Keine verschränkten Arme, nicht zu viel gehen, nicht wegschauen, Hände oben halten, Negationen vermeiden, Zuschauer sprechen und bewegen lassen – meine Güte, es gäbe so viel, was man als Sprecher unbedingt beachten muss. Wenn nicht Isabel García wäre, die uns in ihrem Buch „Die Bessersprecher – Abschied von den größten Kommunikationsirrtümern“ aufzeigt, wieso die meisten derlei Regeln gar nicht belegt sind oder gar widerlegt, und was einmal der sinnvolle Kern der Regeln war.
Stattdessen schreibt Isabel Garcia ein ganzes Buch als flammendes Plädoyer, Menschen ihrem Wesen so lassen, wie sie sind, nur eben diese Persönlichkeit bedachter beim Sprechen einzusetzen.
In „Die Bessersprecher – Abschied von den größten Kommunikationsirrtümern“ untersucht sie vermeintliche Regeln, und hält der Trainer- und Speaker-Szene eins ums andere Mal den Spiegel vor. Für mich als „Gebrauchsvortragenden“ ist das sehr unterhaltsam, und bisweilen auch lehrreich.
Auch im öffentlichen Sprechen gilt: Müssen muss ich gar nichts. Schon gar keine strikten Regeln glauben und befolgen.
Mythen beim Vortragen und Präsentieren
In prägnanten Kapiteln beleuchtet Isabel García einzelne Mythen:
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Verschränkte Arme. Mythos: Verschränkte Arme signalisieren Abwehr – stimmt nicht.
Die Studie gibt es so nicht. Noch nicht einmal eine Untersuchung. Eine klassische Verwechslung von Korrelation und Kausalität. Bisweilen äußert sich eine innere Abwehr in verschränkten Armen, ebenso wie Entspannung, oder Konzentration beim Zuhören. Und das auch noch bei ein und demselben Menschen zu verschiedenen Zeiten.
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Augenbewegungen. Mythos: Nicht wegschauen. Augenbewegungen verraten, woran wir denken.
An dieser Technik aus NLP, dem Werkzeugkasten des Neurolinguistischen Programmieren, ist schon was dran. Allerdings ändert sich das auch im Stundenverlauf, und erkennen können das nur langjährig trainierte Experten, die dann auch jedes mal wieder auf den Gegenüber kalibrieren.
Wer den Blick hält und wer nicht, hängt von Intravertiertheit/Extravertiertheit, Herkunft, Sozialisierung, emotionalem Zustand und vielem mehr ab.
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Gehen. Mythos: Zu viel gehen wirkt unsouverän.
Quatsch, nur wenn es nicht zur eigenen Person passt. „Wir sind ständig in Bewegung.“ Das ist eben so. Wir schauen dort hin, wo sich etwas bewegt. Das kann ich nutzen. Es hilft halt, wenn die Bewegung kongruent zum Gesagten ist.
„Die Bessersprecher“ rät: Wer ein Geher ist, der soll beim Vortragen gehen. Wer lieber am Platz stehen bleibt, der soll das tun. Verschiedene Positionen für verschiedene Vortragsteile können hilfreich sein – wenn es denn zur Person und zum Vortrag passt.
Gehen ist okay. Stehen ist okay.
Wenn gehen, dann unvorhersehbar. Lieber seitlich gehen als vorwärts und rückwärts. Wer ruhig atmet, macht seine Stimme entspannter und angenehmer.
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Positiver Bereich. Mythos: Hände im positiven Bereich halten.
Quatsch. Es ist eher so, dass die Höhe der Hände sich auf die Stimmlage auswirkt. Nicht so viel Gedanken um die Hände machen, das wird von selber!
Der einzige Grund für die Handhaltung in einem bestimmten Bereich ist eine dedizierte Videoaufnahme: Hier sollten die Hände im Bild sein, dann sieht der Mensch vollständiger aus. Ansonsten: Wurscht!
Generell gilt laut Garcías „Die Bessersprecher“: „Haltung führt Gedanke führt Körper führt Stimme.“ Handhöhe und Stimmlage hängen zusammen, und das kann ich nutzen.
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Pacing und Leading. Mythos: Körperhaltung des anderen spiegeln schafft Verbindung zum anderen.
Ja, tut es. Wenn es wirklich gut gemacht ist und aus einer inneren Wertschätzung des Gegenüber entspringt. Sonst wirkt es leicht unheimlich und verkehrt.
Isabel García hat da ein einfaches Mantra:
„Wertschätzung statt Regeln.“
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Negationen. Mythos: keine Negationen verwenden.
Stimmt auch nur insofern, als dass ich eher auf das Verhalten hinsprechen sollte, das ich erzielen möchte, nicht auf das, was ich verhindern zu suche. Alles, was darüber hinaus geht, ist nicht wissenschaftlich gedeckt.
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Tiefe Stimme. Mythos: Bass bevorzugt.
Meine Güte klingt diese Frau gut! Ich weiß zwar, dass Isabel García das extra für den Anfang dieses Kapitels macht, und möchte auch den Audio-Techniker beglückwünschen, der das so astrein abgemischt hat. Doch: Herrje, soviel Wohlklang!
