Warum sind eigentlich die Bürger immer gegen alles? Bestimmt der seit einigen Jahren postulierte Wutbürger das Geschehen? Sind wir ein Volk von Bremsern, Ausländerfeinden und unsolidarischen Frustrierten?
Diese Erklärung ist mir zu platt.
Ich glaube an das Gute im Menschen.
Ich glaube, dass Ablehnung meist durch Unwissen und nicht ernst genommene Ängste entsteht.
Ich glaube an gesunden Pragmatismus.
Ich glaube, dass Menschen bei entsprechender Führung gut mit Veränderung umgehen können.
Ich glaube, dass Menschen mehr Offenheit und Wahrheit vertragen, als gemeinhin angenommen wird.
Doch leider ist bei vielen Vorhaben und Projekten eines zu sehen: Die Projektkommunikation und die Planung der Kommunikation ist im besten Fall stark verbesserungsbedürftig, im schlechtesten Fall unterirdisch.
Ablehnung entsteht meist durch Unwissen und nicht ernst genommene Ängste. Tweet this
Ich bin kein Kommunikationsexperte. Ich stelle nur Fragen. Einige Fragen stelle ich mir in den letzten Wochen, Monaten und Jahren immer wieder:
- Was, glauben Projektverantwortliche, ist ihre Aufgabe?
- Was genau meinen Projektverantwortliche, wenn sie sagen, man müsste die Betroffenen oder die Bevölkerung ins Boot holen?
- Warum werden vorgeschobene Fakten argumentiert, statt dahinter liegende Beweggründe zu kommunizieren?
In diesem Artikel lesen Sie kurz über verfehlte Kommunikation bei drei Projekten in unterschiedlichen Ausprägungen, aber mit gemeinsamen Mustern.
Im Anschluss an die drei Beispiele finden Sie quasi als Antithesen zu schlechter Projektkommunikation die Muster, die wahrscheinlich eher zu einer guten Beziehung zwischen Projekt und Bevölkerung führen als das, was gegenwärtig zu oft praktiziert wird.
Diese Muster sind mir auch nicht omnipräsent. Wenn ich nicht aufpasse, laufe ich genauso ins Nirvana wie die Menschen in den folgenden Beispielen. Machen Sie es bitte besser.
Wir gehen also zunächst drei Beispiele durch, in abnehmendem regionalen Einfluss: Stuttgart 21, Energiewende Augsburg, Flüchtlingsunterkunft in Augsburg-Göggingen.
Bonus: Unten gibt’s eine umfangreiche Checkliste zur Projektkommunikation.
Beispiel 1: Stuttgart 21
Fakten
Stuttgart hat einen Kopfbahnhof. Durchfahrende Züge nehmen somit einen Umweg in Kauf. Der Flächenverbrauch für einen Kopfbahnhof ist relativ zu anderen Bahnhofsformen hoch.
Die Bilder von Demonstrationen, von Wasserwerfern gegen aufgebrachte Stuttgarter, von Schlichtungen und Bürgergesprächen sind Ihnen vielleicht noch im Gedächtnis.
Sachargumente versus grundlegende Interessen und Fragen
Warum kam es dazu? Sind die Leute tatsächlich gegen den Neubau des Bahnhofs und Abriss des alten? Oder fühlten sie sich einfach überfahren von einem Plan, der scheinbar fix und fertig da lag und kurz vor der Ausführung stand? Sind die Leute tatsächlich gegen ein Verkehrskonzept? Oder sind sie gegen eine unklare Kostenlage?
Glauben wir tatsächlich, dass sich jemand für den Juchtenkäfer interessiert oder ist das Insekt nicht ein Sinnbild für die Sorge, nicht gehört zu werden und die Angst vor dem, was kommt? Ungewissheit, welche Interessen das Vorhaben tatsächlich bedient?
Als das Prozedere »Schlichtung zu Stuttgart 21« /8/ durchgeführt wurde, war das Kind schon längst in den Brunnen gefallen. Für das Beispiel ist unerheblich, welche Sachargumente für und wider das Projekt existieren.
