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The Challenger Sale: Das, was Sie brauchen, nicht das, was Sie wollen

Sie gehen in Ihrem Vertrieb möglichst gut auf die Wünsche der Kunden ein?

Sie betreiben eifrig Beziehungspflege und möchten ein harmonisches Verhältnis mit Ihren Kunden haben.

Das könnte ein Fehler sein. Sie lassen nicht nur viel Potential für ihr eigenes Unternehmen auf der Straße, sondern bieten auch dem Kunden nicht den Mehrwert, den dessen Organisation eigentlich braucht.

Das ist die Botschaft des Buches The Challenger Sale ‒ Taking Control of the Customer Conversation von Matthew Dixon und Brent Adamson.

Diesen Artikel widme ich meinem Kollegen Michael, der mich nach meiner Meinung zu The Challenger Sale ‒ Taking Control of the Customer Conversation gefragt hat. Michael, bitte sehr: Für dich.

Challenger Sale ‒ Potential statt Probleme

Das Verkaufen von Lösungen, die möglichst auf die artikulierten Nöte von potentiellen Kunden zugeschnitten sind, hat seine Grenzen in der Geduld der Kunden. Um die Nöte genau herauszufinden, muss der Vertrieb Fragen stellen. Viele Fragen. Wenn dann nur der Bedarf herauskommt, den der Kunde selbst auch schon analysiert hatte, wo ist der Mehrwert des Vertrieblers?

Der Challenger Sales ‒ zu deutsch etwa »Herausfordernde Vertrieb« geht von der anderen Richtung heran. Im Zentrum steht nicht der Bedarf, den der Kunde selbst artikuliert, sondern der Bedarf, den der Kunde hat, ohne es genau formulieren zu können.

Der Challenger Sales weiß aufgrund tiefer Branchenkenntnis und der Organisationsstruktur des Kunden, was dieser zur Lösung größerer Herausforderungen braucht oder brauchen wird.

Statt auf bereits beim Kunden konkret bekannten Problemen zu arbeiten, denken Sie im Challenger Sale weiter. Der Mehrwert des Vertrieblers im Challenger Sale besteht darin, den Kunden zu lehren, ihm etwas an die Hand zu geben, das er vorher nicht wusste. Hier wird nicht das eigene Produkt angepriesen, sondern eine Problemstellung erläutert, bei dem das eigene Angebot neben dem Anwendungswissen zwar der zentrale Baustein ist, aber eben nicht um des Produktes willen.

Dixon und Adamson haben ganz amerikanisch ziemlich große Worte, wenn es um die »neu« erfundene Methode Challenger Sale geht und werden nicht Müde, die Unterschiede zum klassischen »Solution Selling« zu betonen.

Doch stürzen sie sich dabei auf die Beschränkungen, wenn sich der Vertrieb auf die »admitted pain«, also die dem Kunden selbst bekannten und anerkannten Bedürfnisse konzentriert. Nirgendwo im Solution Selling steht geschrieben, dass Sie das tun sollten, ganz explizit gibt es ja das Konzept der »latent pain«, also Bedürfnisse, die dem Kunden noch nicht explizit bewusst sind.

Das Alleinstellungsmerkmal vom Challenger Sale ist, sich exklusiv auf diese latenten Bedürfnisse zu konzentrieren und den Kunden zu lehren, die Bedeutung dieser Bedürfnisse auf das Geschäft und die ganze Organisation zu verstehen und das gesamte Potential zu heben.

Bedürfnis != Wunsch


Das Potential ist eine Nummer größer zu sehen als das Bedürfnis. Im Solution Selling stellt das Bedürfnis letztendlich ein Versäumnis, eine Not oder einen Schmerz dar. Die Lösung soll eine Linderung bringen. Im Challenger Sale zielt das Potential darauf ab, neue Möglichkeiten zu bieten und so nicht nur ein Problem zu beiseitigen, sondern die gesamte Organisation des Kunden zu stärken.

Challenger Sale ‒ Vertrieb und Marketing

Meine Güte, jetzt kommen in einer Überschrift gleich zwei Bäh-Begriffe, zwei Berufe, die in der deutschen Kultur nicht besonders hoch angesehen sind.

Vertrieb ‒ sind das nicht die, die einem immer etwas aufschwätzen wollen?

Marketing ‒ sind das nicht die, die alles in den Werbespots immer schön lügen?

Beides gibt es, doch wer so arbeitet, wird keine langfristige gute Kundenbeziehung pflegen können.

