»Es gibt Straßen, denen man nicht folgen darf, […] und Anweisungen des Lehnsherrn, denen man nicht gehorchen sollte.« (Sun Tzu, Die Kunst des Krieges, Übersetzung von Gitta Peyn, S. 64)
Stellen Sie sich vor, Sie halten einen Vortrag basierend auf Präsentationsmaterial, das es in Ihrer Firma schon gibt. Nicht alle diesen durch die existierenden Folien vorgegebenen Straßen dürfen Sie in jeder Lage folgen. Alle Präsentationen wurden für einen bestimmten Einsatzzweck geschaffen, von einer bestimmten Person oder Gruppe mit ganz spezifischen Vorstellungen und mit einem bestimmten Publikum im Sinn. Wenn Sie diesen Foliensatz mit empfohlen bekommen, weil er hervorragend funktioniere, dann traf das wohl bislang meist zu.
Das Hauptargument, das auf ein vorangegangenes Beispiel in Ihrem PowerPoint- oder Keynote-Foliensatz folgt, trifft bei allen Zuhörern auf offene Ohren, die beispielsweise aus der Mittelstands-IT-Leitung mit akademischem Hintergrund kommen und vorher schon mal in einem Großkonzern gearbeitet haben. Was aber, wenn das Argument genau falsch wäre für einen wichtigen Zuhörer, der in einer Kleinfirma gelernt hat? Dann sollten Sie diese Straße nicht gehen. Es liegt in Ihrer Verantwortung, für den Zweck Ihrer Präsentation genau die Teile aus dem vorgegebenen Foliensatz auszuwählen, die auf die jeweilige Situation passen.
Vielleicht haben Sie darüber hinaus die Anweisung, die vorgegebene Firmenpräsentation am Anfang Ihres Vortrags zu halten und den vollständigen Foliensatz dafür zu verwenden. Ist das in Ihrem Unternehmen die Gepflogenheit, sei es explizit oder eine ungeschriebene Regel, dann handelt es sich ganz klar um eine Anweisung des Lehnsherrn.
Nun stellt sich die Frage, woran Sie gemessen und wofür Sie bezahlt werden: Dafür, eine vorgegebene Präsentation vorschriftsmäßig abzuspulen oder mit Ihrer Rede eine Veränderung hervorzurufen, die schließlich zu Mehrwert für Ihr Unternehmen durch bessere Reputation oder eine Kundenanbahnung führt? Für Sie als Leser hoffe ich, dass dies eine rhetorische Frage ist.
Nehmen Sie zunächst das beste an: Das Präsentationsmaterial und eventuell mitgegebene Sprechernotizen sind das Resultat von insgesamt mehr Erfahrung, als Sie in dem Thema vorweisen können, und damit prinzipiell von guter Intention. Speziell bei Materialen zur Firmenvorstellung ist eben oft der Wunsch da, ein vollständiges Bild abzugeben und keine Aspekte zu vernachlässigen, die Ihrem Unternehmen wichtig sind. Dürfte nun jeder selbst seine Firmenvorstellung zusammenbauen, ergäbe das kein einheitliches Bild nach außen, weder inhaltlich noch optisch. Also ist das Ansinnen Ihres Vorgesetzten oder der Marketingabteilung verständlich. Nur eben nicht so strikt, wie es oft gehandhabt wird. Auch wenn es Ihnen schwerfallen mag: Respektieren Sie den Wunsch, überhaupt ihre Firma vorzustellen, und nehmen Sie das vorgegebene Material als Grundlage, aber schaffen Sie Fakten bei der Umsetzung.
Besonders bei kleineren, unbekannten Firmen ist oft der Wunsch und teilweise auch die Notwendigkeit da, dem Gegenüber zu zeigen, mit wem man es zu tun hat. Gerade obere Führungskräfte im Publikum wollen ein Bild über das Unternehmen erhalten, das Sie repräsentieren, also brauchen Sie gerade in diesem Kreis die passende Information.
Sie halten den Vortrag. Sie sind verantwortlich für den Erfolg der Präsentation.
Was tun mit diesem Dilemma? Beginnen wir mit dem Präsentationsmaterial. Es muss auf die jeweilige Situation passen. Was nicht passt, können Sie löschen, seien es ganze Folien oder Teile davon. Ist Ihrer Firma wichtig zu zeigen, dass Sie nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen darum herum anbieten, wird wohl auf einer oder mehreren Folien davon die Rede sein. Überlegen Sie genau, was Sie alles weglassen können, ohne diesen Grundgedanken anzutasten. Sie wollen zeigen, dass Ihr Unternehmen weltweit agiert und seine vielleicht ebenfalls multinationalen Kunden unterstützt? Dann reicht dafür zum Beispiel eine Karte, ohne die Länder und Städte einzeln aufzuführen. Oder Sie möchten genau darauf hinweisen, dass in jeder Stadt, in der Ihr potentieller Kunde eine Niederlassung hat, auch Ihr Unternehmen vertreten ist, dann tun Sie auch nur das und lassen alle anderen weg.
Obere Führungskräfte möchten ausserdem wissen, ob Ihr Unternehmen verlässlich ist und ob es in drei Jahren wahrscheinlich noch existiert. Das allein ist der Grund, warum in der Mehrheit der Foliensätze zur Firmenvorstellung die Historie mit Gründung und diversen Meilensteinen vorkommt. Meist reicht jedoch die Information wie lange das Unternehmen in der derzeitigen Form und ursprünglich existiert und welche Eigentümerform (»inhabergeführt«, »in Familienhand«, »Einzelinvestor«) besteht. Hier gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur Ehrlichkeit.
Nun haben Sie die Firmenvorstellung schon von dreiundzwanzig auf zwei Folien eingedampft. Lassen Sie die anderen ruhig im Foliensatz drin, aber blenden sie aus. Und dazu sagen Sie eben nicht den Standardtext, sondern genau das, was für diese Situation relevant ist. Und was ist mit der Anweisung, die Firmenvorstellung unbedingt zu Beginn Ihrer Präsentation zu halten? Dies ist genau der Fall, den Sun Tzu meinte. Manchmal sollten Sie den »Anweisungen des Lehnsherrn« nicht folgen. Bleiben Sie Ihrem Stil treu: Sie möchten mit Ihrem Vortrag etwas verändern, eine Lösung für ein Problem aufzeigen, und genau damit sollten Sie beginnen. An passender Stelle gehen Sie dann darauf ein, warum Ihr Unternehmen für die Lösung einstehen kann. Das muss nicht am Ende sein und sollte es vielleicht auch nicht, um nicht Ihren Schlussakkord zu beeinflussen, sondern eben zu gegebener Zeit dort, wo es in Ihren Redefluss passt.
Je nach Verlauf Ihres Vortrags und den Zwischenfragen brauchen Sie eventuell einen Teil der Präsentation zu einer anderen Zeit, als Sie ursprünglich vorgesehen haben, auch die Firmenvorstellung. Trauen Sie sich, und üben Sie vorher das spontane tauschen von Vortragsteilen.
Sie halten den Vortrag. Sie sind verantwortlich für den Erfolg der Präsentation. Diese Verantwortung für Ihr Publikum und für Ihr Ziel bedeutet auch, etwaige Richtlinien dem unterzuordnen.
Dies ist ein Auszug aus meinem Buch über Präsentieren im Dialog. Melden Sie sich zu meinem Newsletter an, um zu erfahren, wann das Buch erscheint.
Foto: Joachim Schlosser, 2012
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