jeweils zwei bis zweieinhalb Stunden. Die Kleine geht zwei mal die Woche mit der Mittleren zur Sportgymnastik, und zusätzlich mit Der Frau ins Kinderturnen – welches diese übrigens als Übungsleiter zusammen mit ihrem Vater schmeißt.

Wenn Sie jetzt einwerfen mögen, dass wir den Kindern ja keine Freizeit mehr ließen: Sport ist Freizeit. Und sinnvoller als Handy- oder Konsolenspiele. Sie bewegen sich und treffen andere Kinder.

Da die Sportstätten allesamt in einer Entfernung sind, in der wir Kinder unseren Alters noch nicht in der Dunkelheit selbst Fahrrad fahren lassen möchten, kommen wir durch Hinbringen und Abholen auf 14 Fahrten, verteilt auf vier Tage pro Woche.

Das sieht dann beispielsweise am Donnerstag so aus: 16:15 – Frau geht zum Kinderturnen zu Sportstätte A (betrifft mich nicht). 16:45 – Kind 2 zum Turnen fahren zu Sportstätte B. 17:45 – Kind 1 zum Turnen fahren zu Sportstätte C. 18:15 – Frau kommt vom Kinderturnen aus Sportstätte A (betrifft mich nicht). 19:00 – Kind 2 abholen aus Sportstätte B. 20:00 – Kind 1 abholen aus Sportstätte C.

Wenn ich nicht da bin, übernimmt den Bring-Anteil der Donnerstags-Fahrten die Oma, bis zum abholen bin ich meist aus der Arbeit zu Hause.

Was ich lernte 4: Man kann auch ohne zu pendeln an einem Tag problemlos gefühlte zweieinhalb Stunden im Auto sitzen.

Je nachdem, zu welchen Uhrzeiten die Kinder nach Hause kommen, gibt es gemeinsames Abendessen oder getaktetes – und auch dies will gemeinsam vorbereitet werden.

Was keinen Fahrtaufwand verursacht, ist für zwei der drei Kinder das Erlernen von Altflöte und Blockflöte, da die Lehrerin ins Haus kommt. Klar – geübt will noch werden. Da meine Blockflötenerfahrung jedoch deutlich mehr als 30 Jahre zurück liegt, und Die Frau in Übung ist, übernimmt sie das.

Als wir neulich die mittlere fragte, ob ihr das nicht zu viel würde, mit Turnen und Rhythmischer Sportgymnastik und Blockflöte und bald einem weiteren Instrument, das sie unbedingt lernen will, und was sie aufhören möchte, meinte sie: „Ist doch klar – Schule!“

Was ich lernte 5: Der kleinere Teil des Lernens findet in der Schule statt.

Schule ist wichtig, doch lernen unsere Kinder das Dranbleiben und Üben derzeit eher bei den Nachmittagsaktivitäten und bei gelegentlichen Wettkämpfen – zu denen übrigens schon seit jeher ich mitfahre und nicht nur begleite, sondern auch den Sport fotografiere.

Rezeption bei den Kindern

Meine Kinder mögen mich. Mal mehr, mal weniger. Doch naturgemäß ist Die Frau die Hauptbezugsperson für sie, und das ist gut so.

Ich bin kein großer Spieler. Vor dem Sabbatical nicht, und jetzt auch nicht. Doch habe ich nun die Ruhe, mich mal eine Zeit lang zum Kind hinzusetzen und beim Spielen zuzusehen und mitzumachen. Ohne Ziel. Sogar ein Brettspiel (sic!). Und in vielen Fällen lasse ich mich anleiten. Die Vierjährige beispielsweise erklärt mir immer gerne jegliches Brettspiel in unserem Schrank. Die Siebenjährige weist mich mit Freude in Bastelarbeiten ein. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Was mir vorher auch schon klar war: Mit den Kindern Zeit zu verbringen tut allen sehr gut. Den Kindern. Mir. Unserer Nähe. Unserer Beziehung. Und je mehr Zeit ich ihnen widme, desto mehr Zuneigung schenken einem die Kinder. In verschiedenem Ausmaß, schon klar. Jedes Kind ist verschieden, ist verschieden stark extrovertiert, braucht verschieden viel Nähe.

