Weniger ist mehr.
Das ist die Kernbotschaft des Bestsellers Essentialism. The Disciplined Pursuit of Less von Greg McKeown.
In einer Zeit des »Alles ist möglich« sind wir versucht, auch alles zu tun.
Das nimmt uns die Luft zum Atmen, und sorgt dafür, dass wir viele Dingen eben zwar anpacken, ihnen aber nicht die Aufmerksamkeit schenken können, die wir wollen.
Greg McKeowns Essentialism hat mich angesprochen, weil er ganz dediziert das Problem anspricht: das Verzetteln im Leben, und Möglichkeiten aufzeigt, dies zu überwinden.
Ein Ziel, und das dann auch nachverfolgen, statt beliebig viele, die gleichzeitig oft gar nicht erreichbar sind.
Stress und Qualität
Alle Zitate sind frei aus dem Englischen übersetzt, da ich Essentialism als Hörbuch genossen habe.
Greg McKeown beschreibt das Problem wie folgt:
»Sein Stress wurde mehr, während die Qualität seiner Arbeit abnahm. Es war als würde er sich auf Kleinigkeiten spezialisieren.«
Wie viele verschiedene Dinge tun wir jeden Tag. Wie viele davon sind tatsächlich nützlich? Wobei nützlich viele Ebenen haben kann.
Letztendlich führt es immer zu dieser Frage:
»Ist dies das Wichtigste, was ich mit meiner Zeit und Ressourcen genau jetzt tun sollte?«
Ich halte das für eine sehr mächtige Frage. Die Frage zwingt mich, nachzudenken, was denn das Wichtigste ist.
Und führt zu Definition von Essentialismus:
»Essentialismus: erst wenn du dir erlaubst damit aufzuhören, alles tun zu versuchen, zu allen ja zu sagen, dann kannst du den größten Beitrag liefern zu den Dingen, die wirklich zählen.«
(»Essentialism: only once you give yourself permission to stop trying to do it all, to stop saying yes to everyone, can you make your highest contribution towards the things that really matter.«)
Oder kurz gesagt:
»Weniger aber besser.«
Die Sache mit der Priorität
»Priorität. Es war fünfhundert Jahre lang ein Singular. Erst im 20. Jahrhundert pluralisierten wir das Wort und begannen, über Prioritäten zu sprechen.«
(»Priority. It stayed singular for the next five hundred years. Only in the 1900s did we pluralize the term and start talking about priorities.«)
Oder wie das Indianersprichwort sagt: Man who chases two rabbits catches none.
Wenn wir von Prioritäten sprechen, meinen wir oft gleichrangige Ziele. Tatsächlich ist dies nicht möglich. Es ist eine sortierte Liste, und im zweifelsfall gewinnt das Ziel, das weiter oben steht.
Es kann nur eine Priorität ganz oben geben, und nur eine auf Platz zwei und so weiter. So lange die Ziele auf einer Linie sind, ist das kein Problem. An einem gewissen Punkt jedoch, oder wenn die Ziele eben nicht so nahe beieinander liegen, kommt es zum Zielkonflikt. Dann ist entscheidend, was wichtiger ist.
Greg McKeown benutzt wiederholt das Gleichnis vom Kleiderschrank: Mit der Zeit wird der Kleiderschrank immer voller, wenn wir nicht ab und zu aufräumen. Ein größerer Kleiderschrank verschiebt das Problem nur in die Zukunft, denn auch ein größerer Kleiderschrank wird irgendwann überquellen. Es helfen nur die Fragen »Mag ist das?«, »Sehe ich darin gut aus?« und »Trage ich das oft?«
Die Lösung gegen Gruscht (schwäbischer Ausdruck für undefiniertes Zeug) ist nicht mehr Platz für Gruscht, sondern Gruscht aufräumen und entsorgen.
