Was wir heute als Politik, Krisen, Verhandlungen, Konflikte und Kriege sehen, liegt nicht nur an dem, wie die herrschenden Politiker handeln. Die Geographie, also die Gegebenheiten von Meeren, Flüssen, Gebirgen, Lage und Formen der Kontinente, haben einen größeren Einfluss auf Weltpolitik, als wir gemeinhin annehmen.
»Die Macht der Geographie – Wie sich die Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt« von Tim Marshall hat mich über viele Stunden gefesselt. Selten zuvor hatte ich so viele Aha-Momente in einem einzigen Buch.
Lesen, wie 10 Karten die Weltpolitik erklären können
»Die Macht der Geographie« ist ein gewaltiges Buch, obwohl es »nur« 300 Seiten aufweist. Die zehn Karten, anhand derer sich die Weltpolitik erklären lässt, befassen sich mit den folgenden zehn Ländern beziehungsweise Regionen:
- Russland ist ein riesiges Land, das aufgrund seiner Lage jedoch keinen einzigen ganzjährig eisfreien Tiefwasserhafen besitzt. So gehen viele Bestrebungen dahin, sich einen solchen eisfreien Hafen zu verschaffen. Ausserdem lässt das Karpatengebirge zwar in Polen nur einen fünfhundert Kilometer breiten Korridor auf, dieser verbreitert sich bis zur Landesgrenze auf über 3000 Kilometer.Und so kann Russland einfach nicht begeistert sein, wenn fremde Mächte wie die Nato bis an diese breite Grenze heranrückt. An der nördlichen, südlichen und östlichen Grenze wird Russland durch Kältezonen und Wüsten geschützt.
- China ist ebenfalls riesengroß, muss jedoch durch seine Geologie relativ viele Rohstoffe importieren. Ein möglichst freier Zugang zu diesen bedingt freie Schifffahrt, was durch die umliegenden Länder und besonders Inseln vor den Küsten, die nur enge Durchfahrten auf lassen, tendenziell problematisch sein kann. Vor allem gilt dies, wenn diese umliegenden Länder immer wieder zur USA enge Verbindungen eingehen.
- USA hat im Geographie-Lotto vielfach gewonnen. Mit freiem Zugang zu zwei Weltmeeren und lediglich zwei Landesgrenzen zu befreundeten Ländern ist auf dem eigenen Kontinent wenig direkte Gefahr. Viele schiffbare Flüsse im mittleren Westen machten den Binnenhandel sehr lukrativ.Um die Bedrohungen vom Festland fernzuhalten, engagieren sich die USA an den Handelsrouten zu Wasser in aller Welt und dort, wo Rohstoffe benötigt werden. Mit zunehmendem Erfolg eigener Öl- und Gasquellen werden viele Engagements in Übersee zurück gefahren werden.
- Westeuropa hat sehr viele schiffbare Flüsse, durch viele Gebirge und besonders große Flüsse. Die Gebirge sorgten dafür, dass sich über lange Zeit verschiedene Bereiche in Westeuropa ziemlich getrennt voneinander entwickelten, und damit viele Zivilisationen. Weil die Flüsse nicht alle zusammenfließen, sondern in unterschiedliche Meere münden, entwickelten sich viele verschiedene Länder. Der Golfstrom bestimmt das Klima und sorgt für die richtige Menge Regen für Ackerbau im großen Stil, auch im Sommer. Die dadurch hohe Bevölkerungsdichte und Interessensdichte führten zu vielen Kriegen um Landgewinne.Dort, wo die Meeresküsten steil, die Flüsse kurz sind wie in Spanien oder Süditalien, und ganz besonders in Griechenland, wurde die wirtschaftliche Entwicklung gehemmt. Mit derart unterschiedlichen geographischen Voraussetzungen ist klar, dass sich Wirtschaften sehr unterschiedlich entwickeln und eine einheitliche Wirtschaftszone mit fester Währung nicht wirklich funktionieren kann, schreibt Tim Marshall.
- Afrika bietet geographisch eben genau keinen der Vorteile, die die USA aufweisen. Hier sind die Flüsse zwar groß, aber miteinander unverbunden und mit vielen Wasserfälle und somit oft ungeeignet für Schifffahrt. Die Verbindung zur Eurasischen Landmasse ist dünn, und so war auch der Austausch lange Zeit sehr begrenzt. Afrika ist riesengroß – mehr als drei mal so groß wie die USA –, mit beinahe unpassierbaren Wüsten, Gebirgen, so dass sich unzählige Zivilisationen komplett isoliert voneinander entwickelt haben, die sich natürlich auch nur selten gegenseitig befruchten konnten.Schlechte geographische Vorbedingungen wurden potenziert durch die Kolonialmächte, die ohne Rücksicht auf Stammesgrenzen einfach mit dem Lineal Ländergrenzen zogen und damit viele Konfliktherde verursachten, die bis heute wirken.
