Das ist er, der Teil zwei der Dueck-Trilogie. Und obgleich viele der vorgestellten Thesen und Erkenntnisse bekannt oder natürlicher Menschenverstand sind, ist es ein erschütterndes Vergnügen, diese in so komprimierter und eindringlicher Fassung zu lesen. Supramanie, das von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen permanent geforderte Streben nach Höherwertigkeit, führt nach Dueck zum ständigen Gefühl der Minderwertigkeit und dem vollständigen Ausrichten des eigenen Tuns nach extrinsischer Motivation.
Supramanie. Vom Pflichtmenschen zum Score-Man
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Nachdem uns Gunter Dueck, Professor der Mathematik und Chefdenker bei IBM, in Omnisophie eine umfassende Betrachtung von Motivation und Eigenheiten von richtigen, wahren und natürlichen Menschen vorgelegt hat, baut er hier ein weiterführendes Gedankenkonstrukt darauf auf.
Dueck spickt sein Werk mit polemischen und vielen satirischen Einwürfen, und oft hatte ich den Eindruck, er schriebe sich auch eine Portion Frust von der Seele. Es sei ihm vergönnt, zumal Dueck ja innerhalb dieses Systems lebt und auch seine eigenen Schwierigkeiten damit thematisiert.
Maslow-Pyramiden sehen für richtige, wahre und natürliche Menschen verschieden aus
Die Maslowsche Bedürfnispyramide gehört ja mittlerweile zum Grundtenor der Managerausbildung. Da nach Duecks Buch »Omnisophie« verschiedene Menschentypen existieren, die sich wesentlich darin unterscheiden, was ihre Hauptmotivation ist, folgert er hier, dass es auch verschiedene Bedürfnispyramiden geben müsse. Was wolle denn ein natürlicher Mensch mit Sicherheit und vor allem Geborgenheit? Statt von unten nach oben Nahrung, Sex, Überleben – Sicherheit, Geborgenheit – Gemeinschaft – Achtung, Würde – Selbstverwirklichung als Stufen, wie Maslow seinerzeit fand, schlägt Dueck folgende vor:
- der richtige Mensch mit Leitmotiv Pflichteifer und Einsatz: Ausbildung, Arbeit, Lohn – Sicher, geborgen im »System« – Schützen, für alles sorgen – Achtung, Respekt, Dank – Vorbild, Würde
- der wahre Mensch mit Leitmotiv Passion, beseeltes Streben: Sinnvolle Arbeit, Auskommen – »Eine Idee als Partner« – Lehren, Lieben, Erschaffen – Ruhm, Einfluss, Verehrung – Weisheit, Identität, »Retter«
- der natürliche Mensch mit Leitmotiv Wille, Wetteifer, Begeisterung: Fordernder Job, Geld – Flow, Leben, Freude, Freiheit – Stärke, Können – »Meister«, Sieger – Metis, »Jedi«, Bewirker
Um überhaupt eine Chance zu haben, auf die jeweils vierte oder fünfte Stufe zu kommen, ist es nötig, die eigene Persönlichkeit durch die Arbeit auf den unteren Stufen entsprechend zu bilden. Das Problem entsteht nach Dueck nun dadurch, dass Menschen versuchen, sofort auf Stufe vier zu gelangen, und dabei durch den Umstand bestärkt werden, dass unser Gesellschaftssystem fast ausschließlich für messbare Leistungen, die auf Stufe vier stattfinden, Belohnungen vergibt.
Extrinsische Motivation (Anreizsystem) erstickt intrinsische Motivation
Extrinsische Motivation ist das, was Anreizsysteme bewirken. Führt man von außen hochfrequent Lob, Boni, Rankings, etc. zu, so dass das Streben einer Person immer mehr darauf abzielt, mehr von dieser extrinsischen Motivation zu erhalten, stellt diese Person die intrinsische Motivation immer weiter zurück. Intrinsische Motivation ist zum Beispiel wenn ich etwas wegen meiner selbst erlernen will, wenn ich einen Tätigkeit ausübe, weil mir die Tätigkeit an sich Spaß macht. Ein Hobby, bei dem es keine Wettkämpfe gibt ist ein Feld für intrinsische Motivation.
Immer, wenn ich das natürliche Lern- und Arbeitstempo eines Kindes oder Menschen, das aus den Fähigkeiten und der intrinsischen Motivation zusammengesetzt ist, durch starke Anreize (»Lauf, noch einen Schritt! Ja, noch einen Schritt. Fein! Guuut! Braves Baby«) beschleunige, laufe ich Gefahr, das die natürliche Freude an der Tätigkeit abnimmt und die Leistung nur noch aufgrund der Anreize abgegeben wird. Schreibt Dueck.
