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8 Gründe, wieso Leistungssport ein Modell für Professionalität und Führung ist

Die Herren-Fußballnationalmannschaft ist in der Weltmeisterschaft 2018 geschlagen, und das deutlich. Nun bin ich ja nicht unbedingt derjenige, von dem man einen Artikel zu Fußball erwarten würde. Heute mache ich eine Ausnahme.

Behauptung Spitzensport sei kein Modell für Management

Der sehr geschätzte Kollege Dr. Andreas Zeuch (z.B. „Unternehmendemokraten“, siehe auch hervorragendes Buch dazu in [1]) legt in seinem Blogpost „Warum Spitzensport kein Modell für Management ist“ neun Gründe für ebendieses dar. Er bezieht sich dabei auf artifiziellen Sport, also Sportarten, die auf einem festgelegten Spiefeld mit ziemlich statischen Bedingungen ausgetragen werden. So wie eben Fußball und alle Sportarten, alle Leichtathletik-Disziplinen und so weiter, und im Gegensatz zu eher natürlichen Sportarten, die in der Natur stattfinden, wie alpines Klettern, Langstreckenschwimmen, und ähnlichen.

Seine Gründe, warum Spitzensport kein Modell für Management sei:

  1. Regelstabilität im Sport, aber nicht im Wirtschaftsleben,
  2. Erfolgsmessung, die nur im Sport eindeutig definiert ist,
  3. Nullsummenspiele im Sport, die eben kein Win-Win zulassen,
  4. Konsequenzen, die im Sport objektiv betrachtet viel kleiner ausfallen,
  5. Gehälter, die speziell im Fußball selbst bei Totalversagen niemals eine ernsthafte wirtschaftliche Bedrohung für den Akteur bedeuten,
  6. Gendergap, der im Sport in den meisten Sportarten Männer und Frauen trennt,
  7. Fans, die im Sport alltäglich, im Wirtschaftsleben weithin unerkannt sind,
  8. Medienpräsenz der Sportvereine, nicht jedoch der meisten Wirtschaftsunternehmen,
  9. Neue Arbeit, die im Sport nicht wirklich vorkommt, weil „selbstbestimmte Arbeit zum Gemeinwohl für alle“ eben nicht vorgesehen oder gefördert wird.

Und ich stimme Andreas Zeuch zu. In all diesen Punkten unterscheidet sich Sport deutlich vom echten Leben, und taugt nicht als Vorbild für das eigene Verhalten, egal ob in der Führung oder Mitarbeit. Ist das jedoch schon alles, was Leistungssport ausmacht?

Vorhebhalte

Fußball im Speziellen und Leistungssport im Allgemeinen

Hier steht absichtlich „Leistungssport“, nicht „Profisport“, denn das meiste für letzteres gilt auch in ersterem.

Ich kenne persönlich kaum Profisportler, ich kenne hauptsächlich Leistungssportler in verschiedenen Sportarten und Disziplinen. Dafür wiederum in der Altersspanne 6 Jahre bis weit ins Rentenalter hinein. Eher am unteren Ende der Altersspanne angesiedelt sind durch meine drei Kinder meine eigenen Berührungspunkte mit dem Leistungssport bedingt.

Auch in meinem Berufsleben durfte ich schon mit einigen (ehemaligen) Leistungssportlern zusammenarbeiten, und so von deren Erfahrungen und Einsichten profitieren.

Training und Vorbereitung als Modell für Professionalität

BodenturnenWährend im obigen Beitrag eher die sportliche Auseinandersetzung im Turnier mit allen Begleiterscheinungen und die Sportart an sich im Fokus steht, sehe ich die Verbindung eher in der Art der Vorbereitung.

Leistungssportler bereiten sich vor, und zwar ein ganzes Sportler-Leben lang immer auf den jeweils nächsten Wettkampf das jeweils nächste Spiel. Wer geübt hat, wer seine Grundlagen beherrscht, wer situativ gut reagieren kann, wer stressresistent ist, der hat eine gute Ausgangslage für Erfolg.

