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Erfolgreiche Beziehung und Organisation braucht zwei Blickwinkel

Wenn zwei immer derselben Meinung sind, dann ist einer überflüssig. Trotzdem versuchen viele Paare, möglichst wenig Meinungsverschiedenheiten zu haben. Oder sie reiben sich an zu vielen dieser auf. Ein Irrtum. Verschieden ist gut.

Für viele scheint es nur zwei Möglichkeiten zu geben: Übereinstimmung oder Streit. Dabei übersehen sie meist eine dritte Alternative: den konstruktiven Dissens.

Das gilt für die Paarbeziehung ebenso wie für berufliche Beziehungen.

Meinungen erkennen

Julia und Joachim ItalienDie beste Ehefrau von allen – nachfolgend Die Frau genannt – ist bisweilen nicht einer Meinung mit mir. Jedenfalls nicht im Detail.

Wir haben viele Jahre gestritten, und hatten mit unserer Verschiedenheit durchaus zu kämpfen. Wir dachten lange wir müssten uns irgendwie angleichen, und immer eine Meinung finden.

Ein introvertierter Algorithmiker und eine extrovertierte Praktikerin. Viel Spass, da stets eine Meinung finden zu wollen. Eine, die Probleme frontal angeht, einer, der auch gerne mal den längeren Weg läuft.

Natürlich kennen wir und kennen Sie auch Paare, die sehr gleichartig im Denken sind. Paare, die sowieso immer denselben Ansatz verfolgen. Doch in der Mehrzahl sind Menschen in Paarbeziehungen einfach verschieden. Und das ist gut so.

Dieser Artikel nimmt an der Blogparade Unterscheide ohne zu trennen des PM Camp Dornbirn teil. Und ist dem 12. Hochzeitstag von Der Frau und mir am kommenden Wochenende gewidmet.

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Warum soll es aber ein Problem sein, unterschiedliche Meinungen zu haben?

Wie so oft liegt es im Auge des Betrachters, ob ein Fakt als Problem oder Chance wahrgenommen wird.

Das Problem der unterschiedlichen Meinungen wird noch verschärft, wenn einer der beiden Partner versucht, sich ständig der Meinung des anderen anzugleichen, um Harmonie herzustellen. Dies macht auf die Dauer krank, sowohl den, der seine Meinung verleugnet, als auch die ganze Beziehung.

Sie kennen das bestimmt aus Ihrem Bekanntenkreis: Das Paar Armin und Beate, wo Armin stets den Ton angibt, und Beate zwar durch ihren Blick ihr Missfallen ausdrückt, aber nichts sagt. Armin (nicht sein wirklicher Name) in seiner beruflichen Funktion als Einkäufer bei Audi (nicht sein wirklicher Beruf) ist das angeben von Bedingungen gewohnt. Beate (nicht ihr wirklicher Name) ist als Stationsleiterin im Krankenhaus (nicht ihr wirklicher Beruf) zwar mindestens in genauso großer Verantwortung und Erfahrung, ordnet ihre Ideen aber lieber denen von Armin unter.

Oder umgekehrt das Paar Christa und David, wo Christa (nicht ihr wirklicher Name) als taffe Frau das Gespräch an sich reisst und David (nicht sein wirklicher Name), der sich nach seinem Tag als Projektleiter (nicht sein wirklicher Beruf) meist zu müde für eine Diskussion fühlt und lediglich zustimmend, aber irgendwie auch resigniert nickt.

Sowohl Armin und Beate, als auch Christa und David verpassen etwas ganz wichtiges an ihrer Beziehung: Das Gefühl, wenn zwei Menschen mit zwei Gehirnen ihre Fähigkeiten zusammenwerfen.

Es ist ungleich hilfreicher, wenn wir unterschiedliche Ansichten als Chance begreifen.
Verschiedenheit erzeugt Reibung in der Beziehung, und Reibung erzeugt Wärme, das weiß schon jeder Mittelstufenschüler. Und Blickwinkel erzeugen Perspektive.

Voneinander lernen

Wenn Die Frau und ich heute diskutieren, läuft das nicht unbedingt ruhiger ab als früher. Doch ist die Grundhaltung die der Neugier. Jeder von uns beiden möchte etwas vom anderen lernen, etwas Neues erfahren.

Die Neugier ist nun der eigentliche Antrieb. Auf diese Weise kann ich meinem Weltbild neue Facetten hinzufügen. Eine Problemstellung aus einem anderen Blickwinkel zu sehen macht ja quasi räumliches Sehen erst möglich. Ein plastisches Bild entsteht nur, wenn zwei Kameras das Objekt aus etwas unterschiedlichen Richtungen aufnehmen. Will ich etwas dreidimensional sehen, brauche ich zwingend zwei Blickwinkel.

