„Sharing your path to better is called marketing, and you can do it.“ Mit diesem Satz beschließt Seth Godin die Einleitung seines neuesten Buches, This is Marketing: You Can’t Be Seen Until You Learn to See.
Für mich ein wundervolles Buch, weil Seth den Geist von „gutem“ Marketing aufdröselt, weil er die Haltung dahinter erläutert und was sich die letzten Jahrzehnte geändert hat und was nicht, und wie wir die Haltung dann tatsächlich in Handlung umsetzen können.
Marketing ist eben nicht das Verbreiten von Botschaften.
So schreibt Seth Godin, Marketing, das auf Unterbrechung, Spamming und der Annahme man sei Willkommen basiere, funktioniere immer weniger. Marketing, das mittelmäßige Produkte promote und die Menschen anfleht, diese zu kaufen, sei zu unterlassen.
Der Weg zum Besseren
Marketing umfasst auch die Produktentwicklung selbst. Zu Beginn seines Buches listet Godin fünf Schritte des Marketing auf (frei übersetzt):
- Erfinde etwas, das es Wert ist, hergestellt zu werden.
- Designe und baue es so, dass es einigen Menschen besonderen Nutzen bringt und sie es wichtig nehmen.
- Erzähle eine Geschichte, die auf den kleinstmöglichen Markt passt.
- Sag es weiter.
- Erscheine regelmäßig, konsistent und freigiebig jahrein, jahraus, um den Wandel voranzutreiben.
Laut Godin wird vor allem der letzte Schritt gerne vergessen.
Die Leute wollen nicht unbedingt das, was wir herstellen. Sie wollen das Gefühl, das es ihnen bringt, zum Beispiel Sicherheit, besseren Status usw.
Der kleinste funktionierende Markt
Ein Kapitel dreht sich um die essentiellen Fragen des Produkts:
- Welchen Wandel versuchst du zu erzeugen?
- Welches Versprechen gibst du?
- Wen begehrst du zu ändern?
Vor allem die letzte Frage ist wichtig, weil kein Produkt für alle ist. Wichtiger noch, die meisten Produkte sind für wenige Menschen relevant, und es ist vergebene Liebesmüh, ein Produkt für alle erschaffen zu wollen.
Dabei ist es gut möglich, dass das Produkt von jemand anderem gekauft wird, als es benutzt wird.
[…] dog food is for dog owners.
Seth Godin
Im kleinstmöglichen Markt werden die besten Kunden zu den besten Vertriebsleuten. Weil es ihnen entweder durch Netzwerkeffekte direkt etwas bringt, oder eben weil sie sich an der Lösung so sehr erfreuen, dass sie es weitererzählen.
Es lohnt, mit dem kleinstmöglichen Markt zu beginnen, weil…
Die Frage ist also nicht sofort nach der größtmöglichen Skalierung, sondern was es braucht, um überhaupt finanziell nachhaltig ein Produkt betreiben zu können.
Gute Geschichten
Ist das Produkt erst einmal gebaut, kommt es auf die Geschichte an, die wir damit erzählen möchten. Gute Geschichten weisen laut Seth Godin 10 Merkmale auf, von denen einige frei übersetzt hier aufgelistet sind. Gute Geschichten…
- …verbinden uns mit unserem Zweck und Vision für unsere Karriere und Geschäft.
- …erlauben uns, unsere Stärken zu feiern, weil wir uns erinnern, wie wir von dort nach hier kamen.
- …vertiefen unser Verständnis für unseren einmaligen Wert und was uns unterscheidet im Markt.
- …ermutigen uns dazu, Kunden zu antworten anstatt auf den Markt zu reagieren.
- …ziehen Kunden an, die Unternehmen unterstützen wollen, die ihre Werte widerspiegeln oder repräsentieren.
- …ziehen die Art gleichgesinnte Mitarbeiter an.
Marketing ist – nicht nur mit Geschichten, sondern in Gesamtheit – die Kunst, Menschen von einem emotionalen Zustand in einen anderen zu verändern.