Hypothese offener Kommunikation
Was wäre stattdessen passiert, wenn die Kommunikation wie folgt abgelaufen wäre:
Die Projektplanungsgruppe setzt sich zusammen und analysiert neben Finanzen, technische Voraussetzungen, planungsrechtlichen Aspekten eben als Ausschuss auch die verschiedenen betroffenen und vermeintlich nicht direkt betroffenen Gruppen von Menschen. Dieser Ausschuss existiert nach meinem Kenntnisstand erst seit 2009 (/9/, Öffentlichkeitsarbeit). Welche Sorgen werden diese haben? Was wollen sie wissen? Welche Einwände könnte es geben?
»Liebe Stuttgarter, wir laden Sie ein zu einem Informationsabend zu einer grundlegenden Neuplanung des Hauptbahnhofs, die wir in einigen Jahren beginnen wollen. Auf folgender Website finden Sie die momentanen Überlegungen und Ausschreibungen. Auf der Informationsveranstaltung, die die erste einer Reihe von Veranstaltungen sein wird, haben Sie nach ca. 60 Minuten Überblick noch genügend Zeit, Ihre Fragen zu stellen. Daneben können Sie Fragen und Anregungen auch auf folgender Website einreichen…«
In der Zeit von Ankündigung bis zum ersten Informationsabend werden dann relevante Gremien wie Stadtrat, irgendwelche Beiräte, direkte Anwohner usw. im Vorfeld schon eingeladen zu gesonderten Terminen davor und danach, um besonders kritische Fragen schon im Vorfeld und kleinerem Rahmen zu erhalten.
Am Termin selbst wird dann offen kommuniziert: »Wir sehen eine gute Gelegenheit, folgendes Problem des Schienenverkehrs im Baden-Württemberg zu lösen…. Daneben freut sich Stadt und Deutsche Bahn über die dadurch frei werdenden Flächen, die erhebliche Einnahmen bedeuten. Die Stadt kann damit anfallende Maßnahmen zum Bau refinanzieren und andere Vorhaben realisieren. Die Deutsche Bahn ist vom Eigentümer Bund aufgefordert, diese und jene Rendite zu erreichen, wozu die Veräußerung von Liegenschaften ebenfalls zwecklich ist. Wir sehen ein, dass Sie am alten Bahnhofsgebäude hängen. Aber sind wir mal ehrlich: eine Schönheit ist das nicht. Das, was wir für den Bau zunächst an Park abholzen müssen, werden wir auch wieder aufforsten, und zwar eineinhalbfach, auch auf den frei werdenden Flächen. Nicht zuletzt wird der Neubau ein wahres Konjunkturprogramm für die Baubranche in den kommenden Jahren darstellen. Auch wenn dies nicht von Dauer ist, erhoffen wir uns doch auch die Ansiedlung von neuem Gewerbe auf einem Teil der frei werdenen Flächen und damit etwas Nachhaltigkeit. Der Regierung ist das Projekt wichtig, weil sie sich damit als Erneuerer positionieren kann. Durch die Cofinanzierung kommen wir nicht zuletzt deutlich günstiger an Finanzmittel, als wenn wir selbst eine Großimmobilie errichten würden.«
Ehrlichkeit, bis es weh tut. Beiden.
Ehrlichkeit, bis es weh tut. Beiden. Tweet this
Was not tut: Ehrlichkeit, bis es weh tut. Beiden. Dem, der es sagt und dem, der es hört. Ich behaupte, dass die überwiegende Zahl der Menschen nichts dagegen hat, wenn Firmen Geld verdienen. Das versteht jeder, dass unsere Wirtschaft so läuft. Die Menschen wollen nicht verarscht werden, und sie wollen auch nicht das Gefühl haben.
Ist eine solche Vorgehensweise ein Garant für ausbleibenden Widerstand? Mitnichten. Widerstand wird es immer geben. Auch aus sachlich guten Gründen.
