Bologna Gasse

Gunter Duecks Professionelle Intelligenz und Seth Godin’s Linchpin

Die Arbeitswelt ändert sich.

Viele von uns spüren es. Nachdem die Industrialisierung in ihren letzten Zügen liegt, werden nun die Dienstleistungen automatisiert oder ausgelagert oder wegrationalisiert. Gunter Dueck hat schon in seinen vorigen Büchern den Begriff Bildschirmrückseitenberatung geprägt, die nun sukzessive wegfällt. Der Versicherungsvertreter, der uns Fragen stellt und sein Computerprogramm daraus den besten Tarif ausrechnet, wird verschwinden, ebenso wie das Reisebüro, in dem Angestellte zu ihnen unbekannten Zielen Bewertungen von Portalen vorlesen, oder Gebrauchtwagenhändler, die das Auto gar nicht anschauen sondern nur den Schwacke-Wert ausrechnen. Seth Godin schreibt, das diejenigen, die Arbeiten ausüben, die sich streng nach Anleitung durchführen lassen, alle stark steigendem Kostendruck unterliegen werden oder schon tun.

Es ist die Industrialisierung der Arbeitsbereiche, zunächst Werkstücke, dann einfache Dienstleistungen (die jedoch am Ort verbleiben), jetzt Beratung. Alles wird industrialisiert und folgt konsequent dem günstigsten Anbieter, wenn es keine signifikanten inhaltlichen Unterschiede gibt.

Es kommt auf das Besondere an

Sowohl Dueck als auch Godin sagen: es kommt auf das Besondere an, das der einzelne einbringt oder eben nicht.

Bei Dueck lautet der Aufruf an jeden Einzelnen: Professionalität ist gefragt. Das schließt soziale Kompetenz ebenso ein wie Macher-Qualitäten, als auch die Fähigkeit, etwas darzustellen, einen Sinn zu stiften und kreativ zu sein. Und schliesslich ist es der eigene Antrieb, der Menschen zu sogenannten Professionals macht, nicht rein extrinsische Faktoren. Dueck spricht vom Erschaffen von Arete, einem Symbol für die Schönheit, die jeder als solche erkennt.

Seth Godin ruft uns dazu auf, ein Linchpin zu werden. Linchpin (engl. Herzstück, Stütze, Achsnagel, Dreh- und Angelpunkt). Dies geht nach Godins Dafürhalten nur, indem jeder seine ganz spezielle Kunst erschafft, die für sich genommen jeweils ein Geschenk an jemanden sein kann, indem man auch auf sein Bauchgefühl hört. Er bringt als Beispiel den Kellner, dessen wahre omnipräsente Aufmerksamkeit und Freundlichkeit nicht durch ein Handbuch beschrieben werden und nicht von jemandem reproduziert werden kann, der nicht von sich aus so sein möchte. Dieser Kellner gibt seine Kunst als Geschenk an die Gäste und das Restaurant und ist doch wahrscheinlich zufriedener als der Kollege, der die Minuten zählt. Godin schreibt mehr vom Künstler als vom Linchpin, mir erscheint ersteres als das zentrale Konzept seines Buches.

Was für Gunter Dueck der Professional, ist für Seth Godin der Künstler (wobei das englische »artist« viel schöner klingt).

Professionelle Intelligenz

Als gelernter Mathematiker strukturiert Dueck die PQ, die professionelle Intelligenz in ihre Teilbereiche (alle Zitate aus dem Buch):

  • IQ- »die normale Intelligenz des Verstandes«
  • EQ – »die emotionale Intelligenz des Herzens und der Zusammenarbeit«
  • VQ – »die vitale Intelligenz des Instinktes und des Handelns«
  • AQ – »die Intelligenz der Sinnlichkeit (›Attraction‹) und der instinktiven Lust und Freude«
  • CQ – »die Intelligenz der Kreation (›Creation‹) oder der intuitiven Neugier«
  • MQ – »der ›Sinn für Sinn‹, also die Intelligenz der Sinnstiftung und des intuitiven Gefühls (›meaningful‹, bedeutsam)«

Die Häufung des Wortes »intuitiv« fällt auf, und so verbringt Dueck auch einige Kapitel mit Lösungsansätzen, wie denn Menschen diese verschiedenen Arten von Intuition erwerben können. Immer geht es um angeleitete Erfahrung durch einen Professional, was im heutigen Lehrsystem trotz Engagement mancher Lehrer leider nicht wirklich darstellbar ist. Und es hängt auch nicht nur am (Hoch-)Schulsystem, sondern am Ökosystem aus Eltern und sozialem Umfeld. Dieses Umfeld hat gravierende Auswirkungen, wie auch der Deutsche Lernatlas zeigt, den die Bertelsmann Stiftung jetzt vorgestellt hat, der Spiegel berichtet in der aktuellen Ausgabe darüber.

Somit ist bei Dueck die konkrete Handlung, das eigene Umfeld und das der Kinder positiv zu beeinflussen, um darin Professionals heranwachsen zu sehen und sie zu trainieren.

Die Kunst des eigenen Schaffens und das Schaffen der eigenen Kunst

Im Fokus steht bei Godin dagegen das Tun. Godin sieht als konkrete Handlung, sich selbst dazu zu entscheiden, ein Linchpin zu werden bzw. zu sein, und der Akt des Tuns. Und wenn das im momentanen Arbeitsumfeld nicht geht, sich entweder ein neues zu suchen oder im ehrenamtlichen Bereich einen Mehrwert zu liefern. Verbunden mit dem Konzept der eigenen Kunst zeigt er Hindernisse auf, die einem beim Erschaffen der eigenen Kunst – er spricht von »der Arbeit« – zuwiderlaufen, und Lösungsansätze.

