Flimmernde Luft bei 37°C, kein Wölkchen am Himmel, mehr Sonne als nötig scheint auf die riesige Asphalt- und Betonfläche am Hockenheimring, einer Rennstrecke in der Pfalz. Eine Vielzahl gleich angezogener Gruppen von Menschen bevölkert die Boxen. Es sind junge Menschen, Studenten im Maschinenbau, Elektrotechnik, Mechatronik, Wirtschaft, Informatik.
Es ist die Formula Student Germany 2013, die Veranstaltung bringt über 3000 Studenten aus 30 Ländern der ganzen Welt in 115 Teams zusammen in einem Konstruktionswettbewerb für Rennautos. Seit 2006 existiert die Formula Student Germany, etabliert nach dem Vorbild der Formula SAE in Nordamerika.
Zwei Arten von Rennwagen mit ihren Teams machen die Veranstaltung aus: Konventionelle Verbrennungsmotoren; 75 Teams haben es geschafft, hier mit einem solchen Wagen anzutreten. 40 Teams haben rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge gebaut, batteriebetrieben.
Ich durfte das Wochenende mit diesen wahrhaft außergewöhnlichen Studierenden verbringen, weil die Firma MathWorks, bei der ich arbeite, das Event sponsert und außerdem allen teilnehmenden Teams ein umfangreiches Softwarepaket rund um MATLAB & Simulink zur Verfügung stellt. Damit können die Studenten dieselbe Software für Simulation, Berechnung und Algorithmen- und Softwareentwurf verwenden wie sie auch im kommerziellen Automobilbau fast überall angewandt wird. Dementsprechend angenehm ist – bis auf die Temperaturen – der Aufenthalt hier: Wir kamen leicht mit den Teams ins Gespräch und unser Stand war gut bevölkert.
Starkstrom Augsburg UASA1302. Photo courtesy Formula Student Germany, Kimmo Hirvonen
Besonders verbunden fühle ich mich natürlich den Damen und Herren von »Starkstrom Augsburg«, dem Team der Hochschule Augsburg, an der ich vor Urzeiten studiert habe. Sie nehmen das zweite Mal an der Formula Student Electric teil und haben dieses Jahr ein vollkommen neues Fahrzeug konstruiert. Im vergangenen Jahr haben sie ihre Abende, Wochenenden und sicher nicht nur einmal den Besuch von Vorlesungen geopfert, um ihr Ziel zu erreichen: Das Fahrzeug erfolgreich für Hockenheim zum Laufen zu bringen. Das haben sie auch geschafft, der »UASA1302« durfte fahren und das Team belegte den 22. Platz in der Gesamtwertung, beim Beschleunigungstest gar den 8. von 40 Plätzen. Daniel Polz, der für den Bereich Elektrik verantwortlich zeichnet, ist stolz auf das Erreichte.
Was ist so besonders an der Formula Student Germany?
Sowohl Tim Hannig, Vorstandsvorsitzender der Formula Student Germany, als auch Daniel Polz heben die spezielle Atmosphäre hervor. Natürlich ist es ein Wettbewerb, aber die Teams sind gegenseitig auch sehr offen und helfen einander, wenn etwas kaputt gegangen ist und das andere Team etwas braucht. Das Formula Student Germany Committee vergibt dementsprechend auch den FSG Sportsmanship Award, der dieses Jahr an die TU Białystok ging, da eines ihrer Teammitglieder direkt nach schweißtreibenden Schweißarbeiten am eigenen Fahrzeug zur Unzeit direkt zu einem benachbarten Team ging, um auch noch deren Problem zu lösen.
Alle sind sich einig, dass es einfach ein besonderes Gefühl vermittelt, ein Fahrzeug von Null aus zu konstruieren und zu bauen. Und das ist es, was sie in ihrer Freizeit tun. Sie entwerfen ein Konzept für das Fahrwerk, den Antriebsstrang, überlegen sich wie viele und welche Elektromotoren. Manche entwerfen selbst das Getriebe und die Umrichter. Sie prüfen verschiedene Konzepte für die Kühlung. Sie entwickeln die Lenkung, dimensionieren die Bauteile dafür, und verteilen das Fahrzeuggewicht sinnvoll über die vier Räder.
