Gelesen: Martin Walser – Tod eines Kritikers

Als Martin Walser im Jahr 2002 seinen neuesten Roman „Tod eines Kritikers“ vorstellte, verursachte er große Aufruhr in der Kritikerwelt. Samt und sonders von imaginären Personen handelnd, konnte er Parallelen zu existierenden Persönlichkeiten kaum verleugnen.

Der Münchner Schriftsteller Hans Lach sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Er wird verdächtigt, den Literaturkritiker Deutschlands überhaupt ermordet zu haben, nachdem dieser in der unmittelbar zuvor ausgestrahlten Sendung sein neuestes Buch vernichtend besprochen hatte. Einzig Michael Landolf, ein Bekannter des Autors und ebenfalls Autor, glaubt an die Unschuld Lachs und macht sich als Gegenpol zum Kriminalkommissar auf, das Umfeld Lachs und des ermordeten Ehrl-Königs zu erforschen.

Landolf erfährt von den Verstrickungen und Fäden zwischen einem Verleger, dessen Frau, dem Autor, dem Produzenten und Macher der Literatursendung und natürlich dem Kritiker Ehrl-König. Jeder hat seine Interessen, jeder hat seine Ansicht und Meinung zum Toten und dessen Todesumstände. Die Ansichten zum Toten sind sich in den Fakten gleich: Ein von sich eingenommener, durch und durch negativ eingestellter Kritiker, der auch eine positive Buchbesprechung mit vernichtenden Urteilen spickt. Das Ende ist überraschend, und macht die Grotesque vollkommen.

Martin Walser schreibt anschaulich, jedoch komplett ohne explizite wörtliche Reden. Er ergeht sich gerne in seitenlangen Essays, die meist als Gedankengänge des Erzählers verpackt sind. In einer Seitenhandlung wird ein literarisch begabter Nervenheilanstaltsinsasse eingeführt, dessen Ergüsse seitenlang rezitiert werden, deren Einbettung und Sinn im Gesamtroman mir aber verborgen bleibt. Auch fällt die Spannung im letzten Drittel des Buches stark ab, nach der Auflösung des Rätsels plätschert die Nachhandlung dahin und ich war froh, als es dann endlich vorbei war.

Der „Tod eines Kritikers“ hat aufgrund seines Inhalts für Unruhe in der Szene gesorgt. Der unzweifelhaft durch Ehrl-König repräsentierte Marcel Reich-Ranicki fühlte sich in höchstem Maße angefeindet, die im Buch erwähnte jüdische Abstammung sowohl der fiktiven als auch der realen Person führte sogar dazu, daß man Walser Antisemitismus vorwarf und ihn in die Rechte Ecke zu stellen versuchte. Nach der Lektüre des Buches finde ich die Vorwürfe mehr als haltlos, mit genau derselben Argumentation könnte man Walser eine Münchenfeindlichkeit vorwerfen, oder Bagatellisierung von Nervenkrankheiten. Die Vorwürfe sind umso abstruser und lächerlicher und damit eigentlich schon ärgerlicher, weil die Handlung ja niemals darauf abzielt, daß die Abstammung des Kritikers auch nur den Hauch einer Ursache für die Ermordung darstellen könnte. Gewiß wird dies in der imaginären Presse des Romanuniversums thematisiert, doch wenn schon allein die Erwähnung von Diskussionen über möglichen fiktiven Antisemitismus als rechtsradikal gilt, dann haben wir wirklich allen Grund, besorgt zu sein.

„Tod eines Kritikers“ ist meiner Ansicht nach eine größtenteils spannende Lektüre mit witzigen Einfällen und Anleihen aus der Realität, dem jedoch mehr Aufmerksamkeit in der Presse zuteil wurde, als es nötig und angemessen gewesen wäre.

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