Leute wie wir tun Dinge wie dies
„People like us do things like this.“ Das ist laut Seth einer der wirkmächtigsten Sätze im Marketing. Was ist die Gruppe von Menschen, die eine wie auch immer geartete Zusammengehörigkeit aufweist, und wie ist diese beschaffen. Wenn das Produkt darauf passt, kann Marketing deutlich wirksamer werden.
Das bedeutet nicht, dass nur Produkte funktionieren, die alles so lassen, wie es schon immer war. Eben genau nicht. Es sollte schon eine gewisse Anspannung erzeugen, ein Muster unterbrechen. Denn Marketing, das tatsächlich Veränderung erzeugen will, muss Spannung erzeugen, und dann eine Bewegung, die die Spannung auflöst.
Das „People like us do things like this“ hat noch eine weitere Komponente: Status.
Egal wer, egal wo, egal wann: Es geht immer um Status. Status entweder als Frage der Dominanz oder als Frage der Zugehörigkeit. Das führt wiederum zurück zur Frage, für wen unser Produkt gedacht ist, und dann zur Frage, wie es zum Status desjenigen beiträgt.
Status ist relativ, träge, erlernt, betrachtet. Status gibt es als externen Status, also wie jemand von einer bestimmten Gruppe gesehen wird, und als internen Status, also wie sich jemand selbst sieht.
Unterschiedliche Kombinationen von beiden machen unterschiedliche Gründe aus, aus denen jemand etwas erwirbt oder nicht.
Semiotik, Symbole, Dialekte
In einer Welt voller Informationen ist die Frage meist nicht, was etwas genau beinhaltet, sondern: „An was erinnert mich das?“
Und dieses Erinnern trifft auf alle optischen Erscheinungen von Websites, Druckwerk zu, aber eben auch auf Events, auf Telefonate, auf Gespräche mit Firmenvertretern, auf erlebte Prozessschritte um irgendetwas zu bekommen, auf alles.
Das bedeutet, schreibt Seth Godin, dass Marketing eben nicht nur die Worte und das Aussehen umfasst, sondern jedes noch so kleine Stück Interaktion, in dem ein (potentieller) Kunde mit uns zu tun hat. Von E-Mail-Adressen über Inhalte, Telefon-Warteschleifen, Verpackung, und natürlich das Produkt selbst, und wie genau ein Kunde mit dem Produkt interagiert, wie sich das Produkt benutzt, anfühlt, ja sogar wie es bricht,
Verschiedene Menschen verschieden behandeln
Kunden sind verschieden. Manche kaufen nur einmal, andere ständig und viel. Manche wollen immer das Neueste, manche warten lieber, bis andere etwas benutzen.
Aus diesen Erkenntnissen nährt sich das Konzept der Chasm, also der Kluft zwischen Early Adopter und der breiten Masse, und auch der Gartner Hype Cycle.
Was allen Menschen gemein ist: Wir erinnern uns an das, das wir oft gesehen und gehört haben. Die Geschichten, die wir erzählen, müssen wir als oft und lange erzählen, bis sie hängen bleiben.
Permission Marketing und Vertrauen
Permission Marketing ist eines von Seth Godins Lieblingsthemen. Es ist die eindeutig von einem Menschen erteilte Erlaubnis, in einer bestimmten Frequenz nützliche Nachrichten geschickt zu bekommen. Die Erlaubnis bezieht sich oft auf Newsletter-Anmeldungen, das ist die einfachste Form.
Die gar nicht so selbstverständliche Selbstverständlichkeit ist, diese Erlaubnis nicht eigenmächtig umzuinterpretieren. Also nicht häufiger kontaktieren, nicht den Kontakt weitergeben, und nicht völlig andere Dinge senden, die so nicht ausgemacht waren.
