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Lesen über Entscheidung: Decisive ‒ Chip & Dan Heath

Wie treffen wir möglichst gute Entscheidungen? Was ist überhaupt eine gute Entscheidung?

Chip Heath und Dan Heath sind diesen Fragen nachgegangen in ihrem Buch »Decisive. How to make better decisions in life and work« (auch als Audiobook)

Decisive bietet ein Framework, ein Rahmenwerk, um bessere Entscheidungen zu treffen.

In all der Komplexität der größeren Entscheidungen, der wir begegnen, ist ein verlässlicher Prozess am ehesten hilfreich. Und da ich ein Faible für gut nachvollziehbare Prozesse habe, ist Decisive genau mein Buch.

Die vier Hindernisse bei Entscheidungen

  1. Ein enger Blick.Oft meinen wir, uns zwischen ja oder nein entscheiden zu müssen. Oder zwischen zwei Alternativen A und B.

    Dies geschieht, weil wir die Frage zu eng fassen, enger als es die Sache eigentlich verlangt. Bei einer Entscheidung zwischen ja und nein übersehen wir dann, dass es vielleicht auch einfache Wege gibt, sowohl als auch zu erreichen. Müssen wir uns zwischen A und B entscheiden, übersehen wir vielleicht, dass C viel besser geeignet wäre.

  2. Voreingenommenheit, unhaltbare Annahmen.Oft tendieren wir schon zu Beginn zu einer bestimmten Alternative, begründen dies mit vermeintlichen Wahrheiten. Dabei übersehen wir oft, dass es gar keine Wahrheiten sind, die wir da postulieren, sondern Annahmen.

    Manche dieser Annahmen mögen haltbar sein, andere Annahmen erweisen sich bei näherem Hinsehen als Trugschluss.

  3. Kurzfristige Emotionen.Entscheidungen können schwer sein. Manche Alternative mag zwar objektiv die bessere sein, jedoch haben wir Schwierigkeiten, sie tatsächlich durchzuziehen. Oder wir sehen viele Alternativen gar nicht, weil wir an bestimmten Ergebnissen hängen.

    Unsere Emotion, die ja langfristig ein guter Ratgeber sein kann, behindert uns mit kurzsichtigem Störfeuer.

  4. Zu zuversichtlich sein.Wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, gehen wir davon aus, dass es das nun war, und alles in Ordnung ist. Sollte sich die Entscheidung dann als falsch heraus stellen, dann sind wir entweder überrascht oder nicht bereit, dies einzugestehen.

Diese vier Gegner – die Autoren Chip & Dan Heath schreiben von »villains« (Schurken) – guter Entscheidungen treten in verschiedenen Phasen auf, und sie wirken unerkannt.

Das WRAP Framework

Decisive - Cover
Decisive – Cover

Das Framework in Decisive adressiert genau die vier angesprochenen Gegner. Es heisst WRAP, nach den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffen, aus denen es aufgebaut ist.

  1. Weite Deine Optionen (widen your options)Wenn wir also in einem zu engen Blick gefangen sind, dann brauchen wir Techniken, um andere Optionen ebenfalls zu berücksichtigen.

    Was könnte ich statt ja oder nein beziehungsweise A oder B noch tun? Was kann ich nicht tun, wenn ich eine der Alternativen wähle? Was, wenn meine zwei ursprünglichen Optionen nicht mehr verfügbar wären? Wie kann ich mehrere Optionen erreichen? Welche dritte Option macht beide möglich?

    Wer hatte schon ein ähnliches Problem, und wie sah die Lösung aus? In welcher ganz anderen Domäne treten ähnliche Probleme auf, und was kann ich daraus für meine Entscheidung lernen?

  2. Realitätscheck der Annahmen (reality-test your assumptions)Annahmen setzen oft einen ganz bestimmten Kontext voraus, der aber in den wenigsten Fällen gegeben ist. Oder sie basieren auf Details, die ebenfalls nicht zutreffen.

    Decisive schlägt vor, die Entscheidung sehr breit zu betrachten und sehr eng:

    Wie sieht die Erfolgsrate bei ähnlichen Projekten aus? Bei Projekten allgemein? Welche Details müssten zutreffen, damit die jeweilige Option funktioniert? Welchen kleinen Test kann ich durchführen, um mehr verlässliche Daten zu bekommen, ohne gleich die ganze Entscheidung durchzuziehen? Das Prinzip dahinter lautet: Warum eine Vorhersage treffen, wenn Wissen generiert werden kann?

  3. Abstand von der Entscheidung gewinnen (attain distance before deciding)Da kurzfristige Emotionen bisweilen langfristig schlechte Entscheidungen bedingen, ist es lohnenswert, sich damit zu beschäftigen.

    Wie werde ich mit mit der Alternative in 10 Minuten, in 10 Monaten, in 10 Jahren fühlen?

    Zudem zieht der Status Quo oft jede Veränderung in die Länge. Was, wenn wir den Status Quo nicht hätten? Wie würde ich vorgehen? Wie würde jemand anders entscheiden? Ein Freund, oder ein Nachfolger?

    Was ist mir wirklich wichtig?

  4. Vorbereiten auf Fehlentscheidung (prepare to be wrong)Wir werden bisweilen daneben liegen. Die Statistik zeigt, dass eben von allen Entscheidungen ein Teil daneben geht. Deswegen lohnt es sich, die Möglichkeit zu berücksichtigen.

    Wenn ich in sechs Monaten feststelle, dass das Resultat der Entscheidung nicht wie gewünscht ist, was hat dann dazu geführt? Wenn es ein großer Erfolg wird, was hat dazu geführt?

