Frank Schätzing - Lautlos - Cover

Lesen: Frank Schätzing – Lautlos

Ein versoffener, exzentrischer, genialer und bindungsunfähiger Wissenschaftler in Erwartung seines Nobelpreises, eine Attentäterin mit vielen Identitäten, ein kantiger Mittelsmann und ein alter Hintermann in imposanter Bergkulisse, daraus strickt Frank Schätzing seinen Roman »Lautlos«. Und dieser Thriller spielt im Köln des Jahres 1999, rund um den Weltpolitikgipfel, bei dem Spitzenpolitiker aus aller Welt zusammenkamen.

Versoffener Wissenschaftler-Beau verhindert Attentat

Liam O’Connor, Physiker aus Irland, hat sich Ruhm erarbeitet durch seine Experimente zur Verlangsamung von Licht und durch seine Bücher. Er ist ein blendend aussehender und gut gekleideter Exzentriker, der sich auf Promo-Tour durch Europa zur Vorstellung seines neuen Buches befindet. Da er immer für alkoholbedingte Ausfälle und umgeworfene Zeitpläne zu haben ist, wird ihm neben seinem Lektor noch eine weitere Mitarbeiterin des Verlags zur Seite gestellt, die nach langer Zeit das erste Mal wieder in ihre Heimatstadt Köln zurückkehrt und – wie könnte es anders sein – dem Charme O’Connors verfällt. Dieser kommt durch eine Zufallsbegegnung mit einem alten, längst vergessenen Freund auf die Spur eines Mordkomplotts. Die polyglotte und erfahrene Jana, erfolgreiche Softwareunternehmerin, nutzt viele Identitäten und ist der Kopf der Attentatsoperation. Sie kennt ihre Auftraggeber nicht, sie weiß nur, dass dieser Job ihr Abschlußwerk sein wird, das ihr den Ausstieg aus dem Geschäft verschaffen kann.

Der Gruppe um O’Connor schafft es trotz seines Rufes, auch mal zum Spaß eine Falschmeldung zu platzieren, die Sicherheitskräfte von der Brisanz seiner Entdeckung zu überzeugen. Der Showdown auf dem Flughafen Köln-Bonn und nach dem Fehlschlag auch in der Nachbarschaft schließlich bringt alle handelnden Personen zusammen und macht deutlich, dass ein Attentat ebenso vielschichtig ist wie Politik.

Thriller – Wissenschaft – Politik

Schätzing, der Mehrheit wahrscheinlich durch seinen Öko-Thriller »Der Schwarm« bekannt, konstruiert aus dem Balkankrieg und dessen Nachwehen die Szenerie eines Attentats, das die Lebenswege von Menschen verwebt, die sich unter normalen Umständen nie begegnet wären. Längst vergangene Freundschaften der Vergangenheit wirken nach und beeinflussen den Ablauf der Dinge.

Die Geschichte läuft im Prinzip in der Tradition des Caper Movie, in dem eine Gruppe einen großen Coup landen will – normalerweise einen Diebstahl, hier ein Attentat – und sich einen anspruchsvollen, detaillierten Plan zurecht legt, der dann eben doch nicht so reibungslos abläuft wie gedacht.

Der Kosovo-Konflikt als Kontext bietet unklare Frontverläufe, ebenso zwielichtige wie gebrochene Figuren. Nicht nur die Hauptpersonen, auch die Nebenfiguren sind schön gezeichnet. Es ist alles nicht so einfach, wie es scheint. Der Lektor Kuhn ist ein verspießter Alt-Achtundsechziger. Verlags-Anstandsdame Kirsten Katharina – kurz Kika – Wagner kämpft mit Lockerheit und Pflichtbewusstsein. Attentäterin Jana knabbert an ihren serbischen Wurzeln und dem Grund für ihren Erfolg in der Welt des Terrorismus. Flughafen-Sicherheitschef Lavallier will gute Presse für seinen Flughafen und keine schlechten Überraschungen. Secret-Service-Chef will überhaupt keine Überraschungen.

Plastische Sprache, schnörkellos

Frank Schätzings Dialoge finde ich angenehm zu lesen, sie sind ebenso kurzweilig wie realistisch. Die Personen labern nicht, sondern tragen die Geschichte immer weiter.

Aus der Kombination verschiedener Zeiten – sechs Monate vor dem Politikgipfel und zur Zeit des Attentats – sowie interessanter technischer Details und tiefgängigen Geschichten ergibt sich ein schöner Spannungsbogen: Man weiß ja aus dem Prolog, dass der Anschlag nicht funktionieren wird, und will unbedingt wissen warum. Schätzing bedient sich ausserdem des Kunstgriffs, im Prolog darauf hinzuweisen, dass das vereitelte Attentat nicht notwendigerweise erfunden, sondern schlicht totgeschwiegen und vertuscht werden hätte können. Die Attentäter, also Jana und ihre Mitarbeiter sind durchaus fein und sympatisch gezeichnet, so dass sich das Interesse an Protagonisten und Antagonisten die Waage hält.

Schätzing schreibt in einer Art, dass ich micht gut recherchiert aufgehoben fühle, er liefert plausible Erklärungen und technische Sachverhalte, geht genügend ins Detail, um es realistisch erscheinen zu lassen, aber wenig genug, um nicht vom Roman in eine Abhandlung abzudriften. So lässt er den Physiker O’Connor hinreichend über seine Experimente und seine Weltsicht philosophieren, dass ich als Leser Bescheid weiss, warum er so wurde und worin sein Erfolg besteht, und dennoch liest sich das 900-seitige Buch eben mal so ohne längere Pausen zur mentalen Verdauung weg. Anders als beispielsweise ein Umberto Eco, dessen Name der Rose den Leser ja erstmal durch 150 Seiten Latein und Geschichte jagen, bevor es losgeht – wenngleich auch das gekonnt.

Zur Gestaltung des Buches läßt sich nicht viel sagen. Mir lag die Taschenbuchausgabe vor, die einen normalen, unauffälligen Satzspiegel verwendet. Die Einteilung in vier Phasen und unnummerierte Abschnitte, die lediglich mit dem Ort oder der Person überschrieben sind, passen zum generellen Stil des Romans.

Mir hat »Lautlos« gefallen. Auch wenn der Roman nicht in den Grundkanon deutscher Romane wandern wird, so fängt er doch die Stimmungen der späten Neunziger Jahre wunderbar ein. Gerade weil ich »Lautlos« erst so lange nach Erscheinen las, hat mir Schätzing einige Erinnerungen an die Zeit wieder ins Gedächtnis gerufen. Auch dafür, lieber Frank Schätzing, sage ich Danke.

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