Im Challenger Sale ist der Vertrieb dazu da, den Kunden auf die Probe zu stellen ‒ daher der Begriff »Challenger«, Herausforderer.

Um dies sowohl effektiv als auch effizient durchführen zu können, auch wenn das durchschnittliche Verkaufsvolumen eine monatelange Intensivanalyse pro Kunde nicht erlaubt, braucht es das Marketing, und zwar das technische Marketing. Das technische Marketing arbeitet an der Analyse der jeweiligen Branche und den spezifischen Herausforderungen. Daraus entwickelt Marketing die Materialien, mit denen der Vertrieb die Kunden unterrichtet.

Challenger Sale ist ebenso eine Vertriebsmethode wie auch eine Marketingmethode, deren ureigenstes Ziel ist, Mehrwert für den Kunden schon vor dem eigentlichen Verkauf zu schaffen.

Auch wenn das Buch »The Challenger Sale« heisst, sind die enthaltenen Methoden mindestens zur Hälfte in der Domäne des technischen Marketing angesiedelt. Die Methode kann mitnichten allein als Vertriebsmethode eingeführt werden, sondern muss wenn dann ganzheitlich eine Organisation verändern, das Marketing explizit und besonders weit vorne.

Die Autoren gehen auf die Einführung denn auch ein einem eigenen Kapitel ein.

Mehrwert schon vor dem Verkauf

Während das Solution Selling vorhandene Probleme analysiert und darauf bezogene Lösungen anbietet, die dann eben nach dem Verkauf wirken, bietet Challenger Sale schon vor dem Verkauf einen Mehrwert, in dem der Kunde und dessen Organisation etwas nützliches lernt.

Kann das für die verkaufende Organisation schief gehen? Aber sicher. So kann sich eine andere Firma quasi ins gemachte Nest setzten, oder der potentielle Kunde schaut sich, nachdem nun das Potential bekannt ist, nach der billigsten Umsetzung dafür um.

Das schmälert vielleicht auch im Einzelfall den Erfolg und bringt mit Sicherheit das eine oder andere Projekt aus Vertriebssicht zum Scheitern. Insgesamt jedoch wächst die Reputation der eigenen Organisation als eine, die einen Mehrwert über die Produkte hinaus bietet.

Challenger Sale versus Beziehungspflege

Die Autoren betonen auch oft den Unterschied zwischen ihrer Methode Challenger Sale und dem auf Beziehungspflege fokussierten Vertrieb, der hauptsächlich Kunden zufriedenstellen will. Wessen vornehmlichstes Ziel ist, Kunden und potentielle Kunden zufrieden zu stellen, der wird diese nicht auf die Probe stellen und deren gewohnte Denkmuster über den Haufen werfen wollen.

Wenn ich den Wert meiner Vertriebsarbeit darin sehe, meinem Kunden alle Wünsche von den Augen abzulesen, dann werde ich eher nicht hitzige Sachdiskussionen führen wollen. Oft sind es aber genau die hitzigen Diskussionen, die den Kunden weiter brächten. Denn der Kunde hat ja nicht per se Recht, siehe auch Alle Patienten lügen ‒ Dr. House im Kundenkontakt.

Die Kunst im Challenger Sale ist, die Perspektive des Kunden zu verändern, ohne ihn so komplett vor den Kopf zu stoßen, dass er sich abwendet. Der Challenger Sale nimmt den Bildungsaspekt stärker in den Vertrieb hinein, dass also die Gespräche vor dem eigentlichen Verkauf schon an sich nützlich und lehrreich für den Kunden sein sollen.

Challenger Sale ‒ ganz schön praktisch

Mir gefällt das Buch Challenger Sale, weil ich damit endlich verstehe, was ich als Applikationsingenieur lange Zeit getan habe. Meine Maxime ist ja, dass das, was der Kunde will, nicht unbedingt das ist, was er braucht. Meine Aufgabe sehe ich jedoch darin, dem Kunden das zu geben, was er wirklich braucht. Das, was er sich wünscht, spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Wenn es um eine oft grundlegende Veränderung des Entwicklungsprozesses geht ‒ und um das geht es schließlich beim Einsatz von MATLAB & Simulink ‒ dann kann ich nicht nur das machen, was sich der Kunde wünscht. Oftmals sind die Ingenieure beim Kunden so tief im gewohnten Fahrwasser drin, dass sie die neue Perspektive nicht durch eigene Wünsche erreichen können. Sie brauchen einen Rempler von außen, einen Gedankenanstoß.

