Clouds von theaucitron (CC-BY-SA)

Gesamtsystem-Optimierung per Simulation als Erfolgsfaktor

Dr. Stefan Kampmann, Bereichsvorstand für Elektrofahrzeug- und Hybridsysteme bei Bosch, hat einen meines Erachtens sehr wichtigen Artikel im ATZblog zum Thema Systemkompetenz im Automobil geschrieben. Er schreibt »Eine reine Optimierung einzelner Komponenten ist dabei [bei der Nutzung von Hybrid- und elektrischen Antrieben] nicht ausreichend. Die Suche nach optimalen Lösungen hinsichtlich Zusammenspiel und Effizienz muss bereits auf Gesamt-Systemebene ansetzen und dann in Subsysteme und Produkte weitergeführt werden.« Simulation dürfte dafür Schlüsseltechnologie sein.

Ich finde dieser Beitrag, besonders auch mit dem Hinweis am Anfang auf die gesellschaftliche Bedeutung von Innovation bei Transportkonzepten und Systemdefinition, gehört in den Grundkanon der Ingenieursausbildung. Bei allem Detailwissen, bei aller perfekter lokaler Auslegung und Domänenwissen kann eines leicht aus dem Fokus geraten: Dass schließlich und endlich das System den Nutzen erbringen muss, nicht einzelne Funktionalitäten, nicht einzelne Elemente. Das gesamte System muss ein möglichst optimales Ergebnis liefern.

Dieses optimale Ergebnis ist oftmals nicht im endlosen Optimieren einzelner Komponenten zu finden – Gunter Duecks Supramanie lässt grüßen –, sondern erst im Zusammenspiel, in der gesamtheitlichen Betrachtung des Systems. Viele moderne Systeme lassen sich durch den einzelnen jedoch kaum noch im Zusammenspiel und Wirkweise der einzelnen Parameter aller Komponenten überblicken, eine rein analytische Auslegung oder Optimierung wird unmöglich, weil das Gesamtsystem hoch nichtlinear ist. Stark vereinfacht fängt der Entwickler an, einzelne Stellschrauben zu verändern in der Hoffnung, das sich das Gesamtsystemverhalten in der darauf folgenden Messung oder Versuchsfahrt verbessert. Dreht er an anderen Stellschrauben, kann sich dies auch wieder verschlechtern. Manuell ist aufs Gesamtsystem bezogen also wenig zu holen.

Man müsste die Möglichkeit haben, hunderte oder tausende von Stellschraubenänderungen zusammen mit dem dazugehörigen Versuch gleichzeitig und automatisch durchführen zu können. Die Technologie dafür heißt Simulation und wird mit vielerlei Werkzeugen – seien es die meines Arbeitgebers, MATLAB & Simulink, oder auch  andere Simulationstools – seit Jahren für Teilsysteme oder einzelne Komponenten durchgeführt. Wie wäre es nun, die Simulation tatsächlich in größerem Maßstab durchzuführen? Und nicht nur einmal, nicht nur zehn mal, sondern hunderte, tausende Male? Und die Parameteroptimierung dabei automatisch durchführen zu lassen? Nicht nur für einen oder zwei, sondern für dutzende Parameter? Automatische Parameteroptimierung auf numerischer Basis gibt es schon. Aber auf einem Computer kommen Sie bei derartigen Aufgabenstellungen freilich nicht. Vielleicht bekommen Sie noch einmal das Modell unter, installieren dafür aber besser die 64-bit-Version des Simulators. Aber die Simulationszeit? Ist kein prinzipielles Hindernis, denn parallelisierbar ist das ganze auch schon. (Vorsicht: 2 Produktlinks). Rechenzeit sollte doch heutzutage kein limitierender Faktor mehr sein. Was hindert Sie daran, tausende von Simulationsläufen durchzuführen, von denen jeder ein paar Stunden dauert? Dass Sie nur einen kleinen Cluster zur Verfügung haben? Wozu gibt es Clouds? Simulation funktioniert auch in Clouds wie Amazons EC2.

Und wenn Sie Simulationen nicht einfach nur platt von vorn bis hinten durchführen, sondern die Simulation des Aufstartverhaltens Ihres Systems vielleicht als Schnappschuss abspeichern und erst dort zu simulieren anfangen, wo es interessant wird, dann sparen Sie sich von jedem Simulationslauf nochmals Zeit. Und wenn Sie dann noch Abstraktionsebenen sinnvoll wählen und Detail nur dort modelliert ist, wo es auch notwendig ist, dann laufen die Modelle auch. Ein Gerüst zur Wahl der Abstraktionsebene in verschiedenen Dimensionen bietet übrigens das Kapitel über Abstraktion in meiner Dissertation. Informatik und Ingenieurswissenschaften gehören hier zusammen.

Prinzipielle Anwendungen einiger Aspekte können Sie auch in den Aufzeichnungen der Vorträge von Scania zum Thema Spritsparen und Loren Dean zum Thema Parallelisierung auf der MathWorks Automotive Conference 2010 sehen, oder auch in der dazugehörigen Keynote.

Ist das einfach, ein Gesamtsystemmodell so zu integrieren, dass es tatsächlich noch in einem heutigen Computer simuliert werden kann? Nein, das wird mit Sicherheit kein Spaziergang. Das ganze dann noch stabil in die Cloud bringen? Es wird die Hölle, zumindest am Anfang. Was aber ist die Alternative? So weitermachen wie bisher und denken Sie (= Ihre Organisation) kommen damit ewig durch? Optimierungspotential auf der Strasse lassen?

Die Technologie der Simulation kann und wird sich nur in dem Maße vereinfachen und verbessern, in dem Sie genutzt und an ihre Grenzen und darüber hinaus getrieben wird. Es liegt in Ihrer Hand, die fußballfeldergroßen Hallen voller Computerracks, die an den Flüssen dieser Welt stehen, für Innovation im Ingenieurbereich, speziell der Antriebstechnik, zu nutzen. Und es liegt an Ihnen, der Software, genauer gesagt den Softwareherstellern immer mehr abzuverlangen. Aber simulieren Sie!

Kampmann schließt mit den Worten »Wer ins System investiert, wird in Zukunft den Markt für Hybrid- und Elektrofahrzeug aktiv mitgestalten.« Und ins System investieren heißt Systemverständnis herstellen, vertiefen und verfeinern, um dann mit diesem Verständnis arbeiten und optimieren zu können. Simulation ist der Schlüssel. Tun Sie was!

Was meinen Sie? Lassen Sie es die anderen Leser und mich bitte wissen.

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Kommentare

2 Antworten zu „Gesamtsystem-Optimierung per Simulation als Erfolgsfaktor“

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