Wie konnte es passieren, dass die AfD in drei Landtagswahlen derart stark abschnitt? Die Erklärung ist eben so einfach wie unbequem, und bietet fünf Lehren für Führung und Führungsstärke.
In ganz vielen Kommentaren, Analysen und Diskussionen vor den Wahlen konnte man ein Muster sehen: AfD ist fürchterlich, mit der AfD gehen wir in kein Fernsehduell, mit der AfD gehen wir in keine Talkshow, und überhaupt und sowieso. Hier kann man übrigens anstelle von AfD auch Pepita einsetzen, oder sonst irgendeine Vereinigung, die gern auch mal im Braunen rührt. Es findet also eine Verweigerung des Diskurs statt. Und als Grund: Die AfD ist ja eine rechtspopulistische Protestpartei.
Wir wollen uns ansehen, was möglicherweise dazu führt, dass eine Partei wie die AfD – die sich von den ursprünglichen Ideen des Gründers Bernd Lücke weit entfernt hat, so dass dieser aus »seiner« Partei mittlerweile ausgetreten ist – große Zustimmung erfährt.
Führungsstärke?
Der Aufstieg der AfD kann uns auch für den normalen Führungsalltag lehren, was uns als Führungskraft Zustimmung nicht nur aus der eigenen Linie kosten kann, sondern aus dem Rest der Organisation. Und von dort brauchen wir Zustimmung ebenso wie aus der eigenen Linie. Führungsstärke ergibt sich aus Zustimmungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen.
Sie wollen nur schnell das Endergebnis und 5 Lehren für Führungskräfte lesen?
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Warum also erzielt eine Partei derartige Erfolge, obwohl ihr geschriebenes Programm den sie hauptsächlich wählenden Menschen Vorteile keine echten Vorteile erhoffen lässt? Weil Sie das Image der Alternative kultiviert.
Die Krankheit der Alternativlosigkeit
Sehr beliebt in unserer Bundesregierung ist seit vielen Jahren das Adjektiv »alternativlos«. Die Alternativlosigkeit des eigenen Ansatzes wird hierbei benutzt, um jegliche inhaltliche Auseinandersetzung über die Problemstellung und den Lösungsvorschlag zu unterbinden. Indem von Anfang an klar gestellt wird, dass der eigene der einzig vorstellbare ist, möchte man eine Betrachtung des Für und Wider verhindern.
Das führt natürlich dazu, dass all diejenigen, die zu einer Problemstellung andere Ideen und Vorschläge anbringen, sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie würden den einzig wahren Weg aus kleinlichen Interessen verhindern wollen, oder ihre Motive wären nicht lauter.
Auf jeden Fall ist der, der einer alternativlosen Vorgehensweise dennoch Alternativen entgegenhält, potentiell gefährlich, subversiv, aufwieglerisch und auf jeden Fall inkompetent. Führungsstärke als Monotheismus. Du sollst keine Meinungen haben neben meiner. Das ist leider nicht demokratisch oder führungsstark, sondern ein Element des Totalitarismus.
Der Umstand, dass die beiden ehemaligen Volksparteien zum wiederholten Male in diesem Jahrhundert in einer großen Koalition regieren, führt natürlich dazu, dass diese sich inhaltlich immer weiter annähern. Früher war es einfacher: Wenn mir nicht passte, was die CDU/CSU wollte, wählte ich SPD, wenn mir nicht passte, was die SPD wollte, wählte ich CDU/CSU. Wenn ich mehr Ökologie wollte, wählte ich Grün. Das ist nicht mehr so einfach. Denn im Prinzip bekomme ich mittlerweile bei CDU/CSU/SPD dasselbe, nur dass die CDU die wesentlichen Inhalte der SPD nun als ihre eigenen propagiert und die SPD in schöner Regelmäßigkeit ihre Vorsitzenden zerlegt sowie allem zustimmt, was klassischerweise für ihre Klientel ablehnenswert wäre.
Die FDP hat hinlänglich bewiesen, dass sie nicht mehr gebraucht wird, und die Linke positioniert sich eben als Hort der Antikapitalisten irgendwie ostdeutsch angehaucht und seit dem Ausscheiden Gysis irgendwie profillos.
Alles unter dem Paradigma der Alternativlosigkeit.
