»Wovon Anwender träumen.« »Weltbilder und Bilder der Informatik« Prof. Britta Schinzel spannt als Herausgeber der aktuellen Ausgabe des Informatik Spektrum, dem Organ der Gesellschaft für Informatik e.V., einen weiten Bogen. Sprachlich verliert das Heft vor lauter GenderInnen-Korrektheit leider viel Lesbarkeit, liefert jedoch inhaltlich einen guten Beitrag zur Diskussion von Informatik in der Gesellschaft.
»Bei Gebäuden zeichnet sich eine gute Architektur dadurch aus, dass Menschen sich darin wohl fühlen.«
Schreibt Dr. Simone Rehm, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Informatik e.V., und im Hauptberuf Leiterin Zentralbereich IT + Prozesse bei Trumpf (Maschinen, nicht Strumpfhosen), und fordert dasselbe für Geschäftsanwendungen.
Sie fordert, auch Geschäftsanwendungen seien so zu gestalten, dass Nicht-IT-Fachleute diese gut benutzen könnten. Ja, absolut. Vielfach sind Benutzeroberflächen wenig hilfreich und lassen Anwender darüber im Unklaren, was von ihnen nun erwartet wird. Schlechte Anordnung und Beschriftung von Schaltflächen machen es dem Gelegenheitsnutzer schwer, überhaupt zu erkennen, was zu tun ist, und bremsen den Vielnutzer unnötig aus.
Ich stimme zu: jeder, der Anwendungen entwickelt, tut gut daran, sich nicht nur intensiv Gedanken um die Benutzerschnittstelle zu machen, sondern sie auch zusammen mit Psychologen und Designern zu diskutieren und mit Endanwendern zu testen.
Gleichzeitig frage ich mich, ob Simone Rehm hier nicht zwei Dinge vermischt: Benutzeroberflächen sind das eine, Prozessabläufe aber das andere. Und hier hat dann auch Gunter Dueck recht, der Prozessempathie fordert: Bei aller Individualisierung sollten auch Anwender ein Gespür dafür entwickeln wollen, wie Prozesse ablaufen und dass diese eine Daseinsberechtigung haben. Von daher können viele Geschäftsprozesse, so wie sie derzeit strukturiert sind, eben nicht in so eine einfache Benutzeroberfläche abgebildet werden, wie man es von besseren Apps kennt.
Ebenso, wie Benutzeroberflächen bewusst einfach gestaltet werden können, so gilt dies doch auch für die Prozesse, die dahinter stehen. Vielleicht trifft dies nicht unbedingt auf die technische Realisierung zu, die viele Datenquellen, Parameter und Eingaben mit aufwendigen Algorithmen verknüpft, doch der Prozess an sich sollte wenig bis keine Schlenker enthalten.
Wie gut Anwendungen von Nicht-IT-Fachleuten, aber auch von diesen angenommen werden, hängt meinem Dafürhalten davon ab, wie der folgende Satz fortgeführt wird: »Ich benutze diese Benutzeroberfläche gerade in diesem Moment, weil…«
Was kommt dann? Kommt ein »…weil der Prozess es so will.«? Dann ist der Sinn nicht klar, und Ablehnung die mögliche Folge. Vervollständigen Sie den Satz mit »…weil ich damit mein Arbeitsergebnis meinem Kollegen in der Buchhaltung zur Verfügung stelle, so dass dieser dann die Fakturierung durchführen kann.«, dann hat das schon eine ganz andere Bedeutung.
Diversität in der Informatik
Der Großteil des aktuellen Informatik Spektrum wird bestimmt durch das Thema Diversität und Weltbilder in der Informatik. Insgesamt finde ich, dass das Heft sich damit einem wichtigen Thema gerade in Deutschland annimmt.
Leider verschenkt die Herausgeberin Prof. Britta Schinzel viel Potential und fällt selbst in Rollenklischees, die sie gerade bei der Geschlechterdiversität eigentlich doch überkommen möchte. Drei Dinge fielen mir auf, die ich für den absolut notwendigen Diskurs für nicht hilfreich halte:
1. Mangelnde Diversität der Autorenschaft 1
Von zwölf Hauptbeiträgen stammen sieben Beiträge von Prof. Schinzel und Kollegen der Uni Freiburg. Dies ist eine derartige Dominanz, dass die Frage aufkommen könnte, ob das Thema nicht auch an anderen Universitäten in Deutschland von Bedeutung wäre, und ob das dann überhaupt ein Thema in den Softwarehäusern des Landes ist. Beides möchte ich bejahen, denn unser Land hat sehr viel größeren Bedarf an Informatikern, als er nur durch »westliche weiße Männer« gedeckt werden kann.
Wollte Prof. Schinzel eigentlich eine Monographie zu dem Thema herausgeben oder warum sind nicht mehr verschiedene Autoren vertreten?
2. Mangelnde Diversität der Autorenschaft 2
Das Thema Diversität wird so lange nicht in der breiten Masse der Köpfe ankommen, so lange Artikel in den entsprechenden Fachorganen dazu fast ausschließlich von Frauen geschrieben werden. Den Grund dafür sehe ich darin, dass nicht nur bei Diversität ablehnenden Lesern, sondern auch bei gleichgültigen viel eher der Eindruck entsteht, das sei »Gedöns«, wie ein ehemaliger Bundeskanzler im ähnlichen Kontext sprach.
