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Über die zwei Seiten der Führung: The Dichotomy of Leadership

Dichotomie in der Führung? Alles hat zwei Seiten, und jede Führungsweise will wohl balanciert sein. Führung ist wahrlich kein neues Thema in der Literatur. Über Führung wurde schon vor mehr tausenden Jahren geschrieben, meist im Kontext militärischer Führung. Auch heute noch taugt dieser Kontext hervorragend.

Jocko Willink und Leif Babin, zwei Ex-Offiziere der US-Navy-Seals, einer Spezialeinheit des US-amerikanischen Militärs, haben mit „The Dichotomy of Leadership“ ihr zweites gemeinsames Buch vorgelegt. Dieses ist zum einen die Fortsetzung zu „Extreme Ownership“, andererseits unabhängig davon zu lesen.

Immer sauber ausbalancieren
Immer sauber ausbalancieren

Dichotomie der Autoren

Nun bin ich wahrlich kein Militarist. Ich lehne Gewalt ab, ich lehne bewaffnete Auseinandersetzungen ab, und speziell das US-amerikanische Militär halte ich in seinen Verstrickungen und Engagements für eine durchaus problematische Organisation. Der militär-industrielle Komplex der Vereinigten Staaten hat vermutlich mehr Probleme in der Welt geschaffen als gelöst. Auch die Organisation der Navy Seals ist nicht unbescholten.

Unabhängig davon gibt es hier ganz viel zu lernen. Ich halte die zwei Autoren für sehr integer. Jocko Willink hält sich in Buch und seinem Podcast aus der Tages- und Weltpolitik bewusst raus und fokussiert auf den Job.

Begrüße ich in was Jocko in seiner Zeit im Militär eingebunden war? Nein. Kann ich vieles rausziehen aus dem, wie Jocko und Team ihren Job erledigt haben. Ja.

Aufbau von Dichotomy of Leadership

Am Anfang eines jeden Kapitels stehen Erzählungen aus den beiden Irak-Einsätzen der Autoren, aus tatsächlichen Einsätzen und den Aktionen und Entscheidungen, die bisweilen auch sehr plötzlich und kurzfristig zu treffen waren. Danach folgen die Prinzipien und Lehren daraus.

In zwölf Kapiteln werden jeweils widersprüchliche Führungsprinzipien einander gegenüber gestellt und damit die notwendige Balance zwischen den Extremen hervorgehoben.

1. Der Gegensatz von Menschen wichtig nehmen und die Mission erfüllen

Jocko beschreibt dies als The Ultimate Dichotomy: ich soll die Menschen, die mir anvertraut sind, wichtig nehmen, und gleichzeitig muss ich ihr Wohl – im militärischen Sinne ihr Leben, im zivilen ihr Wohlfühlen – aus Spiel setzen, um die Mission zum Erfolg zu bringen.

Ich bin also nicht der Animateur, der einzig und allein an das Wohlergehen der Gäste denkt, sondern eben auch jemand, der ein übergeordnetes Ziel verfolgt.

Die Menschen, die mir anvertraut sind, liefern eine bessere Performance ab, wenn ich mich zum sie kümmere. Doch darf das Kümmern nicht dazu führen, dass ich sie nicht die Aufgaben erledigen lasse, die eben nötig sind.

Wenn ich mich nur noch um die Aufgabe, die Mission, das Ziel kümmere, verliere ich die Mannschaft aus den Augen.

2. Alles kontrollieren, aber andere ermächtigen

Im Vorgängerbuch Extreme Ownership haben Jocko Willink und Leif Babin über extremes Verantwortungsbewusstsein geschrieben, in dem ich in einer Organisation alles, was mit meiner Performance und der meines Teams zu tun hat, in meiner Verantwortung sehe. Das bedeutet vor allem, Schwächen der Organisation nicht als Grund vorzuschieben, warum etwas nicht klappt, sondern eher die Verantwortung übernehmen, das mögliche zur Verbesserung beizutragen.

Das heißt freilich nicht, dass ich nun alle Entscheidungen an mich reißen sollte. Es geht um Verantwortung, nicht um jede Entscheidung, denn das führt unweigerlich zu Mikromanagement.