Was ich lernte 6: Kinder sind genügsam, machen ihre Freude über mehr jedoch sehr deutlich.

Doch was evident wurde: Die Kinder akzeptieren mich ja schon immer, doch schon nach wenig Zeit akzeptieren sie mich auch als „Alltagsleittier.“

Erwartungen ziehen lassen

Umso besser lief das, je weniger ich von der konkreten Interaktion erwartete. Von den Kindern etwas insgesamt zu erwarten ist schon okay, aber vom Spielen etwas zu erwarten, ist schlicht vermessen. Dazu ist Spiel nicht da. Was wir beide vom Spiel bekommen, ohne es zu erwarten: Das Verständnis, was und wie der andere reagiert.

Das Ziel ist nicht einmal, keine Erwartungen zu haben, sondern sich zunächst seine Erwartungen bewusst zu machen. Und dann einzeln zu prüfen, welche Erwartung denn jetzt gerade sinnvoll ist, welche uns weiter bringt, und welche ich einfach ziehen lassen kann.

Was ich lernte 7: Je bewusster ich mir meine eigenen Erwartungen mache, desto leichter kann ich sie ziehen lassen.

Denn an ein Spiel Erwartungen zu haben, bringt meist nichts.

Eine transformierende Erfahrung

Ich hätte nicht gedacht, dass ich eine Woche vor Weihnachten auf den Wunsch der Tochter, es möge doch bitte morgen schon Heilig Abend sein antworten würde: „bitte nicht, sonst habe ich ja eine Woche weniger mit euch!“

Während ich bislang am Ende eines Urlaubs doch eher erleichtert war, wieder in die Arbeit gehen zu können, habe ich jetzt eine neue Erfahrung gewonnen.

Ich freue mich auf meine neue berufliche Aufgabe und freue mich auch im neuen Jahr auf meine Familie, und das sogar bewusster als bislang.

Was ich gelernt habe 8: Ein Sabbatical wirkt auch ohne Reisen und ohne viele Monate Dauer.

Ich habe vier wunderbare Lehrer zu Hause. Alle Meister ihres Fachs, und alle stets offen, ihren Erfahrungsschatz mit mir zu teilen. Ich muss es nur zulassen.

Neues Lernen

Wann haben Sie zum letzten Mal etwas tiefgreifendes über sich und über Ihr Leben gelernt?

Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich bitte teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!

Photo: Joachim Schlosser

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Kommentare

6 Antworten zu „Sabbatical – Kleiner Realitätscheck und 8 Einsichten“

  1. Lieber Herr Schlosser,

    Ich war lange Zeit selbständig und habe viel vom Home Office aus gearbeitet. Durch gemeinsames Mittagessen und kurze Treffen wenn ich mich im Haus bewegt habe, habe ich von den Kindern doch so einiges mitbekommen und konnte auch aushelfen wenn Not am Mann war. Ziemlich zeitgleich mit der Geburt unseres vierten Kindes habe ich in ein Angestelltenverhältnis gewechselt, mit 40h + in der Woche im Büro oder auf Dienstreise. Für den Haushalt war das nicht schlimm, den hat vorher schon meine Frau gemanaged, aber von den Kindern habe ich plötzlich sehr wenig mitbekommen. Besonders schlimm war es natürlich bei der Kleinsten, denn gerade im Kleinkindalter gibt es viele bedeutsame Entwicklungen. Als die Kleine 3,5 Jahre alt war, habe ich mit der Elternteilzeit begonnen. Zwei fixe Tage die Woche bin ich zu Hause und meine Frau arbeitet. Für meine ‚Karriere‘ eine Katastrophe, aber für mein Verhältnis zu den Kindern ein Traum. An meinen ‚Familientagen‘ übernehme ich sämtliche Arbeiten im Haushalt. Die Hausarbeit macht mir keine Freude, aber der Kontakt zu den Kindern ist es mir wert.
    Neben vielen Kompromissen die man mit dieser Lösung eingehen muss, ist eines aber klar: Die Kinder haben immer einen Elternteil an den sie sich wenden können und wovor andere berufstätige Eltern einen Horror haben, Ferien, freuen wir uns darauf, endlich entspannt aufstehen und mit den Kindern etwas unternehmen können.

