Zurück an die Arbeit! Was klingt wie eine unhöfliche Aufforderung an faule Mitmenschen ist im Gegenteil eine Abrechnung mit systemischen Effekten in real existierenden Unternehmen, die uns von der eigentlichen Wertschöpfung abhalten.
Prof. Dr. Lars Vollmers Buch „Zurück an die Arbeit – Back To Business: Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden – wertschöpfend und erfolgreich. Das neue wegweisende Management-Buch.“ (Buch, Hörbuch) liest sich über weite Strecken wie eine Brandrede. Die Lage der Nation, pardon, der Unternehmen ist ernst, denn wie schreibt Vollmer:
In den meisten Firmen wird viel zu wenig gearbeitet.
Lars Vollmer
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Und das liegt nicht daran, dass die Mitarbeiter faul wären, sondern dass viel zu viel ihrer Zeit mit Tätigkeiten gefüllt sind, die eben keinen Nutzen für den Kunden darstellen, und damit auch keinen Wertbeitrag fürs eigene Unternehmen darstellen. Viel zu viel Zeit wird verplempert mit dem, was Vollmer Businesstheater nennt.
Taylorismus versus Anpassungsfähigkeit
Taylorismus war und ist ja an sich nicht schlecht, schreibt Vollmer, sondern im Gegensatz sehr erfolgreich in der Mitte des 20. Jahrhunderts. „In einem quasi statischen Markt mit langsamer Innovation ist der Taylorismus das erfolgreichste Organisationsmodell. Der Übergang von Verkäufermarkt zu Käufermarkt, die steigende Innovationsgeschwindigkeit hat die Situation geändert.“
Weiter schreibt er: „Diese Änderungen führen zu Stress in der Organisation, weil die hierarchischen Anweisungen meist nicht mehr zu den während des Befehlskettendurchlaufs geänderten Bedingungen passen.“ In einer komplexeren Welt funktioniert die tayloristische Zergliederung eben nicht mehr für alle. Und eine komplexe Welt ist es, wo wir Innovationen brauchen, neue Lösungen, wo sich Strukturen im Markt ändern.
Tayloristische Teilung von Gesamtvorhaben in kleine Einzelschritte bedingt gewisse Erwartung an Verhalten von Menschen: genaues Abarbeiten von vorgegebenen Prozessschritten, möglichst ohne allzu viel zu denken. Und genau das ist eben nicht mehr die Antwort, wenn sich die Welt um den Prozess herum so stark ändert, dass der Prozess obsolet wird.
Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.
Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG
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Anpassungsfähigkeit, was meint Lars Vollmer denn damit überhaupt? Ein Unternehmen, das sich an eine veränderte Marktsituation wirklich anpassen kann, ist laut Vollmer bereit, seine Struktur völlig zu verändern. Während im Taylorismus das Grundkonzept der Pyramide immer gleich bleibt, und lediglich die Zweige neu sortiert werden, ist die Struktur der Wertschöpfung im vollkommen anpassungsfähigen Unternehmen polymorph, sortiert sich also je nach Aufgabe dynamisch um.
Das taugt nicht für alle Arten von Firmen, schon klar. Dort, wo in großem Maße mit großen Maschinen produziert wird, wird man sich schwer tun, polymorphe Organisationsformen zu, etablieren. Bei den meisten anderen Tätigkeiten jedoch kann und sollte sich die jeweilige Organisation aus der Art und Weise der momentanen Wertschöpfung ergeben. Und das Wort „momentan“ macht klar, dass das im nächsten Projekt, im nächsten Markt anders aussehen kann als heute und als gestern.
Vorder- und Hinterbühne
Die meisten Regeln und Prozesse entstanden aus gutem Grund, nur hat erstens dieser Grund leider oft nichts mit einem Kundenbedürfnis zu tun. Der Grund liegt erstens oft im Unternehmen selbst, und ist zweitens häufig gar nicht mehr gegeben. Der Prozess oder die Regel besteht jedoch weiter.