Professionalität drückt sich ebenfalls in zielgerichteter Vorbereitung aus. Wer vorbereitet ist, der kann auch liefern, wenn es darauf ankommt. Auch abseits des Sports, im Beruf – egal ob Führung oder nicht – gilt ebenfalls: Wer geübt hat, wer seine Grundlagen beherrscht, wer situativ gut reagieren kann, wer stressresistent ist, der hat eine gute Ausgangslage für Erfolg. Dazu passt auch der Begriff der „Professionellen Intelligenz“ wie von Gunter Dueck geprägt [2].

Die Leistung der Trainer kann hier nicht hoch genug eingeschätzt werden, und ich danke den Trainern, die derzeit mit meinen Kindern üben. Denn neben den Eltern setzen eben die Trainer die Impulse und zeigen, wie üben richtig effektiv und nachhaltig geht.

Wettkampferfahrung als Modell für Professionalität

Leistungssportler liefern, wenn es darauf ankommt. Sie haben sich vorbereitet, und zwar sowohl körperlich als auch mental. Sie haben sich mit den zu erwartenden Bedingungen beschäftigt, mit Wetter, mit Ort, mit den Sportanlagen.

Profis in jeglichem Beruf machen das genauso. Wenn sie in ein wichtiges Meeting gehen, sind sie vorbereitet. Sie kennen den Raum, kennen die Teilnehmer, und kennen die Regeln.

Jeder Wettkampf ist anders, und jeder Wettkampf bringt trotz aller Vorbereitung neue, unerwartete Situationen. Der Ablauf verzögert sich und man muss viel länger auf seinen Einsatz warten als gedacht. Es regnet, schneit, stürmt. Schnürsenkel reißen ab, die Bodenmatte hat eine andere Griffigkeit als zu Hause oder ist gar nicht vorhanden. In der Halle ist es laut, oder im Stadion führen sich die Zuschauer auf. Irgendwas ist immer.

Je mehr ein Sportler derlei erfahren hat, indem sie an vielen Wettkämpfen und Turnieren teilgenommen hat, desto resistenter ist sie gegen alle Arten von Einflüssen und Unbill.

Genau diese Resistenz ist auch Teil von Professionalität. Wie viele Vortragende habe ich schon gesehen, die völlig aus dem Tritt kommen, weil der Projektor oder Computer versagt, das Mikrofon quietscht, oder sie den Faden verlieren. Resistenz in Professionalität entsteht, wenn ich das alles schon viele Male erlebt habe.

Wenn ich sehe, wie sicher sich meine Kinder auf Wettkämpfen mittlerweile bewegen, bei aller verständlichen Aufregung und erlebter Freude, dann wird es mir warum ums Herz. Denn diese Kinder werden später mal problemlos vor Publikum sprechen können, sie werden in fremden Umgebungen ankommen und sich bewegen können. Wenn ein Gerät ausfällt, wenn im Projekt ein wichtiges Element fehl schlägt, dann werden Sie eben nicht in Panik geraten, sondern es als das nehmen, was es ist: eine Situation. Und dann damit umgehen, in aller Ruhe und mit der Zuversicht, dass sie es können.

Gilt das nur für Leistungssport?

Natürlich nicht. Ebenso hilfreich ist das Erlernen eines Musikinstruments. Auch hier gilt alles in Sachen Übung und Training, und die Wettkampferfahrung hier heißt Auftrittspraxis. Wer sein Gelerntes am Instrument auf die große Bühne bringt, hat genau dieselben Vorteile wie jemand in Wettkampfpraxis.

Wieso Leistungssport als Modell für Führung und Professionalität taugt

Und so komme ich zu mehreren Gründen, warum Leistungssport als Modell für Führung und Professionalität dienen kann.