Blickwinkel erzeugt Perspektive
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Die Sichtweise, welche Die Frau mir anbietet, bereichert mich. Egal, ob ich diese Sichtweise übernehmen möchte oder nicht: Oft erfahre ich von einer anderen Art zu sehen, zu denken. Ich kann mich wiederum darin hineindenken, für mich prüfen, was ich sehe, und wie stark das Ich mein eigenes Sehen beeinflusst.

Dies gilt nicht nur für Diskussionen. Auch die Art, wie wir handeln, wie wir bestimmte Dinge tun, unterscheidet sich. Schon allein dies zu sehen ist eine Erfahrung. Auch hier gilt: Angenehm muss es nicht sein.

Das klingt vielleicht heroisch, ist es aber nicht unbedingt. Genau genommen geht uns beiden die Reibungswärme bisweilen gehörig auf den Keks, vor allem, wenn die Reibung sehr stark ist. Doch stets erkennen wir zurückblickend, wozu es gut ist.

Prinzipien ergründen

Was also, wenn es eben nicht einer immer besser weiß?

Verschieden ist besser als besser.
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Ist das einfach? Nein. Angenehm? Mitnichten.

Wir argumentieren. Die Frau schießt Löcher in meine Gedankengänge, indem sie Gegenbeispiele anführt. Ich finde durch Fragen Lücken in den ihren.

Wie gesagt: einfach ist anders.

Das Ziel kann durchaus sein, den anderen von seiner Meinung zu überzeugen, doch in oft entsteht aus der Diskussion eine dritte Meinung, an die wir beide vorher nicht unbedingt so gedacht hatten.

Sind wir verschiedener Meinung darüber, wie relevant es ist, das Kind auf die korrekte Benutzung von Besteck zu verpflichten, geht es nicht um Besteck oder Laissez-Faire. Es geht auch nicht um einen Kompromiss – etwa nur ein Besteckteil zu benutzen. Es geht um die Prinzipien dahinter, die uns beiden aufgrund unserer Prägung in unseren Herkunftsfamilien wichtig sind: Wohlfühlen bei Tisch für alle, und das Bewusstsein für zivilisatorisch einwandfreies Verhalten bei gleichzeitigem Training der Feinmotorik. Was brächte hier ein Kompromiss? Es geht ja nicht wirklich darum, ob das Kind Besteck benutzt, sondern um die Werte dahinter. Und so kommen wir weiter. Denn über Werte können wir uns unterhalten. Ich kann anerkennen, dass die korrekte Benutzung von Besteck für das Kind eine kognitive Last darstellen kann, die die Lust an der gemeinsamen Mahlzeit vergällt. Und kann damit auch mal loslassen, und dem Kind spezielles Kinderbesteck an die Hand geben, das den Umgang damit deutlich erleichtert. Gleichzeitig gilt das Prinzip zwei Hände, zwei Bestecke, aber die Art und Weise der Benutzung ist vorerst freigestellt.

Meine Güte, denken Sie jetzt vielleicht, die haben Probleme. Es sind die kleinen Dinge, die Beziehungen stärken oder schwächen, kleine Dinge, die uns darauf aufmerksam machen, wie der andere tickt und was ich von ihm lernen kann.

Zwei sein

Das Resultat von diskutieren und zusehen, wie der andere etwas tut?

Wir bereichern uns gegenseitig. Durch Die Frau habe ich die Möglichkeit, zu einem besseren Menschen zu werden. Durch Die Frau werde ich vollständiger.

Als wir damals heirateten, wählten wir einen Trauspruch, dessen Universalität sich uns erst nach und nach erschließt:

Zwei sind besser als einer allein.
(Kohelet 4,9)
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Während Kompromisse immer zu einer Rechnung führen à la 1 + 1 = 1,5, ist es bei uns das Ergebnis eher 1 + 1 = 5 oder noch mehr.

Denn es geht nicht um Meinungskompromisse, sondern um einen dritten Weg, der besser ist als jede Einzelmeinung.

Sie will nicht allein in ein Musical, das mich in dieser Inszenierung nicht interessiert. Ein Kompromiss bringt hier nichts. Aber die dritte Alternative: Die beiden großen Kinder gehen mit, und sind hellauf begeistert, dass sie mit dürfen. Die Frau ist begeistert, das Musical zu sehen und den Kindern etwas gutes zu tun, und ich bin über all das begeistert und den Umstand, dass ich nicht mit muss.