Beispiel 2: Fusion der Energiesparte der Stadtwerke Augsburg mit Erdgas Schwaben
Fakten
Am 12. Juli fand in Augsburg ein Bürgerentscheid statt – in der heimlichen Bundeshauptstadt der Bürgerentscheide. Mal wieder. Es ging um die Frage, ob die Energiesparte der Stadtwerke – Strom, Gas – mit der mehrheitlich von Thüga bestimmten Firma Erdgas Schwaben fusionieren dürfen. Abgelehnt mit mehr als 70%, Wahlbeteiligung mehr als 20%.
Fehler: Überkommunikation
Warum geht ein Fünftel der Wahlberechtigten zu einer Wahl für ein Thema, das auf den ersten Blick völlig egal ist? Lauter Wirtschaftsgegner? Glaube ich nicht.
Stadt und Stadtwerke haben einen wesentlichen Fehler begangen:
In den Wochen vor der Wahl wurde plakatiert. Flächendeckend, in ganz Augsburg. Eine Kampagne der regierenden CSU/SPD/Grünen-Fraktion, Hauptbotschaft: 2000 Arbeitsplätze sichern durch die Fusion. Daneben plakatierten die Stadtwerke. Dutzende verschiedene Motive, ein Konzept: Ein Stadtwerke-Mitarbeiter hält ein handgeschriebenes Plakat mit einem Grund für die Fusion in Händen. Für bezahlbaren Nahverkehr. Für seine Arbeitsplatzsicherheit. Für Innovation. Für was auch immer.
Obwohl nun die Initiatoren des Bürgerentscheids kaum Budget hatten und nur homöopathisch plakatierten, drehte sich das Blatt.
Misstrauen
Zwei Gedanken kamen den Augsburgern wohl. Erstens: Wenn die derart massiv plakatieren und sogar massiv Mitarbeiter einspannen zu einem Thema, das eigentlich wurscht ist und pragmatisch betrachtet gegen eine stärkere halb-städtische Einheit nicht viel zu sagen ist, dann muss was faul dran sein. Zweitens: Arbeitsplätze sichern durch Fusion? Echt jetzt? Was soll das dann an Einsparung bringen? Und wer interessiert sich für meinen Arbeitsplatz?
Ich behaupte, wären die Verantwortlichen den Bürgerentscheid tief geflogen, ohne zu plakatieren, dann wäre das Quorum nicht erreicht worden, die Entscheidung wäre zurück in den Stadtrat gegangen und dort im Sinne der Stadtregierung entschieden worden.
Aber eine derart massive Kampagne zu fahren, die gar nicht anders kann als zusätzliche Fragen aufzuwerfen? Lemma dieses Fehlers war, die Kampagne auf der dazugehörigen Website nur zu wiederholen /7/, aber keine tiefergehenden Informationen und Argumente für die Fusion zu liefern.
Das einzige, was die Gegenseite hatte, war eine ziemlich trocken gehaltene Website /6/, die dafür aber detaillierte Gründe gegen die Fusion lieferte, unter anderem mit einer veröffentlichten Studie über die Fusion, samt gut verdautlicher Zusammenfassung.
Wer also misstrauisch wurde und nachforschte, konnte nur Gegenargumente finden, weil Argumente dafür ja schon auf den Plakaten nicht überzeugten.
Ehrliche Kommunikation auf einer Website und moderaten Plakatierung hätte bestimmt etwas gebracht. Wo ich Arbeitsplatzgarantien und Zuckerle gebe, brauche ich von Einsparungen erstmal nicht zu reden. Stabile Preise im Nahverkehr sind nicht zu erwarten. Warum nicht das sagen, warum die Fusion wirklich gewollt ist? Leider ist das ein Muster (/11/)
Keine Überkommunikation. Hosen runter.
Beispiel 3: Geplante Flüchtlingsunterkunft in Augsburg-Göggingen
Fakten
Augsburg braucht viel Raum für Asylbewerber. Die Caritas möchte auf einem ungenutzten Teilgrundstück einer Kirchengemeinde ein Wohnhaus bauen, das für zehn Jahre als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden soll, danach als sozialer Wohnungsbau (Siehe /5/).
