Ein Plädoyer und Sieben Wege zur mehr Transparenz
Konflikte entstehen früher oder später in allen meinen beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten, und ebenso im privaten. Ebenso klappt in all diesen Kontexten mal was nicht, oder es läuft nicht. Da fahren Projekte gegen die Wand, weil Menschen mehr nebeneinander her (im günstigsten Fall) oder gar gegeneinander (im ungünstigen Fall) arbeiten als miteinander.
Da werden Aktionismus und Diskussionen kombiniert mit vielen, vielen E-Mails, Telefonanrufen und Besprechungen. Da werden Berichte angefertigt und gezielt per E-Mail verteilt oder auch nicht.
Menschen werden frustriert, reagieren frustriert und merken schon, dass es irgendwie keinen rechten Spaß macht, weil der Sinn nicht (mehr) sichtbar ist.
In den meisten derlei Situationen sehe ich einen wesentlichen Mangel an Transparenz.
Transparenz, so lernte ich von meinem Lateiner-Sohn, kommt von lateinisch „transparens“ = „durchscheinend oder Durchsichtigkeit“, und das wiederum ist zusammengesetzt aus lateinisch „pārēre“ = „erscheinen, sichtbar sein, sich zeigen“ und dem Affix „trans-“ = „hinüber, hindurch, über … hin(aus), jenseits“ – verwandt mit dem Präfix „durch-“. (Duden)
In diesem Beitrag teile ich meine Erfahrungen mit verschiedenen Problemstellungen und funktionierenden Lösungen.
Die Sieben Unklarheiten in Projekten, Aufgaben und Organisationen sind oft diese hier:
Inhalt
Sehen wir uns alle mal der Reihe nach an, mit Symptomen, Ursachen und möglichen Lösungen.
Am Ende lesen Sie noch einen Vorschlag für Prinzipien für mehr Transparenz.
Unklare Absichten
Symptom: Spät im Projekt erkennt man, dass verschiedene Akteure ganz woanders hin wollen. Meist daran, dass die Handlungen so weit auseinandergehen, dass es zum Konflikt kommt.
Ursache: Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Absichten. Sie wollen ganz persönlich irgendwohin. Die wenigsten Menschen sind sich bewusst, wohin sie wollen. Wahrscheinlich auch man selbst. Mir selbst ging das immer wieder so, und auch heute noch ist das Wissen um meine eigenen Absichten kein Selbstläufer.
Lösung: Auch wenn im Idealfall die eigenen Absichten mit anderen geteilt werden können, ist das noch keine Voraussetzung für ein erfolgreiches Miteinander. Voraussetzung ist, für sich selbst Transparenz zu schaffen, was die eigenen Absichten sind. Dazu darf man sich selbst und andere einladen. Gedankenanstöße geben, Impulse setzen, nachfragen in welcher Klarheit denn die eigenen Absichten bekannt sind. Keine Unterstellungen, keine Forderung nach Offenlegung.
Die Frau™ sagt dazu: Man muss zuallererst zu sich selbst ehrlich sein. Ohne Ehrlichkeit zu sich selbst geht gar nichts gut.
Ehrlichkeit und Transparenz sind zwei synonyme Begriffe, wenn es um die eigenen Absichten geht. Transparenz bedeutet damit nicht in jedem Kontext, dass jeder alles sehen können muss.
Unklare Ziele
Symptom: Im Verlauf des Projekts verzetteln Sie sich an Nebenschauplätzen, oder eine bestimmte Richtung wird auf Biegen und Brechen durchgedrückt.
Ursache: Menschen haben nicht nur Absichten, sondern auch Ziele. Teils eigene Ziele, teils durch eine Struktur oder Hierarchie vorgegebene Ziele. Ziele sind in Organisationen oft (noch) inzentiviert, also durch ein Anreizsystem gestützt. Verständlicherweise versucht jeder, auf die eigenen Ziele hin zu optimieren.
Lösung: Ziele transparent machen. Ein Ziel, das ich nicht transparent machen kann, hat ein Problem. Entweder kann oder möchte ich das Ziel moralisch nicht vertreten, oder es läuft dem eigentlichen Projektzweck zuwider.
Die Lösung klappt nicht immer. Denn wenn eben moralische Blockaden bestehen – das kann bei sehr ungleicher variabler Bezahlung beispielsweise eine gefühlte Ungerechtigkeit sein – dann möchten Menschen ihre Ziele nicht transparent machen.
Oft ist hier tatsächlich eine Lösung, die klappt. In meiner Zeit in einer Organisation, in der mit persönlichen Zielen und Boni gemanagt wurde, habe ich meine gegebenen persönlichen Ziele dem Team immer präsent gemacht. Auf diese Weise war klar, warum ich wie handelte, und diese Transparenz brachte Vorhersehbarkeit und mitdenkende Leute.