Zurück zum Buch. Besser ist: Die eigene Stimmlage finden und nutzen. Es stimmt, dass wir unter Anspannung eher höher sprechen, und das dann eben nicht unsere normale Stimmlage ist. Um zur authentischen, entspannten Stimmlage zu finden, erläutert die Autorin wunderbar die Mmmm-Konditionierung.
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Arme heben. Mythos: Die Zuhörer etwas fragen und tun lassen schafft Aufmerksamkeit und Gemeinschaft.
Die Zuhörer zu fragen ist nicht mehr überraschend, weil es mittlerweile alle machen. Worte nachsprechen lassen, Laute machen lassen: Muss nicht sein. Vor allem nicht, wenn man nicht tatsächlich die Antworten wissen möchte.
Ich gebe zu: Das mache ich auch bisweilen, nur dann eher nicht, wenn mein direkter Vorredner schon mit Fragen die Hände hat heben lassen. Sogar Widerhall habe ich das Publikum schon geben lassen, ja. Das hängt bei mir jedoch stark davon ab, was für eine Stimmung im Saal herrscht. Sind die Leute eh ausgelassen, dann geht es eher, und im angloamerikanischen Raum ohnehin.
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Aber. Mythos: Sagen Sie nie aber.
Besser: aber kann die Aussage schwächen, und manchmal will ich ja genau das, oder zwei Alternativen aufzeigen. Präzise bleiben, auch Worte wie gleichwohl helfen. Durchaus sinnvoll: aber vermeiden bei Konfliktgesprächen und Feedback. Konter: „gerade weil.“
Was wirklich nicht geht: müssen. Denn jedes müssen fußt auf einem wollen, auf einer Abwägung von eigenen Prioritäten.
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Stimme feucht halten. Mythos: Kaffee schadet der Stimme.
Getränke gehen gottseidank in die Speiseröhre, nicht in die Luftröhre. Sinnvoll ist, überhaupt genug zu trinken, auf die Stimme hat das jedoch keinen Einfluss. Hier wird die Autorin ziemlich deutlich.
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Sieben Prozent. Mythos: Sie überzeugen mit dem Inhalt nur zu sieben Prozent.
Es stimmt halt leider nicht, dass die nonverbale Kommunkation 93% ausmachen würde, was auch der Autor der Studie schon seit langem versucht aufzuklären. Das gilt nur für einzelne Wörter, wenn der Inhalt nicht nur Stimme passt.
Besser: Wer seinen Inhalt nicht im Griff hat, wird’s mit der Überzeugung auch nicht leicht haben. Es gilt wie oben: Die Stimme folgt der inneren Haltung.
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Präsentationszahlen. Mythos: Merkfähigkeit mit Gehörten, Gesehenem und so weiter.
Lerntypen gibt es nicht, nur Lerngewohnheiten. Und eine Folienschlacht ist auch nicht per se notwendig, auch wenn Bilder tatsächlich helfen. Bilder. Nicht Bullet Points, nicht Texte.
Mehrere Sinneskanäle ansprechen ist schon gut, muss aber je nach Botschaft nicht sein.
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Hüftbreit stehen. Mythos: Mehr Selbstbewusstsein zeigen mit hüftbreitem Stand.
Die Mitte finden. Nicht mittig stehen. Es soll halt zu mir und zur momentanen Situation passen. Krampfhaft beidbeinig stehen hilft ja nix. Selbiges gilt fürs Schuhwerk: Wenn man gut damit stehen und sich bewegen kann, ist alles erlaubt.
Bei mir liegt das Selbstbewusstsein eher in der Stimme und den Worten und Sätzen. Und bisweilen stelle ich einen Satz auch bewusst hüftbreit in den Raum, doch habe ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken gemacht, unbedingt immer in einer bestimmten Weise stehen zu müssen.
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Positives Denken. Mythos: Man muss immer positiv denken.
Unsinn, und das erläutert auch Isabel García sehr schön. Erstens ist nicht immer alles positiv, und zweitens muss ich auch nicht immer allem eine positive Seite abgewinnen. Eine wesentliche Triebfeder menschlichem Fortschritts, ach was sag ich, allem lebendigem Fortschritts, ist die Vermeidung von negativem. Also wieso sollte ich immer positiv denken?
Nä. Es ist nämlich überaus wichtig, den Problemraum hinreichend zu durchdringen. Um das zu tun, beschäftige ich mich freilich auch mit negativen Gedanken. Warum etwas nicht funktioniert, wo noch überall Probleme lauern können, welche Risiken bestehen.
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Händeschütteln. Mythos: Ein fester Händedruck wirkt.
Autsch, ja, der wirkt. Ich mag auch gerne lieber einen festen Händedruck als einen toten Fisch in der Hand. Aber alles mit Maß und Ziel. Und ich mag nicht gerne allen Menschen automatisch die Hand geben. Manchen Menschen nicke ich gerne zu, manchen gebe ich gerne die Hand, und ganz wenige umarme ich sogar.
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Duzen. Mythos: Duzen schafft Nähe.