Dieses sich-gegenseitig-bereichern ist in epischer Ausführung nachzulesen oder zu hören bei Stephen Covey, in den »7 Wegen zur Effektivität«. Ganz besonders passen hier die Gewohnheiten »erst verstehen, dann verstanden werden« und »Synergien schaffen«.

Oft hat nicht einer von uns beiden Recht, und oft liegt die Wahrheit nicht irgendwo in der Mitte, sondern beide haben Recht. Wie eben beim räumlichen Sehen auch beide Augen richtig sehen, aber trotzdem wegen der unterschiedlichen Blickwinkel etwas leicht anderes.

Fenster See
Die Frau sieht als erstes einen See und Bäume. Ich sehe als erstes das geometrische Muster der Fenster.

Eine ägyptische Pyramide sieht von der Seite aus wie ein Dreieck, von oben wie ein Quadrat. Wer sagt, es sein ein Dreieck, hat ebenso recht wie der, der es für ein Quadrat hält. Es kommt auf den Blickwinkel an, und unsere beiden Blickwinkel bereichern sich gegenseitig. Zu einem vollständigeren Bild, als es einer allein könnte.

Beim Besteck-Beispiel von oben haben beide Recht. Kinder sollen sich beim Essen wohlfühlen. Und Kinder sollen Manieren lernen. Nicht entweder oder, sondern beides. Also ist es an uns, Wege zu finden, die beides ermöglichen.

Prinzipien suchen

So verschieden wir in vielen Aspekten sein mögen, so ähnlich sind wir uns bei vielen darunter liegenden Prinzipien. Wir steuern auf das gleiche Ziel hin, nur eben aus verschiedenen Richtungen und mit bisweilen verschiedenen Wegen.

Sind wir uns nicht einig im Prozedere, dann doch meist im gewünschten Resultat. Wir haben gelernt, diese Verschiedenheit als Stärke zu begreifen. Die Frau ist mein wichtigster Berater, eben weil sie anders ist.

Natürlich gibt es auch einfach Fakten, die keine zwei Meinungen zulassen. Auch das gilt es zu erkennen, und dann aber zu ergründen, wie wir zwei verschiedenen Menschen diese eindeutigen Fakten interpretieren und je nach Blickwinkel in unser jeweiliges Modell der Welt einbauen.

Dissens nutzen (auch im Beruf)

Das Konzept des sich-gegenseitig-bereicherns hilft sehr in der Paarbeziehung, doch darüber hinaus auch sehr im Beruf.

Ich habe einen wesentlich erfüllteren Beruf, wenn ich mir bewusst mache, dass ich von jedem etwas lernen kann, dass eines jeden Sichtweise der meinen einen neuen Aspekt hinzufügen kann.

Das kann schwer sein. Vielleicht mag ich einen Kollegen nicht besonders, oder empfinde seine Art, seine Ideen oder seine Wortwahl als weder hilfreich noch wertschätzend. Dennoch – und da ist es wieder schwer – tu ich gut daran, mir das herauszusuchen, was ich von diesem Kollegen lernen kann.

Dissens ist gut. Man muss sich nicht immer einig sein. Aber den Dissens dann als Wertvoll anerkennen.

So strebe ich stets an, Menschen in mein Team einzustellen, bei denen ich schon im Verlauf des Bewerbungsprozesses eine Ahnung davon bekomme, was ich und das Team von ihnen lernen können. Lernen eben nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. Von der Art, wie sie Probleme lösen, von der Art, wie sie mit Menschen sprechen, wie sie Projekte voran bringen.

Ich möchte lernen können von anderen Menschen, möchte Ideen erfahren, die ich selber nicht habe. Auf diese Weise kann das Team exzellente Dinge vollbringen als einer allein vermag.

Wenn zwei immer derselben Meinung sind, dann ist einer überflüssig.

Eine Organisation, die den Dissens sucht und konstruktiv nutzt, wird flexibler und erfolgreicher sein als eine, die nur Konsens-getrieben agiert. Lösungen, die die uneingeschränkte Zustimmung aller finden, sind meist weder innovativ, noch wirklich wirksam.

Also geht es darum, von Menschen zu lernen, die anderer Meinung sind. Immer wieder neugierig zu sein, wie der andere zu seiner Meinung kommt. Und was die Meinung ermöglicht.

Verschieden bleiben

Wie nehmen Sie Meinungsverschiedenheiten wahr?

Lassen Sie die anderen Leser und mich bitte teilhaben an Ihren Gedanken und kommentieren Sie!