Was dann entsteht, beschreibt Vollmer als das „Theater auf der Vorderbühne“ und die „eigentliche Arbeit auf der Hinterbühne“. Vorne werden also Statusmeetings und Budgetrunden aufgeführt, Prozesse optimiert und eingeführt, Regeln geprüft, während auf der Hinterbühne die Mitarbeiter ganz pragmatisch und auf dem kleinen Dienstweg Dinge tatsächlich lösen. Das ist „Vernunft im Unsinn durch bewusstes Ignorieren bestimmter Prozessschritte.“
Weil die Mitarbeiter merken, dass es dem Unternehmen schlechter geht, wenn sie alle Regeln befolgten, missachten sie diese. Es werden also Regeln missachtet, weil sonst nichts voran ginge. Viele Organisationen glauben nun, dass es wegen der Regelverletzungen dem Unternehmen schlecht ginge, obwohl das nur eine Korrelation, mitnichten aber eine Kausalität ist. Das führt oft zu stärkerer Zentralisierung, Mikromanagement und damit zu noch mehr Businesstheater.
Planung und Management
Dynamische Zukunft kann nicht geplant werden, weder durch Disziplin noch durch technisch hochgerüstete Systeme. Einzig Anpassungsfähigkeit hilft.
Lars Vollmer
Modernere Managementmethoden und verfeinertes Berichtswesen helfen leider nicht, obwohl wir das wunderbar umsetzen könnten.
Oder wie der Landwirt seit Jahrhunderten weiß:
Die Sau wird vom ständigen Wiegen nicht fetter.
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Ein ausgeweitetes Reporting, noch häufigere Statusupdates und noch feinere Planung und Zielkontrolle bringen keine Erleichterung. Im Gegenteil, derlei Maßnahmen verschärfen Probleme ja noch, weil das ja noch mehr Zeit der Mitarbeiter kostet, in der sie dann eben nicht an der Wertschöpfung zum Kunden hin arbeiten.
Wenn ich in Unternehmen aller Branchen sehe, wie viel jeder einzelne Mitarbeiter beispielsweise im Vertrieb Zeit damit verbringt, manuell irgendwelche Excellisten zu befüllen, mit Erhebungen, die dann monatlich gesammelt werden, von Vertriebsleitern händisch zusammen kopiert und dann den Direktoren vorgetragen werden, kommen mir die Tränen. Weil ja daraus so gut wie nie Entscheidungen oder Aktionen abgeleitet werden, außer der Parole „mehr Dampf!“.
Businesstheater
Einige Beispiele, die Vollmer als Businesstheater kategorisiert, sind:
- Formale Mitarbeitergespräche
- Budgetplanung
- Formale Entscheidungsprozesse
- Große Teile der Zielsetzungen
- Reporting
- Spielereien mit Buchungen, um Monatsergebnisse ausweisen zu können
Allesamt Maßnahmen, die erfunden wurden, um ein inneres Bedürfnis des Unternehmens zu befriedigen, nicht ein Problem im Außen. Lars Vollmer empfiehlt eine einfache Prüfung, um festzustellen, ob ein bestimmter Vorgang Businesstheater ist: Wenn ich den Vorgang doppelt so oft oder häufig durchführe, macht das Unternehmen dann mehr Umsatz? Ist dem nicht so, dann handelt es sich nicht um Arbeit, die Wert im Markt schafft.
Das funktioniert tatsächlich. Was führt zu mehr Umsatz?
- Projektstatusreport? Nö, außer er führt zum Abbruch des Projekts und macht Platz für bessere Projekte.
- Kundenbesuch? Ja, wenn zielgerichtet.
- Abteilungsregeltermin? Nein, außer die Mitarbeiter lernen tatsächlich etwas voneinander und können deshalb mehr Wertschöpfung betreiben.
- Monatsabschluss? Nein, kann aber fiskalisch trotzdem notwendig sein. Dann allerdings sollte der Abschluss auch tatsächlich nur das gesetzliche Minimum umfassen, und nicht die goldenen Henkel.
- Formale Zielvereinbarung? Nein, außer die Ziele hängen so direkt mit dem Umsatz zusammen, dass man es auch schon wieder sein lassen sollte.
- Marketing? Ja, auch wenn nach Ford gilt: 50% des Marketings sind überflüssig. Man weiß nur nie welche 50%.
Probier’s aus. Ich empfinde das stets als eine sehr erhellende Übung.