  1. Sportler trainieren Elemente. Um im Wettkampf alle Züge sicher abrufen zu können – und das gilt für Ballsportarten ebenso wie für Turnen und verwandtes –, trainiert ein Sportler die einzelnen Bewegungsabläufe. Mit Analyse, mit einem Trainer, mit Rückmeldung und vor allem intensiv.
    Ich sehe dies bei meinen Kindern, die alle Geräteturnen: Da wird ein Element mehrere hundert Mal trainiert, bis es wirklich sitzt. Die Zeit, die das dauert, ist auch in Ordnung, denn es dauert eben, bis man etwas versteht und dann auch noch umsetzen kann, und noch einmal, bis man es automatisiert hat.
    Wann hast du zum letzten Mal ein einzelnes Element deines Berufes trainiert? Wann hast du zum letzten Mal die Begrüßung für einen Workshop oder einen Vortrag geübt?
  2. Sportler trainieren Grundlagen. Auch ein Spitzensportler wird immer wieder an die Grundlagen gehen und diese perfektionieren. Auch der Landesligateilnehmer im Geräteturnen übt die Schiffchenstellung und die Standwaage. Auch der Bundesligaprofi übt das Ballstoppen. Denn die Grundlagen sind eben dies: grundlegende Fähigkeiten, die die Basis für alles bilden, was wir darauf aufbauen.
    Wann hast du zum letzten Mal die Grundlage deiner Arbeit geübt? Etwas einfach nur so programmiert, einen vorhandenen Text redigiert, eine Berechnung selbst durchgeführt?
  3. Sportler machen Krafttraining. Egal um welche Sportart es sich handelt: Die meisten machen Krafttraining. Das gilt für Geräteturner ebenso wie für Leichtathleten. Formel–1-Fahrer arbeiten an Kraft und Ausdauer, um mit den auftretenden Kräften beim Autofahren umgehen zu können. Fußballer trainieren Schnellkraft.
    Wann hast du zum letzten Mal etwas trainiert, das nicht ein Ablauf in deinem Job ist, doch eben diesen verbessern kann? Wann hast du zum letzten Mal geübt, wie du schneller mit Tastenkombinationen in Outlook und PowerPoint arbeitest?
  4. Sportler arbeiten an sich. Sportler trainieren ihren Körper und Leistungssportler trainieren ihren Geist. In jungen Jahren geschieht dies fast ausschließlich als körperliches Training, in dem das geistige eher implizit geschieht. Erst als ältere Jugendliche und ab einer gewissen Leistungsklasse kommt dann explizites Mentaltraining hinzu.
    Wann hast du zum letzten Mal Meditation geübt oder Autogenes Training gemacht?
  5. Sportler sammeln Wettkampferfahrung. Im Kindersport ist ein ganz wesentliches Element, auf Wettkämpfe zu gehen. Nicht, weil man dort unbedingt schon etwas reißen kann, sondern weil die Wettkampferfahrung als solche wertvoll ist.
    Sportler, die frühzeitig Erfahrung auf Wettkämpfen gesammelt haben, können später besser mit dem Stress von Events umgehen, mit Unwägbarkeiten und Überraschungen, mit Wartezeiten und Fehlentscheidungen, mit Abstürzen vom Gerät und nicht funktionierenden Abläufen.
    Genau diese Erfahrungen helfen auch im Beruf. Wer früh schon gelernt hat, wie sich der „Ernstfall“ anfühlt, der ist dann darauf vorbereitet.
    Wann hast du in der Tätigkeit, die du ausübst, zum ersten Mal den Ernstfall erlebt? Wann hast du zum letzten Mal den Ernstfall erlebt?
  6. Sportler studieren zu erwartende Bedingungen. Wie ist das Stadion, die Halle beschaffen? Welche Geräte, welcher Boden ist vorhanden? Gegen welche anderen Sportler tritt sie an, und welche Stärken und Schwächen haben diese? Wie ist das zu erwartende Wetter?
    Leistungssportler wissen sich zu informieren, was sie erwartet.
    Profis wissen sich zu informieren, was sie erwartet.
    Vertriebsprofis studieren die Lebensläufe und alle verfügbaren Daten zu ihren Gesprächspartnern, studieren die Organisationen und Entscheidungswege, um dann im Verkaufsprozess den Kunden führen zu können. Führungskräfte holen Informationen und Meinungen ein, bevor sie in ein entscheidendes Meeting gehen.
    Wann hast du zum letzten Mal vor einer wichtigen Besprechung genau überlegt, wer teilnehmen wird und was die jeweiligen Personen auszeichnet?
  7. Sportler analysieren. Nach dem Wettkampf ist mitten im Training, und da wird selbstverständlich auch geguckt, was geklappt hat und was nicht, wieso etwas geklappt hat und wieso nicht. Daraus entwickelt der Leistungssportler zusammen mit dem Coach beziehungsweise Trainer eine Idee, auf was im Training in der nächsten Zeit besonders zu achten ist. Welche Stärken kann sie ausbauen, welche Schwächen muss sie zwingend angehen?
    Wie oft sehe ich Teams, die in Folgeprojekte hineinstolpern, ohne zurückzublicken, was im vorigen Projekt zu Erfolg und Misserfolg beigetragen hat? Das agile Mindset kann hierbei helfen, sei es mit ritualisierten Formaten wie der Retrospektive oder einfach als Bewusstsein.
    Wann hast du zum letzten Mal selbst kritische Rückschau gehalten auf ein Projekt oder eine Performance und dir die Erkenntnisse aufgeschrieben?
  8. Sportler achten auf sich. Natürlich gibt es Ausnahmen, doch für das Gros der Leistungssportler ist es selbstverständlich, auf sich und die eigene Gesundheit zu achten. Wer komplizierte Bewegungsfolgen an Turngeräten vollführt, der wird eher nicht regelmäßig einen Rausch haben und mehr Alkohol im Blut als verträglich. Wer Langstrecken läuft, schwimmt, radelt, der ist weniger empfänglich für Laster des Rauchens. Wer täglich oder mehrmals pro Woche intensiv trainiert, der geht auch meist rechtzeitig ins Bett.
    Die Profis im Beruf, die ich kenne, handeln ebenso. Freilich geht man mal zu lange feiern, freilich, trinkt man mal ordentlich was zusammen, aber eben nicht als ständige Exzesse. Ich kenne wenige, die ein außergewöhnliches Leistungsniveau halten können bei gleichzeitigem exzessiven Feier-, Tabak- und Alkoholkonsum.
    Wie sagte schon der viel zu früh verstorbene Verkaufstrainer Thomas Burzler: „Messedienst ist Hochleistungssport.“ (frei zitiert aus [3], siehe auch mein Beitrag Gespräche auf der Messe – das Kompendium für Standpersonal.
    Wann bist du zum letzten Mal früher von einer Party gegangen, weil du am nächsten Tag wieder fit sein wolltest?

