Dueck grantelt über die Gruppendynamik, die aus intelligenten Menschen einen dummen Schwarm macht.
Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam
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Gunter Dueck hat wieder ein Buch vorgelegt: »Schwarmdumm. So blöd sind wir nur gemeinsam«.
Das Buch hat mich angesprochen, weil wir alle entweder im beruflichen, oder in einem Vereinsgremium oder einem Ehrenamt schon einmal Zeuge oder Teil einer Gruppe waren sind, die der Schwarmdummheit anheim fiel.
Warum gute Menschen mit den besten Absichten als Gruppe unter Druck viel Unsinn veranstalten, davon erzählt Gunter Dueck in »Schwarmdumm«.
Dumm einfach statt genial einfach
Vieles an dem, wie wir heute in Gruppen arbeiten, ist laut Dueck leider dumm einfach statt genial einfach.
Eine Darstellung, die Dueck bei Olivia Mitchell gefunden hat, ist das wiederkehrende Thema in »Schwarmdumm«. Sie beschreibt die Eleganz der Lösung im Verhältnis zur Komplexität.
Der Weg zur genial einfachen Lösung ist schwierig und benötigt ruhiges Nachdenken über das Ganze. Dueck prangert an, dass uns dieses ruhige Nachdenken abhanden kommt, vor allem unter Druck und in Besprechungen.
Jede Untergruppe sieht nur noch den eigenen Arbeitsbereich und jeder ist damit ein »Teilblinder«, der in seinem Bereich lokal optimiert, aber damit kein gutes Ganzes mehr bewirken kann. Dueck verweist auf das Gleichnis der blinden Männer und des Elefants.
Darum geht es.
Schwarmdummheit versus Schwarmintelligenz
Wann aber entsteht Schwarmintelligenz, wann Schwarmdummheit? Laut Dueck entsteht Schwarmintelligenz dann, wenn sich Menschen freiwillig zu einem Schwarm zusammenschließen und eine Sehnsucht nach einem gemeinsamen großen Ganzen haben.
»Jeder einzelne im Schwarm will Teil des Schwarms sein und sich für den gemeinsamen Zweck einsetzen, und zwar richtig gerne.« (S. 36)
Dueck setzt Schwarmdummheit dagegen, die entsteht, wenn eben Gremien aus immer denselben Leuten gebildet werden, die ein Teilproblem bearbeiten sollen, ohne auf das große Ganze zu blicken.
Dies ergibt kompliziertes Stückwerk, und dies »hat keine gute Gestalt« (S. 36).
»Eine gute Gestalt, ein Ganzes, das Smarte, das genial Einfache erfüllen den Schöpfer mehr, als sie an Energie kosten.« (S. 38)
Auslastungsmaximierung und Warteschlangen-Mathematik
Ein gern genutztes Mittel, um auch die unmöglichsten Ziele zu erreichen, ist laut Dueck die Maximierung der Auslastung von Systeme, Mitarbeitern, Prozessen.
Letztendlich werden hier jedoch Warteschlangen gebildet, und für die gibt es eine Mathematik.
Warteschlangen entstehen an der Kasse, auf der Autobahn, beim Telefonieren, bei der Angebotserstellung, und so weiter. (S. 56f)
Kommen Anfragen halbwegs zufällig (=Poisson-verteilt) an, dann ist:
$latex \textrm{Erwartete Anzahl der Elemente} = \frac{\textrm{Auslastung}}{1 – \textrm{Auslastung}}$
also
$latex e = a / (1 – a) $
Die Länge der Warteschlange oder des Staus berechnet sich dann wie folgt:
$latex \textrm{L\“ange der Warteschlange} = \textrm{Auslastung} \cdot \textrm{Erwartete Anzahl der Elemente} $
also
$latex l = a \cdot e $
Mit diesen beiden Gleichungen lässt sich nun berechnen, mit wieviel Auslastung ich ein System sinnvoll fahren kann.
Mit 85% Auslastung ergibt sich:
$latex e = \frac{0,85}{1 – 0,85} = 5,60 $ und $latex l = 0,85 \cdot 5,60 = 4,81 $
Knapp 5 Aufträge warten im Durchschnitt. Das ist okay. Wenn wir allerdings höher auslasten, z.B. mit 92%, dann ergibt sich folgende Warteschlangenlänge:
$latex e = \frac{0,92}{1 – 0,92} = 11,50 $ und $latex l = 0,92 \cdot 11,50 = 10,58 $
Nun ist die Warteschlange schon mehr als 10 Aufträge lang. Wenn nun noch einer der Aufträge schwierig ist und die Auslastung auf 99% hochtreibt, dann bricht das System und 100 Aufträge warten.