Auf der anderen Seite liegt das weitreichende Übertragen von Entscheidungsgewalt ohne jeglichen Rückkanal und ohne jegliche Kontrolle. Auch dies ist ineffektiv, denn es führt zu widersprüchlichen Entscheidungen und unharmonischen Handlungen.

Die Balance zwischen Extreme Ownership – extremen Verantwortungsbewusstsein – und Empowerment – Ermächtigung – bildet eine weitere Basis effektiver Führung.

Denn auch meinem Team muss ich die Möglichkeit geben Verantwortung zu übernehmen, echte Verantwortung.

3. Entschlossen, nicht herrisch

Führungskräfte sollten weder nachsichtig noch übermächtig sein. Willink und Babin erläutern dazu das Konzept Führungskapital (engl. Leadership capital) und die Macht des Warum.

Führungskapital beschreibt die begrenzte Kraft, die eine Führungskraft innehat. Wir Führungskräfte können diese begrenzte Kraft nun für strategisch unwichtige Dinge aufwenden, oder wir lassen es zu, dass die Mannschaft in den weniger wichtigen Bereichen „etwas Dampf“ ablässt. Dies stellt sicher, dass ich genügend Führungskapital habe, wenn ich es wirklich brauche, und dann sicher sein kann, dass mir die Leute zuhören.

Das Warum entspricht dem, was Simon Sinek in seinem Buch Start with Why (siehe auch meine Rezension zu Start with Why) ganz ausführlich bespricht: Sag den Leuten, wozu das gut ist, was du forderst. Sag ihnen, was wir hier zu tun suchen.

4. Wann beraten, wann entlassen

Auch das war schon teilweise im Buch Extreme Ownership: Es gibt keine schlechten Teams, nur schlechte Führungskräfte.

Das Team kommt vor dem Individuum. Sieht das jemand nicht von Haus aus ein, braucht er meist etwas Führung. Habe ich aber „alles ausgeschöpft, um ein Individuum auf das Niveau des Teams zu bringen und sehe keine Ergebnisse, dann muss ich diese Einzelperson ziehen lassen. Nicht zu schnell entlassen – aber nicht zu lange warten.”

5. Trainiert hart, aber mit Verstand

Mit dem Training ist es so eine Sache, vor allem in Unternehmen. Training ist ja hier weniger besetzt im Sinne des sportlichen Trainings, sondern eher als Synonym zu Schulung. Und das ist ja auch schon im Deutschen das Problem: Eine Schulung bekommt man, jemand wird geschult. Das ist nun leider eine Passivkonstruktion. Training im sportlichen Sinne meint aber etwas anderes: Eine Einzelperson oder ein Team trainiert, am besten trainiert es hart, und strengt sich dabei so richtig an, und lernt dabei etwas über die eigene Wirksamkeit, über die Wirksamkeit des Teams und auch noch die Trainingsinhalte.

Die größte Anerkennung, die ich bislang über eines unserer Trainings zu Scrum von Teilnehmern bekommen habe, ist: „Das war das anstrengendste Training, das ich jemals hatte!“

Es gibt kein Wachstum in der Komfortzone, und deswegen muss Training hart und schweißtreibend sein. Leif Babin und Jocko Willink geben drei Aspekte guten Trainings mit: Realismus, Grundlagen und Wiederholung.

Realistisches Training meint im sportlichen Sinne, dass die Bewegungen und Züge ausgeführt werden, die ich auch nachher brauche. Realistisch heißt auch, dass das Training eben in unbequeme Situationen führt, in denen die Leute nicht immer wissen, was zu tun ist. Rollenspiele sind eine gute Möglichkeit, wenngleich schwer zu erschaffen.

Training muss auch immer die Grundlagen angehen. Vor allem Leute mit Vor-Erfahrung meinen ganz gern sie beherrschten schon alles, aber oftmals vergessen wir die Grundlagen. Also muss ich auch immer wieder an den Grundlagen arbeiten.