Die Erlaubnis ermöglicht aber etwas anderes: Großzügigkeit, den Menschen etwas wirklich nützliches zukommen zu lassen. Nicht nur als Information im Newsletter, sondern auch auf Messen, Kongressen, so dass der oben erwähnte Wiederholungseffekt einsetzt und man erkennt: Die meinen das ernst, die kommen wieder und wieder mit ihrer Geschichte und die ist gut für mich.
Die Konsistenz und Großzügigkeit baut Vertrauen auf.
Funnel – der Trichter
Der Trichter (engl. Funnel) ist ein Bild für den Weg vom Erlangen der Aufmerksamkeit des Markets bis zum loyalen Kunden.
Der Funnel kann web-basiert sein oder offline, oder hybrid. Doch nur wenn ich den Funnel und seine Schritte kenne, kann ich entscheiden, wie viel Aufwand und Verbesserung an welchen Stellen angemessen sind.
Seth Godin listet sechs Möglichkeiten auf, den Funnel zu reparieren:
- Stelle sicher, dass die richtigen Leute angezogen werden.
- Stelle sicher, dass das Versprechen, das sie herbrachte zu dem passt, wo du hoffst dass sie hingehen.
- Entferne Schritte, so dass weniger Entscheidungen nötig sind.
- Unterstütze diejenigen, mit denen du dich engagierst, verstärke ihre Träume und lindere ihre Ängste.
- Nutze Spannung, um eine Vorwärtsbewegung zu erzeugen.
- Gib denen, die erfolgreich durch den Funnel gelaufen sind, ein Megafon, etwas, mit dem sie andere davon wissen lassen können. Leute wie wir tun Dinge wie dies.
Bevor ich also Geld aufwende, dafür zu sorgen, dass oben Leute am Trichter ankommen, muss ich sehen, ob und dass der Trichter so funktioniert, dass es sich am Ende auch für mich lohnt, denn sonst kann das Ganze nicht nachhaltig funktionieren. Und das hilft niemandem, weder mir noch den potentiellen Kunden.
Ein echter Seth Godin
Seth Godin geht es stets mehr um die Prinzipien des Handelns, viel mehr als um die einzelnen Taktiken. Klar, die sind auch wichtig, und er erläutert Vorgehensweisen und Werkzeuge, um die Prinzipien umzusetzen, aber das Warum ist ihm wichtig.
Das lässt ihn bisweilen predigen, was ich persönlich mag. Wer Seth Godin mag, wird auch dieses Buch mögen. Wer Seth Godin nicht mag, wird auch dieses Buch nicht mögen.
This is Marketing: You Can’t Be Seen Until You Learn to See ist kein Buch über Online-Marketing, es ist keine Erläuterung mit Kochrezepten. Das sollte bei dem Untertitel auch niemand ernsthaft annehmen. Es geht tatsächlich darum, das Thema Marketing endlich ganzheitlich sehen zu lernen.
Schreibstil und Kritik, Layout und Audio
Seth Godin schreibt immer anschaulich, immer konkret, immer eindeutig. Seine Beispiele in Form von Erzählungen sind hilfreich und so konkret, dass ich tatsächlich einen Eindruck bekomme, wie es vor sich ging. Natürlich verkürzt er Aspekte dabei, spitzt zu, denn er will ja auf etwas hinaus.
Das Layout ist sauber, unaufgeregt, mit einige Abbildungen, mit keinerlei Besonderheiten im Satz. Der Satzspiegel ist ordentlich.
Das Hörbuch zu This is Marketing ist wie immer ein Genuss, da der Autor Seth Godin selbst spricht. Das macht das Hörbuch zu einem Vortrag, und Seth Godin beim Vortrag zuzuhören, finde ich einfach wunderbar. Ich mag sein Englisch und seine Betonung.
Leseempfehlung
This is Marketing: You Can’t Be Seen Until You Learn to See von Seth Godin ist ganz klar eine Leseempfehlung, sowohl als Buch als auch als Hörbuch.
Photo: Joachim Schlosser, Buchcover: Seth Godin/Random House
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