Fokus auf das Wesentliche
Lars Vollmer postuliert in Zurück an die Arbeit vier Elemente, die in Harmonie sein müssen, damit eine Firma prosperieren kann:
- Finanzen
- Mitarbeiter
- Kunden
- Gesellschaft
Vernachlässigt eine Firma über längere Zeit eines dieser vier Elemente, zieht das die anderen drei in Mitleidenschaft. Das Buch enthält einige sehr anschauliche Beispiele. AEG: Fokus auf Mitarbeiter, Finanzen vernachlässigt – pleite. VW: Gesellschaft bzw. deren Regeln vernachlässigt – Skandal, Strafen, Auswirkung auf Finanzen. Deutsche Bahn: lange einseitiger Fokus auf Finanzen, Kunden vernachlässigt – Ansehen in der Gesellschaft verloren, Mitarbeiter verheizt. Die Liste lässt sich fortführen.
Damit wird auch klar, dass eine angebliche Orientierung „auf den Mitarbeiter im Zentrum“ nicht zielführend ist. Was sollen Angebote zur Massage oder eine zentral geführte Stelle zum Gesundheitsmanagement? Theater. Fitnessangebote für Mitarbeiter? Theater. Versteht mich richtig bitte: das ist ja alles nett gedacht, ist halt dennoch Theater.
Wenn mein Mitarbeiter offensichtlich krank ist, schicke ich ihn heim. Wegen der Fürsorgepflicht gegenüber diesem Mitarbeiter, vor allem aber auch der gegenüber den anderen. Ich will keine Bazillenschleuder im Büro sitzen haben. Schon aus ganz technokratischen Gründen nicht: ein Mitarbeiter krank zu Hause kann relativ leicht abgefedert werden. Steckt dieser vorher noch drei andere an, können wir unsere Aufgaben nicht mehr leisten.
Zurück an die Arbeit – Auswirkungen
Seit ich das Buch gelesen habe, stimmt bei mir einiges wieder mehr. Denn bei so vielen Vorgängen, die ich tagtäglich ausführe oder bei Kunden sehe, überkam mich immer öfter die Frage, ob denn das wirklich für das Unternehmen nützlich wäre.
In Summe bin ich die letzten Jahre tatsächlich ungeduldiger geworden gegenüber der Verschwendung – im Kaizen-Sprech muda – von Lebenszeit für sinnlose Prozessschritte, Prozesse, Formulare, Meetings, Reports.
Nun bin ich lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass ich nicht alles ändern kann. Das Stichwort hier lautet:
Choose your battles. Nicht alles, was schlecht scheint, muss ich ändern.
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Ich kann nicht alle Prozesse ändern oder abschaffen, die meines Erachtens nichts bringen. Ich kann aber zunächst zu verstehen suchen, wozu der Prozess heute dient, wozu er seinerzeit diente und warum er eingeführt wurde und wessen Herz daran hängt. Gunter Dueck benennt das in seinem Buch „Das Neue und seine Feinde“ mit dem wunderschönen Begriff Prozessempathie. Damit kann ich an geeigneter Stelle auf jeden Fall nachfragen und hinterfragen. Und so manches Theater lässt sich schon damit vom Epos auf ein kleineres Intermezzo reduzieren.
Locker und verbindlich
Lars Vollmer schreibt sowohl locker und dynamisch als auch verbindlich. Hier gibt es kein Blabla drumherum, hier gibt es anschauliche Geschichten, die seine Streitschrift unterstützen.
Das Buch Zurück an die Arbeit empfehle ich dreifach donnernd. Auch das Hörbuch Zurück an die Arbeit war ein Genuss, den der Autor selbst spricht. An Vollmers Stimme musste ich mich erst gewöhnen – wer schon mal den Loriot-Sketch mit den Herren in der Badewanne gehört hat, wird bei Vollmer in Erinnerungen schwelgen.
Lars Vollmer schreibt übrigens regelmäßig ein sehr lesenswertes Blog, teilweise mit Auszügen aus dem Buch, und viele Anekdoten und Gedanken rund um das Thema.
Theaterarm werden
Wo in deiner Tätigkeit nimmst du Businesstheater wahr, und was machst du damit?
Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Gedanken und kommentiere!
Photo: Courtesy Death to the Stockphoto
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