Ganz allgemein lohnt es sich, Profisportler zum Vorbild zu nehmen, denn auch wir wollen doch Profi sein in unserem Beruf. Profisportler machen Grundlagentraining, und sie wiederholen oft. Ganz oft. Immer wieder. Bis der Körper von selbst weiß, was zu tun ist. Und dann wiederholen sie trotzdem wieder und wieder.

6. Aggressiv, nicht rücksichtslos

Default aggressive ist so ein Standardsatz bei Jocko. Aber eben nicht aggressiv im Sinne von jedem aufs Maul hauen, sondern aggressiv im Sinne des lateinischen Wortes – danke an dieser Stelle an meine Lateiner Die Frau und Der Sohn – aggressiō: sich zubewegen auf [etw./jdn.]. Default aggressive meint also, dass ich mich auf das Problem zubewegen soll, nicht einfach stehen bleiben oder weglaufen.

Aggressiv hat jedoch nichts mit wütend oder aufbrausend zu tun, und eben noch weniger mit rücksichtslos. Aggression, so Jocko Willink, muss auf das Problem gerichtet sein, nicht auf Personen. Ich sollte also einem Problem gegenüber aggressiv sein und es zu beseitigen suchen, nicht gegenüber Personen.

Vor allem bei Erfolgen darf Aggression nicht umschlagen in Selbstgefälligkeit, egal wie viele Siege man einfährt. Hier sei mir wieder ein Hinweis erlaubt auf das Konzept der Stoiker, wie ihn beispielsweise Ryan Holiday in The Obstacle is the Way (siehe meine Rezension zu The Obstacle is the Way) ganz hervorragend erläutert.

„Selbstüberschätzung ist der Feind.“ schreiben die Autoren, und nehmen dabei fast noch einen Buchtitel von Ryan Holiday auf: Ego is the enemy (siehe auch meine Rezension zu Ego is the enemy).

7. Diszipliniert, nicht unflexibel

In diesem Kapitel beschreibt Jocko Willink den Unterschied zwischen Disziplin und Regelversessenheit. Für mich erschließt es sich wie im Konzept des Shu-Ha-Ri, das im agilen Umfeld immer wieder beschworen wird: Es benötigt Disziplin, die grundsätzlichen Schritte perfekt zu erlernen und alle Prozeduren und Techniken und Prinzipien im Schlaf zu beherrschen. Doch genau dadurch erfahre ich die Freiheit, aus diesem Reservoir zu schöpfen und flexibel zu reagieren und zu agieren, so wie es die Situation erfordert.

Jocko Willink hat diesen Satz „Discipline equals freedom“, den ich ungern ins deutsche übersetzte, weil alle Sätze die auf „macht frei“ enden, im Deutschen geschichtlich eher schwierig sind. Und doch stimme ich Discipline equals freedom zu: Erst das disziplinierte Beherrschen meiner Technik, meiner selbst, der Vorgehensweisen macht mich frei zu entscheiden, was ich tun möchte. Wer keine einzige Technik richtig anwenden kann, und sich an Regeln nicht gebunden fühlt, der wähnt sich frei in seinen Handlungen, ist aber eben getrieben vom Moment.

Um wieder in die Software-Welt zu gehen: Scrum beispielsweise ist ein Rahmen, der hohe Disziplin einfordert, mit ganz strikten Regeln. Doch genau diese Regeln und diese Disziplin sind es, die dem Team große Freiheit in der inhaltlichen Gestaltung geben, weil sie sich eben nicht mehr überlegen müssen, in welchem Takt und auf welche Weise geliefert wird.

Zu viele Regeln, oder die Regeln zu unflexibel angelegt behindert wiederum das Vorankommen des Teams. Die Regel darf nicht wichtiger werden als die Mission. Ebenso dürfen aber nicht mit Verweis auf die Mission beliebige Prozeduren einfach so missachtet werden, weil sie unbequem sind.

Discipline equals freedom. So schwer, so wahr.

