Veränderungen finden nicht kontinuierlich statt, und ihre Auswirkungen hängen nicht unbedingt von ihrer Intensität ab. Manchmal bewirken kleine Änderungen nur eines Parameters, dass sich die Gestalt und Dynamik des ganzen Systems verändert. Das ist im Prinzip die Kernaussage des Buches »Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können«, englisch »The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference« von Malcolm Gladwell.
Aus der Geschichte zieht er verschiedene Beispiele, von Begebenheiten rund um die US-amerikanische Unabhängigkeitszeit über Marketing von Endverbraucherprodukten bis hin zu Krankheitsausbreitung in städtischen Umgebungen.
Kleine Änderungen, große Wirkung ‒ Die Broken Window Theorie
The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference
8,34 € 10,20 €
(as of 20. Januar 2025 11:28 GMT +01:00 – More infoProduct prices and availability are accurate as of the date/time indicated and are subject to change. Any price and availability information displayed on [relevant Amazon Site(s), as applicable] at the time of purchase will apply to the purchase of this product.)
Als ein Beispiel aus der Verbrechensbekämpfung zieht »Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können« die großen Änderungen in der Verbrechensstatistik von New York in den 1990er Jahren heran, in denen die Anzahl von Gewaltverbrechen signifikant zurückging. Vor allem das U-Bahn-System, das in einigen Gegenden relativ gefährlich zu benutzen war, erfuhr eine große Verbesserung. Die grundsätzlichen Ursachen für den vormals hohen Grad an Kriminalität und den Rückgang verortet Gladwell in der Broken Window-Theorie. Diese besagt, dass der Mensch entsprechend seiner Umgebung agiert und reagiert. Wenn die Umgebung also wirkt, als kümmere sich keiner, dann kümmert sich der einzelne auch weniger.
Diesen Zusammenhang können Sie selbst sehen: Beobachten Sie eine Parkbank, oder einen städtischen Mülleimer, neben denen ein Stück Müll liegt. Wie lange dauert es, bis jemand ein weiteres Stück Müll »verliert«? Besehen Sie sich nun dieselbe Szene, wenn der Mülleimer geleert ist und nichts herumliegt. Es wird wahrscheinlich eine ganze Zeit lang so sauber bleiben.
Die Führung von New York hat nun vor bald zwanzig Jahren zwei Aspekte geändert, die auf den ersten Blick mit Gewaltverbrechen nichts zu tun haben und eher pedantisch denn hilfreich erscheinen: Zum einen wurden U-Bahn-Wagen, die von Jugendlichen in nächtlicher Arbeit mit Graffiti besprüht wurden, sofort gereinigt und aus dem Verkehr gezogen, bis dies geschehen war. In Folge fuhren ausschließlich saubere U-Bahn-Züge, die Sprayer konnten ihre Werke nicht mehr im täglichen Gebrauch sehen. Zum anderen wurde auch mit verstärktem Personaleinsatz strikt gegen Schwarzfahren vorgegangen. Es wurde riskanter, ohne Fahrschein zu fahren, vor allem für Personen, die vielleicht ohnehin gesucht wurden.
Das Signal, das durch diese zwei Aktivitäten ausgesandt wurde, war: Die Gemeinschaft toleriert keinen Betrug und keine Sachbeschädigung. Und sie wird auch kein sonstiges kriminelles Verhalten tolerieren. Die Maßnahmen wirkten, U-Bahn-Fahren ist heute sicher ‒ da muss ich auf den Autor und Kollegen vertrauten, denn »ich war noch niemals in New York…«
Die Regel der Wenigen
Einige weitere Beispiele in »Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können« stammen aus der Welt des Marketings. Laut Malcolm Gladwell braucht es für eine erfolgreiche Kampagne, die sich schließlich verselbständigt, drei Konzepte:
- Maven ‒ Experte: Der Experte erkennt einen Trend, eine Technologie, oder die Anwendbarkeit eines Produkts auf einen Markt, die vorher nicht bekannt war. Er kennt sich gut aus in Technologien, in dem Markt oder mit sonst einem Fachgebiet und den benachbarten Themenbereichen.