Deshalb ist es beispielsweise in einer Vertriebsorganisation wichtig, dass die Umsatzmetriken und Planerreichung für jedes Vertriebsgebiet transparent sind. Dann kann ich nämlich sofort sehen, wieso ein Vertriebskollege so dünnhäutig reagiert, und kann emphatisch darauf eingehen.
Unklare Annahmen
Symptom: Sie waren so sicher, dass das der richtige Weg ist, denn alle Schlüsse sind vollkommen logisch gezogen worden, alle Entscheidungen haben mehrere Menschen auf Basis der vorliegenden Entscheidungsgrundlagen ziemlich gleich getroffen. Doch dann kommt alles anders, und alle sind mehr als erschrocken. Die Entscheidungen sehen falsch aus, weil die Informationen jetzt so anders erscheinen.
Ursache: Sie treffen ständig Annahmen, unterscheiden diese aber oft nicht von den Fakten. Werden Fakten und Annahmen vermischt, so stehen Entscheidungen auf wackeligen Beinen. Ein Fakt ist eine objektiv zu diesem Zeitpunkt nachgeprüfte und nachprüfbare Aussage. Eine Annahme ist eine Meinung, wie etwas sich Ihnen darstellt. Annahmen haben Sie noch nicht geprüft, oder sie sind zum derzeitigen Moment nicht überprüfbar, weil sie sich beispielsweise auf zukünftige Ereignisse beziehen.
Lösung: Machen Sie sich und anderen klar, was ihre und deren Annahmen sind, und dass es Annahmen sind. Geben Sie Ihrem Bauchgefühl Raum und notieren auch grob die gefühlte Wahrscheinlichkeit. Notieren Sie, wie und wann diese Annahme geprüft werden kann. Und nicht zuletzt: Ist eine Annahme einfach zu bestätigen oder zu widerlegen, dann tun Sie es.
Klingt Annahme nicht seriös genug, oder in Ihrem Kontext sollten Sie nicht mit Annahmen hantieren, dann sagen Sie Hypothese oder Arbeitshypothese.
Hypothese hat als Begriff den ganz großen Vorteil, dass dieser wissenschaftliche Begriff schon enthält, dass man versucht, diese zu falsifizieren oder zu verifizieren.
Unklare Vorgehensweisen
Symptom: Bei wiederholten Ausführungen einer Tätigkeit kommen unerwartet sehr verschiedene Ergebnisse in sehr unterschiedlicher Qualität heraus.
Ursache: Sie selbst oder Kollegen führen diese Tätigkeit nicht immer gleichartig durch, weil der Ablauf gar nicht klar ist. Wenn Sie bei einem Kuchenteig die Zutaten in anderer Reihenfolge und anderem Mischverhältnis dazugeben, wird der Kuchen jedes Mal sehr unterschiedlich schmecken, bisweilen auch eher gar nicht.
Lösung: Schreiben Sie Vorgehensweisen auf. Je nach Leserkreis als möglichst universelle und doch ganz konkret anwendbare Prinzipien, oder tatsächlich als nummeriertes Kochrezept.
Aufschreiben, was man tut, ist ja heute bei aller Agilität unsexy. Meint man. Ist aber gar nicht so, denn wenn ich agil, also anpassbar, sein möchte, dann hilft es mir, wenn ich viele Prozesse eben einfach durchziehe, weil ich nachlesen kann, was nacheinander kommt.
Das trifft auch auf Vereins- oder Gremienarbeit zu. Weiß ich genau, wie das Protokoll erstellt und wann es wie geprüft und verschickt wird, dann kann das immer gleich qualitativ ablaufen.
Unklare Ergebnisse
Symptom: Ein Projekt wurde als abgeschlossen erklärt. Monate später fragen Sie sich, was damals eigentlich genau erarbeitet wurde, und finden nichts dazu, oder nur unvollständige Artefakte. Eine Präsentation, aber nicht die Zahlen und Daten dahinter. Einen Entwurf, aber weder das endgültige Resultat noch eine Information, ob und wo dieses zu finden sei. Oder aber Sie finden so viele Varianten von Ergebnissen, dass Sie gar nicht mehr durchblicken, was denn nun die verabschiedete Fassung ist.
Ursache: Viele Menschen freuen sich, wenn ein Projekt zu Ende geht, besonders dann, wenn es nicht erfreulich verlief, oder gar als Fehlschlag abgebrochen werden musste. Dabei bleibt die Ergebnisdokumentation oft auf der Strecke. Dies gilt sowohl für erfolgreiche als auch für erfolglose Projekte, wobei Projekte kleine Aufgabensammlungen wie eine Recherche, ein Präsentationsmaterial mit einschließt. Zu oft vergessen Menschen wie Sie und ich, das sauber abzulegen, was wir erarbeitet haben, oder es erscheint uns nicht wichtig genug.