Wie Peter Drucker, großer Management-Trainer des 20. Jahrhunderts sagte:
»Menschen sind effektiv, weil sie ‘nein’ sagen, weil sie sagen ‘das ist nicht für mich.’«
(»As Peter Drucker said, “People are effective because they say ‘no,’ because they say, “this isn’t for me.”«)
Veränderte Rahmenbedingungen
Greg McKeown beschreibt das psychologische Konzept der erlernten Hilflosigkeit als Gefühl, nichts an einer Situation ändern zu können, obwohl die Lösung greifbar wäre.
Wenn in der Vergangenheit ein gewisses Verhalten Schmerzen vermied, dann wird für Tiere und Menschen dieses Verhalten zum persönlichen Standard, den sie auch an neue Tiere im Rudel (Kinder, Mitarbeiter, usw.) weiter geben.
Selbst wenn sich die Umstände dann ändern und die Bedrohung gar nicht mehr in der Form existent ist, wird dennoch das erlernte Verhalten ausgeübt.
Bis jemand erkennt, dass es eine Wahlmöglichkeit gibt: Sich so zu verhalten wie gewohnt, oder etwas anderes zu tun.
Das Standardverhalten für viele ist eben, zu allen Anfragen ja zu sagen.
Es hilft sich einen Superreichen zu vergegenwärtigen: »Warren Buffett – er verdankt 90% seines Reichtums nur zehn Investitionen.«
Selbstbeschränkung
Wie aber diesen Fokus gewinnen? Einfach weglassen, was gerade kommt, kann es ja auch nicht sein. Greg McKeown schreibt dazu:
»Ein Essentialist erforscht und ergründet ein breites Spektrum an Möglichkeiten, bevor er eine wahrnimmt. Weil Essentialisten sich nur für die ganz wenigen Ideen oder Aktivitäten verpflichten und groß machen, erwägen sie zunächst mehr Optionen, um sicherzustellen, dass sie später die richtige wählen.«
(»An essentialist explores and evaluates a broad set of options before committing to any. Because Essentialists will commit and “go big” on only the vital few ideas or activities, they explore more options at first to ensure they pick the right one later.«)
Dazu braucht es natürlich Zeit. Zeit, die nicht einfach irgendwo herkommt, sondern Zeit, die wir uns nehmen müssen, wenn wir möchten.
»Wann haben Sie zuletzt Zeit in ihrem geschäftigen Tag frei gemacht, um einfach nur dazusitzen und zu denken?«
(»When did you last take time out of your busy day simply to sit and think?«)
Bei der Entscheidung, was wirklich wichtig ist, kommt uns noch ein Denk-Konzept in die Quere: die Verlustvermeidung, die sehr ausführlich Daniel Kahneman in Thinking, Fast and Slow bespricht.
»Wir tendieren dazu, Dinge, die wir schon haben, mehr wertzuschätzen als sie wert sind, und empfinden es als schwieriger, sie loszuwerden.«
(»We tend to value things we already own more highly than they are worth, and thus find them more difficult to get rid of.«)
Das kenne ich. Dieses Kabel kann ich bestimmt nochmal brauchen. Oh, an der PCI-Steckkarte hängen so viele Erinnerungen, und außerdem war sie teuer. Sie haben bestimmt ähnliche Dinge, die Sie nicht hergeben wollen, oder?
In Essentialism schlägt Greg McKeown ein radikaleres Entscheidungsmodell vor:
Das 90-10 Modell für Entscheidungen. Nimm das wichtigste Entscheidungskriterium, und vergebe einen Wert von 0 bis 100. Betrachte die Entscheidung kann nur weiter positiv betrachtet
(»The 90-10 model for making decisions. You can apply to just about every decision or dilemma. As you evaluate an option, think about the single most important criterion for that decision, and then simply give the option a score between 0 and 100. If you rate it any lower than 90 percent, then automatically change the rating to 0.«)
Kurz gesprochen heisst das: Wenn du nicht voll überzeugt bist, dann lass es.
