»Warum? Der Sinn des Lebens ist, dass Menschen voller Sinn das niemals wissen müssen.« (Dueck, Topothesie, S. 381)
Schmerzhaft. Mitreißend. Umwerfend. Philosphie. Angewandte Philosophie. Logik. Intuition. Gefühl. Es kommt wahrscheinlich eher selten vor, dass ein Professor der Mathematik ein Buch schreibt und ein Informatiker davon emotional tief berührt ist. Doch genau das hat Gunter Duecks »Topothesie« geschafft.
Alpha und Beta als Zustände des Seins
Topothesie: Der Mensch in artgerechter Haltung
37,99 €
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Nachdem ich über die Informatik-Spektrum-Kolumnen zu Dueck kam, war mein Einstieg »Lean Brain Management« und »Abschied vom Homo Oeconomicus«. Mit »Omnisophie« nahmen Dueck mich dann auf die Reise, ich erkannte die verschiedenen Menschentypen. Eben eine philosophische Darlegung, wenngleich eine für mich »Techie« wunderbar lesbare. »Supramanie« erklärte einige Mechanismen von Systemen der Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung, die mir wie wahrscheinlich vielen anderen auch schon auffielen, doch es war mehr eine Beschreibung des Systems und die Wirkung auf den einzelnen. »Topothesie« hat keine Distanz mehr. Es geht um den einzelnen, um jeden einzelnen.
Dueck nutzt das Konzept der Theta-, Alpha- und Beta-Gehirnwellen, die in verschiedenen Lebensaltern und verschiedenen Wesensarten unterschiedlich stark ausgeprägt beim Menschen sind, und bezieht diese auf die Gedanken, Handlungen und Entscheidungen des einzelnen. Hektik, das bloße Befriedigen von Leistungsmessungen, extrinsische Motivation, das alles führt zum Hirnzustand Beta, »ist beta«, wie Dueck schreibt. Der Beta-Mensch will haben, etwas erreichen, verbraucht Energie. Im Alpha-Zustand kann der Mensch Quelle sein und Energie spenden, ohne sie zu verlieren. Im Alpha-Zustand ist der Mensch. Und er ist produktiver, gesünder.
Babys kommen als Alpha auf die Welt. Wodurch entsteht Beta? Durch psychische Verwundungen, die aus der Hauptstärke eines Menschen mit dem dazugehörigen »Pseudosinn« überlagern. Dueck verwendet durchgängig das Beispiel einer Muschel, die als Resultat einer Verletzung eine Perle erzeugt, die dann zusehends ihr Lebenssinn wird. Es entsteht eine »Machina«, die die psychische Verwundung schützen möchte und auf das »haben« fokussiert ist. Psychozid entsteht dann, wenn ein Mensch eines Typus fortwährend in einen anderen Typus im Beta-Modus hineingezwungen wird, und zwar von außen.
Wie kommen wir wieder zum Alpha? Durch »artgerechte Haltung«, uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber. Es gilt zunächst, zu akzeptieren, dass es richtige, wahre und natürliche Menschen gibt, die in ihrer Fühl- und Denkweise völlig verschieden sind. Deshalb haben sie nicht nur unterschiedliche Ziele, sondern auch unterschiedliche Wege dort hin, und unterschiedliche Stärken und Schwächen. Das wichtigste im Umgang mit der eigenen Bewältigungsmaschine, der »Machina«: »Hör auf!« Unser stärkster und zugleich schwächster Punkt ist meist dort, wo andere Menschen uns zu verstehen geben wir sollten aufhören. Der Kluge beim Klug sein. Der Perfektionist im Streben nach Perfektion. Und so fort.
Ohne Distanz
Dueck schreibt gewohnt gut verständlich. Philosophie kann ein unverständliches und trockenes Gebiet sein, wenn es ein Philosoph schreibt. Dueck war Mathematikprofessor, bevor er in die Wirtschaft ging, die Philosophie ist seine Nebenbeschäftigung. Das hat für mich als Leser den Vorteil, dass dieser Grenzgänger eben mehrere Fachgebiete kennt und Vergleiche bringt, die mir entgegenkommen. Dazu kommt Duecks ganz eigener Stil, mit wunderbaren erfundenen (?) Dialogen fiktiver (?) Menschen, die ebenso skuril und humorvoll wie nachvollziehbar und denkwürdig daherkommen. Und ich merke, dass die Trilogie, deren Abschluß »Topothesie« bildet, etwas ganz persönliches für Dueck ist.
Dem Leser lässt Dueck keinen Abstand. Er fragt ihn direkt, fordert ihn auf, führt ihn in Gedankengänge, die kaum distanzierte Betrachtung zulassen, sondern direkte Beschäftigung mit dem Thema fördern.
Warum aber die Tränen? Dueck zeigte mir in »Topothesie«, wie es hätte sein können und wie es vielleicht wieder sein kann. Er erklärt mir, was passiert ist, und warum ich heute der bin, der ich bin. Schwachpunkt und Starkpunkt zugleich. Zwei Seiten einer Medaille.
Angenehm fürs Auge
Wie auch schon die vorigen zwei Bände der Trilogie ist das Buch nicht in schwarz gedruckt, sondern in einem dunklen Türkis. Graphen und Schaubilder verdeutlichen passend in manchen Kapiteln die Ausführungen, und weiter hinten gibt es auch wieder Abdrucke einiger Gemälde. Speziell diese Abdrucke hätte ich mir entweder in Farbe (die Seiten in der Mitte des Buches sind mit »Farbtafeln« betitelt) oder dann doch lieber mit der Grundfarbe Schwarz gewünscht, da die Dynamik der Gemälde oft auf der Strecke bleibt.
Die Schrift selbst ist eine im Buchdruck übliche Antiqua, auch für die Kapitelüberschriften. Sie fällt nicht auf und ist deshalb meines Erachtens nach wunderbar geeignet. (Um welche es sich genau handelt, weiß ich nicht.)
Dueck gliedert sehr fein; ein Unterkapitel hat meist nur ein bis vier Seiten. Dies zerfasert zwar den Lesefluß bisweilen, macht jedoch die Struktur des Buches schön deutlich und bildet einen Gegenpol zu seinem sehr persönlichen, erzählerischen Schreibstil.
Artgerecht
Was bleibt?
Ich glaube, dass wir es schaffen können, wieder mehr Alpha-Denken in die Welt zu bringen. Jeder für sich und für seinen Nächsten. Meine Aufgabe ist zunächst einmal, keinen »Psychozid« an meinen Kindern zu verüben, sondern sie »artgerecht« zu erziehen und zu fördern. Selbiges gilt natürlich für mich mit mir selbst. (Wenn darüberhinaus noch Zeit für die Rettung der Welt in Sachen Alpha bleibt, dann mach ich das gern mal abends.)
Und für Sie? Lesen Sie diesen Dueck. Bitte. Er wird Ihnen gut tun.
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