Die Krankheit der Profillosigkeit
Was sind denn noch echte Typen in der Politik?
Früher konnte man sich an Politikern reiben, man konnte Sie so richtig von Herzen ablehnen und ihnen je nach Lager die Pest an den Hals wünschen. Mindestens aber sich ordentlich inhaltlich streiten.
Franz Josef Strauß — den muss ich als Bayer einfach zuerst nennen — war eher kein lupenreiner Demokrat. Aber hatte klare Ansichten, und sprach diese noch viel klarer aus. Herbert Wehner konnte man ebenfalls keine rundgelutschte Rhetorik vorwerfen, sondern seine Reden waren pointiert und seine Ansichten klar. Franz Müntefering — eine Type, der Prototyp des Arbeiterredners. Gerhard Schröder — sprach auch von Gedöns, wenn er es dafür hielt. Norbert Blüm, Heiner Geißler — alles Leute mit Ansichten und dem Mut, sie auszusprechen. Friedrich Merz — einer, den seine Überzeugungen schließlich die Karriere kosteten.
Ingo Appelt, früher mal ein Komödiant und gerne unter die Gürtellinie zielend, hat ein sehr gutes Zitat dazu:
Anstand. Ansichten. Haltung. Profil.
Und was haben wir heute?
Angela Merkel, die stoisch verkündet, dass ihr Weg alternativlos sei, aber nicht sagt, warum, wohin, und wie. Die jeder Diskussion ausweicht, keinerlei rhetorische Angriffsfläche bietet. Die erst in der Flüchtlingskrise eine Position fand, und sie dann wiederum nicht erklärte. Die ganze Situation der Partei in einer Handhaltung.
Sigmar Gabriel, der viel heiße Luft produziert, aber wenig Gehaltreiches. Die gesamte Situation der Partei in einem Portraitfoto.
Sahra Wagenknecht, die ätherische Schöne der Linken an der Seite des Napoleon von der Saar, die zwar zitierfähig spricht, aber für weite Teile der Bevölkerung wenig als Identifikationsfigur taugt.
So, und die Preisfragen: Wer ist überhaupt Bundesvorsitzender der Grünen? Der FDP? Na, ohne nachzusehen? Eben. Führungsstärke ist etwas anderes.
Die Krankheit der Marginalisierung
Wir haben also die beiden Schwierigkeiten des Mantras der Alternativlosigkeit, gepaart mit möglichst profillosen Köpfen an der Spitze, bei denen man oft nicht weiß, für was sie stehen. Diese beiden erzeugen eine dritte Krankheit:
Viele Menschen im Land sind verunsichert. Die Flüchtlingskrise mag das vordergründige Thema sein, doch sehe ich sie nur als Ausdruck einer dahinter liegenden, viel größeren Krise: Die Menschen fühlen, dass etwas nicht mehr stimmt im Land. Sie haben den Eindruck, dass eben nichts mehr vorwärts geht. Dieses Gefühl ist in einigen Bundesländern oder auch einzelnen Regionen ausgeprägter als anderswo.
Ein wirtschaftlicher Niedergang von Regionen, gefolgt vom gesellschaftlichen und sozialen Niedergang ist jedoch nicht greifbar. Die Menschen wissen gar nicht so genau, vor was sie Angst haben oder woher dieses unbestimmte Gefühl kommt, den Anschluss zu verpassen.
Die Flüchtlingskrise ist ein Katalysator dieser Ängste, eine Projektionsfläche (siehe dazu auch /2/ und /5/ unten). Sie ist nicht der ursprüngliche Auslöser der Ängste, aber sie gibt den Ängsten eine Gestalt, einen ganz konkreten Bezugspunkt. Die Menschen sehen, dass alles teuerer wird, nur ihre Löhne und Gehälter steigen nicht im selben Maße. Sie hören und sehen im Fernsehen von vielen ins Land kommenden Menschen und fühlen sich in ihrer Lage bedroht. Was sie auch sind, nur eben nicht unbedingt durch die ins Land kommenden Menschen. Und schon formieren sich Gruppen wie Pegida, und die AfD erhält Zulauf.