Offenlegung: Ich bin Mitglied im Pfarrgemeinderat der betroffenen Gemeinde und im Pastoralrat der Pfarreiengemeinschaft, und somit Teil von Gremiumen, die unverbindlich eine Empfehlung an die entscheidende Kirchenverwaltung abgeben sollte. Das für und wider des genauen Standorts ist für diesem Artikel ohne Belang, hier geht es um die Projektkommunikation.
Eine Informationsveranstaltung
Integration gelingt, wenn sich Anwohner in die Betreuung von dezentralen, kleineren Unterkünften mit einbringen. Dies dürfte am ehesten der Fall sein, wenn sich Anwohner frühzeitig und offen informiert und eingebunden fühlen. Asylbewerber kommen zu uns, und wir sollten den Menschen helfen. Es geht nicht darum, ob Unterkünfte geschaffen werden, sondern nur wo genau und wie. Somit lohnt es sich, genau zu überlegen, wie eine Kommunikation aussehen könnte.
Auf der Habenseite: Eine Informationsveranstaltung, eingeladen vom Pfarrer. Gastsprecher waren der Sozialreferent der Stadt Augsburg, der zuständige Manager der lokalen Caritas, und eine Asylsozialarbeiterin.
Zunächst wussten wohl nicht alle Mitglieder der betroffenen Kirchenverwaltung, keiner vom Pfarrgemeinderat der betroffenen Gemeinde und Pastoralrat vor dem allgemeinen Informationsabend über das Vorhaben Bescheid. Statt mögliche Fragen dieser Gremien bereits vor der Veranstaltung aufnehmen und die Kommunikation verfeinern zu können, wurde quasi ohne Probelauf gleich an alle gegangen.
Das ändert faktisch nichts an der Sache. Doch kommt bei Ehrenamtlichen nicht gut an, wenn sie zu leichten Blabla-Themen immer ganz vorne dran sind, bei wirklich brisanten Themen aber nicht früh eingebunden sind. Auch ich empfand Befremden.
In der Informationsveranstaltung nahm ich beim Vortrag des Sozialreferenten wahr, dass dieser zwar nach eigenen Angaben derlei Veranstaltungen ständig hat, aber das Vortragsmaterial visuell eher auf dem Stand »heute Spätnachmittag zusammenkopiert« blieb. Misstrauen und Unmut schlug ihm ob unleserlicher Statistiken entgegen. Durch gefühlt defensive Haltung lud er zusätzlich zu Widerspruch ein.
Der Caritas-Manager stellte eine Planskizze des Bauwerks vor, und zusammen mit dem Pfarrer ganz kurz, wie der Kontakt und die Idee für die Nutzung des Grundstücks zustande kam.
Mangelndes Vertrauen durch falsche Reihenfolge und Argumente
Was erregt den Unmut der Leute? Hierbei müssen wir einen gewissen Anteil an Dumpfbacken (/4/) abziehen, die immer Unmut äußern, sobald irgendwo die Rede von Ausländern ist.
»Es könnt alles so einfach sein. Isses aber nicht.«
(Die Fantastischen Vier – Einfach sein)
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Der Unmut entsteht, wenn Anwohner den Eindruck bekommen, vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Eine äußerst kurzfristige Einladung und eine sehr knappe Vorstellung einer Planskizze befeuerten diesen Eindruck.
Alternative Standorte wurden am Informationsabend nicht besprochen. Somit sehen Anwohner eine bloße ja/nein-Entscheidung, was an sich schon wieder ein Entscheidungs-Hindernis darstellt (/3/). Warum so eng denken, so eng kommunizieren?
Die Leute wollen wissen, welche Alternativen bedacht wurden, und warum diese ungeeignet sind. Sind sie dann nicht viel eher bereit, auch unbequeme Entscheidungen mitzutragen? Das Gefühl »Ist nicht optimal, aber das beste, was wir tun können« kann entstehen, wenn auch die schlechteren Optionen bekannt sind. Hier hätte der Caritas-Verantwortliche frühzeitig vielen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen und viel Lob für gute Recherche ernten können.