Das Verkürzen des Entwicklungsprozesses ist ja schön, doch was tun mit der gewonnenen Zeit? Früher das Produkt auf den Markt bringen? Besser testen? Funktionalität verbessern? Weniger der Entwicklungsmannschaft für das gegebene Produkt einsetzen und die frei werdenden Ingenieure auf ein anderes Projekt ansetzen?

Wenn ich zum Beispiel das Konzept der automatischen Codegenerierung aus modellbasierter Verhaltensbeschreibung einführe, dann ist das für Embedded-Programmierer zunächst erschreckend. Verständlicherweise haben sie die Sorge, ob das nicht ihren Job bedroht. Das tut es in der Tat, wenn Sie sich einzig und allein als Programmierer sehen und nicht weiter blicken, dass sie eigentlich Funktionsentwickler sind oder werden sollten.

Wie im Artikel über die Digitalisierung der Entwicklung zu lesen kommt es darauf an, sich nicht als Programmierer zu sehen, sondern als Entwickler. Dann besteht der Mehrwert fürs Unternehmen nämlich nicht darin, eine Spezifikation in Code umzusetzen, sondern die Funtkionalität eines mechatronischen Systems zu bestimmen. Der eigene Hub ist dann viel größer, wenn ich ein Wekrzeug habe, das meine bereits simulierten Vorstellungen in Code umsetzt.

Challenger Sale ‒ Buchkritik

Das Thema des herausfordernden Verkaufens finde ich durchaus ansprechend und anschaulich umgetzt. Das ist gut verständlich, gut zu lesen und im Hörbuch auch gut zu hören.

Sicherlich sind die Autoren an einigen Stellen arg bemüht, sich vom Solution Selling abzugrenzen. Wie oben geschrieben sehe ich beide Verkaufsprämissen nicht als Gegensatz, sondern eher als weiterführende Beschreibung. Mit ist natürlich klar, dass ein Buch, das sich als Vertiefung eines Aspekts von Solution Selling positionierte, nicht so gut verkaufen würde als ein »ganz anderer, besserer Ansatz«.

Das Buch selbst ist schlicht aufgemacht und mit vielen Geschichten aus der Praxis angereichert. Lesenswert, auch wenn ich ab und an die Vermutung hatte, dass manche Themen nur deshalb so breit ausgewalzt wurden, um das Buch dicker werden zu lassen. Das ist in Ordnung, so lange man sich beim Lesen die Freiheit nimmt, auch mal ganze Passagen oder Unterkapitel zu überspringen.

The Challenger Sale ‒ Taking Control of the Customer Conversation gibt es bei als Buch und eBook bei Amazon und dort auch als Hörbuch von den Autoren eingesprochen.

Was halten Sie vom Konzept des Challenger Sale?

Lassen Sie die anderen Leser und mich teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie unten!

Quellen

Photo: McKay Savage on flickr, License Creative Commons Attribution

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Kommentare

6 Antworten zu „The Challenger Sale: Das, was Sie brauchen, nicht das, was Sie wollen“

  1. Avatar von Berndt Gückel
    Berndt Gückel

    Lieber Herr Dr. Schlosser,
    Diejenigen die solchen unwissenschaftlichen Kram veröffentlichen, promoten und lobpreisen haben nie wirklich selbst (erfolgreich) verkauft? … oder, wer kennt einen?
    Legen Sie mal den Wirtschaftsleitern, Chefapothekern oder anderen Einkäufern Ihrer Hochschulen das Buch vor und bitten Sie diese mal um deren Meinung. Sagen Sie denen um Himmels Willen nicht, dass sie das gut finden …
    Die Autoren fordern tiefe insights in das Geschäft des Kunden – möglichst noch über das Wissen des Kunden hinaus – aber lassen genau diese in das Geschäft des Verkäufers vermissen:
    Der Widerspruch ist offensichtlich:
    Verkäufer können nur das verkaufen was sie haben – folgt man aber den Autoren, dann soll das Produkt (in seiner Wirkung auf das Geschäft des Kunden ) dem Kunden profit bringen, eine Lösung eines Problems sein, dass er bisher nicht kannte.
    Das ist billig!
    Man findet das heutzutage in jeder mittelklassigen Werbung!
    Für unabhängige Berater mit einem Köcher voller Produkte mag man das gelten lassen, aber die Autoren fordern die Verkäufer auf ihr Produkt als die Lösung zu präsentieren… egal obs passt?
    Vergessen Sie nie: Auch der Einkäufer kann „challenger“und erfahrene Einkäufer richen den Braten sofort, nämlich …
    The Challenger sale ist ein reines Drückerbuch!
    Die Autoren fordern Druck aufzubauen, der Kunde soll schlaflose Nächte haben und der Schwall der „Argumente“ soll den Kunden beim Denken behindern … etc.
    Man kann es nur jedem Sales Rep als Lektüre empfehlen wie Verkauf nicht (!) funktioniert.
    Das schreibt Ihnen ein langjährig efolgreicher Verkäufer, der nie „unter den ersten zehn“ war sondern fast immer erster oder zweiter!

