Die Urlaubssaison ist wohl vorbei. Wo waren Sie? Am Meer? Vielleicht am touristisch erschlossenen Meer? Was gehört eigentlich alles zum Ökosystem Strand? Die natürlichen Ressourcen sind freilich Meer, Sandstrand und Sonne. Wer aber lebt sonst noch hier? Wie funktioniert das System? Keine Angst, ich bin kein Biologe, sondern habe es mehr mit System als mit Öko. Meine Theorie: Immer, wenn die vier Ressourcen Meer, Sandstrand, Sonne und Geld zusammenkommen, entsteht folgendes Ökosystem in der einen oder anderen Ausprägung:
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Hotelier: beherbergt die Urlauber, ist erste Anlaufstelle. Zwischen einzelnen Hotels bestehen große Qualitätsunterschiede. Die meisten der anderen Bewohner des Ökosystems benötigen das Hotel als Katalysator, um ihren eigene Rolle ausfüllen zu können. Das Hotel selbst ist sein eigenes, kleines Ökosystem, welches ich hier jedoch nicht näher betrachten möchte.
Wer nicht wie wie selbst mit angereist ist, der braucht vielleicht den nächsten Teil des Ökosystems: -
Busunternehmer: Irgendwer muss ja die ganzen Menschen erstmal aus Deutschland zum Strand karren. Wer nicht selbst anreist, kommt mit dem Bus. Das Klischee, jeder Bus enthielte mindestens drei Jahrtausende Lebenserfahrung, hält dem Realitätstest immer noch stand.
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Strandbetreiber: kooperieren teilweise mit Hotels, eher selten ist der Hotelstrand. Große Qualitätsunterschiede bestehen in Sachen Speise-, Getränke- und Unterhaltungsangebot wie etwa Spielplätze, das Grundangebot “Sand” ist überall gleich. Der Betrieb eines Strands kann anscheinend durchaus lukrativ sein, so mancher Strandbetreiber hat mittlerweile auch ein Hotel übernommen. Der Strandbetreiber fungiert auch als Wettervorhersage. Räumt er am Abend die vorderste Reihe Liegen weg, so sind für den nächsten Tag hohe Wellen garantiert.
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Hersteller von Strandliegen und Strandschirmen: Dürfte wohl eine Großindustrie in der Mittelmeerregion sein. Trotz der robusten Konstruktion und Ausführung, die die Liegen sehr dauerhaft machen, unterliegen sie natürlich einem Alterungs- und Abnutzungsprozess. Die meisten Liegen stammen tatsächlich aus einheimischer Produktion. Das Quietschen des Dachs ist übrigens Grundvoraussetzung und dient als Einschlafhindernis.
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Badetuchverkäufer: fliegender Händler, der dem Strandgast Badetücher andingt. Überwiegend sehr höfliche und fröhliche Menschen, was daran liegen mag, dass mit Badetüchern tatsächlich Umsatz zu machen ist. Die Ware stammt zumeist aus ägyptischer Produktion und ist oft von einwandfreier, schwerer Qualität. Der Badetuchverkäufer gehört zu den Polyglotten, seine Vielsprachigkeit übertrifft die der meisten anderen Teilnehmer des Ökosystems. Hat dennoch wahrscheinlich eher keine Reisegewerbekarte.
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Coco-bello-Händler: Übernehmen den Bring-Service für Kokosnüsse (coco bello), Süßigkeiten (bóni boni) und kandierte Früchte (candidi)direkt zur Sonnenliege. Ihre Rufe erschallen in verschiedenen Stimmlagen und mit angepassten Texten. Sie sind für die Akustik des Ökosystems unbedingt erforderlich.
Auch Teil der Akustik ist der nächste Bewohner: -
Animateure: In vielen Strandabschnitten beauftragt der Strandabschnittsbetreiber junge Leute, die anwesenden Kinder durch Mitmachtänze zu vielen lokalen und wenigen internationalen Schlagern sowie Bastelangeboten zu unterhalten. Auch sportliche Turniere in Boccia und Volleyball werden durch sie gern organisiert. Man kann geteilter Meinung über diesen Bewohner sein.