Wenig Vertrauen entstand auch, als eine Asylsozialarbeiterin von den wunderbaren Begegnungen berichte, Schwierigkeiten und Bedenken hinsichtlich der Belastung der Anwohner jedoch weitgehend negierte. Würde es nicht die Anwohner mehr beeindrucken, wenn von vielfältigen Problemen berichtet würde und Wegen, damit umzugehen? Würden sich die Bürger damit ernster genommen fühlen? Wahrscheinlich.
Auch kamen Fragen nach der Nachnutzung als sozialer Wohnungsbau und Finanzierung auf. Offen und teils verdeckt wurde der Caritas und Kirchenverwaltung Gewinnstreben vorgeworfen.
Hypothese einer Kommunikation
Wie besser machen?
- Die Kommunikationsreihenfolge einhalten. Kirchenpfleger, Pfarrgemeinderats-Vorsitzender. Vollständiger Kirchenvorstand. Pfarrgemeinderat.
- Alternativen benennen. Standorte prüfen. Sachargumente pro/contra offen legen, mit kommunizieren.
- Spannung rausnehmen. Informationsveranstaltung ohne politische Einpeitscher durchführen, oder mit diesen einen Trockenlauf durchführen.
- Offen kommunizieren. Projektkommunikation mit brutaler Ehrlichkeit klänge etwa:
»Der Betrieb der Einrichtung wird durch Ausgleichszahlungen vom Freistaat Bayern mindestens kostendeckend ablaufen, so dass wir andere Aufgaben der Caritas quersubventionieren können. Geld wächst nicht auf Bäumen, und die Caritas ist schließlich auch nicht die Caritas. Wir können nur Gutes tun, wenn wir die Finanzmittel dazu haben. Deswegen co-finanzieren wir den Bau des Hauses auch durch die Diözese. Die Einnahmen aus der späteren Vermietung tragen erlauben uns, unser soziales Engagement in Augsburg weiter ausbauen zu können.«
Der Pfarrer könnte dann hinzufügen: »Wir planen derzeit den Neubau unseres Gemeindezentrums in der Stammgemeinde. Die Pacht für die Flüchtlingsunterkunft deckt ungefähr die Betriebskosten des Gemeindezentrums, und wäre damit eine willkommene Einnahmequelle. Verbunden mit dem Umstand, dass damit auch eine soziale Not gelindert wird, sehen wir das als ideale Verbindung von christlicher Aufgabe und nachhaltigem Wirtschaften.«
War aber leider nicht so. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen – direkte Anwohner – nachhaltiges Wirtschaften begrüßen, und bei entsprechend sauber kommunizierten Gedankengang auch mittragen.
Hilfe von Profis für wiederkehrende Problemstellungen
Da solche Vorhaben aufgrund des regen Zustroms an Asylbewerbern ja häufig an der Tagesordnung sind, frage ich mich: Sollte es Kommunikationsprofis sowohl bei der Stadt als auch bei der Diözese geben, die für betroffene Investoren wie die Caritas und interessierte Grundstückseigentümer quasi eine fertige Vorlage für eine Kommunikation des Vorhabens schaffen können? Wäre das nicht was? Warum muss das Thema Flüchtlingsunterkunft so viel unnötigen Gegenwind erzeugen?
Nachtrag zu diesem Beispiel: Nachdem wir in einem Brief um mehr Information gebeten hatten, wurde uns (dem Pfarrgemeinderat) mitgeteilt, dass das Vorhaben seitens Caritas gestoppt wurde, »da es höchst wahrscheinlich kein eindeutiges Votum für eine solche Umsetzung gibt«. Leider hat wohl mangelnde Projektkommunikation ein an sich gutes und notwendiges Vorhaben an die Wand gefahren, ohne dass Sachargumente die Hauptrolle spielen konnten. Die Diskussion geht unvermindert weiter. Da die Sachebene nun wegfällt, tritt die persönliche Ebene in den Vordergrund. Dies bietet Gelegenheit, in einigen Wochen vielleicht über die situationsbezogene Auswahl eines Kommunikationsmediums (/12/) und eines Kommunikationszeitpunkts zu bloggen. Wenn Sie es lesen möchten.