    1. Danke, das ist auch eine Ansicht. Nur wo steht denn, dass es egal ist ob’s passt? Freilich muss es passen, sonst bringt es ja dem Kunden nichts. Ich habe selbst – nicht in der Rolle als Verkäufer, sondern als Applikationsingenieur – mit Kunden auf Fragestellungen geführt, die sie ursprünglich nicht bedacht hatten, die jedoch einen viel größeren Effekt auf deren Entwicklungsprozess hatten. Zu der Zeit wusste ich noch nicht, dass das ganze dann auch »Challenger Sale« genannt werden kann. Das schöne ist, dass das keine Geheimwissenschaft sein muss. Nach meiner Erfahrung kann ich dem Kunden auch sagen, warum ich ihn über die ursprüngliche Problemstellung hinaus führe, und er wird bereitwillig mitgehen. Weil dieses gemeinsame Erörtern ja ohne Kauf-Automatismus geschieht. Es ist eine kostenfreie Beratungsleistung. Das Ergebnis wird oft sogar besser, wenn der Einkäufer ebenfalls ein Challenger ist, weil dann die richtig interessanten Fragen aufs Tapet kommen.

      In der Tat stimme ich Ihnen insoweit zu, als dass die Methode bei einem relativ eng begrenzten Produktspektrum oder einem Produkt mit einem sehr engen Einsatzgebiet bzw. Wirkgebiet nicht unbedingt zum Einsatz kommen muss. Und noch viel weiter stimme ich zu, dass es auch sehr erfolgreiche Verkäufer ohne diese Methode gibt. Usain Bolt lief eine Goldmedaille mit offenen Schnürsenkeln. Das bedeutet nicht, dass alle Läufer deshalb jetzt die Schuhe nicht binden sollten.

  2. Für mich zeigt der Challenger-Ansatz sehr schön, welchen Wert eine Beziehung haben kann – oder auch nicht. Harmoniebedürfnis und Konfliktscheuheit ist einer guten Beziehung eben nicht unbedingt förderlich. Mit einer soliden Vertrauensbasis können wir unsere Geschäftspartner allerdings besser herausfordern und coachen. Schließlich gilt es ja auch im persönlichen Beziehungen als freundschaftliche Pflicht, die andere Person auf Fehler aufmerksam zu machen, damit der auch korrigiert werden kann. In einer verantwortungsvoll gepflegten Beziehung darf und soll herausgefordert werden – nicht nur „gekuschelt“. In diesem Sinne kann ich dem Challenger-Sales-Model viel abgewinnen.

    1. Danke, so ist es wohl. Gemeinsam wachsen heisst die Devise.

  3. Ich finde den Ansatz auch nicht schlecht, den Kunden schon im voraus das zu geben, was er braucht – und somit ein Bedürfnis erst gar nicht erst entstehen zu lassen. Ein „Bedürfnis“ ist wörtlich genommen ja auch etwas negatives. Der Kunde hat einem „Bedarf“, ihm fehlt also etwas. Er befindet sich in einer unbefriedigten Situation, die sich nur durch die Erfüllung des Bedürfnissen verändert. Die bessere Variante wäre hier natürlich, den Kunden schon im vorhinein vor dieser Situation „zu schützen“ – eben indem man seinen Bedarf schon erkennt, bevor in der Kunde überhaupt registriert hat. Nur bedarf diese Strategie in meinen Augen viel Forschung und eine genaue Erforschung des Kundenprofils. Hier stellt sich für mich wieder die Frage, ob sich der Aufwand wirklich lohnt.

    1. Die Frage nach dem Aufwand stellen die Autoren auch, und schlagen eine Cluster-Bildung vor.
      In meiner Erfahrung korrelieren Wunsch und Potential durchaus, nur sind sie eben nicht deckungsgleich.

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