Nun kommen die regierenden Parteien und erklären den Bürgern, sie seien schlechte Menschen, wenn Sie Angst vor Flüchtlingen verspürten und ihrer Angst Ausdruck verliehen (siehe dazu auch /1/ unten).
Das Gefühl der Angst und Sorge wird nicht angenommen, sondern als reine Aggression ausgelegt. Jeder, der Angst vor der Zukunft aufgrund größerer Umwälzungen hat, und dies eben an der Flüchtlingskrise fest macht, wird von Politikern aller Couleur und etablierten Parteien als fremdenfeindlich, als Rechter, als latenter Nazi bezeichnet. Die einen zu Recht, weil es eben fremdenfeindliche, rechte und latente oder offene Nazis gibt. Andere zu unrecht, weil sie lediglich ihre Sorgen auf das Flüchtlingsthema projizieren.
Führungsstärke zeigt sich aber eben nicht darin, Menschen nicht mehr hören zu wollen, sondern eben gerade darin, so fest in seinen Überzeugungen zu stehen, dass man auch gut andere Meinungen anhören kann.
Double Bind
Jetzt kommt die Pointe: Genau diese etablierten Parteien erwarten jetzt von diesen Menschen, dass sie sie bitte wählen mögen.
Echt jetzt?
Ich sage jemandem wöchentlich, dass ich ihn Scheiße finde ob seiner Ansichten, und erwarte dann, dass er mich dafür wählt?
Das ist ein klassischer Double Bind (siehe auch unten /4/). Und den spüren Menschen.
Deshalb ist für den Wahlerfolg der AfD meiner Ansicht nach ziemlich egal, was sie für Positionen vertreten. Entscheidend war eher das, was sie nicht taten, nämlich große Teile der Bevölkerung zu beschimpfen. Wenn etablierte Parteien eben von erheblichen Teilen der Wählerschaft als der Gegner angesehen werden, dann wählen diese eine Partei, die nicht als Gegner wahrgenommen wird. Egal, was diese im Programm hat und egal, ob diese tatsächlich eine Gefahr für das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen genau dieser Teile der Bevölkerung hat.
»Mir ist egal, was du willst und denkst, aber finde gefälligst meine Politik toll« ist nicht unbedingt das Programm von Volksparteien. Speziell die Kraftausdrucks-Rhetorik von Sigmar Gabriel dürfte viele Stimmen gekostet haben.
Menschen ernst nehmen und Respekt zeigen
Somit ist auch die Taktik, sich der Diskussion mit der AfD zu verweigern, nicht zielführend: sie stellt nur ein weiteres Symbol dar, Teilen der Bevölkerung die Anerkennung der Wünsche und Sorgen zu verweigern, auch wenn ich sie inhaltlich nachvollziehen kann.
Ja, ist es gut und wichtig, möglichst transparent zu machen, was die AfD so im Programm stehen hat und was ihre führenden Köpfe zu diversen Themen von sich geben. Kritische Aufklärung ist Teil des Diskurses und somit begrüßenswert.
Besser als ein nur inhaltliches Abarbeiten an der AfD wäre es freilich, auch noch die Ängste und Sorgen der Bevölkerung an- und erst zu nehmen.
Das ist schwierig, denn das ist eben etwas anderes als sich die Ängste zueigen zu machen und ihnen recht zu geben. Ich kann aber zu einem Menschen sagen:
»Ich sehe deine Sorge. Ich sehe deine Angst. Ich teile diese Angst nicht, aber ich erkenne dich mit der deinen an. Erzähl mir, was genau dich bedrückt.«
Das ist der erste Schritt. Und erst, wenn dieses Annehmen und Verstehen erfolgt ist, kann ich weiter machen und Lösungen anbieten. Ganz nach Stephen Covey:
Erst verstehen, dann verstanden werden.
Doch auch der zweite Schritt erfolgt nicht. Wir schaffen das ist keine Erklärung einer Lösung.
Immer wieder ist zu lesen, so hätte das 1933 ja auch angefangen, und wie schlecht die Menschen wären, das jetzt wieder zuzulassen, und ob wir denn nichts gelernt hätten. Und macht damit — ob zu Recht oder nicht — wieder denselben Menschen einen Vorwurf, die ohnehin schon Angstwähler sind.