Diese Kunst, so schreibt Godin, könne eben nicht fest eingepreist werden, sondern trage zu einer Kultur des Schenkens bei. Das Schenken wiederum bereichere ja nicht nur den Beschenkten, sondern auch den Schenkenden selbst, da es dessen Reputation mehre und sich dies beizeiten real manifestieren könne. Dies wirke natürlich auf Dauer nicht bei dumpf reproduzierten Commodity-Geschenken, sondern eher bei originärer Kunst. Das kann die mit Herzblut erbrachte, außergewöhnliche Dienstleistung von Mensch zu Mensch ebenso sein wie ein kostenloser Rat. In vielen Jobs ist das Schaffen von Kunst möglich, und wer sich dazu entscheidet, ein Linchpin zu werden, der wird sich dafür auch ein Umfeld suchen, in dem das möglich ist.

Die Kunst kommt übrigens auch bei Dueck vor – als Arete, als Begriff des Hervorragenden. Ein Professional oder eben ein Linchpin vermag es, Arete zu erschaffen. Und wiederum ist es egal, und zwar beiden Autoren, ob es sich dabei um eine Sache, ein geistiges Gut oder die Art einer Dienstleistung handelt.

Professional und Achsnagel

Beides sind auch Motivationsbücher, wobei meinem Empfinden nach Dueck eher extrinsisch motiviert, während Godin direkt auf die intrinsische Motivation hinzielt.

Wer hat nun recht? Ich meine beide. Dueck geht das Problem mehr von der sachlichen Seite an und bringt den emotionalen Teil mit ein, Godin kommt mehr von der emotionalen Seite und bringt den sachlichen Teil mit ein. Ist ja auch logisch, denn ersterer war Mathematikprofessor und Technologiechef bei IBM Deutschland, zweiterer ist Unternehmer und Marketingexperte. Und doch sind sie sich näher, als es auf den ersten Blick erscheint.

Linchpin erschien eineinhalb Jahre früher als Professionelle Intelligenz, und doch fast gleichzeitig mit dem dueckschen Vorgängerbuch »Aufbrechen!: Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen«, das mehr die makroökonomischen Grundlagen der Veränderung der Arbeits- und Ausbildungswelt erläutert.

Kritiker

Beide haben ihre Kritiker. Dueck wird in den Amazon-Rezensionen zum Buch unter anderem vorgeworfen, er schriebe über weite Strecken ohne wirklich fundierte Begründung, und die Liste der für einen Professional erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten übersteige ja wohl das, was ein normaler Mensch heute tun könne. Damit haben die Kritiker zweifellos recht und geben gleichzeitig ein Indiz dafür, dass sie das Ansinnen Duecks nicht verstanden haben: Das Leben wird kein Ponyhof mehr. Die Kompetenzen sind nicht so gemeint, dass jeder es  in allen zur Meisterschaft bringen muss, sondern ein Spektrum, in dem man sich der Gesamtheit bewusst sein sollte, jedoch durchaus eigene Schwerpunkte setzen kann. Dies erklärt Dueck auch.

Bei Godin wird in der Diskussion zum Wikipedia-Artikel über seine Person hinterfragt, wo aus seiner Historie er denn überhaupt die Kompetenz nähme, über Makroökonomie und Globalisierung zu schreiben. Auch hier wird von den Kritikern eine wissenschaftlichere Ausarbeitung verlangt, als Godin sie liefert. Selbst wenn Godin mehr Publizist denn Ökonom ist, tut das den Ideen, die er präsentiert, keinen Abbruch.

Für beide gilt: umgreifende Änderungen gingen in der Geschichte oftmals nicht von den in den jeweiligen Fachgebieten etablierten Wissenschaftlern allein aus, sondern im Zusammenwirken mit fachfremden und fachverwandten Querdenkern. Die Interdisziplinarität begünstigt doch gerade die Offenheit für Änderungen, weil eben jeder etwas anderes einbringt.

Der Dueck liest sich wie ein Dueck und der Godin liest sich wie ein Godin

Gunter Dueck nutzt im Buch seine Spannweite zwischen skurilen Geschichten und Strukturierung von Sachverhalten, was sich für mich immer angenehm liest. Das Lesen an sich ist hier keine Mühe, umso mehr bleibt Kapazität, um über das Gelesene nachzudenken.

Auch Seth Godin fällt mir leicht zu lesen – bzw. zu hören, da ich die ungekürzte Hörbuchfassung habe –, sein Stil ist jedoch mehr der eines Motivationsredners. Auch klar, schließlich kommt er mehr aus dem Marketing.

Ich fand beide Bücher sehr erhellend und motivierend und empfehle beide uneingeschränkt zur Lektüre: Buch Professionelle Intelligenz: Worauf es morgen ankommt und Buch Linchpin: Are You Indispensable?

(Foto: Joachim Schlosser auf Flickr, Lizenz CC-BY-SA)

 

 

 

Teilen & Verweilen

Kommentare

2 Antworten zu „Gunter Duecks Professionelle Intelligenz und Seth Godin’s Linchpin“

  1. Zur Kritik an Seth Godin: Er beschreibt im Anhang ausführlich seine Quellen. Wer will kann tiefer einsteigen und selber nach prüfen…

    1. Danke, den Anhang habe ich nicht: der ist im Hörbuch nicht dabei. Auf jeden Fall gut, dass Seth Godin seine Quellen angibt.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert