Besondere Momente, die nachhaltigen Eindruck und Erinnerung bewirken, müssen kein Zufall bleiben, sondern können bewusst erschaffen werden durch Erhöhung, Erkenntnis, Stolz, und Verbindung.
The Power of Moments: Why Certain Experiences Have Extraordinary Impact mich angesprochen, weil ich bislang den Moment als prägendes Element unseres Lebens unterschätzt habe.
Zugegeben, bei Ankündigung des Buches erwartete ich nicht allzu viel, sondern eher ein zu einem Buch aufgeblasenes Kapitel über den „Peak-End-Effect“ aus Daniel Kahnemans „Thinking – Fast and Slow“. Und doch mag ich, wie die Heath Brothers schreiben. Meine Erwartungen wurden weit übertroffen.
Der Peak-End-Effekt
Wir erinnern uns von unseren Erlebnissen im zeitlichen Verlauf am stärksten an die Höhepunkte und das Ende, und in etwas geringerem Maße auch an den Anfang. Deshalb funktionieren Freizeitparks, obwohl man dort stundenlang in Warteschlangen herumsteht.
Die Frage ist, wie sich diese besonderen Momente wahrnehmen und sogar erschaffen lassen. Momente, die eigentlich in ihrer Bedeutung besonders wären, aber oft keine bleibenden Erinnerungen schaffen. Ein Beispiel ist der erste Tag in einem neuen Job. „Der erste Tag sollte keine „Menge bürokratischer Aktivitäten auf einer Checkliste sein. Es sollte ein Höhepunkt sein.“ (S. 19)
Positive und Negative Momente
Es gibt positive und negative Momente. Negative Momente im wirtschaftlichen Zusammenhang sind beispielsweise ein verspäteter oder ausgefallener Flug, ein kurz nach dem Kauf defektes Gerät, ein unverständlicher Kaufvorgang und ähnliches. Eine Vertiefung („pit“) im zeitlichen Verlauf.
Unternehmen verwenden 80% des Aufwands darauf, diese Vertiefungen aufzufüllen, also die schlechten Momente zu eliminieren. Das ist verständlich, und mit Six Sigma gibt es ein ganzes System dafür. Doch wird bei aller Reduzierung der negativen Varianz vergessen, die positive Varianz zu fördern, also für positive Momente zu sorgen. Das ist umso mehr schade, als dass es neun mal mehr Umsatz bringt, mittelprächtig zufriedene Kunden zu begeisterten zu machen, als unzufriedene zu mittelprächtig zufriedenen. (S. 59)
„Das Geheimnis, ein Unternehmen wachsen zu lassen ist, die negative Varianz zu verringern und die positive Varianz zu vergrößern.“ (S. 77)
Momente erschaffen
Um besondere Momente zu erschaffen, beschreiben Chip und Dan Heath ein Framework aus vier Elementen, von denen mindestens drei vorhanden sein sollten:
- Erhöhung („Elevation“)
- Erkenntnis („Insight“)
- Stolz („Pride“)
- Verbindung („Connection“)
Der Großteil des Buches erläutert, wie diese vier Elemente beschaffen sind.
Erhöhung („Elevation“)
Die Erhöhung geschieht durch sensorischen Reiz („sensory appeal“), Erhöhung des Einsatzes („raise stakes“) und Durchbrechen des Drehbuches („break script“).
Und damit wird klar, warum eine auf einer großen Besprechung vorgetragene PowerPoint-Präsentation meist keinen erinnerungswürdigen Moment darstellt: weil es erwartet ist (Drehbuch), weil keiner irgendetwas besonderes tun muss (Einsatz) und weil es nicht ansprechend ist (Reiz).
“Most organizations have people think about a PowerPoint pitch with the hope that they will feel something and then do something different.” (S. 81)
Um einen besonderen Moment daraus zu machen, sollten wir „die Leute etwas aktives und umfassendes tun“ lassen. (S. 81). In einem Moment der Erhöhung fühlen wir uns beschäftigt, freudig, erstaunt, motiviert.
Für Menschen, die selten einen Vortrag halten, ist dieser Moment umso denkwürdiger, wenn man auf einer Bühne im Licht steht („sensory appeal“), viele Menschen und auch der Chef zuhören („raise stakes“) und das eben kein Setting ist, in dem man normalerweise vorträgt („break script“).
