Robotik-Forscher sucht nach der Erlösung von Armut, findet menschliche Unzulänglichkeit.
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Das ist für mich der Roman »Herr aller Dinge« von Andreas Eschbach in einem Satz. Eine Geschichte über Forschung, über Technologie, über Robotik, über Geschichte und über Menschlichkeit.
»Herr aller Dinge« (bei Amazon als Buch oder bei Audible als Hörbuch) ist eines meiner 10 besten Bücher 2014, und deswegen eine Besprechung wert.
Eschbachs Roman spricht mich besonders an, weil er eben genau die Themen Technologie, Forschung, Historie und Menschlichkeit zu einer spannenden Geschichte webt.
Der Junge mit der Vision
Charlotte ist die Tochter des französischen Botschafters in Japan. Als sie eine Puppe wegwirft, nimmt der Junge Hiroshi Kato, der im Angestelltenhaus gegenüber wohnt, diese aus dem Müll, repariert sie und bringt sie zurück.
So lernen die beiden sich kennen, eine Freundschaft, die ebenso tief wie flüchtig sein wird und doch das ganze Leben andauern.
Hiroshi lebt in sehr einfachen Verhältnissen, ist technisch interessiert und versiert, und er hat einen Traum. Er möchte Armut abschaffen, indem er sich selbst replizierende Roboter baut.
Hiroshi und Charlotte verlieren sich aus den Augen und sehen sich Jahre später am in Boston, USA wieder, wo beide an unterschiedlichen Universitäten studieren. Hiroshi verfolgt seinen Traum der Robotik und studiert Ingenieurwesen, während Charlotte ihrer Neigung nach Anthropologie nachgeht. In einer Szene, die mich sehr bewegt hat, nimmt Charlotte Hiroshi auf eine lange Wanderung mit, um ihm zu zeigen, wie lange die Menschheitsgeschichte insgesamt ist und wie klein der Ausschnitt daraus, den wir kennen.
Vorfall in der Arktis
Wieder einige Jahre später bringt ein schwerer Vorfall auf einer Forschungsexpedition in der Arktis, an der Charlotte teilnimmt, die beiden Freunde wieder kurz zusammen.
Hiroshis Leben und das vieler Menschen nimmt durch dieses erneute Zusammentreffen eine Wendung. Hiroshi lernt durch den Vorfall mehr über seine Vision der Robotik, als er sich zu träumen gewagt hatte.
Er möchte seine Vision immer noch wahr werden lassen und muss erkennen, dass das Konzept von Armut und Ungleichheit tief verankert in der menschlichen Natur ist.
Durch Technologie wird er sehr mächtig, jedoch auch einsam und gejagt.
Auswirkung, Kontext
Hiroshi in Eschbachs »Herr aller Dinge« ist ein Technologie-Optimist. Er glaubt an die Segnungen der technischen Entwicklung, der Robotik. Er sieht das Potential der Technik, die Lage der Menschen ‒ ja der Menschheit ‒ zu verbessern.
Die Figur des Hiroshi, die sich Andreas Eschbach da ausgedacht hat, ist damit nahe an dem, was ich in vielen Ingenieuren und Forschern erkenne: die feste Überzeugung, einen positiven Einfluss auf unser aller Leben ausüben zu können, indem Geräte, Systeme, Roboter ‒ allgemein: Technologie ‒ geschaffen wird, die die Rahmenbedingungen erleichtern und mehr Menschen ermöglichen, ihr Potential heben zu können.
Wir Ingenieure sind dann immer noch oft überrascht, mindestens aber enttäuscht, wenn andere Teile der Gesellschaft diesen Optimismus nicht teilen, ja sogar die Entwicklung bekämpfen. Wenn eine Entwicklung auch gleichzeitig eine grundlegende Änderung der geltenden Verhältnisse nach sich ziehen könnte, dann gibt es eben viele Menschen, die dies ablehnen.
Entwicklung ist damit nicht zwangsläufig, eine Entwicklung kann zumindest für einige Zeit verhindert werden. Und natürlich kann eine Entwicklung auch zweckentfremdet werden. Jede Technologie ist dual use, kann also für gute als auch für schlechte Zwecke genutzt werden.
Roboter schweißen und schießen.
Drohnen können Pakete liefern und Bomben.
Internet kann Kommunikation bringen und überwachen.
Messer können Nahrung schneiden und Leben nehmen.
Es liegt immer an den Menschen, die diese Technologie einsetzen, was sie damit tun, und an der Gesellschaft, die diese Menschen bilden.
Schreibstil und Kritik
Dies ist mein ‒ wenn ich richtig gezählt habe ‒ viertes Buch von Andreas Eschbach. Ich mag seinen Stil, eine Geschichte zu erzählen, auch in diesem Werk von 2011.
Eschbach nimmt sich Zeit, seine Figuren aufzubauen. Im Hörbuch sind schon einige Stunden vergangen, als es zur ersten Klimax kommt. In Rezensionen auf Amazon wird ihm dies durchaus auch angekreidet.
Ich finde die lange Einführung gut und auch in sich selbst schon spannend. Vieles, was später in der Geschichte bedeutsam ist, wird in diesen ersten paar hundert Seiten oder paar Stunden schon vorgelegt. Die Figuren sind sehr konsistent in sich. Selbst wenn sie in manchen Aspekten zerrissen sind, ist dies in ihrer eigenen Geschichte begründet.
Selbst die Nebenfiguren sind sehr plastisch dargestellt und in ihren Motiven nachvollziehbar. Der Forscher, der sich durch Hiroshi bedroht fühlt. Der Nebenbuhler um Charlotte.
In den technischen Belangen klingt Andreas Eschbach immer plausibel. Kein Wunder, ist er doch als gelernter Luft- und Raumfahrttechniker quasi vom Fach. Wann immer eine der Figuren zu einem Monolog ansetzt über einen technischen oder wissenschaftlichen Vorgang, erscheinen die Fakten gut recherchiert, und selbst dort, wo es eben nur eine Geschichte ist, doch so plausibel, dass ich mir denke »ja, das könnte gut auch so zugehen.«
Bislang waren alle Romane von Eschbach, die ich gelesen habe, in unserer bekannten Welt im Jetzt angesiedelt, an die fantastischeren Werke habe ich mich noch nicht gewagt. Vielleicht doch mal eine Gedankenreise wert…
Das Hörbuch
Andreas Eschbachs »Herr aller Dinge« habe ich als Audible Hörbuch genossen. Das Hörbuch ist mit über 23 Stunden ein Monster. Das ist bestimmt keine kleine Geschichte für zwischendurch.
Der Sprecher Sascha Rotermund verleiht Eschbachs Roman die Vielschichtigkeit, die der Geschichte zusteht. Kein Hörspiel mit verschiedenen Sprechern, sondern ein echtes Hörbuch ‒ vorgelesen von einem versierten Sprecher, der mich ein wenig an Dietmar Wunder, die deutsche Stimme von Daniel Craig erinnert.
Das Hörbuch zu »Herr aller Dinge« von Andreas Eschbach kann ich guten Gewissens empfehlen.
Robotik und Eschbach
Haben Sie das »Herr aller Dinge« gelesen? Wie fanden Sie es? Welchen anderen Roman von Andreas Eschbach oder zum Thema Robotik können Sie empfehlen?
Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!
Photo: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike
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