Auch in komplizierter Struktur die Disziplin bewahren

8. Menschen zur Rechenschaft ziehen, aber nicht ihre Hände halten.

(engl. Hold People Accountable, but Don’t Hold Their Hands)

Die Übersetzung dieses Kapiteltitels fällt mir schwer, ist doch das englische „hold hands“ weder mit „Hände festhalten“ noch „Händchen halten“ wirklich treffend beschrieben, und in der deutschen Fassung „Die zwei Seiten der Führung“ ist das meines Erachtens nach sogar falsch übersetzt.

Das Prinzip jedoch ist: Accountability, also von Leute Rechenschaft verlangen, ist das einfachste, was eine Führungskraft tun kann, aber es ist auch sehr begrenzt in seiner langfristigen Wirkung, weil damit immer mehr Zeit mit Kontrolle statt mit echter Führung zugebracht wird.

Rechenschaftspflicht – welch häßliches Wort für das wohlklingende Accountability – funktioniert durchaus und ist wichtig, aber es hält unheimlich auf, wenn ich auf zu niedriger Ebene Rechenschaft verlange, und vor allem Rechenschaft verlange, ohne das Warum hinreichend zu erläutern.

In diesem Kapitel fand ich das Beispiel besonders gut: Die Soldaten hatten wiederholt Erfolge und keine Verluste bei ihren Einsätzen, und eines Tages bemerkte Jocko, dass einige ihre Rückenpanzerung nicht im Einsatz trugen, und dies begründeten sie wären ohne beweglicher und schneller, und würden ja eh nicht davon laufen, der Feind sähe also nie ihren Rücken. Einfache Rechenschaftspflicht würde bedeuten, stets vor einem Einsatz die Ausrüstung aller einzeln zu kontrollieren. Bei kurzfristigen Einsätzen ist das nicht immer möglich, oder würde bedeuten, Einsatzplanung zu vernachlässigen. Also erklärte Jocko das Warum: Eine unvorhergesehene Falle kann den Feind doch in den Rücken bringen, und jede Verletzung hält die gesamte Gruppe mehr auf als wenn der einzelne durch die Panzerung etwas langsamer voran kommt. Die Gruppe zählt also mehr. Dadurch erreichte er, dass die Gruppe sich gegenseitig in die Pflicht nahm und gegenseitig die Ausrüstung kontrollierte.

Ich brauche also Rechenschaftspflicht dann, wenn ich noch nicht hinlänglich erklärt habe, wozu etwas gut ist oder das Team dies noch nicht eingesehen hat. Wenn ich sicherstellen kann, dass alle das Gesamtbild sehen und wie das, was ich fordere, dort beiträgt, dann wird das Team die Pflicht selbst übernehmen.

9. Anführer und Mitstreiter

Wie sehr sollte das Team die Führungskraft als Führungskraft sehen, und wie sehr als Mitstreiter, das bespricht The Dichotomy of Leadership in diesem Kapitel. Je mehr eine Führungskraft als Mitstreiter gesehen wird, desto mehr übernehmen Einzelpersonen selbst Verantwortung. Andernfalls erwarten sie stets alle Entscheidungen von mir.

Ich trainiere also meine Teammitglieder darauf, Anführer zu sein, weil in einigen Situationen ich führen muss. Auch in Organisationen mit definierter Hierarchie braucht es fluide Führung, um zum Ziel zu kommen, weil die Teammitglieder eben in bestimmten Situation die beste Idee oder die beste Vorgehensweise haben, und diese dann ganz natürlich auch führen sollten. Leif Babin schreibt, dass der beste Anführer der sei, der Anführer erschafft.

10. Planen, aber nicht zu viel planen

„Failing to plan means planning to fail.“ Steht zwar so nicht in The Dichotomy of Leadership, beschreibt aber die eine extreme Seite. Planung ist also hoch notwendig. Nicht unbedingt wegen des Endresultats, nicht wegen des vermeintlichen Planungsdokuments, sondern wegen des Prozess des Planens. Planung heißt, sich Gedanken zu machen, was erreicht werden soll, wie die prinzipielle Vorgehensweise sein soll, und was alles das Vorgehen stören könnte.