Gerade Manager halten ja den Betrieb auf, wenn sie nicht genügend Bandbreite haben, um rasch zu entscheiden. Also sollte deren Auslastung eher geringer sein, damit sich die »Aufträge« nicht stapeln.
Zumal Innovation in der nicht verplanten – ausgelasteten – Zeit geschieht. Wenn ich also Innovation haben möchte, brauche ich diese Puffer.
So wie in der japanischen Kaizen Management-Lehre auch drei Prinzipien herrschen: (S. 82)
- Muda – keine Verschwendung
- Muri – keine Überlastung von Menschen und Maschinen
- Mura – keine Unregelmäßigkeiten in den Prozessabläufen
Dueck prangert an, dass in der westlichen Wirtschaft meist nur das erste Prinzip Anwendung findet, und die Auslastung unter Mißachtung des zweiten Prinzips beliebig hoch gefahren wird und als Folge auch das dritte Prinzip verletzt.
Herr Akerlof und die Todesspirale
»Wenn die Marktteilnehmer mit dem Informationsvorsprung opportunistisch bis hin zu ausbeuterisch umgehen, dann kommt es zu der Todesspirale des ganzen Marktes, bis es nur noch niedrigste Qualität zum Schleuderpreis gibt.« (S. 110)
Sagt Akerlof, sagt Dueck. Kommt uns bekannt vor? Die Akerlof-Todesspirale hat es Dueck angetan, denn sie zieht sich durch das ganze Buch.
Obwohl wir wissen, dass unser Kauf von Billig-Nahrung zum Tod von nachhaltig produzierenden Herstellern führt und zu fallender Qualität, tun wir genau das. Und obwohl der Hersteller weiß, dass er die Qualität zu dem Preis nicht halten können wird, setzt er genau diesen an, um Marktanteile zu gewinnen.
Im Beispiel einer Bankfiliale (sowas gibt’s noch?) schreibt Gunter Dueck:
»Das Erreichen des Gesamtgewinnziels der Filiale [ist] ein »Teamziel«, aber in dem Augebblick, wo die Mitarbeiter ihre individuellen Ziele bekommen, verlieren sie am Team und der Filiale, an der Bank insgesamt und an der Menschheit […] jedes Interesse. Sie sind Einzelkämpfer geworden, weil das System sie dazu gemacht hat.« (S. 122)
Und einige Seiten später zitiert er William Edwards Deming (1900-1993):
»Beschuldige nicht die Arbeiter – die machen nur 15 Prozent der Fehler selbst, während die restlichen 85 Protent aus unbeabsichtigten Konzequenzen eines Systems resultieren, das das Management so designt hat, wie es ist.« (S. 128)
Ich lese das so – kurz gefasst:
Zeige mir Prozesse und Anreizsystem einer Organisation, und ich sage dir, was das Resultat ist.
Erstklassigkeit
Tränen in die Augen trieb mir das Zitat »Papa, es geht nicht um Scheine. Ich will es einfach voll und ganz verstehen. Es tröstet mich nicht, wenn es andere noch weniger verstehen.« (S. 137)
Das ist Erstklassigkeit, die in absoluten Maßstäben denkt. Zweitklassigkeit denkt in relativen, vergleichenden Maßstäben.
»Für Schwarmintelligenz ist die Frage »Was ist vortrefflich?« essenziell. Wenn sie verdrängt wird, entsteht Schwarmdummheit.« (S. 153)
Der Verein, die Organisation oder die Firma braucht also den absoluten Blick aufs ganze, und zwar auch im täglichen Arbeiten, statt nur das schielen zur Seite wie sich der Wettbewerb macht.
Statistik – Korrelation oder Kausalität
Auch Gunter Dueck macht den Ausflug in die Statistik, denn so viele Menschen fallen dem Gedanken anheim, aus einer wie auch immer schwach oder stark ausgeprägten Korrelation eine Kausalität zu machen. Wenn also X und Y beide steigen, dann denkt der Mensch: X führt also zu Y. Das ist meistens falsch.
Meist besteht tatsächlich ein Zusammenhang, aber kein direkter, sondern durch eine »Hintergrundvariable«.
Das ganze Kapitel über Statistik ist leicht verdaulich, und schließlich kann man das Thema nicht oft genug lesen, bis es endlich im Kopf verankert ist.