Ein Gedanke: Professionalität und Leistungssport

Professionalität und Leistungssport entspringen dem gleichen Gedanken:

Erfolg läßt sich nicht erzwingen, doch können wir die Wahrscheinlichkeit für Erfolg drastisch vergrößern, in dem wir professionell handeln.

Was sehr oft im Wirtschaftsleben verloren geht, ist der Trainingsaspekt. Da ist jeden Tag Wettkampf und nie Training, und das fehlt irgendwann. Gerade in hochspezialisierten Feldern oder in stark durch Wettbewerb geprägten Feldern ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass eine starke Leistung auf dem Feld nur erreicht werden kann, wenn die Spieler regelmäßig und zielgerichtet trainieren.

Bisweilen ist es auch nicht möglich, tatsächlich geschützte Trainingsorte – weder zeitlich noch räumlich – zu schaffen. Dann hilft es mir, in aller Ernsthaftigkeit das ganze spielerisch zu betrachten.

Deshalb meine ich: Leistungssport ist sehr wohl ein Modell für Führung und Professionalität. Und vielen herzlichen Dank für die Inspiration an Andreas Zeuch und an Conny Dethloff, dessen Tweet mich darauf gebracht hat!

Professionell und locker bleiben

Und wie siehst Du das? Wie gut passen aus deiner Sicht Sport und Führung zusammen?

Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Gedanken und kommentiere!

Photo: www.joachimschlosser.de

Literatur

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Kommentare

Eine Antwort zu „8 Gründe, wieso Leistungssport ein Modell für Professionalität und Führung ist“

  1. Leistungssportler trainieren nicht nur ihren Körper, sonder auch den Geist. Jedes körperliches Training braucht Disziplin und Motivation, um die Wettkämpfe zu gewinnen. Danke für den Beitrag und Erfahrung.

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