Diese drei Elemente lassen sich bewusst nutzen, wenn wir etwa eine Zeremonie oder Feierstunde planen. Das ist nicht einfach, denn Momente der Erhöhung sind niemands Hauptaufgabe. Und genau deshalb sind sie einfach zu verwässern.
Doch es heißt auch, dass wir ganz bewusst eigene Höhepunkte erschaffen können, indem wir einfach mal etwas anderes tun, und andere Sinne ansprechen als normalerweise. Das geht am Wochenende ebenso wie in der Arbeit.
Erkenntnis („Insight“)
Der Moment der Erkenntnis kann ein besonderer Moment sein, der alles ändert. Gewollte Änderungen geschehen selten kontinuierlich, sondern quantifiziert, also sprunghaft. Wie das geht, führten die Autoren auch in ihrem Buch Switch – Veränderungen detailliert aus.
Erkenntnis entsteht meist daraus, wenn wir über die Wahrheit stolpern (S. 97), wenn also nicht jemand uns etwas haarklein erklärt, sondern wenn wir die Fakten selbst sehen, selbst erfahren. Über Wahrheit stolpern benötigt (1) klare Einsicht (2) in kurzer Zeit und (3) von der Person selbst herausgefunden. (S. 132)
Das nächste, was zur Erkenntnis beiträgt, ist die „Kristallisation von Unzufriedenheit“ („crystallization of discontent“, S. 103). Man kann lange unzufrieden sein, doch irgendwann kommt der Moment, an dem der sprichwörtliche Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt und eine Veränderung der eigenen Ansichten die Folge ist.
Um einen derartigen Moment zu erschaffen, hilft es, das Problem zu dramatisieren (S. 106). Die Erkenntnis ist üblicherweise also die, dass etwas ein tatsächliches Problem darstellt, und dass es so nicht weiter gehen kann.
Erkenntnis ist also Einsicht + Transformation (des Denkens). Um zu Erkenntnis zu gelangen, kann ein Mentor helfen. Ein guter Mentor bringt immer wieder eine Forderung: Kannst du ein bisschen weiter gehen? Und das tut sie, um den Mentee zu immer neuen und tieferen Erkenntnissen zu führen.
„Ich gebe dir diese Kommentare, weil ich sehr hohe Erwartungen habe und ich weiß, dass du ihnen genügen kannst.“ (S. 123)
Ein guter Mentor – das kann ein Lehrer sein, ein Kollege aus der gleichen Firma, jemand aus dem Verein, oder ein Freund – ist nicht einfach. Die Beziehung von Mentor und Mentee dient immer der Selbsterkenntnis.
Eine erweiterte Selbsterkenntnis ergibt sich aus hohen Standards + Versicherung + Führung + Rückhalt.
Aus dem, was der Mentor an Rückmeldung gibt, können wir uns an neuen Herausforderungen versuchen, und uns dabei strecken. Wenn wir uns strecken, führt das nicht automatisch zum Erfolgt, sondern garantiert zum Lernen.
„Promise of stretching is not success, it’s learning.” (S. 133)
Stolz („Pride“)
Anerkennungsprogramme funktionieren nicht, jedenfalls nicht, um Momente besonderer Erinnerung zu erschaffen. Anerkennungsprogramme („Recognition Program“) funktionieren nicht, weil sie irgendwann erwartet werden. Für die nicht bedachten wirken sie demotivierend statt motivierend. Streuen derlei Programme dann so breit, dass früher oder später alle bedacht werden, wirken sie zynisch, weil ja dann nicht mehr an tatsächlich herausragende Leistung gekoppelt. (S. 146ff)
Was hilft stattdessen, um Momente von Stolz zu erschaffen?
Es ist die spontane, direkte Rückmeldung: „Ich sah, was du getan hast, und ich schätze es.“ (S. 151)
Um mehr Momente des Stolzes zu erleben, hilft es auch, wenn wir Meilensteine vervielfachen („Multiply Milestones“), also ein großes Ziel in kleinere Ziele herunter brechen, in Schritten vorgehen. Dies macht das Ziel greifbarer, handelbar. Auch erkennen wir bereits erreichte, unentdeckte Meilensteine, und sehen, was wir schon erreicht haben. Das wiederum motiviert für das, was noch an Anstrengung vor uns liegt.
Ein Moment des Stolzes bedingt üblicherweise, dass wir selbst alles dafür getan haben, dass er funktioniert. Dafür empfehlen die Autoren, den Mut zu üben („Practice Courage“), so lange es noch um nichts geht.