Zu viel Planung, andererseits, behindert die Ausführung, indem wir entweder verspätet starten, oder zu viel Material oder Personal mitnehmen. Im militärischen kann das sogar dazu führen, dass für wirklich alle Eventualitäten geplant wird, und alles, was das Team deshalb mitnimmt, die Mission unmöglich macht oder zum Scheitern bringt.

Willink und Babin empfehlen, sich die Handvoll wahrscheinlichsten Eventualitäten jeder Phase anzusehen und sich darauf vorzubereiten.

11. Bescheiden, nicht passiv

Dieses Kapitel spricht wieder etwas ganz wichtiges an. Wir Führungskräfte wurden meist ja auch deshalb Führungskräfte, weil wir uns im entscheidenden Moment etwas zutrauten, also entweder selbst die Hand gehoben haben, als es darum ging, eine Führungsposition zu übernehmen, oder als wir gefragt wurden nicht zurückschreckten. Ein gewissen Selbstzutrauen ist also meist vorhanden.

Genau deshalb sagen Jocko Willink und Leif Babin, dass die wichtigste Eigenschaft von Führungskräften die Bescheidenheit sei. Weil die Selbstsicherheit ja ohnehin da wäre. Bescheidenheit sehen sie als wichtigste Eigenschaft dafür, dass man das Team brillieren lässt und die Lorbeeren teilt. Auf diese Weise gibt man den Teammitgliedern mehr Zutrauen, dass sie etwas planen und erreichen können.

Gleichzeitig darf diese Bescheidenheit nicht zu Passivität, in der die Führungskraft gar nichts mehr entscheidet oder tut und nur noch aufs Team wartet. Ich sollte also als Führungskraft eben bescheiden und proaktiv denken und handeln und vor allem sprechen.

Bescheidenheit erfordert, dass ich ehrlich zuhöre, das Team zuerst sprechen lasse, so dass auch andere Gedanken eine Chance haben und ich „offen bin, neue und bessere Taktiken und Strategien einzuführen.“ Und ebenso muss ich alle neuen Taktiken und Strategien dennoch prüfen auf Tauglichkeit, denn die Letztverantwortung bleibt eben bei der Führungskraft

12. Fokussiert, aber leidenschaftslos (Focused but detached)

Ein Teil von Extreme Ownership ist ja, sich soweit als möglich auf die Mission zu fokussieren und sie unter ziemlich allen Umständen zum Erfolg zu führen. Wenn ich mich jedoch zu sehr auf Details stürze, verliere ich dabei eventuell das große Ganze aus den Augen, oder noch mehr, wenn ich eine bestimmte Taktik voll und ganz umsetzen möchte, bringe ich vielleicht die Mission in Gefahr.

Deshalb muss ich in jeder Situation leidenschaftslos (engl. detached) gegenüber der Taktik und sogar der Strategie sein, wenn neue Gegebenheiten sie sinnlos für die Mission machen.

Auch hier ist wieder das militärische reich an Beispielen. Eine bestimmte Häuserformation einzunehmen mag die Strategie sein, um die Hoheit über ein Areal zu bekommen, doch wenn diese mittlerweile so stark beschädigt ist, dass mir die Herrschaft nichts mehr nutzt, dann ist die Strategie schädlich und wir sollten uns schleunigst eine andere überlegen.

Details sind also nur im Kontext des großen Ganzen wichtig, Details nur für sich sind bedeutungslos.

Führung vs. Management

Management, eher also die Kontrolle von Untergebenen mit möglichst vielen Kennzahlen, ist definitiv nicht das Wesen dieses Buches. Hier geht es um Führung von Menschen, und darum, sie als Team zum Erfolg zu führen. Erfolg wiederum ist nicht der Erfolg des Einzelnen, sondern die erfolgreiche Mission.

Man kann militärische Operationen, wie ich, ablehnen oder nicht, klar ist aber auf jeden Fall: militärisches Vorgehen ist per se immer Führen mit High Stakes, denn hier stehen Leben auf dem Spiel. Ja, auch die der Gegner, und ebenso die von Zivilisten und der eigenen Mannschaft.