Dessen bin ich schuldig. Ich habe sogar begonnen, meine Blogleser, zu duzen, nachdem sich bei einer Umfrage die Mehrheit dafür aussprach. Mit diesem Kapitel sprach Isabel García einen wunden Punkt bei mir an: Denn faktisch habe ich mich über diejenigen, die sich nicht oder abschlägig gemeldet hatten, hinweg gesetzt. Ich gelobe Besserung.
Wobei: Als Bayer habe ich’s da gut. Denn für Individual- und Gruppenansprache haben wir, anders als im Hochdeutschen, nicht nur „Du“ bzw. „Ihr“ und „Sie“, sondern das wunderbare „ös“. Da sagt man beispielsweise: „Da habt’s ös bestimmt Erfahrung.“ Das kann ich sogar zu einer kleinen Gruppe Menschen sagen, die ich einzeln alle Sieze.
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Ich-Botschaften. Mythos: Mehr Wertschätzung in der Kommunikation mit Ich-Botschaften.
Laut García ein weiterer Fall von gut gemeint aber schlecht entwickelt. „Ich finde du bist doof.“ ist eben nicht wertschätzend. Was eigentlich gemeint war, ist den Kern der eigenen Botschaft zu finden. Das, was etwas mit mir macht. Das ist übrigens dann auch der Kern der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg. Diese halte ich in ihrem strikten Schema meist eher für hinderlich, begrüße aber (sic!) auch hier den Grundgedanken.
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Kommunikationstypen. Mythos: Jeder lässt sich sauber in eine Typologie einsortieren.
Menschen sind nicht nur rot, grün, blau, gelb. Menschen haben Anteile bestimmter Typologien, und diese treten je nach Tagesform, Lebensabschnitt und Gegenüber unterschiedlich stark hervor.
Deshalb finde ich auch so schlüssig, dass Svenja Hofert in ihrem Stärkennavigator ausdrücklich von veränderlichen Stärken spricht, und Isabel García in ihren Elementaren Kommunikationstypen explizit hervorhebt, dass jeder alle Anteile besitzt.
Hilfreiches für Bessersprecher
Ganz feste hängen geblieben sind mir aus dem „Bessersprecher“-Buch vor allem folgende Aussagen:
- Es gibt kein müssen, immer, nie.
- Das beste Mittel für eine gute Stimme ist, an die frische Luft zu gehen.
- Rauchen, räuspern, flüstern sind die schädlichsten Tätigkeiten für die Stimme.
- Haltung führt Gedanke führt Körper führt Stimme.
Beim nochmaligen Lesen werden mir bestimmt wieder andere Dinge auffallen, das hier sind die vom ersten ganzen hören.
Schreibstil und Kritik
Wie immer schreibt Isabel Garcia locker, dynamisch und anschaulich. Ihre Wortbilder in „Die Bessersprecher – Abschied von den größten Kommunikationsirrtümern“ zünden, und oft sprießt ihr Sarkasmus zum Thema Speakerszene durch.
García spricht das Hörbuch zu „Bessersprecher“ selbst. Dabei klingt sie näher und natürlicher als im vorigen Buch „Ich kann auch anders“ – hier besprochen –, die Aufnahme ist persönlicher. Über Isabel Garcias Stimme habe ich oben schon ein Loblied angestimmt – siehe „Meine Güte klingt diese Frau gut!“ Ihr würde ich auch zuhören, wenn sie das Telefonbuch vorliest. Noch besser: Sie hat einen Podcast.
Bisweilen merkt man Isabel García den Rebellen schon deutlich an. Sie ist als Rhetorik-Trainer und Sprecher Teil einer Szene, deren Vorgehensweisen und Inhalte sie in vielerlei Hinsicht ablehnt. So kam mir bei allem Unterhaltungswert dessen, was andere Trainer so erzählen, durchaus die Frage auf, für wen das Buch jetzt tatsächlich geschrieben sei. Für andere Vortrags-Trainer? Für Klienten von Vortrags-Trainern? Für Vortragende allgemein?
Für mich geht das in Ordnung, ich erfreue mich am Inhalt und der Darbietung, und nehme für mich einen Haufen Tipps mit. Nun bin ich weder hauptberuflich Vortragsredner noch Vortragstrainer – aber beides immer wieder. Natürlich coache ich mein Team und weitere Kollegen in Sachen Vortrag, und da hilft es mir sehr, einen kritischen Blick auf so manche Regel des Vortragens zu bekommen.
„Die Bessersprecher“ ist damit für mich ein wunderbares Plädoyer für die Rückbesinnung auf den eigentlichen Zweck von Vorträgen und Kommunikation. Lesen! (Irgendwann schaffe ich es mal, eine Buchbesprechung unter 1500 Wörtern zu schreiben…)
Bessersprecher als Taschenbuch | Bessersprecher als Hörbuch
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Photo: Joachim Schlosser. Das Foto wurde übrigens aufgenommen auf unserem (Elektrobit) jetzt für alle verfügbaren Scrum Immersive Experience Training at Large, die Scrum-Einführung für mehrere Hundert Automobilentwickler gleichzeitig.
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