Teams aus aller Welt. Photo courtesy Formula Student Germany, Kroeger
Einige – so wie auch Starkstrom Augsburg – entwerfen ein Monocoque aus Kohefaser-Verbundwerkstoffen, ein unglaublicher Designaufwand, und konstruieren auch Teile des Fahrwerks aus diesem Werkstoff.
3000 Studenten in 115 Teams entwerfen und konstruieren also ein echtes Fahrzeug. Dafür wollen Sie auch die Software nutzen, die echte Automobilhersteller und Zulieferer für ihre Arbeit nutzen. Und genau deswegen waren wir da, weil MathWorks den Teams der Formula Student Germany ihre Software für Auswertung, Berechnung, Simulation und Entwurf, MATLAB & Simulink und 35 Add-Ons, gratis zur Verfügung stellt.
Die Teams berichteten im Gespräch übereinstimmend, dass die Formula Student Germany nicht nur mittlerweile der größte Wettbewerb weltweit sei, sondern ihrer Meinung nach der professionellste. Fürs Scrutineering stellt die Dekra einige Gerätschaften, die Streckenposten sind alle verkabelt, die Video- und Fotocrews machen hervorragende Arbeit und überhaupt hat man das Gefühl, das überwiegend alles wie am Schnürchen klappt. Ich kann es nur aus Erzählungen widergeben, aber das scheint bei anderen Wettbewerben durchaus noch etwas hemdsärmeliger zu sein. Was zwar den Studenten zufolge auch seine Vorteile hat, etwa bei den etwas offener gehandhabten Trainingszeiten nicht nur in der größten Hitze. In Summe zahlt sich aber wohl die »deutsche Gründlichkeit« aus.
Nicht nur ein Rennen – sondern ein Konstruktionswettbewerb
Formula Student Germany ist in erster Linie ein Konstruktionswettbewerb. Die Teams müssen in insgesamt acht Disziplinen bestehen, drei sogenannten statischen und fünf dynamischen.
Die statischen Disziplinen sind:
- Engineering Design – Juroren diskutieren mit dem Team die Einzelheiten des Entwurfs, die auch im entsprechenden Bericht dargelegt sind. Hier geht es darum wie entworfen und konstruiert wurde.
- Cost and Manufacturing – Wie gut wurden die Kosten für Konstruktion und Fertigung geplant und eingehalten? Welche Maßnahmen wurden getroffen, um die Kosten im Rahmen zu halten?
- Business Presentation – Die Teams präsentieren ihr Konzept vor einem imaginären Investor, um ihn davon zu überzeugen, den Prototyp in die Serienfertigung zu übernehmen.
Die dynamischen Disziplinen dürfen nur dann angetreten werden, wenn die Fahrzeuge die intensiven technischen Inspektion bestanden haben – dem Scrutineering – um die Sicherheit zu gewährleisten:
- Acceleration – Beschleunigung auf 75m. Die Fahrzeuge erreichen dabei mehr als 100 km/h. Wie stark ist der Antriebstrang?
- Skid Pad – ein Rundkurs in Form einer acht, wobei die Strecke naß ist. Wie gut ist die Bodenhaftung?
- Autocross – ungefähr ein Kilometer mit Geraden und Kurven. Hier ist die Dynamik des Fahrzeugs auf die Probe gestellt.
- Endurance – bis zu vier Wagen sind gleichzeitig auf der Strecke, 22 Kilometer gilt es zu überstehen inklusive einem Fahrerwechsel. Wie gut halten die Fahrzeuge durch?
- Fuel Efficiency – wie spritsparend bzw. energieeffizient fährt der Rennwagen? Eine Formel setzt gefahrene Runden mit den Zeiten und dem Energieverbrauch in Relation.