Ich bin froh, dass das in meiner Lebenswirklichkeit und Realität im Job nicht der Fall ist. Bei Rettungskräften und allgemein in medizinischen Berufen sieht das schon wieder ganz anders aus. Dessen sollte ich mir bewusst sein: Bei uns stirbt keiner. Aber dennoch hängt von Führung viel ab: Die Mission, welcher Gestalt diese auch immer ist.

So nahm ich aus The Dichotomy of Leadership viel für mich mit. Auch das ist für mich schon wieder eine Dichotomie: Ich kann das militärische Agieren der USA in der Welt für zutiefst ablehnenswert halten, und dennoch von den Menschen, die diese Operationen ausführen, etwas lernen. Ich mache mir also nicht die Ziele zueigen, sondern das Führungsverhalten. Freilich könnte man nun argumentieren, dass das Führungsverhalten der USA und des US-Militärs ja erst dazu führte, dass genau diese von mir abgelehnten militärischen Engagements weltweit stattfänden, doch das wäre mir zu kurz gesprungen. Auch im militär-industriellen Komplex der USA gilt das Primat der Politik.

Dieses Buch beschäftigt sich jedoch eben mit der ausführenden Ebene, mit den Männern und Frauen, die tatsächlich die Umsetzung des Engagements vor Ort treiben.

Deshalb halte ich The Dichotomy of Leadership für alle Führungskräfte für relevant. Hier geht es nicht um politisches Taktieren, sondern um sachbezogene und personenbezogene Führung.

Schreibstil und Kritik

Jedes Kapitel, egal ob von Leif Babin oder Jocko Willink geschrieben, teilen sich in einen Erlebnisbericht aus ihren Einsätzen und einen Theorieteil.

Der Erlebnisbericht ist anschaulich geschrieben und gesprochen und mir bisweilen zu lang. Mir ist schon klar, dass zwei Ex-Soldaten gerne von ihren Erlebnissen erzählen, und dass dies ja auch ein wichtiges didaktisches Element im Buch darstellt. Denn auf diese Weise machen sie ihre Führungsprinzipien sehr deutlich und anschaulich. Dennoch würden ab und an vermutlich ein paar Seiten weniger auch ausreichen, um ihren Punkt rüber zu bringen.

Der Teil, in dem die Prinzipien und Dichotomien als solche erläutert werden, ist jeweils sehr prägnant geschrieben. Die zwei schreiben an der Stelle nicht lange um den heißen Brei herum, sondern legen ihre Argumente sachlich und sehr gut nachvollziehbar dar.

So halte ich den Aufbau des Buches, die Gegenüberstellung der Dichotomien und die Lehren für absolut wertig und nützlich.

Und wem das Buch taugt, der möge in den Jocko Podcast reinhören. Hier ist nicht jede Episode unbedingt nötig zu hören, und es gibt bereits weit über 200 Folgen, jede Folge zwischen zwei und vier Stunden (!) lang.

Audio / Übersetzung

Ich habe das Hörbuch zu The Dichotomy of Leadership in der Originalsprache Englisch gehört.

Die Autoren sprechen selbst, und zwar jeweils selbst die Kapitel, die sie geschrieben haben. Die Stimme von Leif Babin ist zu Anfang etwas anstrengend zu hören, weil seine Stimmbänder ziemlich angegriffen scheinen, seine Stimme sehr heiser klingt. Jocko Willink klingt, wie Jocko eben klingt: Klar, auf den Punkt. Beider Autoren Englisch ist sehr gut verständlich.

Die deutsche Übersetzung Die zwei Seiten der Führung habe ich nicht ganz gelesen oder gehört, sondern lediglich die Leseproben. Die deutsche Übersetzung halte ich persönlich für oft am Sinn vorbei. Wenn Sie des Englischen halbwegs mächtig sind, dann lesen oder hören Sie das Original.

Führung als Profession

Mein Resumée des Buches The Dichotomy of Leadership:

Führung ist eine Profession. Führung kann man erlernen. Führung muss man lernen und üben. Führung hört nie auf. Das Lernen von Führung hört nie auf. Führung bedarf konsequenter und konstanter Reflexion. Führung bedarf Selbstführung.

Meine klare Leseempfehlung für The Dichotomy of Leadership.

Photos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie

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