Defensive ist etwas anderes als defensives Verhalten. Defensive ist eine Situation, in der Sie sich befinden. Die Situationsbeschreibung sagt noch nichts darüber aus, was Sie daraus machen. Defensive entsteht, wenn eine Kraft auf Sie ausgeübt wird, also eine kritische Frage, ein kritischer Kommentar, eine Störung, eine zur Schau gestellte Haltung. Sie können sich auf diese Krafteinwirkung entweder defensiv Verhalten und damit Schwäche zeigen, oder Sie nutzen die Kraft, die auf Sie ausgeübt wird, indem Sie sie leiten.
Wenn Sie irgendeine Art von asiatischem Kampfsport ausüben, vorzugsweise Tai Chi, wird Ihnen die folgende Analogie vertraut vorkommen: Stellen Sie sich vor, jemand würde versuchen, Sie mit der Faust in einem langen, kräftigen Schlag zu treffen. Was können Sie tun? Sie haben drei Möglichkeiten: Dagegenhalten, ausweichen oder umlenken.
- Möglichkeit eins: Sie halten mit der Hand, dem Arm kontrolliert dagegen. Diese Reaktion wird viel Impuls des Schlages aufnehmen, aber auch dazu führen, dass Ihr Arm schmerzt, Sie einen blauen Fleck haben und sich an der prinzipiellen Situation nichts geändert hat. Sie sind weiterhin in der Defensive und warten darauf, dass der nächste Schlag kommt.
- Möglichkeit zwei: Sie weichen aus, indem Sie sich ducken oder zur Seite wegdrehen. Der Schlag geht überraschend für den Angreifer ins Leere. Sie haben einen neuen Blickwinkel und keinen blauen Fleck, ansonsten sind Sie grundsätzlich noch in der gleichen Lage. Wenn Sie sich geduckt haben, sehen Sie nur weniger vorteilhaft aus.
- Möglichkeit drei: Sie greifen mit beiden Händen rasch die Faust des Angreifers und ziehen sie an sich vorbei. Dafür brauchen Sie wenig Kraft, da die Kraft ja schon im Schlag selbst liegt. Sie bringen den Angreifer damit aus dem Gleichgewicht und können ihn schon durch leichte Beinarbeit zu Fall bringen. Ohne nennenswerten Krafteinsatz sind Sie aus der Situation der Defensive in die Offensive gewechselt.
Was hat diese Übung aus dem Tai Chi mit Ihrer Präsentation zu tun? Dieselben möglichen Verhaltensweisen gibt es auf eine aggressive Frage hin:
Stellen Sie sich vor, Sie präsentieren gerade eine Softwarelösung und bekommen von einem regulären Teilnehmer Ihres Vortrags nun eine Frage, warum denn Ihre Software bitte so weit von der Perfektion weg wäre, eine bestimmte Eigenschaft nicht besäße und außerdem so viel kosten würde. Es gibt drei Möglichkeiten: argumentieren, ausweichen oder fragen.
- Möglichkeit eins: Sie fangen an zu argumentieren, warum Ihre Lösung doch schon recht gut wäre und wie hoch die Kosten für die Entwicklung und Pflege sind. Sie halten also dagegen. Dies kostet Sie viel Gedankenleistung für das Ausformulieren der Argumente und fordert den nächsten Kommentar, das sei ja wohl weit weg von Perfektion, geradezu heraus. Ohne Zweifel werden Sie bei dieser Taktik eher ein trauriges Bild abgeben.
- Möglichkeit zwei: Sie weichen aus, indem Sie auf industrie-übliche Fehlerraten eingehen, und sich auf eine andere weithin bekannte Software beziehen, die ebenfalls nicht perfekt ist und doch breit eingesetzt wird. Dazu vergleichen Sie den Preis Ihrer Software mit der anderer, vergleichbarer Software. Sie versuchen also, den Angriff ins Leere laufen zu lassen. Die übliche Reaktion des Fragenden darauf wird sein, Sie zu bitten, doch bei Ihrer eigenen Software zu bleiben. Auch hier sieht es eher so aus, wie wenn Sie sich ertappt fühlten.
- Möglichkeit drei: Sie erkennen die Nennung der fehlenden Eigenschaft an, und stellen dann mehrere Rückfragen. »Sie haben Recht, die Software weist die Eigenschaft X nicht auf, und unter anderem das macht sie für Sie nicht perfekt, verstehe ich das richtig? Welchen Zweck würde diese in Ihrem Arbeitsablauf erfüllen?« Nachdem Sie das geklärt haben, in dem nicht Sie, sondern der ursprünglich Fragende die Antwort gibt, fragen Sie falls nötig noch weiter. »Angenommen Sie würden die Software einsetzen? Welchen Vorteil würden Sie sich davon erwarten?« Nachdem der Teilnehmer ja die Perfektion in Frage stellt, heißt das, dass er prinzipiell an einer Software für die Problemstellung interessiert ist, also durchaus einen Vorteil sieht. Lassen Sie ihn diesen selbst benennen und fragen Sie weiter: »Wie lässt sich der von Ihnen genannte Vorteil in Zeit oder Geld beziffern, wenn Sie sowohl ihr aktuelles als auch die Folgeprojekte der nächsten zwei Jahre betrachten?« Die Zahl oder zumindest Größenordnung die der Teilnehmer eventuell nun nennt, wird in der Regel die Kosten Ihrer Software übersteigen. Wenn nicht, ist Ihre Software tatsächlich zu teuer. Wie ist der Effekt auf das gesamte Auditorium, den einen Teilnehmer eingeschlossen? Sie bleiben souverän, lassen sich nicht in eine Ecke drücken und nutzen den Angriff, verlängern ihn und machen daraus ein starkes Argument. Sie haben die Kraft umgeleitet und für sich genutzt.
Das ist Präsentations-Tai-Chi. Sie erreichen diese Stufe des Präsentierens am nachhaltigsten, wenn Sie sich mit Ihrer Geisteshaltung beim Präsentieren [1,2] beschäftigen, und zwar in der Phase der Vorbereitung. Wenn Sie wach und aufmerksam aber locker [5], zielgerichtet und doch neugierig [3] in den Vortrag gehen, und sich bewusst machen, dass Sie sich niemals für irgendetwas rechtfertigen müssen [4], dann haben Sie eine gesunde Basis.
[1] Siehe dazu auch die Storytelling-Blogparade bei Caroline Kliemt.
[2] Siehe meine Buchbesprechung zu Naked Presenter von Garr Reynolds.
[3] Karin Intveen hat bei der Karrierebibel von Jochen Mai schönes zum Thema Neugier geschrieben.
[4] Siehe Roland Kopp-Wichmanns Artikel zum Thema Respekt.
[5] Albert Thiele in der Karrierebibel zum Thema Locker bleiben.
Photo Credit: Edwin Lee via Compfight License CC-BY
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