Je unübersichtlicher die zu lösenden Aufgaben sind, desto eher brauche ich als Team eine Sammlung kompetenter Typen, die jede für sich auch ihre Besonderheiten haben. Wertschätzung und Transparenz heißt, dies zu erkennen und anzusprechen.
Wissen Sie, wie die meisten Boygroups oder Girlgroups gecastet werden? Da braucht’s den Rebell, den Schönling, die Feingeistige, den Blonden, den Schwarzhaarigen. Diese Typen werden besetzt mit der entsprechenden junge Dame, dem jungen Herrn. Fertig ist die Musikgruppe, die dank ihrer Besetzung ein möglichst breites Publikum anspricht.
Sie sehen selten Musikgruppen oder Bands, bei denen die Mitglieder alle uniforme Typen sind. Das hat seinen Grund: die Verschiedenheit ist eben ein Garant für die Flexibilität.
Nun brauchen wir im Beruf nicht notwendigerweise ein Massenpublikum für das, was wir tun, und auch tritt das Team nicht oft in Gänze beim Kunden in Erscheinung, sondern meist in Kleingruppen oder alleine. Doch auch hier tut Verschiedenheit gut, und zwar nach innen ins Team.
Übrigens: Ich schreibe hier absichtlich von Führung, nicht von Management, weil dieselbe Übung natürlich auch für nicht-disziplinarische Führungskräfte tauglich ist, wie etwa Scrum-Master. Als disziplinarische Führungskraft sollte ich jedoch zwingend eine Idee entwickeln, warum jeder meiner direkten Untergebenen im Team ist. Auch, wenn ich diese schon von einer vorherigen Führungskraft übernommen habe, sollte ich nach einiger Zeit eine eigene Idee bekommen, was mir jeder einzelne bedeutet.
Wann den Grund herausfinden?
Wann finde ich den Grund heraus, wann kann ich diesen nennen? Manchmal brauche ich bis zum persönlichen Vorstellungsgespräch, um das herauszufinden, bisweilen klappt die Einschätzung auch schon im Telefoninterview.

Auf jeden Fall möchte ich für mich einen Grund haben, bevor ich der Person ein Jobangebot mache. Habe ich diese Idee nicht, sondern stelle Menschen rein aufgrund ihres Lebenslaufs ein, dann kann es eher passieren, dass die Teamzusammensetzung nicht passt.
Natürlich werden jetzt einige schreien, ich solle halt gefälligst Teambuilding machen, und man könne doch aus fast allen Zusammensetzungen ein gutes Team machen. Ja, das ist beides auch richtig. Doch wenn ich schon beim Start eine Idee habe, wer was zum Team beitragen könnte, warum sollte ich das dann nicht tun? Meine erste Einschätzung muss ja nicht stimmen. Bisweilen habe ich einen Teamgrund für eine Person, und im Lauf der Zeit stellt sich ein anderer Beitrag heraus. Das ist in Ordnung.
Ich habe im Interviewprozess auch nicht die Anforderung eines bestimmten Persönlichkeitsprofils. Das wäre dann doch sehr viel verlangt, jemanden zu identifizieren, der eine ganz bestimmte Persönlichkeit hat und eine ganz bestimmte Fachkompetenz und auch bei uns arbeiten möchte. Schön ist das, wenn es klappt, doch kann ich bei der Persönlichkeit eher flexibel sein. Achten sollte ich darauf. Ich möchte „Typen“ im Team haben.
”You are the worst pirate I’ve ever heard about.“
”But you have heard about me.“
(Pirates of the Carribean)
Wo bleibt die Teamfähigkeit?
Teamfähigkeit ist meiner Ansicht nach zu prägenden Persönlichkeitsmerkmalen orthogonal. Jeder der unten beispielhaft genannten Typen kann teamfähig sein oder auch nicht, das hängt nicht davon ab. Und es ist ja nicht zuletzt auch meine Aufgabe, eine Umgebung zu schaffen, die einer Teambildung eben förderlich ist. Bislang hatte ich diesbezüglich kaum Ausfälle, und die wenigen haben sich dann auch andere Aufgaben außerhalb gesucht.
Teamfähigkeit ist nach meiner Erfahrung keine Ausprägung der Persönlichkeit, sondern die persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen, die dieser aufgrund der Teamumgebung trifft, und zwar immer wieder aufs Neue. Ändere ich die Teamumgebung, gebe ich jedem im Team eine neue Entscheidungsgrundlage.
Verschiedenheit als Selbstzweck?
Brauche ich unbedingt je einen Vertreter einer bestimmten Typologie im Team? Das nicht, aber ich sollte eine Idee davon haben, was ich am jeweiligen Mitglied des Teams besonders schätze, und welchen unverzichtbaren Beitrag sie schon allein durch ihre ganz bestimmte Persönlichkeit leistet.
Das geht weit über die Fachkompetenz oder Methodenwissen hinaus. Mir fällt es leichter, diese Zusammenstellung in internationalen Teams vorzunehmen als in homogenen. Die Verschiedenheit beflügelt, wenn sich die Menschen beruflich grob auf ein gemeinsames Wertesystem verständigen können.