Positiv hervorheben möchte ich den Beitrag zum »curriculare[m] Ansatz für Mädchen«, der zwei männliche Co-Autoren hat. Weiter so, Männer!
3. Diversität als Sprachkatastrophe
Die Sprache. Nie war betont geschlechterhervorhebende Sprache so aufdringlich wie in dieser Ausgabe des Informatik Spektrum. Ich schreibe absichtlich geschlechterhervorhebende Sprache, denn von Neutralität ist nichts zu sehen. Selbst geschlechterausgleichend Sprache möchte ich hier nicht attributieren, sondern einfach nur Sprachverhunzung. Es gibt keine schlimmere Form als die Innen, mit großem I, das weder sprachlich noch grammatikalisch in der deutschen Schriftsprache etwas verloren hat.
Während der hysterische Fokus auf Inklusion der weiblichen Endung »-innen« beim Singular »Leser« noch zum falschen, aber putzigen »LeserIn« führt, das sinnhaft gelesen werden kann, ist dies beim Plural Akkusativ von »Freund« nicht mehr der Fall. Da kommt dann im Text »FreundInnen« heraus, und das ist leider nicht mehr leserlich.
Ich kann über die Ursachen dieser Sprachvergewaltigung nur mutmaßen. Eventuell kommt das aus dem Unverständnis, dass es im Deutschen zwar drei Arten von Artikeln gibt: weibliche, männliche und Neutrum, das aber den nachfolgenden Substantiven keinen Mann, keine Frau und kein Ding macht. Das Mädchen bleibt weiblich, auch wenn vorn dran ein Neutrum als Artikel steht. Der Prozess hat den männlichen Artikel, auch wenn er von Frauen durchgeführt wird. Die Funktion hat einen weiblichen Artikel, hat mit Frauen aber genauso wenig zu tun wir mit Männern. Und so ist eben der Leser auch einfach eine Person, die ein Buch oder einen Text liest.
Vielleicht möchte ich darüber mal einen eigenen Artikel schreiben…
Diversität oder Diversity – so früh wie möglich fördern
Was ist eigentlich so schlecht am deutschen Begriff Diversität? Warum muss es Diversity heißen? Wo ist der konzeptuelle Unterschied?
Was ich mich in Anlehnung an meinen vorigen Post zum Thema Angst vor Mathematik in der Schule als Frage umtreibt: Wenn nach den Ideen der Autoren im Informatik Spektrum es tatsächlich funktioniert, das Selbstbild von Informatikern an den Universitäten umzuformen, wird das dann so in die Schulen hinein wirken, dass sich tatsächlich auch vermehrt Mädchen für das Fach Informatik interessieren, oder muss die Veränderung in der Schule stattfinden?
Die Autoren sprechen ja an, dass es durchaus Lehrer an Schulen gibt, die dem Engagement von Mädchen in der Informatik ablehnend, zumindest aber skeptisch gegenüber stehen. Was können wir dort drehen? Sind solche Lehrer einfach selbst in der Weise sozialisiert, oder sind sie einfach nur unsicher, wie sie auf die unterschiedlichen Denkweisen der Schüler eingehen sollen? Die Ausrichtung auf die »rechte und linke Gehirnhälfte«, die zwar gleichermaßen bei Jungen und Mädchen vorkommen, weisen aber offensichtlich eine gewisse Häufung nach Geschlecht und sind deswegen schon aus Gründen der Geschlechterdiversität zu berücksichtigen, aber auch, weil wir Informatiker mit unterschiedlichen Denkmodellen brauchen. Zu vielfältig ist die Informatik, als dass wir die Aufgaben der Zukunft mit uniformen Spezialisten zu lösen vermögen.
Brauchen wir mehr junge Frauen in der Informatik und Ingenieurwesen? Aber sicher! Brauchen wir mehr junge Männer als Grundschullehrer und Kindergärtner? Aber sicher! Das geht doch alles schon in der Schule los und im Elternhaus genauso wie im Freundeskreis.
Diversität mal ganz praktisch
Diversität bringt neben bisweilen aufwendigerer Kommunikation eben große Vorteile: In meiner Gruppe bei MathWorks, die gleiche Funktionsträger in fünf Ländern Europas vereint, arbeiten promovierte verschiedener Fachrichtungen mit Herkunftsländern, die bei der Hälfte der Gruppe nicht in den Ländern liegt, in denen sie arbeiten. Dies trifft auch auf die bis kommenden Herbst einzige Dame im Team zu. So habe ich auch schon aktiv nach einem weiteren weiblichen Ingenieur für die Gruppe gesucht, aber in Deutschland aus der Gruppe der Damen leider nur Bewerbungen von Mathematikern bekommen. Ist Mathematik also reizvoller für Mädchen als Ingenieurwesen? Oder sind die Damen, die sich dann für Ingenieurwesen entscheiden, wiederum weniger der eher kommunikativen Ausrichtung der bei mir in der Gruppe offenen Stelle zugeneigt?
Wie dem auch sei: Ich habe nie zuvor einen so bunten Laden führen dürfen, in dem ich, als Mann, der im selben Bundesland arbeitet, in dem er aufgewachsen ist, schon beinahe ein Exot bin. Was aber nichts macht, weil wiederum Diversität ja weder Selbstzweck noch Zwang ist. Somit ist mein Dasein in dieser Gruppe selbst schon wieder ein Beitrag zur Diversität. Und das macht Spaß.
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