Quoi?
Ich bin gerade nicht in der Arbeit.
Gut, das bin ich beim Schreiben dieses Blogs nie, doch dieser Tage bin ich gar nicht in der Arbeit, sondern in Elternzeit, so wie statistisch gesehen jeder dritte bayerische Vater irgendwann im Laufe des ersten Lebensjahres seines Kindes. Ist an sich nichts besonderes und heißt Elternzeit.
Verpassen
Könnte es nicht sein, dass ich in der Firma etwas verpasse in der Elternzeit? Doch, das könnte sein. Die Möglichkeit besteht immer, die Möglichkeit besteht auch, wenn man nur zwei oder drei Wochen im Urlaub ist. Es könnte sein, dass ein von mir angestoßenes Projekt stirbt. Es könnte sein, dass sich eine Chance ergibt auf einen interessanten Kontakt, die ich nicht ergreifen kann. Es könnte auch sein, dass einer der Mitarbeiter in meinem Team eine Karriereentscheidung trifft und ich nicht da bin.
All das kann passieren.
Manches davon wird wieder kommen, manches nicht.
Hat die Firma dadurch einen Nachteil? Kaum, dafür ist der Zeitraum von einem Monat zu kurz. Kann ich dadurch einen Nachteil haben, wenn mir jemand ankreidet, dass ich nicht da war? Auch kaum, auch dafür ist der Zeitraum zu kurz. Und wenn doch, dann ist das ein Invest in die Familie.
Es gibt durchaus starke Vorteile dieser Elternzeit, die ganz direkt meine Rolle als Führungskraft bei MathWorks ausmachen: Das Team wächst daran, und wir haben in der Vorbereitung unsere kleinen Strukturen verbessert.
Vorgesetzte
Wie oft brauchen Sie Ihre Vorgesetzte? Welche Fragen haben Sie an sie, und welche Entscheidungen soll sie bitte treffen? Oder andersherum gefragt: Wie selbständig sind Sie? Was trauen Sie sich? Und wenn Sie selbst in der Führungsrolle sind, was tun Sie üblicherweise: managen Sie oder führen Sie?
Vieles, was wir unseren Vorgesetzten an Entscheidungen vorlegen sind Dinge, die in unserem eigenen Einflussbereich (Siehe Buchbesprechung Stephen Covey) sind. Wir legen sie dem Vorgesetzten vor, weil wir uns nicht trauen, sie selbst zu entscheiden.
Die meisten Führungskräfte werden von Ihnen nicht nur die Entscheidungsoptionen vorgelegt bekommen wollen, sondern auch Ihre Empfehlung, wie zu entscheiden ist. Dann vielleicht noch ein paar Fragen stellen und in der Regel Ihrem Vorschlag folgen. Und wenn es schief geht, dann hat es ja der Vorgesetzte so gewollt und Sie sind fein raus. Speziell wenn es um Schriftstücke geht wie etwa Anträge, Vorträge, Artikel, Arbeitsmaterialien, ist gern der Vorgesetzte zum Abnicken gefragt.
Verantwortung
Doch Professionals (siehe Buchbesprechung Gunter Dueck) arbeiten anders, eher wie Wissenschaftler oder Unternehmer. Der Unternehmer stellt sich hin und sagt: ich schreibe das so und nehme es auf meine Kappe. Der Wissenschaftler führt ein sogenanntes »Peer Review« durch, fragt also einen oder mehrere Kollegen um Rückmeldung.
Bei uns bei MathWorks ist eher das Modell »Peer Review« gefragt, und ich baue schon seit langem darauf. Meine Mitarbeiter sind alle in ihren jeweiligen Fachgebieten wesentlich besser, als ich es jemals sein kann. Ich kann Fragen stellen und so sehen, ob das jeweilige Schriftstück oder die Entscheidungsgrundlage sauber, konsistent und nachhaltig sind, doch meine Aufgabe sehe ich, diese Art des Fragens zu vermitteln. Auf diese Weise können die Mitarbeiter sich gegenseitig helfen.
Vertrauen
Nachdem wir das nun einige Monate praktiziert haben ‒ mit diesem Team arbeite ich seit letzten November zusammen ‒ ist der Zeitpunkt jetzt ideal, es einmal einen Monat wirklich zu testen. Wir haben einige konkrete Programme am laufen, so dass die Ziele jeweils hinreichend klar umrissen sind. Mit meinem eigenen Vorgesetzten habe ich das Projekt »Abwesenheit« seit Monaten vorbereitet und für jeden Bereich Zuständigkeiten festgelegt.
Natürlich bleiben einige administrative Tätigkeiten übrig, die halt laut System jemand vom Rang »Manager« machen muss, doch das sind wenige, die schnell erledigt sind. Für die eigentliche Arbeit haben wir im Team leichtgewichtige Regeln aufgestellt, so dass mein Vorgesetzter möglichst wenig behelligt wird. Schließlich soll ja nicht eine deutsche Elternzeit für meinen amerikanischen Manager eine Strafe sein. Und sollte tatsächlich ein unerwartet schwerer Fall eintreten, dann habe ich ja immer noch ein Telefon und eine private eMail.
So habe ich in meine Damen und Herren so viel Vertrauen, dass sie sich mal einen Monat selbst managen können, und eventuelle Konflikte selbst lösen werden. Sie werden sich gegenseitig um Rat fragen, und sie werden in ihrer jeweiligen Niederlassung andere Führungskräfte um Rat fragen und schon dadurch ihre Netze stärker knüpfen.
Wenn Mitte September die Elternzeit vorbei ist, werde ich sehen, wo ich noch coachen darf. Ich werde sehen, wer mit dem Selbstmanagement gut und wer weniger gut zurecht kam. Ich werde sehen, wer anderen zusätzlich noch eine Leitfigur sein konnte. Und das Team wird Gewohnheiten angenommen haben, vieles in sich selbst zu regeln, was mir wiederum Gelegenheit gibt, das zu tun, für was ich bezahlt werde: nicht für Mikromanagement, sondern fürs Führen und Aufbauen von Strukturen.
Ich bin nicht unabkömmlich. Jeder Manager, der meint er sei unabkömmlich, sollte es einmal versuchen, eine Weile nicht da zu sein. Schon die Vorbereitung auf die eigene, zeitlich begrenzte Abwesenheit ist aus meiner Sicht ein guter Lernprozess für einen selbst und die untergeordnete Organisationseinheit. Sagt übrigens sinngemäß auch meine Ehefrau an mich gerichtet, bevor sie sich in ihre Tagesfreizeit verabschiedet.
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