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Der Faktor Erde im Vortrag

Der folgende Artikel ist ein Auszug aus meinem kommenden Buch Präsentieren im Dialog oder was »Die Kunst des Krieges« für den Vortrag lehrt. Tragen Sie sich – sofern nicht schon geschehen – oben rechts ein, wenn Sie vom Erscheinen des Buches erfahren wollen.

Erde

Im Gegensatz zum „Wetter” der Präsentation bezieht sich der konstante Faktor Erde auf das Gelände, auf dem Ihre Rede stattfindet. Sun Tsu spricht von großen und kleinen Entfernungen, „offenes Gelände und schmale Pässe.”

Der Boden des Vortrags besteht aus zwei Elementen. Das eine Element ist der Inhalt Ihres Vortrags, genauer die Passung des Inhalts auf die Aufgabenstellung. Wenn Sie eine Lösung für eine Problemstellung präsentieren, stellt sich die Frage, wie gut diese passt. Das Maß der Passung wiederum hat drei Dimensionen: technisch, organisatorisch, kulturell. Wie gut ist die technische Passung? Passen Prozess der Lösung und momentane Organisation des Prozesses zusammen? Wie gut passt die Lösung kulturell zur Organisation, auf die sie angewendet werden soll? Die ehrlichen Antworten bestimmen die Gestalt des konstanten Faktors Erde.

Passt Ihre Lösung ideal und vollständig in allen Dimensionen, wird Ihre Herangehensweise an einen Vortrag einen andere sein als wenn die Lösung technisch machbar aber schwierig zu handhaben ist, grosse Prozessänderungen erfordert und der bisherigen Kultur der Organisation nur in Teilen entspricht. Ihr Vortrag soll ja gut aufgenommen werden. Das heisst nicht unbedingt, dass Ihnen alle zustimmen müssen, sondern dass Ihr Vortrag etwas in Ihren Zuhörern ändert, ihnen einen Anstoss zur Änderung gibt. Und ja, natürlich wollen Sie Menschen überzeugen. Damit das gelingt, benötigen Sie eine klare Sicht auf Ihren Inhalt und wie sich dieser in den jeweiligen Kontext einfügt.

Das ist das Element des Inhalts im Faktor Erde. Das andere Element ist Ihre Zuhörerschaft, denn diese bildet den anderen wesentlichen Teil des Kontexts, in dem Ihr Vortrag wirken soll. So wie ein Bauingenieur nur dann ein hohes Haus auf einen Grund bauen kann, wenn er weiß, wie dieser Boden beschaffen ist, so können Sie auch nur dann eine wirkende Präsentation geben, wenn Sie wissen, wer Ihre Zuhörerschaft ist und wie diese quasi „beschaffen” ist.

Welches Vorwissen haben Ihre Zuhörer in Bezug auf das Thema Ihres Vortrags? Welche Einstellung haben Sie in Bezug auf Sie als Person? Wie sehen Sie Ihre Firma, wie die eigene? Wie wird Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung angesehen?

Wie ist das Befinden der einzelnen Zuhörer heute, was beschäftigt sie gerade und wie fühlen sie sich? Haben sie mit einem ähnlichen Thema wie Sie es erzählen kürzlich einen Erfolg oder Misserfolg erlebt?

Wie ist die Gruppendynamik beschaffen? Gibt es einen impliziten oder expliziten Anführer der Gruppe? Welche rhetorischen Vorlieben hat dieser, eher das Moderieren oder eher das Dominieren einer Diskussion? Gibt es zwei oder mehr Fraktionen innerhalb der Zuhörerschaft? Wie stehen diese Fraktionen zueinander? Sind sie einander eher unbekannt oder sogar opponierend?

In meiner täglichen Arbeit gibt es bei Kundengesprächen oft zwei Gruppen von Entwicklern: Systementwickler und Softwareentwickler. Oft sitzen diese entsprechend gruppiert am Konferenztisch, ab und an sogar mit einem Stuhl frei dazwischen. Nun ist es nicht so, dass diese Gruppen etwas gegeneinander hätten, sie verstehen sich nur oftmals nicht, weil sie aus verschiedenen Ausbildungsrichtungen kommen, verschiedene Aspekte eines Projekts bearbeiten und sich ihre Begriffswelt unterscheidet. Wenn eine der Gruppen zu einer Lösung die wir präsentieren, kritische Fragen hat oder Unverständnis oder Bedenken äußert, dann erscheint das der anderen Gruppe bisweilen als seltsam. Je nachdem, welcher Gruppe der Präsentierende gedanklich näher steht, kann es letzterem ähnlich gehen. Für den Erfolg des Vortrags ist es von Bedeutung, sich der Existenz und Verschiedenheit der zwei Gruppen bewusst zu sein. Und noch mehr: Es kann sehr erlösend sein, dies auch auszusprechen.

„Mir scheint, wir haben hier hauptsächlich Vertreter zweier Gruppen sitzen, nämlich aus der System- und der Softwareentwicklung. Im Verlauf des Vortrags werden Sie Aspekte hören, die eher aus der einen oder anderen Welt stammen, und dementsprechend werden Sie Fragen dazu haben, wie das zu Ihrem Kontext passen soll, und wie ein Begriff aus dem jeweils anderen Kontext gemeint ist. Das ist okay. Fragen Sie, denn auch das ist ja Ziel hier: Ihnen Möglichkeiten zu geben, sich besser auszutauschen und von den Ideen der anderen besser zu profitieren, was insgesamt dem Projekt zugute kommt.” Das war natürlich die ausführliche Version, oft geht es kürzer.

Für alle Bereiche (”Isotope”) des Elements Zuhörerschaft gibt es weder ein „gut” noch ein „schlecht”. Werten Sie nicht, richten Sie nicht über Ihre Zuhörer, es steht Ihnen nicht zu. Finden Sie so viel wie möglich über Ihre Zuhörerschaft heraus, in Vorbereitung auf den Tag Ihres Vortrags ebenso wie an selbigem. Auf diese Weise können Sie Ihre Präsentation wertvoller für Ihre Zuhörer machen, weil Sie besser auf deren Bedürfnisse eingehen. Eine genauere Einführung in das Eingehen auf Bedürfnisse folgt später, es sei hier nur erwähnt, dass Bedürfnisse und Wünsche nicht unbedingt deckungsgleich sein müssen, ja bisweilen sogar recht weit auseinander liegen können.

So wie Sie auch beim Laufen die passenden Schuhe für eine geplante Route auswählen und dennoch dynamisch auf den Untergrund reagieren, auf dem Sie gerade unterwegs sind, so bereiten Sie sich auch für Ihre Rede auf den Faktor Erde vor und passen sich während des Vortrags an neue Situationen, die Ihnen gewahr werden, an.

Foto: www.joachimschlosser.de

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