Muster besserer, ehrlicher Projektkommunikation
In den drei Beispielen sehe ich folgende Muster, die falsch liefen und die umgekehrt eine bessere Kommunikation von Projekten bewirken könnten. Sehen Sie dies als Thesen und widersprechen mir gerne. Ich bin nur ein Lernender, der allein durch das Schreiben dieses Artikels dazugelernt hat.
- Wie der ehemalige GE-Chef Jack Welch rät: Offenheit, Freimütigkeit (engl. »candor«) /10/. Die Beweggründe müssen auf den Tisch, und zwar nicht nur die politisch korrekten.Das mag für die Projektverantwortlichen zunächst angsteinflößend sein, und unbequem. Aber notwendig. Sonst spekulieren die Leute über verborgene Gründe. Nehmen Sie Kritikern den Wind aus den Segeln, indem Sie alle Kritiken an Ihren Motiven bereits vorweg nehmen.Ehrlichkeit, bis es weh tut. Wir leben in einer aufgeklärten Zeit. Vermeintlich verborgene Aspekte bleiben nur vorübergehend verborgen. Also raus damit. Drehen Sie das Licht so weit auf, dass niemand etwas aus dem Dunklen zerren kann. Es müssen nicht alle begeistert sein. Aber so viele wie möglich verständig.
- Nehmen Sie Gegenargumente vorweg und ernst /1,2/. Sagen Sie nicht nur, was toll am Projekt ist. Damit rufen Sie zwangsläufig Zweifler auf den Plan. Finden Sie die Schwachstellen in Ihrem Plan oder Projekt. Und reden Sie darüber.Das trägt ungemein zur Glaubwürdigkeit bei, denn damit kommunizieren Sie, dass Sie sich tatsächlich Gedanken gemacht haben.
- Identifizieren Sie mögliche relevante Gruppen innerhalb der Bevölkerung, die unterschiedliche Ansprache und Argumente benötigen.Hier geht es weniger um Demographie, sondern ebenso Soziographie. Familien mit kleinen Kindern. Alleinstehende. Alte. Junge. Akademiker. Arbeiter. Weltgereiste. Pauschalgereiste. Wie werden die verschiedenen Gruppen Ihr Vorhaben sehen? Welche Sorgen, Ängste, Fragen und Widerstände werden sie vorbringen. Nehmen Sie deren Situation ernst und die Fragen vorweg.
- Identifizieren Sie Einflussgruppen, die gesondert und eventuell vorab befragt und informiert werden sollten.Welche organisierten Gruppen gibt es? Diese haben Einfluss, können oftmals schnell etwas auf die Beine stellen und es Ihnen sehr ungemütlich machen, wenn Sie die nicht im Boot haben.
- Erstellen Sie einen Kommunikationsplan /2/. Inklusive Wenn-Dann-Regeln. Besprechen Sie den Plan mit ein paar Leuten, die ganz anders denken als Sie.Besprechen Sie den Kommunikationsplan mit einem pragmatischen Gegner Ihres Vorhabens, wenn Sie können. Führen Sie mit Menschen, die Sie offiziell über das Projekt sprechen lassen, ein Briefing durch. Einigen Sie sich auf Grundsätze.
- Lernen Sie, genau zuhören /1,2/. Was bewegt die Betroffenen, und warum? Manche wollen nur stänkern (»Troll«). Die müssen Sie ruhig stellen, sie können sie oft mit wenigen Fragen aushebeln. Besorgte stänkern auch, jedoch als Ausdruck ihrer Sorgen und hören damit auf, wenn sie sich gehört und ernst genommen fühlen. In jeglicher Kommunikation werden Sie beide Arten von Menschen zu Reaktionen verleiten. Seien Sie darauf vorbereitet. Und gehen Sie immer erst einmal vom besten aus, von besorgten Menschen.