Ein Weg in einem überfüllten Leben.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht beim Lesen dieser Buchauszüge. Beim Lesen bzw. Hören von Essentialism: The Disciplined Pursuit of Less musste ich öfters inne halten und darüber nachdenken, was ich alles anpacke, und eben auch vieles gleichzeitig.
Damit ist Essentialism für mich ein Weckruf ebenso wie ein Pfad zu mehr Fokus.
Steht dieser Essentialismus nicht im Widerspruch zum Portfolio Life, das Jeff Goins propagiert? Möglicherweise, ist doch das Portfolio Life Konzept ein Manifest für die Reichhaltigkeit des eigenen Schaffens, der Erkenntnis, dass wir eben nicht nur eine Sache tun.
Andererseits heisst weder Essentialismus, in Zukunft nur noch eine Sache zu tun, sondern nur noch die wichtigen Sachen zu tun. Und noch heisst Portfolio Life, alles zu tun, sondern ausgewählte, wichtige Projekte parallel zu verfolgen.
Das widerspricht sich also nur oberflächlich, bei genauerem Hinsehen jedoch ergibt beides zusammen ebenfalls Sinn.
Nein sagen
Nein zu sagen kann schwierig sein. Wir wollen den anderen ja nicht enttäuschen oder vor den Kopf stoßen. Wir wollen keine Gelegenheit verpassen. Wir fühlen uns verpflichtet, in das Meeting zu gehen.
McKeown rät dazu: »Trenne die Entscheidung von der Beziehung. Sag nein zu nicht-essentiellen Besprechungen. […] Anfängliche Verärgerung oder Enttäuschung oder Ärger vergeht, Respekt tritt anstelle dessen. «
(»Separate the decision from the relationship. Say no to non-essential meetings. […] Initial annoyance or disappointment or anger wears off, the respect kicks in.«)
Nein zu sagen ist nicht nur notwendig, um uns selbst zu schützen. »Es unterscheidet den Profi vom Amateur.«
(»When we push back effectively, it shows people that our time is highly valuable. It distinguishes the professional from the amateur.«)
Der Autor gibt dazu auch einen guten Exkurs in einem Blogpost.
Schreibstil und Kritik
Greg McKeown schreibt sein Essentialism: The Disciplined Pursuit of Less locker und dynamisch. Es macht Spaß, seinen Ausführungen zu folgen. Das Englisch ist für mich gut zu verdauen.
Er greift Konzepte immer wieder im Buch auf, ohne sich zu sehr zu wiederholen. Natürlich bleibt es ein sehr amerikanisch geschriebenes Werk, das man auf deutlich weniger Seiten ebenfalls ohne große Verluste hätte unterbringen können.
Hätte man Essentialism: The Disciplined Pursuit of Less auch als fünfseitiges Manifest schreiben können? Wahrscheinlich ja. Wahrscheinlich sogar in weniger als fünf Seiten. Doch darum geht es nicht.
Mir gefällt das Buch so, wie es ist, inklusive kleinerer Längen, weil es mich auf eine Gedankenreise mitnimmt und dank der Beispiele eben auch im praktischen Leben bleibt.
Audio
Ich habe das Audible-Audiobook von Essentialism: The Disciplined Pursuit of Less genossen. Der Sprecher – nicht der Autor – liest gut akzentuiert. Ich konnte der Geschichte gut folgen, ohne seine Aussprache oder Rhythmus bewusst wahrzunehmen – was ein gutes Zeichen ist .
Die Kapitel sind für mich sinnvoll strukturiert. In der Umsetzung in Audible hätte ich mir sinnvollere Kapitelbezeichnungen als Kapitel 2 gewünscht. Dies würde das Wiederfinden von Abschnitten leichter machen.
Essentiell bleiben
Und wie sehen Sie das? Wie reagieren Sie auf die Ideen aus Essentialism? Oder haben Sie das Buch gelesen?
Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!
Photo: Courtesy Death to the Stockphoto
Schreiben Sie einen Kommentar