    Welche Toleranz muss ich einbauen, damit auch bei Abweichungen noch alles funktioniert? Ganz besonders bei zeitlichen Planungen empfiehlt es sich, mehr zu veranschlagen als gedacht. Wann und wie kann ich immer wieder prüfen, ob die Resultate erzielt werden (tripwire)?

    Ich kann nicht erwarten, genau das von der Entscheidung zu bekommen, was ich erwarte (sic!). Was ist das beste, und was das schlechteste Ergebnis, das realistisch ist (bookending)? Was führte dann zum jeweils extremen Ergebnis?

Das ist alles. Klingt einfach, doch entfaltet das WRAP-Framework seine Wirksamkeit eben aufgrund der vielen Fragen, die ich mir zu jedem Schritt stellen kann.

WRAP funktioniert…

Natürlich wende ich das Rahmenwerk nicht an, wenn ich beim Bäcker stehe und zwischen Semmel und Breze wählen möchte.

Für größere Entscheidungen, die länger wirken und aufwendiger umzusetzen sind, ist es eine nützliche Hilfe.

Die vielen Fragen, die ich mir stellen kann und sollte, helfen mir.

Gibt es auf diese Fragen immer eine perfekte Antwort? Natürlich nicht. Vielleicht sitze ich ja tatsächlich vor einer Entscheidung, die nur zwei Alternativen hat. Das ist in Ordnung, die Heath-Brüder sagen ja nicht es müsse immer mehr Optionen geben. Doch es ist ratsam, auf jeden Fall nach mehr Optionen zu suchen.

Gerade bei den Annahmen geht gerne etwas daneben. Und oft schließen Annahmen zunächst Alternativen aus, sind aber gar nicht haltbar, so dass ich allein daraus wieder neue Alternativen berücksichtigen kann.

Was wir wohl alle kennen ist der Effekt »Ich kann mich nicht entscheiden, also bleibt alles so wie es ist« – der Status Quo. Diesem wirksam zu begegnen ist hilfreich und beschleunigt den Prozess erheblich. Sich Gedanken machen, ob die Verbesserung die Kosten der Umsetzung gegenüber dem momentanen Zustand rechtfertigen, kann ich immer noch. Aber ich muss den Gedanken erst einmal zulassen.

Damit Decisive-Leser das WRAP-Framework gut umsetzen können, schnüren Chip & Dan Heath einen ganzen Strauß an Zusatzmaterialien auf ihrer Website.

…und noch mehr

Decisive ist nicht nur der WRAP-Prozess. Natürlich bildet dieser vierstufige Prozess das Grundgerüst des Buches, doch ist noch viel mehr enthalten. Viele Anregungen und Gedankenspiele, viele Beispiele und Analysen echter Entscheidungen geben reichlich Material zum Nachdenken.

In Zusatzkapiteln gibt es unter anderem eine Abhandlung über die wahrscheinlichen Hindernisse beim Einsatz des WRAP-Prozesses, drei ausführliche Anwendungsbeispiele für WRAP, und natürlich die Literaturhinweise in Form von Endnoten (anstelle von Fußnoten).

Schreibstil und Kritik

Wie bei amerikanischen Büchern dieses Genres üblich, schreiben die Brüder Heath locker, gespickt mit Anekdoten, und leicht verdaulich.

Sie zitieren Studien und Literatur, und ordnen ihre Erkenntnisse entsprechend ein. Für ein populärwissenschaftliches Buch aus den Geisteswissenschaften finde ich den Ansatz gut, ein buntes Potpourri aus psychologischen Studien, Umfragen in Forschung und Wirtschaft, und Anekdoten anzurichten.

Decisive ist genau richtig lang, nicht zu kurz, nicht zu ausschweifend. Hier waren zweifellos Autoren am Werk, die schon einiges an Erfahrung aufweisen.

Am Ende jeden Kapitels ist das Kapitel auf einer Seite nochmals zusammengefasst, mit Rückverweisen auf die Fallbeispiele des Abschnitts.

Decisive ist damit in der langen Reihe der Ratgeber einer, der tatsächlich anwendbar ist. Der Prozess ist hinreichend einfach, damit ich nicht jedes Mal das Buch rausholen muss, wenn ich ihn einsetzen möchte. Trotzdem hat er genügend Tiefe, um auch bei wirklich komplexen Fragestellungen helfen zu können.

Decisive ist kein Wissenschaftsbuch. Es ist – welch hässlicher Begriff – ein Ratgeber. Aber einer, den ich sehr empfehle.

Audio

Da ich lesenderweise Decisive als eBook genossen habe, kann ich über das Layout nichts sagen. Das grüne Cover mit der Billardkugel empfinde ich als auffällig und dennoch angenehm.

Das Decisive Audiobook auf englisch ist vom Sprecher gut verständlich vorgetragen, die Geschwindigkeit und Aussprache sind für mich sauber und abwechslungsreich.

Gut entscheiden

Bis ich Decisive und den WRAP-Prozess sauber umsetzen kann, wird noch einige Zeit vergehen. So oder so: Der Weg ist bereits ein Ziel. Mir hilft das Buch außerordentlich gut, und deshalb empfehle ich es Ihnen, die Sie in Ihrem Beruf und in Ihrem Leben bisweilen größere Entscheidungen treffen dürfen.

Dürfen? Ja. Freuen Sie sich, dass Sie Entscheidungen treffen dürfen. Das zeichnet nämlich verantwortungsvolles Arbeiten und Leben aus.

Haben Sie Decisive gelesen? Welches andere Buch rund ums Entscheiden empfehlen Sie?

Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und schreiben Sie mir unten!

Photo: Dirk Vorderstraße on Flickr, License Creative Commons Attribution

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