Die Planungen des Flughafens Berlin-Brandenburg begannen schon 1995, der Bau des Flughafens startete 2005 [1]. 13 Jahre später ist von einer Eröffnung nichts zu sehen. Trotzdem ist das Projekt ein Erfolg. Wie? Das zeigt dieser Beitrag, und auch, wie du mit solchen Projekten in deinem Unternehmen umgehen kannst.
Das Projekt wird mittlerweile auf >6.500.000.000 Euro geschätzt. Andererseits ist das gerade mal eine viertel Bankenrettung aus 2009. Dennoch, viel Geld. Der Bau des Flughafens BER ist eines der deutschen Großprojekte jüngerer Zeit, das wie kein anderes für Desaster steht, für fehlgeschlagene Projekte, für Scheitern auf vielen Ebenen.
Diese Betrachtungsweise verstehe ich gut. Doch möchte ich dich ermuntern, auch mal eine andere Sichtweise auf dieses Projekt zu nehmen.
Dieser Beitrag ist ein Beitrag zur Blogparade #Organisationsrebellen.
Projektziel
Wir betrachten das Projekt natürlich nach seinem Namen, und leiten daraus ab, ob das momentan nach Erfolg aussieht oder nicht. Ein Projekt, das „Flughafen“ lautet, legt nahe, dass das Ziel sei, das Resultat des Projekts als Flughafen nutzen zu können, also dass Menschen und Fracht dort verreisen können, und eine Vielzahl von Geschäften ebensolche macht.
Ein Flughafen ist nur dann ein Flughafen, wenn dort Flugzeuge starten und landen können, Passagiere und Fracht abgefertigt werden. Ein Flughafen ist ein Flughafen, wenn er seine Bestimmung als solcher erfüllt. Aus dieser Betrachtungsweise ist der Flughafen Berlin-Brandenburg ein Totalausfall.
Ist das jedoch die einzig mögliche Betrachtungsweise? Mitnichten.
Nutzen
Wir meinen der einzige gesellschaftliche Nutzen eines Flughafenbaus sei der, dass am Schluss ein Flughafen eröffnet und benutzt wird, und sich am besten noch selbst trägt.
Dem ist nicht so. Das ist ein Nutzen des Projekts, aber nicht der einzige. Es geht um das Projekt Bau des Flughafens. Wer hat etwas von einem Baugroßprojekt?
- Der Erfinder, in der Regel aus der Politik. Er bekommt zu Beginn Aufmerksamkeit, Renommée, gilt als weit blickend, als Veränderer.
- Das Architekturbüro für die Generalarchitektur. Klar: großes Projekt, großer Auftrag, großer Umsatz.
- Die vielen nachgelagerten Architekturbüros. Auch klar: großes Projekt, viele Teilprojekte.
- Büros für die Planfeststellungsverfahren. Hier werden eine Unmenge an Menschen mit sehr viel Arbeit versorgt, was diesen sicheren Umsatz bringt.
- Baufirmen en Masse. Kubikkilometerweise Beton muss verbaut werden, Berge an Erde bewegt, Fantastilliarden Tonnen Stahl, Quadratkilometerweise Glas, Kabel und Elektronik in astronomischen Einheiten.
- Hersteller all dieser Materialien und Produkte.
- Gutachter zu Dutzenden. Denn auch wenn es gut geht: irgendwas ist immer. Irgendwelche Querelen gibt es auch bei einem halbwegs normal laufenden Projekt. Sei es Lärm, Ökologie, Gewährleistung, Qualität, Finanzen, oder was auch immer.
- Vorstände der Flughafenbetreibergesellschaft. Dadurch, dass man immer wieder neue Spitzenmanager gewinnen möchte und muss, ist die Vergütung für den Job nicht zu verachten, und wiegt die schwierige öffentliche Wahrnehmung der Position für viele mehr als auf.
Das Projekt ist also unabhängig vom finalen Ausgang für viele Personen und Firmen ein großer Umsatzbringer.
Und wozu jetzt eine Fertigstellung des Projekterfolgs?
Ja, wie hilft es denn nun, wenn der Flughafen nicht fertig wird?