„Courage is resistance to fear, mastery of fear – not absence of fear.“ (Mark Twain, S. 181)
Üben, wenn es noch um nichts geht, das sogenannte „Preloading“ (S. 185). Dann funktioniert der Moment besser. Je besser ich auf bestimmte Reaktionen trainiert bin, die zu Beginn so überhaupt nicht intuitiv sein mögen, desto besser kann ich in der jeweiligen Situation handeln und sie so zu einem besonderen Moment machen. Am einfachsten geht dies durch Trigger-Aktion-Verknüpfungen, zum Beispiel: Immer wenn Sonntagmorgen ist, gehe ich laufen. Dies nennt der von den Heaths zitierte Psychologe Gollwitzer Umsetzungsvorsatz („Implementation Intentions“, S. 185).
Und da passt ein Zitat, das ich im Podcast von Tim Ferriss zum ersten mal hörte:
„Wir erheben uns nicht auf die Ebene unserer Erwartungen, sondern fallen auf das Niveau unserer Ausbildung.“ (Archilochos)
Verbindung („Connection“)
Ein besonderer Moment entsteht auch dann, wenn wir eine Verbindung zu anderen Menschen erfahren, und eine Verbindung zu einem größeren Sinn.
This is important. This is real. We’re in this together. And what we’re doing matters. (S. 213)
Die Verbindung in der Gruppe entsteht laut Heath dann, wenn es einen gemeinsamen Sinn gibt. Dieser ergibt sich aus:
- Erschaffen eines zeitlich abgestimmten Moments,
- Einladung zu gemeinsamer Anstrengung,
- Verbindung im Sinn. (S. 247)
„Gruppen binden sich, wenn sie sich gemeinsam anstrengen. Und das tun sie gerne, wenn sie freiwillig teilnehmen, wenn sie Autonomie in der Art der Bewältigung erhalten, und wenn der Auftrag sinnvoll ist. (S. 247)
Im beruflichen Kontext sind diese Elemente verbunden mit der Frage, ob wir zum einen dort arbeiten, wo wir am wirksamsten sein können und zum anderen, ob das überhaupt jemanden interessiert. Dazu kommt, ob wir regelmäßig Gespräche mit jemandem in Verantwortung führen über genau diese Themen.
Um auf die Auszeichnungsprogramme von oben zurück zu kommen und wie sie tatsächlich funktionieren könnten: Wenn die Auszeichnung direkt etwas mit dieser und dem Bedachten zu tun hätte.
Auswirkung
The Power of Moments: Why Certain Experiences Have Extraordinary Impact ist für mich ein wunderbares Buch mit vielen ziemlich direkt umsetzbaren Anregungen. Die Geschichten, die Chip und Dan Heath erzählen, finde ich passend ausgeführt und hilfreich. In der Essenz bleibe ich dabei: die gab es schon bei Kahneman. Die Anleitung zur Umsetzung jedoch, die findet sich hier deutlich anschaulicher.
Obwohl dieses Buch ebenfalls das Wort „Moment“ im Titel trägt so wie auch Malcolm Gladwell ‒ Blink! Die Macht des Moments, ist bei Gladwell der „Moment“ ein kurzer Augenblick der Entscheidung, während bei den Heath Bros der „Moment“ ein Ereignis darstellt.
Besondere Momente sind mir insofern nahe, als dass ich genau deshalb fotografiere: Um Momente festzuhalten. Was hast du außer der Erinnerung an einen besonderen Moment? Es sind Fotografien, die eben mehr oder weniger stark den Moment tatsächlich abbilden. Dafür fotografiere ich. Weil am Ende der Moment und die fotografische Erinnerung daran bleibt.
Schreibstil
Bücher der Heath Bros lassen sich auch im Original sehr gut und flüssig lesen. Der amerikanische Stil mit vielen Geschichten macht ein Buch nicht unbedingt knapp, aber eben angenehm zu lesen.
Ganz hervorragend finde ich auch hier, dass die Autoren nicht nur Literaturangaben mitliefern, sondern im Anhang auch detailliert Auskunft geben, welche Anekdote woher kommt, egal ob durch Literaturrecherche oder eigenes Interview.
Für The Power of Moments: Why Certain Experiences Have Extraordinary Impact gebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung. Das Hörbuch zu The Power of Moments ist ebenfalls angenehm zu hören.
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Photos: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike
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