Kernaussage des Kapitels ist zweifellos diese:
»Misstrauen Sie allen Aussagen der Form »X bewirkt Y«.« (S. 207)
Ausschließliches Effizienzdenken und Indikatorbetrug
Wenn in bereits ziemlich effizienten Organisationen munter weitere Sparziele ausgegeben werden, dann gelangt man an den Punkt, an dem totgespart wird.
»Ausschließliches Prozessdenken tötet die Zukunft.« (S. 241)
Denn Innovation (siehe dazu auch die Buchbesprechung zu vorigen Buch von Gunter Dueck) ist nicht sparkonform, und oft lässt sich der Nutzen zu Beginn ja noch gar nicht bestimmen.
Um die Effizienz eines Systems oder von Mitarbeitern zu messen, bedient man sich vieler Indikatoren. Werden diese Indikatoren den Mitarbeitern mitgeteilt, dann entsteht bei großem Druck fast zwangsläufig eine Game-the-System Kultur, bei der eben nur noch die Indikatoren bedient werden, ohne das dahinterliegende Ziel zu verfolgen. Der Indikator wird wertlos.
Lösungen?
Erst in den letzten 20 von 324 Seiten legt Dueck ein Kapitel zur Lösung vor.
Dazu zitiert Gunter Dueck aus Die Gesetze menschlicher Dummheit von Carlo M. Cipolla, der vier Arten von Menschen unterscheidet:
- Intelligente nützen sich und anderen.
- Naive nützen anderen, aber schaden sich.
- Banditen nützen sich und schaden anderen.
- Dumme schaden sich und anderen.
Banditen zeigen sich mit ihrer Gier. Oft wird nun Schwarmdummheit mit Gier verwechselt, denn viele Organisationen nützen nicht einmal sich selbst, schaden aber der Gesamtheit.
Dueck fordert, gegen die Dummheit ebenso rigide vorzugehen wie gegen Banditen.
Eine Auflistung an möglichen Maßnahmen ist allerdings als Frage formuliert, ob sich das erreichen ließe: (S. 314)
- das einseitige Fordern von Wachstum an sich beenden,
- den Auslastungswahn stoppen,
- das Überfordern der Mitarbeiter unterlassen,
- gemeinsam das Exzellente wieder verstehen und würdigen,
- einen gemeinsamen Stolz wie »Made in Germany« entwickeln,
- uns normale Statistikkenntnisse aneigenen,
- das Totsparen einstellen und wieder inhaltlich arbeiten, nicht nur methodisch,
- uns unsere Neurosen wieder abgewöhnen?
Schreibstil und Kritik
»Schwarmdumm« ist ein echter Dueck. Lebendig geschrieben, mit vielen eingestreuten Geschichten und Dialogen, die in manchen Organisationen aus dem Leben gegriffen sein könnten.
Gunter Dueck liest sich auch hier wieder gut.
Und doch bleibt mir ein Wermutstropfen: Mir fehlt das Positive. Blickte Dueck in seinen anderen Büchern froh in die Zukunft und lieferte Vorschläge, so ist »Schwarmdumm« eher ein Lamento.
Dueck endet mit einem Satz über Hoffnung, doch finde ich diese Hoffnung im Buch beinahe nicht. So viel Wahres, aber eben auch so viel Negatives, Lamento, Klagen und Anklagen, so viel Verbitterung.
Gunter Dueck, werden Sie etwa verbittert? Ich hoffe das Gegenteil.
Selbst mit diesem bitteren Nachgeschmack hat mir das Buch gruselig-vergnügliche Stunden bereitet.
Layout und Struktur
»Schwarmdumm. So blöd sind wir nur gemeinsam« ist sauber, unaufgeregt gesetzt, mit einem ordentlicher Satzspiegel. Ich würde mir eine Nummerierung auch der Ebene unterhalb der Kapitel wünschen, um die Navigation zu erleichtern.
Sehr gut gefällt mir, dass jedes Kapitel mit einer Seite Kurzinhalt beginnt und mit zwei Abschnitten »Ratgeber – meine Binsenweisheiten« und »Fazit« endet. Dies verleiht dem Buch eine gute Struktur und läßt es weniger wie ein 300-Seiten-Lamento erscheinen.
Schwardumm und nun?
Andere Rezensionen und Interviews zum Buch gibt es z.B. von Bastian Wilkat, bei Arbeitsphilosophien, und Helga König.
Gunter Dueck schreibt und bloggt auf omnisophie.com, ein sehr empfehlenswerter Blog.
Und wie sehen Sie das? Haben Sie das Buch gelesen? Was denken Sie darüber?
Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!
Photo: Ryan Albrey on Flickr, License Creative Commons Attribution
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