- Erkennen Sie, wessen und in welchem Umfang Sie Zuspruch brauchen oder wollen.Sie brauchen für Ihr Projekt nicht Jubelrufe von 100% der Menschen. Den meisten Menschen wird Ihr Vorhaben latent egal sein. Diese brauchen Sie nicht zu glühenden Anhängern Ihrer Idee zu machen. Kümmern Sie sich darum, Befürworter zu Botschaftern zu machen und potentielle Meinungsmacher und kritische Stimmen früh abzufragen.
- Machen Sie sich bewusst, dass Sie drei Ebenen bedenken müssen: die Sachfrage, die Kommunikation und die Kommunikationsfrage.Die ersten beiden sollten klar sein, oft denken wir aber, wenn wir nur die Sachfrage beackern, würde sich alles weitere selbst ordnen. Die Kommunikationsfrage ist, in wiefern Betroffene die Kommunikation aufnehmen und diskutieren werden.
Manche der angesprochenen Bereiche werden Sie nicht alleine abdecken können. Holen Sie sich Hilfe von Profis oder zumindest erfahrenen Leuten. Und zwar nicht erst dann, wenn es schon zu spät ist und Sie den Mob auf der Straße stehen haben.
Was glauben Sie, wozu es Leute wie Kerstin Hoffmann oder Marcus Raitner gibt? Es gibt Menschen, die nicht nur Kommunikation oder Projektleitung studiert haben, sondern auch lange Erfahrung damit haben. Online und offline. Für Stadtteile und ganze Landkreise. Holen Sie sich Hilfe. Rechtzeitig.
Es muss nicht immer eine Kommunikationsagentur sein. Oft reicht es schon, wenn Sie sich ein oder zwei kritische Denker nehmen, die beruflich Projektarbeit machen.
Bestimmt gibt es noch viel mehr Merkmale besserer Projektkommunikation. Wie gesagt, ich sehe nur Muster.
Die Checkliste
Sie wollen Ihre Projektkommunikation verbessern? Dann laden Sie sich zu diesem Beitrag die umfassende kostenlose Checkliste mit 50 Fragen und Checkpunkten herunter, im Austausch mit Ihrer E-Mail-Adresse (wenn Sie meine Beiträge schon per E-Mail bekommen – einfach nochmal dieselbe Adresse hier eintragen.):
Was nun?
Was für Entscheidungen gilt, gilt auch für Kommunikation. Lesen Sie meinen Artikel über das Entscheidungs-Framework WRAP dazu.
Welche Merkmale besserer Projektkommunikation sehen Sie noch? Welche Beispiele mangelhafter Kommunikation kennen Sie?
Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich bitte teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!
Lesestoff
- /1/: Roger Fisher, William Ury: Getting to Yes/ Das Harvard Konzept
- /2/: Douglas Stone, Bruce Patton, Sheila Heen: Difficult Conversations / Offen gesagt. Erfolgreich schwierige Gespräche meistern
- /3/: Lesen über Entscheidung: Decisive
- /4/: Carlo M. Cipolla: Die Fundamentalgesetze menschlicher Dummheit
- /5/: Augsburger Allgemeine 9.7.2015: Flüchtlings-Unterkunft spaltet Gögginger
- /6/: Bürgerenergiewende Augsburg
- /7/: ja-zur-Fusion.de: Leider ist die Seite bereits aus dem Netz genommen, der Link führt ins Leere. Ein Screenshot hat überlebt.
- /8/: Wikipedia: Schlichtung zu Stuttgart 21
- /9/: Wikipedia: Stuttgart 21
- /10/: Lesen: Jack Welch & Suzy Welch – Winning
- /11/: Augsburg 21 oder wie Diskussionen mit dem Harvard-Konzept erfreulicher sein könnten
- /12/: Medienkompetenz beginnt schon mit dem Telefon
Photo: Marco Bartoli auf Wikimedia, Public Domain
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