Photo: Courtesy Death to the Stock Photo, Proprietary License

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Kommentare

4 Antworten zu „Erfolgreiche Beziehung und Organisation braucht zwei Blickwinkel“

  1. Hallo Joachim,

    neulich über die Wahl zwischen texlive und miktex auf deinen Seiten gelandet… tun sich hier nun Welten auf. Ich bin ausgesprochen baff, hätte viel zu fragen, beschränke mich hier aber erst einmal auf diesen Artikel – vielleicht darf ich Ihnen bei Gelegenheit mal eine Email schicken?!

    Ein wirklich inspirierender Artikel, interessant vor allem deshalb, weil es mir (bzw. uns) sehr ähnlich ergeht. Allerdings fehlt uns noch diese positive Sichtweise und ich halte es da mit meiner Vorrednerin: der Energieverlust ist aktuell gigantisch; ab wann die Aufhebung der klassischen Energieerhaltung einsetzt und sich ein Mehrwert daraus erzeugen lässt, vermag ich noch nicht zu prophezeien. 600 km Asphalt zwischen den Wohnungen tun ihr Übriges.

    Es gibt Theorien, nach denen Beziehungen dauerhafter sind, wenn sich die Partner ähneln, nach denen „Gegensätze ziehen sich an“ für einstweiliges Interesse aber nicht für Beständigkeit geeignet ist. Nun gut, das sagt primär nur etwas über die Statistik der Trennungshäufigkeit und nicht zwingend über die Qualität der einzelnen Beziehung, wenn denn die Gegenseitigkeit für beide Partner zur Bereicherung wird. Wobei Qualität vermutlich auch für jeden anders definiert ist und Ihr weg, so schön und beachtenswert er ist, eben auch nicht für jeden funktioniert.

    Die eigentlich Frage ist aber vielleicht, welche Art oder welcher Umfang von Differenz bereichert und welche vernichtet zu viel Energie? Auch wenn unterhalb der ersten Differenz eine gemeinsame Basis liegt, wie Sie dies weiter oben mit dem Besteck aufgezeigt haben…

    Ich werde in nächster Zeit mal auf die darunterliegende Schicht achten.

    Einen Punkt hätte ich wohl noch zur Form des Artikels: ich habe mir mit dem Lesefluss arg schwer getan, den Sinn oder Nutzen der kursiven Absätze nicht ermitteln können und abgehangen hat mich die Struktur des Textes auch hier und da – vielleicht ist es Ihnen als Rückmeldung dienlich, ansonsten.. wohl nicht.

    Besten Gruß
    Martin

    PS: wie ist das eigentlich im Netz oder in Blogs – duzt man sich oder siezt man sich? Mir fällt jetzt erst auf, dass ich die etwas angestaubte Kombination von „Sie + Vorname“ gewählt habe. Persönlich finde ich diese Form ja sehr schön, scheine damit aber eher alleine zu sein.

  2. Wir gratulieren zum 12.! Unser 10. Hochzeitstag ist morgen – uff. Wir sind S.O. unterschiedlich! Ohneeinander wären wir heute nicht, wo wir sind (ja: Synergie!). Aber f***, ist das anstrengend, jeden Tag. Wir sind ja nicht allein! Patchwork, drei pubertierende Jungs, zwei Vollzeitjobs (Medien, Pharma), die wohlmeinende Vetwandschaft (viel nörgeln, nix helfen), und seit neuestem in China (ja! Bingo!)… Da täten mehr Einvernehmen, eine schöne Seelenverwandtschaft (hatten wir beide schon, damals…) schon.mal.gut. So halten wir eher durch. Damn, Stephen…

  3. Avatar von Frieder

    Ein interessanter Artikel den wir gerne gelesen haben. Vielen Dank dafür und Herzlichen Glückwunsch zum 12 ;-).
    Wir erkennen uns in manchem wieder. Leider erzeugt Reibung jedoch nicht nur Wärme sondern auch Verlust an Energie, die sonst zur Verfügung stünde. Ich nehme Meinungsverschiedenheiten eher als Energieverlust wahr. Der Blickwinkel der Gemütlichkeit durch Reibungswärme fehlte mir bisher. Also für mich eine neue Perspektive.
    Übrigens auch ich sah zuerst die geometrischen Muster im Foto. Erst durch den Text wurde ich auf die Bäume und den See aufmerksam. Ein im wahrsten Sinne des Wortes anschauliches Foto für diesen Vergleich.

    1. Danke sehr! Wir haben auch eine ganze Weile gebraucht, bis wir gemerkt hatten, was es uns bringt.

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