- Connector ‒ Verbinder: Solche Verbinder kennen wir alle. Sie kommen leicht mit anderen ins Gespräch, kennen Gott und die Welt. Verbinder bringen gerne andere Menschen zusammen. Deshalb sind Konnektoren von wesentlicher Bedeutung, weil sie Ideen und Wissen von einer zur anderen Gruppe weiter tragen.
- Salesman ‒ Vertriebler: Wenn die Zeit reif ist, ist der Vertriebsmensch da und trägt die Idee, das Produkt oder die Dienstleistung auf überzeugende Weise vor.
Diese drei Rollen treten oft als getrennte Personen in Erscheinung, nur in seltenen Fällen vereinigt ein Mensch alle drei Rollen und somit auch Persönlichkeiten in sich.
Botschaften, die haften bleiben – The Stickiness Factor
Am Beispiel der Kinder-Fernsehsendungen Sesamstraße (von der es auch eine deutsche Fassung gibt) und Blue’s Clues (die in Deutschland unter dem Namen Blau und schlau synchronisiert läuft) analysiert Malcolm Gladwell das, was er den Stickiness Factor nennt, also wie stark eine Botschaft beim Zuschauer haften bleibt.
Als ganz wesentlich kennzeichnet Gladwell die Frage, wie informativ und stringent eine Botschaft aufbereitet ist, wie sorgfältig die Worte gewählt sind und in welcher Reihenfolge Informationen präsentiert werden. Schließlich spielt noch eine wichtige Rolle, wie leicht die Information tatsächlich umgesetzt werden kann. Nicht zuletzt bringt Wiederholung des sorgfältig aufbereiteten Inhalts die Botschaft am ehesten über denn Punkt des Kippens (tipping point).
Die Regel der 150
Wenn es darum geht, Gruppen zu organisieren, die selbsttätig an einer Sache arbeiten und dabei effektiv und effizient kommunizieren, scheint 150 Personen die Obergrenze zu sein, unterhalb derer eine Selbstorganisation funktioniert. Diese Zahl kommt in vielen frühgeschichtlichen Stämmen als obere Schranke der Mitgliederzahl vor, als auch in manchen flach hierarchischen Firmen. Die Neurologie legt nahe, dass diese Zahl vom menschlichen Gehirn bedingt ist.
Welche Strukturen wir auch immer schaffen, wir sollten wohl darauf achten, dass in einer zusammenarbeitenden Gruppe nicht mehr als 150 Menschen sind. Bei dieser Größe können sich alle noch mit ihren Stärken und Schwächen kennen und im jeweiligen Beziehungsgeflecht ihren Platz finden. Für mehr Personen scheint das Gehirn die notwendige Kapazität nicht vorhalten zu können.
Tipping Point – In Form von Geschichten geschrieben
Wer eine nüchterne Abhandlung von Wirkfaktoren und knappe Kausalketten erwartet, für den ist dieses Buch nichts. Wer sich jedoch auf die Geschichten einlassen möchte, auf denen Malcolm Gladwell sein Buch »Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können« aufbaut, der erhält ein wunderbares Werk mit verblüffenden Zusammenhängen.
The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference
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Wie Gladwell auch selbst in der Einführung schreibt: »Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können« ist keine Anleitung zum direkten Nachbauen, sondern soll zum Nachdenken über die eigene Wirksamkeit und die eigene Rolle machen. Vieles, was in der Welt passiert, sei ist in der Wirtschaft und im Marketing, in der Politik, im Gesundheitswesen oder sonst wo, erscheint mir nach der Lektüre von Malcolm Gladwells Tipping Point klarer, nachvollziehbarer.
Es kommt eben doch aufs Detail an. Wie so oft bei Original-Taschenbüchern ist das Detail der Typografie und des Papiers, auf dem das Buch gedruckt ist, nicht unbedingt von hoher Qualität. Das Papier hat die Anmutung und Farbe von Klopapier im Schullandheim, die Schrift ist einen Tick zu eng mit zu wenig Durchschuss gesetzt, die Seitenränder mangelhaft. Mein Daumen passt jedenfalls nicht in den Seitenrand.
Die englische Sprache Malcolm Gladwells ist sehr gut zu lesen. Über die deutsche Übersetzung kann ich keine Aussage treffen, weil ich mir diese nicht angesehen habe.
Alles in allem kann ich »Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können« von Malcolm Gladwell sehr empfehlen.
Foto: Joachim Schlosser, Lizenz CC-BY-SA
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