Jede Veränderung am eigentlich fertig geplanten und fertig gebauten Flughafen – egal welches Gebäude, welcher Bauteil – bedeutet für ein oder mehrere Firmen deutliche Mehreinnamen [2]. Hier 20 Millionen Euro, da 45 Millionen Euro, dort 90 Millionen Euro. Hier nochmal Kabel neu verlegen, drüben nochmal neue Türen, dort noch eine neue Sprinkleranlage. Und dann feststellen, dass man dafür noch eine entsprechend dimensionierte Zuleitung braucht.
Im Jahr des Spatenstichs 2006 ging man von Gesamtkosten in Höhe von 2 Milliarden Euro aus, mittlerweile lautet die Zahl eher 6,5 Milliarden Euro. Und alleine der Betrieb der Baustelle verschlingt eine Million Euro pro Tag [3]. Und das geht noch bis mindestens 2020 so weiter [1].
Bis auf den Nutzen, dass von diesem Flughafen tatsächlich Menschen mit dem Flugzeug verreisen können, sind sehr viele andere Nutzen bereits eingetreten. Das Projekt produziert also einen Großteil seines Nutzens sehr zuverlässig, und auch deutlich umfangreicher und damit positiver als angenommen.
Gerade im Bausektor, wo bei normalen Projekten ja nach Gewerken beauftragt wird, wo ich also entweder liefere oder nicht, ist der Flughafen BER nun ein Segen: Denn für Gewerk kommt hier keiner mehr, sondern für Abrechnung nach Zeit und Material, und das ist bei einem politischen Willensprojekt quasi ein Freifahrtschein.
Für viele Beteiligten ist der Flughafenbau #BER faktisch ein Erfolg.
Es mag zynisch klingen, doch das Bauprojekt Flughafen Berlin-Brandenburg ist in vielerlei Hinsicht ein Erfolg, auch wenn das viele Beteiligte nur schwer oder gar nicht zugeben wollen.
Was ist Dein Projekt BER?
Wir regen uns über derart laufende Großprojekte auf, von denen wir vor allem in Deutschland einige haben und in neuerer Zeit hatten, und das eben in sehr großem Stil und Umfang. Da erscheint die Elbphilharmonie mit unter einer Milliarde Kosten beinah wie ein Schnäppchen.
Es ist leicht, auf ferne Großprojekte zu schimpfen, die Steuern verschleudern. Klar, es ist auch notwendig, das öffentlich zu machen, und der Zunft der Journalisten ist zu danken für Einblicke.
Wo aber haben wir selber unser Projekt BER? Wo in deiner Firma gibt es ein Projekt, das sich verselbständigt hat? Gibt es ein Projekt, das den Nutzen für viele Stakeholder hauptsächlich noch durch das Laufenlassen erbringt, jedoch schon lange nicht mehr durch ein Projektziel, das vielleicht noch erreicht wird oder auch nicht? Dazu übrigens auch: 8 Merkmale ehrlicher Projekt­kommunikation oder Warum immer ein Desaster? [11]
Die Einführung einer Standardsoftware kann so ein Projekt sein.
- Jeder Mitarbeiter sollte sich fragen: Wo bin ich Teil eines Projekts BER?
- Jede Führungskraft sollte sich fragen: Wo bin ich Teil eines oder toleriere ich ein Projekt BER?
- Jeder Manager in Top-Position sollte sich fragen: Wo lasse ich ein Projekt BER laufen?
Es gibt viele Gründe, ein Projekt BER laufen zu lassen. Es ist mir peinlich, zuzugeben, dass das Projektziel nicht mehr erreicht werden kann. Es ist mir peinlich, für „mein“ Projekt ein Scheitern einzugestehen. Das Projektziel ist mir nach wie vor wichtig und ich sehe keinen anderen Weg dorthin. Ich fühle mich dem Projekt verpflichtet. Ich fühle mich verpflichtet, das durchzuziehen. Mein Bonus hängt dran. Mein Job hängt dran. Ich kann mich als Held beweisen.
Wir alle sind oft Opfer der Sunk Cost Fallacy [4,5,6], also des Irrtums versunkener Kosten: Wir geben weiter Geld aus, weil ja schon so viel Geld hinein geflossen ist, das sonst verloren wäre. Der Prinzip versunkener Kosten jedoch lehrt: Das Geld ist sowieso verloren und darf nicht zukünftige Entscheidungen beeinflussen.