Ein hartes Programm, das nicht alle Fahrzeuge bestehen. Doch wie Tim Hannig sagt: Allein schon wer es geschafft hat, mit einem Fahrzeug nach Hockenheim zu kommen, ist schon Gewinner. Die 115 Teams haben es geschafft, insgesamt 186 Teams haben sich beworben, aber teilweise die Voraussetzungen nicht erfüllt oder stehen eben auf der Warteliste. Und es ist nie auszuschließen, dass es bei der Logistik, also beim Transport des Fahrzeugs nach Hockenheim, noch Probleme gibt, vor allem bei Teams, die von weither mit dem Flugzeug anreisen.
Simulation des Triebstrangs bei Starkstrom Augsburg e.V.
Was das Team von Starkstrom Augsburg rund um Daniel Polz, Michael Berndt, Alexander Nindel und den sogenannten »Faculty Advisor« Prof. Carsten Markgraf von der Hochschule Augsburg geschafft haben, ist, einen vollkommen neuen Antriebstrang zu entwerfen. Das schließt ein das Batteriesystem mitsamt Kühlung, Umrichter, Regelung, Elektromotoren und Getriebe. Das Fahrzeug bringt 68 Kilowatt Leistung auf die Straße und schafft damit von 0 auf 100 in 4 Sekunden, wie auch beim Rollout gezeigt wurde.
Den Antriebsstrang hat das Team vorher in seiner Dynamik modelliert und simuliert. Und hier freut es mich besonders, dass Prof. Markgraf und Michael Berndt (Bereichsleiter HV/Hardware) berichteten, dass ihnen Simscape, SimDriveline, SimPowersystems und insgesamt Simulink und MATLAB von großer Hilfe waren. Sie erstellten genau das Modell, mit dem Sie die einzelnen Komponenten des Systems dimensionieren und auslegen konnten. Wie viel Kraft wirkt an den einzelnen Teilen? Welche Übersetzung ist nötig? Wie muss der Strom geregelt werden? Passt das alles zur Leistung von Batterie, mit Wärmeentwicklung und den weiteren Spezifikationen?
Letztendlich konnten die angehenden Ingenieure durch Simulation berechnen, wie viele Wicklungen die Elektromotoren haben müssen, wie der Umrichter beschaffen sein muss und mit welchem Übersetzungsverhältnis die Kraft optimal übertragen werden kann.
Breite an Anwendungen
Die schiere Breite der Anwendung von MATLAB & Simulink und den Add-Ons, die ich auf der Formula Student Germany sehen und mit den Studenten diskutieren durfte, ist faszinierend. Was diese Jungs – und einige Mädels – in wenigen Monaten auf die Reifen stellen, wo nicht nur der Fertigungsaufwand groß ist, sondern eben auch für Entwurf, Berechnung und Modellierung, ist beeindruckend.
Wenn ich nur ein kleines bisschen mithelfen kann, dass die Teams ihre Ideen besser umsetzen können, dann freut es mich besonders.
Die Formula Student Germany 2013 endete am Sonntag spätabends mit der Preisverleihung für sowohl den Wettbewerb Verbrennungsmotor als auch den Wettbewerb Elektromotor. In der Formula Student Combustion gewann das Team Global Formula Racing (@TeamGFR) vor Rennteam Stuttgart (@Rennteam0711) und Rennstall Esslingen (@Rennstall). In der Formula Student Electric gewann DUT Racing Team (@DUT_Racing) vor AMZ Racing von der ETH Zürich (@amzracing) und ka.race.ing from KIT (@KA_RaceIng). Herzlichen Glückwunsch an diese und alle anderen, die es nach Hockenheim geschafft haben!
Update: In der ersten Version des Artikels konnte man den Anschein bekommen, Daniel Polz hätte alles alleine gemacht. Ihm war wichtig, die Leistungen besonders von zwei Teamkollegen in diesem Kontext herauszuheben, was ich natürlich gerne noch gemacht haben.
Foto: Joachim Schlosser, Lizenz Creative Commons Attribution ShareAlike
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