In weiten Teilen Afrikas investiert mittlerweile China, um die Nachfrage nach Rohstoffen und Nahrungsmitteln im Reich der Mitte bedienen zu können. Dabei geht China nachhaltiger vor als seinerzeit die Kolonialmächte, und mischt sich im Gegensatz zu den Europäern nicht in die lokale Politik ein.
- Der Nahe Osten ist vom Namen her ein Konstrukt der Europäer, die durch willkürliche Grenzziehung zu vielen Problemen von heute stark beigetragen haben. Staaten wie Syrien oder Irak sind eine künstliche Außenlinie für ganz verschiedene Völker, die dadurch teilweise getrennt wurden.Die Geographie der Gebirge und Zugang zu Meeren erklärt, warum Palästina nicht funktioniert, warum Israel so handelt, wie es handelt, warum Syrien immer schon im Libanon intervenierte, warum Irak im Irankrieg scheiterte, warum Saudi-Arabien und Iran nicht gut miteinander können, und wie die Türkei in der ganzen Sache drin hängt.Die Probleme in Nahost werden sich laut Tim Marshall eher nicht in bestehenden Nationalstaaten lösen lassen.
- Indien und Pakistan bilden einen großen Subkontinent, der im Norden mit dem Himalayagebirge eine natürliche Grenze zu China hat. Diese ist praktisch nicht wirtschaftlich und militärisch zu überwinden, weswegen China und Indien sich eher in Ruhe lassen. Der Hindukusch im Nordwesten Pakistans an der Grenze zu Afghanistan ist die weitere natürliche Grenze, und deshalb gab es lange Zeit gar kein Pakistan. Alle Probleme der Region rühren daher.
- Korea und Japan sind an der engsten Stelle nur durch 250 Kilometer Meer getrennt. Japan ist durch die bergige Insellage geschützt, hat aber durch eben diese Berge nur wenig bewohnbares Land und natürliche Ressourcen, so dass es immer Kriege begann. Korea bildet durch die unglückliche Teilung eine Pufferzone für China, im Norden mit Gebirge, und eine schlecht gezogene willkürliche Grenze zu Südkorea macht das unlösbare Puzzle perfekt.
- Lateinamerika ist durch die Anden vertikal zweigeteilt, durch weitgehend willkürliche Grenzziehungen in Länder aufgeteilt. Die Meeresküsten sind zumeist steil und machten den Außenhandel schwierig. Im Inneren war durch Dschungel und Gebirge der Handel schwierig zu meistern.
- Die Arktis taut, und das macht sie für alle Anrainerstaaten so interessant. Tim Marshall zeigt Schifffahrtswege auf, und erläutert die Jagd nach Rohstoffen. Hier prallen Wirtschaftsinteressen und Sicherheitspolitik aufeinander.
Politik im Rahmen der Geographie
Die Macht der Geographie: Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt
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Wie die Politik der Länder agiert, hängt – bewusst oder unbewusst – laut Tim Marshall – immer auch davon ab, was die Geographie erlaubt oder nahe legt.
Das ist noch lange kein Determinismus, dass bestimmte Entscheidungen nur so oder so getroffen werden können, erklärt jedoch Tendenzen.
Ich konnte Tim Marshalls »Die Macht der Geographie« fast nicht mehr aus der Hand legen. Für jede Region erläutert er die Geographie und die Auswirkung auf die einzelnen Länder, und wie sich die verschiedenen Völker daran aufreiben.
So ist sein Buch auch ein großes Werk für die Völkerverständigung, weil es eben klar macht, warum viele Dinge in der Makro-Geschichte so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind.
Schreibstil und Layout
Tim Marshall (@itwitius auf Twitter) schreibt sehr anschaulich, aber auch sehr dicht. Ein Buch, das einen fesselt, aber keines, das man eben mal kurz durchzieht. Die deutsche Übersetzung ist gut gelungen und liest sich ebenfalls flüssig.
Die verwendeten Karten im Zweifarbdruck sind gut gemacht, und heben natürlich besonders Gebirge und Meeresbezeichnungen hervor. In manchen Kapiteln verwendet Marshall noch einige Zusatzkarten, die einzelne Aspekte betonen. Der Satzspiegel ist gut lesbar.
Leseempfehlung
»Die Macht der Geographie – Wie sich die Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt« von Tim Marshall erhält meine uneingeschränkte Leseempfehlung. Lesen Sie dieses Buch, es erklärt die Welt.
Haben Sie schon dieses oder ein anderes Buch über Geographie und Politik gelesen?
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Photo: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike
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