Wir halten an Projekten fest, die ihr ursprüngliches Projektziel nicht mehr erreichen können, egal, wie sehr wir uns noch anstrengen. Oder wir halten an Projekten fest, die schlichtweg nicht mehr wirtschaftlich vertretbar sind. [12]
Dass es auch anders geht, macht Marcus in seinem Human Leadership Manifesto [10] deutlich.
Was tun als #Organisationsrebellen?
Du arbeitest in einem Flughafen BER Projekt? Nicht so groß, nicht so teuer, aber trotzdem ein völlig aus dem Ruder gelaufenes Projekt?
They say jump, you say how high?
(from: Rage Against The Machine, Bullet In The Head)
Egal in welcher Funktion, egal in welcher Hierarchiestufe: Du hast mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen. Hier kommt auch der Begriff der #Organisationsrebellen rein: Es ist einfach, mitzulaufen. Es ist schwieriger, sich hinzustellen und etwas zu ändern.
- Sprich das Problem an. Die meisten Kollegen und Projektpartner warten nur darauf, dass einer den Anfang macht. Dann ist es für alle leichter. #Organisationsrebellen machen Unsinn transparent. Ohne Anklage.
- Geh offen mit dem Projekt um. Was Teams in Unternehmen zynisch macht, ist, wenn man so tun muss als ob alles noch sinnhaft und erfolgversprechend wäre. Das muss nicht sein. Es gibt das Prinzip Disagree and Commit. Wir brauchen uns gegenseitig keinen Blödsinn zu erzählen. Wir können uns auch darauf verständigen, dass mit einem Projekt kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, und trotzdem aus gutem Grund weiter machen. Wenn ihr bis zum Hals in der Scheiße steht, hilft es nichts, das als Blumenwiese darzustellen, sondern die Situation ehrlich zu betrachten und dann gemeinsam rausschaufeln.
- Prüfe die Evakuierung. Wie kommt ihr da raus, und zwar gemeinsam mit dem Kunden? Oft muss es nicht mehr der Garten Eden als Projektresultat sein. Sich und den Kunden raus aus der Jauchegrube schaufeln kann auch schon etwas sein.
- Schaffe Wertschöpfung jenseits des Ziels. Wenn dein Projekt ein BER ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du nicht mehr den Wert schaffen kannst, der ursprünglich angedacht war. Das ist schade. Trotzdem kannst du immer noch einen Wert schaffen. In jeder Rolle, denn du gehörst zu den #Organisationsrebellen.
- Brich das Projekt ab, auch ohne Mandat. Das ist schwer. Als Projektleiter ebenso wie als Führungskraft, ebenso wie als Mitarbeiter im Projekt, ebenso wie als Executive. Und es gelingt oft nicht. Trotzdem lohnt es, den Abbruch zu bedenken, durchzurechnen, vorzuschlagen. Denn wenn der Projektabbruch von deiner Organisation und dem Kunden weiteren Schaden abwendet, dann ist es ja sogar deine Pflicht, den Abbruch zu forcieren.
- Lerne und schreib es auf. Scheißprojekte bieten unglaubliche Möglichkeiten zu lernen. Technische Lösungsfindung, Krisenkommunikation, Stakeholder Management, Betriebswirtschaftliches Denken, Risikomanagement, und vieles mehr. Das Wesen von Organisationsrebellen ist ja eben, dass sie Dinge anders tun. Also nicht den Kopf hängen lassen wegen eines Projekts, sondern das als Trainingsmöglichkeit nutzen. Schreib es auf. Deine Organisation wird dir dankbar für die Einsichten sein, auch wenn sie es nicht sagt.
- Investiere in eine echte Fehlerkultur. Nur was geschrieben ist, steht einfach zur Verfügung. Aus Foliensätzen lernt keiner, der nicht bei der Vorstellung dessen dabei war. Willst du Erkenntnisse in der Firma nachhaltig verankern, muss diese auffindbar sein, und zwar im Vorübergehen.
Erzählt dazu noch eine Geschichte über das Projekt, in dem die wesentlichen Elemente des Scheiterns enthalten sind. Storytelling funktioniert!
Kein Projekt ist so schlecht, dass es nicht wenigstens als abschreckendes Beispiel dienen kann.