Verschiedenheit alleine richtet es nicht, doch statt eine möglichst uniforme Kommunikation zu erzwingen oder auf gleiche Ansichten und Handlungsansätze zu pochen, empfinde ich gerade in Branchen, in denen es auf geistiges Können ankommt, die Verschiedenartigkeit als unglaublich bereichernd. Deshalb benutzen wir trotzdem alle dieselben Prozesse, haben denselben administrativen Rahmen.
Führungsübung: Grund nennen
Wenn Sie ein Team oder eine Abteilung führen, dann machen Sie mal folgende Übung:
Nennen Sie für jedes Teammitglied genau einen nichtfachlichen Aspekt, was dessen ganz spezieller Beitrag für das Team und für Sie persönlich ist.
Nicht in vergangenen Lorbeeren graben, und nicht die allgemeine Kompetenz hervorheben, sondern spezifischer. Warum gerade dieser Mensch? Oder ist es egal und Sie haben austauschbare Arbeitsbienen? Das kann auch sein, doch wenn Ihr Team komplexere Aufgaben in einer sich wandelnden Welt ausführt, dann sollten Sie schon eine Idee haben, wie Ihr Team zusammengesetzt ist.
Also, was könnte ein Grund sein – Fachkompetenz vorausgesetzt – jemanden an Bord zu haben? Für alle gilt: Ich möchte von den Menschen etwas lernen können, und das eben nicht nur fachlich, sondern aus ihrer Persönlichkeit.
Lassen Sie mich einige einzigartige Persönlichkeiten nennen, die ich in Gegenwart und Vergangenheit schon in Team holen durfte, und was sie mir für meine Führungsrolle bringen.
- Der Methodiker. Geht alles sehr prozessorientiert an und bringt diesen Geist auch im Team ein. Erinnert mich daran, bisweilen methodischer vorzugehen, wenn ich zu intuitiv handle.
- Die Intuitive. Hat ein sehr natürliches Verständnis von Zusammenhängen und spielt gerne damit. Erinnert mich daran, im Prozess auch mal fünf grade sein zu lassen.
- Der Kritiker. Macht manchmal Schwierigkeiten, weil er sehr deutlich Probleme anspricht und dank seiner klaren Weltsicht jede In konsistenz aufdeckt. Brauche ich unbedingt als Führungskorrektiv für mich selbst. Das ist eine Person, die Respekt vor Menschen, aber nicht vor Führungsrollen hat.
- Der Jungspund. Will alles lernen, springt auf jedes Thema. Die noch mangelnde Abgeklärtheit tut dem Team und mir gut.
- Der vernetzten Systemiker. Sagt meist recht wenig, kennt aber viele Menschen und bekommt Informationen, die ich selbst nicht direkt habe. Brauche ich unbedingt als Rückkanal und Wettermelder.
- Die Detailverliebte. Kennt jede Norm, jedes Regelwerk, und falls nicht, liest er alles. Das macht dieses Teammitglied sehr nützlich als Referenz. Brauche ich als Faktenchecker.
- Der Universalist. Versteht sich vielleicht dennoch als Spezialist, aber kann im Prinzip in jeder Situation nicht nur bestehen, sondern oft brillieren, weil sie keine Furcht vor Unbekanntem hat. Von diesen verträgt mein Team auch mehrere, weil Situationen oft vorher nicht ganz klar sind. Universalisten stellen die richtigen Fragen, auch mir.
- Die Weitgereiste. Hat bereits in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet, stammt meist nicht von hier. Bringt damit eine Welterfahrenheit ins Team, und für mich eine informierte kulturelle Außenperspektive.
- Die unerschrockene Frohnatur. Kannst du in jede Situation schicken, wird überall bestehen, weil sie ein unerschütterliches Gemüt hat. Braucht schon ein stabiles Umfeld „daheim“, ist aber in Kundensituationen vollkontaktfähig.
- Der leise Bedenkenträger. Wird oft abgewertet, erfüllt aber für mich eine wichtige Funktion: Wenn dieser eine Veränderung irgendwann lebt und sogar anderen davon erzählt, dann weiß ich, dass die Idee wirklich angekommen ist.
Manchmal vereint eine Person mehrere Merkmale, und über diese Aufstellung hinaus gibt es noch viele andere Persönlichkeiten, die ein Team bereichern. Bitte betrachten Sie das als Beispiele, keinesfalls als abschließende Typologie.
Leseempfehlungen dazu:
- Peter Drucker – The Effective Executive: The Definitive Guide to Getting the Right Things Done
- Simon Sinek – Frag immer erst: warum. Wie Top-Firmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren (siehe auch meine Buchbesprechung dazu)
Machen Sie die Übung
Machen Sie diese Übung für Ihr Team. Denken Sie für sich durch, was jeder einzelne ganz besonderes für Sie bedeutet oder für das Team. Wenn Sie möchten, sprechen Sie das mit dem Team durch. Weniger als Diskussion, sondern gerne auch als Wertschätzung.
Ich weiß nicht, ob das mit allen Menschen in allen Lebenslagen machbar ist, und ich weiß auch nicht, ob es für alle Führungskräfte machbar ist. Wenn Sie dabei etwas aufgeregt sind, ist das zumindest ein Zeichen dafür, dass Sie dem Kern der Sache ziemlich nahe kommen.
Foto: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
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