Ja, so hat es damals begonnen. Wer aber Geschichte wälzt, sollte auch noch ein paar Jahre früher blicken. Die braune Partei konnte Fuß fassen, weil sich die Menschen von anderen Parteien nicht mehr gehört fühlten, weil sie sich marginalisiert sahen, weil sie bei den etablierten Parteien keine Alternativen mehr gezeigt bekamen. Weil keine Führungsstärke mehr da war.
Wenn ich also schon Zeichen sehe und scheinbar Wähler nicht erreiche, die das Gespür für Geschichte nicht haben, dann muss ich mir als verantwortlicher Politiker wohl Gedanken machen, wie ich die Rahmenbedingungen so ändere, dass ich diese Menschen wieder erreiche.
Demokratie
Es gibt wissenschaftliche Fakten und es gibt Meinungen. Werden wissenschaftliche Fakten als Meinungen dargestellt, haben wir Kreationismus. Werden Meinungen als wissenschaftliche Fakten dargestellt, hören wir Alternativlosigkeit.
Da, wo Meinungen angebracht sind, besteht das Wesen der Demokratie darin, die Meinung des anderen anzuhören, und sich gemeinsam damit auseinanderzusetzen, in einem Wettstreit der Ideen.
Was tun? CDU, CSU, SPD und Grüne müssen wieder in einen echten Wettstreit der Ideen eintreten, und zwar viel grundsätzlicher als in den vergangenen zehn Jahren. Zu diesem Wettstreit gehört zum einen, dass sie sich nicht nur über die Farbe der Wand streiten, sondern bitte über den Bauplan des Hauses. Zu diesem Wettstreit gehört aber ebenso, anzuerkennen, wenn der andere eine wirklich gute Idee und Umsetzung hatte. Respekt ist auch hier gefragt.
Unterbinden die etablierten Parteien diesen Wettstreit, so fordern sie geradezu heraus, dass eine neue Partei den Wettstreit der Ideen wieder aufnimmt — und gewinnt.
Demokratie spricht nicht von Alternativlosigkeit. Alternativen zu haben, das macht Demokratie aus.
Postulate für die Führung
Eine Firma ist keine Demokratie, vor allem nicht in der Linie. Doch viele Unternehmen führen mittlerweile Konsens-getrieben, das heißt eine Entscheidung oder ein Projekt wird nur dann erfolgreich, wenn keiner oder kein wichtiger Personenkreis grob dagegen ist. Damit ergeben sich aus den obigen Mustern folgende Handlungsempfehlungen, um Führungsstärke zu gewährleisten:
- Damit eine Lösung als die beste erachtet werden kann, braucht sie echte Alternativen. Die wenigsten Lösungen sind auf einer absoluten Skala entscheidbar, sondern nur relativ zu anderen Lösungen. Eine Lösung kann also nicht die beste sein, wenn es keinen Vergleich gibt.
- Einwände gegen Lösungsvorschläge können eine Projektion einer tieferliegenden Unzufriedenheit auf das Projekt sein. Nur, wenn ich die tieferliegende Unzufriedenheit adressiere, werden sich die Einwände auflösen oder in konstruktive Kritik transformieren.
- Marginalisiere ich eine für den Projekterfolg relevante Gruppe, wird diese wahrscheinlich gegen das Projekt kämpfen. Dies erfolgt auch, wenn sich durch den Kampf weder an der Gesamtsituation ändern noch ein spezifischer Vorteil für die Gruppe entsteht.
- Menschen, deren Zustimmung ich möchte, sollte ich nicht beschimpfen. Klingt logisch, wird aber oft vergessen. Viele Führungskräfte haben immer noch das reine Menschenbild X im Kopf und wundern sich dann, wenn die Mitarbeiter sich erwartungsgemäß so verhalten.
- Lemma aus 1.: Die besten Lösungen entstehen aus konstruktiver Meinungsverschiedenheit. Denn nur wo wir gezwungen sind, einen Lösungsansatz von allen Seiten abzuklopfen, ohne uns dabei persönlich angegriffen zu fühlen, werden wir besseres erschaffen können als einfach so.
Führung beinhaltet meines Erachtens nach die erlernte Fähigkeit, zusammen mit Menschen aus einer Vielzahl von fundierten Alternativen eine auszuwählen, und dann wiederum mit Menschen diese umzusetzen.
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