Dazu muss das schlechte Beispiel sichtbar sein. Niemand – außer der Journalist – schreibt gerne auf, wie und wo genau ein Projekt begann zu scheitern. Auch wenn Organisationen sich auf die Fahnen schreiben, aus Fehlern zu Lernen, Fehlerkultur zu betreiben, in Form von Retrospektiven sogar regelmäßig kritisch zurück zu blicken, oder mittels Root Cause Analysis [7], 5 Warum [8] oder auch den 8D [9] den Ursachen auf den Grund zu gehen: Tatsächlich geschieht das selten.
Noch seltener werden die Erkenntnisse der Ursachensuche in Taten umgesetzt. Es kostet vielleicht mal jemanden seinen Kopf, obwohl Fehler selten von Menschen verursacht – gleichwohl gemacht – werden, sondern von Systemen. Dabei ist der konsequente Umbau und Anpassung von Systemen an die schwerwiegendsten Fehlerursachen kein Hexenwerk, geht aber bisweilen tief ins System. Denn wo nicht nur Prozeduren falsch laufen, sondern Incentivierungssyteme das eigentliche Ziel korrumpieren, ist der Wandel schwerer.
Zusatzmöglichkeiten für Führungskräfte und Executives:
- Prüfe deine Anreizsysteme. Menschen treffen Entscheidungen ja nicht im luftleeren Raum und nur an der Sache, sondern in einem Anreizsystem. Prüfe die Anreizsyteme im Unternehmen, sowohl die monetären als auch die sozialen.
Wenn du Umsatz bonierst, bekommst du Umsatz, nicht unbedingt Projekterfolg.
Wenn du grüne Statusampeln lobst, bekommst du grüne Statusampeln.
Wenn du Heldentum und Feuerwehreinsätze in Projekten auszeichnest, bekommst du Projekte, die Helden und Feuerwehreinsätze brauchen. - Brich das Projekt ab (Executive Edition). Das ist bitter. Es kostet wahrscheinlich Geld. Das kostet es aber sowieso. Mit den meisten Kunden kann man jedoch reden. So teuer wird es dann nicht, weil ja auch der Kunde einsieht, dass es mit weitermachen noch viel teurer wird.
- Investiere in eine echte Fehlerkultur (Manager Edition). Du brauchst keine neuen IT-Systeme, so lange Mitarbeiter auf einfache Weise in ein intern global durchsuchbares Firmen-Wiki wie Atlassian Confluence, SharePoint, WordPress oder ähnliches schreiben können. Geh mit gutem Beispiel voran. Wenn du selber schreibst, was du woraus gelernt hast, werden es dir andere nachtun. Und nur wenn du selber über selbst gemachte Fehler schreibst, gibst du anderen die nötige Zuversicht, dass es geht.
Wer handelt, führt. Mit oder ohne Mandat.
Ich schaffe das oft selber nicht. Aber jeder Tag, an dem ich mich dafür einsetze, dass sich Systeme ändern, ist ein guter Tag.
Im Angesicht des Abgrunds
Kunden oder sogar Menschen in deiner eigenen Organisation schreien rum. Die meinen das nicht persönlich, die sind gefrustet von dem Projekt, so wie du. Du stehst halt nunmal gerade zufällig da, oder auch qua Amt. Auch wenn es persönlich wird – es ist nicht persönlich.
Was ist Dein Projekt #BER?
Lasse die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Deinen Erfahrungen und kommentiere!
Referenzen
- Bau des Flughafens Berlin Brandenburg. In: Wikipedia
- Wie Firmen von der Dauerbaustelle BER profitieren. In: Welt
- So sieht es am Berliner Pannenflughafen wirklich aus. In: Welt
- Sunk Cost Fallacy. In: You Are Not So Smart
- Sunk Cost In: Wikipedia
- Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow. Rezension Joachim
- Root Cause Analysis. In: Quality One
- 5 Why Technique. In: Lean Production Expert
- Eight Disciplines of Problem Solving 8D. In: Quality One
- Organisationsrebellen: Veränderung braucht Störung. In: Führung erfahren
- 8 Merkmale ehrlicher Projektkommunikation oder Warum immer ein Desaster?
- Wenn Trauer das Projekt gefährdet: 10 Lehren + Bonus
Photo: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike
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