Lösung: Zu Beginn eines Projektes oder einer Aufgabe legen Sie bereits fest, wo und in welcher Form die Ergebnisse abgelegt werden sollen. Und dann setzen Sie dies auch tatsächlich um, am besten indem Sie direkt im Ablageraum arbeiten oder automatisch vom Arbeitsraum in den Ablageraum exportieren. Selbiges gilt für Entscheidungen.
Wenn Sie entschieden haben, ein bestimmtes geplantes Ergebnis nicht zu erzeugen, dann gehört an den definierten Ablageort eine Referenz auf genau diese Entscheidung. Nur so kann Ihr Ich in der Zukunft nachvollziehen, was damals war oder eben nicht war.
Für Ergebnisablagen hat sich ein Prinzip bewährt: So öffentlich wie möglich, gerade so vertraulich wie nötig.
Denn sobald ein Ergebnis nicht an eine Gruppe, sondern durch ein IT-System an bestimmte Personen gebunden ist, wird es dann verloren gehen, wenn zu viele der angedachten Personen die Organisation verlassen haben.
Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Vereine. Ein Protokoll, das in Datenform nur beim Protokollanten liegt, ist wertlos. Eine Vorlage, deren Quelldatei nicht allgemein einsehbar ist, muss als verloren gelten.
Wenn Sie Ergebnisse erarbeiten oder von Mitarbeitern einfordern, dann legen Sie fest, wie sie das Ergebnis haben möchten. Und ein Tipp: Per E-Mail ist keine gültige Antwort.
Unklarer Zustand
Symptom: „Wo stehen wir eigentlich mit dem Projekt?“ – „Oh, da musst du den XY fragen/ Da baue ich dir bis nächste Woche ein PowerPoint.“ Beide Antworten kennen Sie bestimmt. Beides ist schlecht, denn beides bedeutet, dass der Zustand einer Aufgabe oder eines Projekts ausschließlich im Kopf von jemanden ist. Das ist gefährlich, denn auf diese Weise können Sie weder weitermachen, wenn diejenige gerade nicht verfügbar ist, noch das Ganze übernehmen, wenn diejenige wegen Krankheit oder Unfall oder Überlastung ausfällt.
Ursache: Es ist Ihnen oder dem anderen nicht wichtig genug, oder Sie wollen sich nicht zu sehr in die Karten sehen lassen. Das ist normal, in machen Organisationen leider sogar verständlich. Und dennoch ist es ein Hindernis und ein Risiko. Auch für Sie selbst. Auf der einen Seite macht man sich damit vermeintlich unentbehrlich, auf der anderen Seite ist man es dann auch, mitsamt allen Folgen wie Streß und Überlastung wegen dauernder Rückfragen.
Lösung: Den Status transparent zu machen kann viel Arbeit machen und damit Ablehnung wegen der extra Arbeit hervorrufen, oder es kann einfach und automatisch sein, und ebenso viel Ablehnung hervorrufen, weil man sich überwacht fühlt. Ein guter Status ist automatisch ermittelt und abstrahiert von einzelnen Personen. Arbeiten wir an einem Dokument oder einer Präsentation, dann bitte auf einem gemeinsamen Laufwerk oder in einer Versionsverwaltung, so dass jeder jederzeit sehen kann, wie es geht.
Dann muss auch niemand dauernd bei mir nachfragen, sondern kann sich selbst ein Bild machen. Arbeiten wir mit Tools, dann sollten Reports direkt aus diesen Tools heraus purzeln, und diese wiederum von so vielen Menschen wie möglich einsehbar sein (siehe eins weiter oben zu Ergebnissen).
Ein Status-Report, der mir keine Arbeit macht, kann von mir aus auch in Echtzeit oder jeden Tag entstehen.
Konkret am Beispiel Vereins-Gremien: Im Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit des Pastoralrats unserer Pfarreiengemeinschaft kann man live sehen, was wir tun, denn wir verfolgen konsequent einen Online-first-Ansatz. Jedes Ergebnis ist online, und die Vorbereitung für den Druck läuft auf einem gemeinsamen Laufwerk.
Unklare Befindlichkeiten
Symptom: Scheinbar verhalten sich Kollegen plötzlich erratisch, zickig. Sie liefern Ergebnisse nicht oder nicht wie vereinbart, oder machen ganz andere Dinge.