    Viele Grüße,
    Günter

    1. Respekt, Günter, Respekt!

    2. Avatar von Stephan B.
      Stephan B.

      Hallo Günter,

      entschuldigen Sie, dass ich das sage, aber wenn ich Ihre folgenden Zeilen lese:

      „Für den Haushalt war das nicht schlimm, den hat vorher schon meine Frau gemanaged“
      und „an meinen ‚Familientagen‘ übernehme ich sämtliche Arbeiten im Haushalt. Die Hausarbeit macht mir keine Freude, aber der Kontakt zu den Kindern ist es mir wert.“

      dann bin ich irritiert.

      Ich finde es für Ihre Familie und Sie schön, dass sie für Ihre Kinder beruflich zurückgetreten sind und nun einen signifikanten Teil an Haus- und Familienarbeit übernehmen. Aber wenn es Ihnen „der Kontakt zu den Kindern wert ist“ die Hausarbeit mit zu übernehmen, dann kommt mir direkt die Frage in den Sinn: „war es ihnen Ihre Frau (allein) nicht wert“ sie entsprehchend zu unterstützen und zu entlasten?
      Ich gehe davon aus, dass auch Ihre Frau die Hausarbeit eher als lästiges Übel betrachtet (vielleicht abgesehen von einzelnen Tätigkeiten wie Kochen)und nicht aus aus purem Spaß die Toilette putzt, den Boden wischt etc.?

      Bitte nehmen Sie mir den Kommentar nicht übel, aber ich (als Mann) finde es immer wieder irritierend, dass auch in der heutigen Zeit die traditionelle Aufgabenverteilung in vielen Partnerschaften noch nicht aufgebrochen ist.

      Gruß,
      S.

  2. Avatar von Peter Häusler
    Peter Häusler

    Lieber Herr Dr. Schlosser,
    Sie fragten, wann ich zum letzten Mal etwas tiefgreifendes über mich und über mein Leben gelernt habe. Die einfache Antwort: eben jetzt, als ich Ihren Artikel zu Ende gelesen habe. Jetzt weiß ich auch theoretisch, warum mir die Stunden vor Weihnachten, in denen ich mir Urlaub vom Büro meines Freelancer-Daseins mit meinen Enkel-Buben (8 und 6) so viel Freude gebracht haben.
    Danke dafür! Möge das kommende Jahr Ihnen und Ihrer Familie und uns allen in diesem Sinn Freude schenken.

    Peter Häusler

    1. Danke, das gleiche wünsche ich Ihnen auch, Herr Häusler!

  3. Avatar von Hildegard

    Lieber Joachim, smile, Hut ab. Ich kenne Dich nun schon sehr lange und ziemlich gut und ich bin sehr begeistert über diesen Teil des Lebens, den Du Dir gönnen konntest und wolltest. Dieser Teil hat Dein Leben sehr bereichert, so viel aktiviert was eh schon da war und Du konntest Dir die Zeit gönnen einfach nur zu Sein. Ja, Kinder sind unsere besten Lehrmeister wenn wir es zulassen können. Auch ich habe durch meine Kinder, fast 36 J. u. 31 J. so viel gelernt, weil sie mir immer so wichtig waren und lerne immer noch, denn sie haben mir mittlerweile 3 Enkelkinder geschenkt und demnächst 4 Enkel. Ich mit meinen 65 Jahren lerne, lerne, lerne und darf in ihre so wunderbaren Kinderseelen sehen mit allem was sie in sich tragen. Einfach wunderschön und so bereichernd. Um bei Dir anzuknüpfen: Das Sabbatical des Rentendaseins. Ich wünsche Dir für 2017 weitere reiche Erfahrungen und das Du sie weiterhin in dieser Form für Dich nutzen kannst. Danke für Deine so schöne Erfahrung.

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