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Uhren-, Schmuck-, Hüte-, Tücherverkäufer: auch rennende Händler genannt, weil sie das Weite suchen, sobald sich Carabinieri (Polizei) zeigen. Tragen ihre Ware entweder über den Arm gelegt, hoch aufgetürmt auf dem Kopf, oder sie stellen an der Wasserlinie gleich ganze Klapptische auf. Sind üblicherweise keine Selbständigen, sondern in Kolonnen unterwegs. Wenn man an der richtigen Strasse sein Hotel hat, sieht man die Kolonne am Morgen anrücken. Samt Aufseher, das ist der, der nichts in der Hand trägt. Die Vielsprachigkeit ist hier oft nur vorgetäuscht, und beschränkt sich auf Attribute wie billiger, gute Preis sowie Markennamen wie Rolex, Breitling, Versace und ähnliche. Auf einen Coco Bello kommen übrigens 4-5 dieser Nippeshändler.
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Masseusen: im Zweifelsfall noch schneller rennendes Volk, weil diese Damen von den Strandbetreibern nicht gern gesehen werden. Meist von ozeanischem oder asiatischen Anschein, versprechen sie den Badegästen Entspannung durch Massagio. Bisweilen sind dann am Strand klatschende Schläge zu hören, wenn sie gerade einen der gestrandeten Wale durchkneten.
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Carabinieri: selten gesehene Polizisten, die nach dem Rechten sehen. Um rennende Händler zu verscheuchen, kommen sie auch schonmal per Jetski übers Wasser. Die Nachhaltigkeit dieser Maßnahme ist zu bezweifeln.
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Tretboot- und Banana-Boat-Verleiher: Um sich auf dem Meer bewegen zu können, ohne zwangsläufig naß zu werden, gibt es die Verleiher von Wassergefährten. In der Regel sind diese mit Muskelkraft betrieben und weisen optional eine gerade oder gebogene Rutsche auf. Ebenfalls verfügbar sind große bananenförmige Gebilde, die hinter einem Motorboot hergezogen werden können. Beides fällt unter Spielgerät.
Apropos Spiel: -
Spielhöllenbetreiber: Kinderfänger für den Nachwuchs jeden Alterns. Arbeiten mit einer eigenen Währung, den sogenannten Gettoni. Die kleinen erfreuen sich am Elektroautofahren, die größeren Daddeln an die Videospielen der frühen und späten 90er Jahre. Unser Nachwuchs war zudem vom »Scheibeln« begeistert (die genaue Bezeichnung des Spiels entzieht sich meiner Kenntnis, Update: es heißt »Air-Hockey«, dank an meine Ehefrau für die Übersetzung).
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Örtlicher Baggerdienst: Fährt morgens mit Bagger und Siebmaschine den Strand auf und ab, um den Sand zu glätten und aus der obersten Schicht die Muschelreste abzusieben, und gegebenenfalls angespülten Tang und anderen Unrat zu entfernen. Schließlich sollen die Badegäste ja den Sand genießen können. Daneben hat jeder Strandbetreiber auch selbst entweder eine Art Kehrmaschine zum anschieben, die ebendies für seinen Teil des Strands tut, oder zwei Arbeiter, die das mit Rechen und Schaufel erledigen.
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Tourist: Letztendlich zielt das Ökosystem natürlich darauf ab, den Touristen anzulocken, egal ob von fern oder von nah. Verschiedene Orte, ja auch verschiedene Hotels spezialisieren sich dabei auf verschiedene Arten und Herkünfte von Touristen. Der Tourist bringt eine wichtige Ressource in System, die unbedingt zu einem gesunden Ökosystem Strand gehört: Das Geld. Dafür darf er dann auch in zu kurzen Hosen und Muskelhemd beim Abendessen einen Berg Meeresfrüchtesalat auf seinen Teller häufen und das ganze mit etwas Roastbeef und Ketchup garnieren.
Habe ich noch etwas vergessen?
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