Ursache: Sie kennen die Befindlichkeiten anderer Menschen nicht. Was sie umtreibt, ob es ein privates Problem gibt. Möglicherweise hält sie ein persönlicher Notfall davon ab, bei der gemeinsamen Aufgabe oder Projekt zu bleiben. Bisweilen mögen manche individuell nicht mit bestimmten Menschen zusammenarbeiten, oder tun sich sehr schwer damit.
Lösung: Es darf immer über die Meta-Ebene gesprochen werden. Wer kann mit wem, wer tut sich mit wem schwer? Wie geht es jedem einzelnen? Ist man gerade durch irgendetwas zusätzlich belastet? Vertrauensvolle Kommunikation ist der Schlüssel. Warum nicht einen Kollegen fragen, ob ihn etwas bedrückt?
Grundsatz professionellen Arbeitens ist schon, dass wir uns nicht durch persönliches aus dem Konzept bringen lassen, doch bemerkbar ist das für Kollegen oft schon, wenn das eigentliche Arbeitsergebnis noch in gewohnter Qualität erschaffen wird. Da ist vielleicht jemand dünnhäutiger oder reizbarer als sonst.
Oft meinen wir, die Frage nach Befindlichkeit würde uns nicht zustehen, oder nur Zeit kosten. Fakt ist aber: nicht darüber zu sprechen kostet viel mehr Zeit, weil wir uns alle dann immer fragen, was los ist.
Grenzen der Transparenz
Nicht immer muss es volle Transparenz in allem gegenüber der ganzen Welt sein.
Ein Beispiel: im Pastoralrat bin ich starker Verfechter für Transparenz. So viel Ergebnisse wie möglich sollen frei zugänglich sein, und wenn wir in der Gemeinde etwas von mehr Bedeutung besprochen wird, bin ich immer dafür, so viele Hintergründe wie möglich zu liefern. Doch entschieden wir uns auch diesmal wieder, die Protokolle unserer öffentlichen Sitzungen nicht auf die Website zu stellen. Da es sich um ein reines Ergebnisprotokoll handelt, ist der Nutzwert für die Öffentlichkeit über die Pfarrgemeinde hinaus minimal, und gleichzeitig sehen wir keinen Grund, das alles ins kollektive Datengedächtnis der Menschheit zu geben.
Transparenz kann auch auf die Organisation limitiert sein, auf dessen Kunden/Nutzer, oder sogar auf Beteiligte an einem Projekt.
Sieben Prinzipien für mehr Transparenz
Um mehr Transparenz zu erlangen, haben sich in meinem beruflichen, ehrenamtlichen und privaten Kontext folgende Prinzipien bewährt:
- Mit dem Warum starten. Ganz wie im Buch Start with why beschrieben. Dieses Warum ist aufzuschreiben.
- Jeder Projektbeteiligte sollte auf alle Informationen des Projekts Zugriff haben, ohne jemanden fragen zu müssen.
- Alle Daten sind so abzulegen, dass niemand eine Datei per E-Mail versenden muss. Eine allgemein zugängliche Ablage ist unbedingt notwendig. Denn alles, was nur als E-Mail existiert, ist nicht transparent.
- Ergebnis- und Zustands-Reporting erfolgt ohne extra manuellen Aufwand, sondern purzelt aus Systemen heraus. Automatismen sind zu bevorzugen, Reporting-Anforderungen zu hinterfragen.
- Projektbeteiligte sprechen offen über die von ihnen wahrgenommenen Erwartungen und ihre eigenen Ziele in dem Projekt.
- Es ist immer der maximal vertretbare Grad an Transparenz zu wählen, sowohl bezüglich Inhalt als auch Zugriffsberechtigte.
- Die Frage ist nicht „Wieso sollte Personenkreis X Zugriff haben?“, sondern „Müssen wir den Zugriff eines Personenkreises überhaupt beschränken?“
Generell gilt:
Je mehr Transparenz besteht, desto weniger Nährboden haben Gerüchte.
Transparenz heisst auch, dass ich die Menschen mit Respekt behandle und ihnen zutraue, mit Information umgehen zu können. So sollten in einem Unternehmen alle Mitarbeiter wissen, wie es um die Auftrags- und Finanzlage steht. Denn dann können sie verstehen, was an Rahmenbedingungen verändert werden muss, und ihren Beitrag leisten. Auch in Sachen Kalender: Meinen Kalender kann in der Firma jeder einsehen. Transparenz bedeutet, dass ich niemandem sagen muss, was ich mache und wo ich bin – das kann jeder selbst sehen.
Transparenz muss man aushalten. Denn bisweilen kommen Fragen auf, oder es ist etwas eben nicht einfach so verständlich. Das ist okay, die Vorteile wiegen die Nachteile aus meiner Sicht mehr als auf.
Wo tun Sie etwas für mehr Transparenz?
Photo: www.joachimschlosser.de, License Creative Commons Attribution Share-Alike
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