Was man Messen kann, kann man auch verpflichten
Nun haben wir Bedürfnispyramiden, die erst auf der vierten Stufe eine Messung zulassen, verbunden mit dem Nachteil, dass es immer nur einen Sieger, nur wenige mit Ruhm oder Verehrung geben kann, und wir haben extrinsische Motivation, um Leistung kurzfristig zu steigern. Daraus lassen sich nun wunderbare Anreizsysteme entwickeln, die den Menschen dazu erziehen, immer höherwertiger werden zu wollen. Sei es im Sport, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, überall wird gemessen und der Wert eines Menschen an diesen Metriken gemessen. Jedes System hat sein eigenes Haupttriebziel. Im Sport ist das vielleicht der Weltrekord oder die Weltmeisterschaft, in der Wissenschaft die Höhe eingeworbener Drittmittel und der Ruhm, der sich aus Publikationen und Anzahl Zitate bemisst, so Dueck, und in der Wirtschaft eben beispielsweise der Umsatz. Da die Systeme nebenbei nicht nur den nach oben offenen Grad der Erreichung des jeweiligen Haupttriebziels messen, sondern auch den Aufwand, den jemand für das Streben spendiert, ist jeder, der nicht genügend strebt, schon verdächtig. Da vieles jedoch nicht wirklich gut am Wert gemessen werden kann, besteht die Metrik im Messen von Fehlern. Ziel ist also, keine Fehler zu machen.
Das heißt insgesamt, dass Menschen anfangen, nach Höherwertigkeit zu streben, ohne dass ihre Persönlichkeit schon die Grundlagen dafür ausgeprägt hatte. Systeme werden deshalb hauptsächlich von richtigen Menschen erschaffen, auf Basis von Ideen wahrer Menschen und unter der Tatkraft von natürlichen.
Prüfung und Wettkampf sind immer, Training ist nicht mehr
Verdichten sich die Messpunkte, dann ist immer Prüfung und immer Wettkampf, schreibt Dueck. Das Training, in dem man Dinge ausprobieren und sich spielerisch verbessern kann, fällt weg. Deswegen kommt es dann auch zu vielen nur lokalen Optima, da für ein globales oder zumindest ein globaleres Optimum zunächst einmal das lokale Optimum verlassen werden und das Tal des Subobtimalen durchschritten werden muss.
Mein ganz eigenes Beispiel: Beim Tanzen muss ich auch mal längere Zeit ohne Armeinsatz trainieren, damit ich auch so den Kontakt zur Partnerin halten kann (in den Standardtänzen). Ein Turnier gewinnt man aber auf diese Weise nicht.
Seismographenausschläge als extrinsische Motivation
Bestraft ein System für Fehler (»Prozess nicht eingehalten«, »Soll nicht erfüllt«, »Nicht alles gegeben«), legt der Mensch zunehmend sein Augenmerk auf Vermeidung derselben. Die Sensibilisierung für Fehlerquellen nennt Dueck »Seismographen«. Suprasysteme machen also den Menschen laut Dueck zu unter Seismographenausschlägen zuckenden Getriebenen nach Höherwertigkeit. Da dies nur wenige Menschen erfolgreich schaffen, spuckt ein Suprasystem permanent wieder Menschen aus, die dessen Triebrichtung nicht exzellent befriedigen konnten.
Spannend und packend geschriebene Verdichtung von gefühlten Wahrheiten
Dueck ist ein Meister der Verdichtung. Mit seinen ausgedachten Reden von Managern, die satirisch überspitzt vieles aussprechen, was der eine oder andere von uns wohl auch schon irgendwann in seinem Leben mal gehört hat, trifft er den Nagel auf den Kopf. Auch seine Schlussfolgerungen sind oft verblüffend ob ihrer Deutlichkeit. Gunter Dueck nennt die Dinge beim Namen und bringt vieles in Zusammenhang, was uns für sich allein bestimmt schon aufgefallen ist, aber eben ohne Kontext.
Ich persönlich lese Dueck ja viel lieber als dass ich ihn sehe oder höre, was hauptsächlich Duecks Stimmlage geschuldet ist. Gottseidank ist Dueck ein Vielschreiber, so dass mir der Lesestoff nicht so bald ausgehen wird.
Ruft Dueck nun zum General-irgendwas-Protest auf? Kaum. In diesem zweiten Band seiner Trilogie ruft er explizit zu gar nichts auf, das spart er sich zum dritten Band auf. Ich rufe auch nicht zu Protest auf, sondern einfach zu mehr innerer Achtsamkeit. Was treibt mich an? Was bringt mich als Mensch weiter? Brauche ich bestimmte Formen externer Anerkennung?
Und Sie? Was motiviert Sie?
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