Seltsame Blicke sind mir sicher, sie richten sich auf meine Füße. Meine Ehefrau guckt nicht mehr seltsam, und nennt mich nur noch ab und an einen Hobbit. Ich jogge quasi barfuß, mit Zehenschuhen, mit Vibram FiveFingers.
Stellen Sie sich Fingerhandschuhe vor, mit verstärkter Handfläche. Das sind Vibram FiveFingers Zehenschuhe. Zwischen Fuß und Boden sind nur drei Millimeter Gummi. Gerade genug, um die Füße zu schützen. Dünn genug, um das Barfuß-Gefühl zu bekommen.
Warum barfuß joggen – Problemstellung
Ich bin ein sogenannter Unterpronierer, das heisst ich trete beim Joggen eher auf der äußeren Kante der Füße auf und rolle auch eher außen ab. Das nutzt nicht nur die Schuhe schief ab, sondern auch die Füße.
Zudem bin ich Büroarbeiter, ich sitze und stehe also täglich viele Stunden am Computer. Je besser meine Rumpfmuskulatur und die Rückenmuskulatur trainiert ist, desto besser bin ich gegen Rückenschmerzen gefeit. Insgesamt tut mir jegliche Bewegung gut als Ausgleich.
Um zumindest gute Schuhe für meinen verbogenen Laufapparat zu haben, laufe ich seit 2005 mit Asics Gel Kayano ‒ doch jetzt eben Zehenschuhe.
Dazu möchte ich anmerken, dass ich erst mit Mitte zwanzig überhaupt mit dem Joggen begonnen habe. Meine Vorbedingungen zum Joggen waren also nicht gerade traumhaft.
Warum barfuß joggen – Fußbewegung
Barfußschuhe wie die Vibram FiveFingers haben nur ein Ziel: Das Laufen so nah wie möglich an das Barfußlaufen zu bringen wie möglich, dabei aber Verletzungen durch den Untergrund zu verhindern.
Normale Laufschuhe bergen für Unterpronierer – also Menschen, die über die Außenkante der Füsse abrollen – einen Nachteil: durch die Dämpfung nimmt der Fuß nicht wahr, dass das nicht die beste Art ist, abzurollen. Die Dämpfung nimmt das Empfinden, den direkten Kontakt mit dem Untergrund.
Mit den Zehenschuhen merke ich genau, welche Stelle meines Fußes auf den Boden trifft, und wie der Abrollweg beim normalen Gehen verläuft. Ich merke jeden Stein. Ganz automatisch haben sich meine Füße im Laufen nun verändert.
Beim Barfuß-Joggen trifft nicht mehr die Ferse als erstes auf den Boden, sondern eher der Fußballen. Warum? Wenn Sie schon einmal versucht haben, barfuß zu joggen, werden Sie festgestellt haben, dass es sehr ungemütlich ist, direkt mit der ungedämpften Ferse aufzutreffen.
Warum barfuß joggen – ohne Dämpfung
Die Laufbewegung über den Vorfuß bedingt, dass ich eine zusätzliche Federung in Form des Fußgelenks habe. Statt der Dämpfung des Laufschuhs also eine Muskeldämpfung im Fußgelenk.
Dies hat zur Folge, dass ich ziemlich aufrecht laufe und die Füße unter dem Körper auf den Boden treffen. Die Schritte werden also kürzer, dafür erhöht sich die Schrittfrequenz.
Ich bin kein Physiologe, doch dank der Muskelkater in der Anfangszeit kann ich Ihnen versichern: Das Barfußlaufen beansprucht Teile der Muskulatur von Fuß über Unterschenkel, Oberschenkel, Bauch und Rücken, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass ich dort Muskulatur habe.
Fakt ist: Seit ich regelmäßig mit Zehenschuhen laufe, habe ich deutlich seltener Rückenschmerzen.
Das Barfußlaufen ist für mich ein Ganzkörper-Workout. Dadurch, dass ich die Spannung in den Beinen und im Fußgelenk halten muss, um nicht mit der Ferse aufzuknallen, ist ganz automatisch mein Bauch und Rücken ebenfalls ein Stück angespannt.
Sicher kann ich dort bewusst noch mehr anspannen, um den Effekt zu vergrößern, aber selbst wenn ich nicht daran denke, zwingt mich die aufrechte Haltung automatisch dazu. Auch klar ist, dass ich ohne die Dämpfung des Schuhs schon darauf achten muss, wie ich laufe, also eben auf dem Vorfuß auftretend und dann die Schwingung durch den Mittelfuß nach hinten und wieder abrollen nach vorne.
Warum joggen mit Vibram FiveFingers – fester Halt
Warum nun gerade Zehenschuhe von Vibram FiveFingers und nicht irgendwelche anderen Barfußschuhe?
Ich habe andere Barfußschuhe probiert, und fand in allen das Laufgefühl sehr schwammig. Weil die Sohle ja eben sehr flexibel ist, rutschte der Fuß hin und her und ich hatte kein sicheres Laufgefühl.
In den Zehenschuhen bleiben die Zehen und somit der ganze Fuß fest im Schuh.
Die profilierte Sohle dazu und der Halt im Schuh ist derart gut, dass ich meine Vibram FiveFingers Zehenschuhe mittlerweile auch auf Wandertouren einsetze – so viel Grip bei gleichzeitig so viel Flexibilität habe ich in keinem Wanderschuh.
Dabei ist aber auch klar, dass der Zehenschuh keinen Schutz für das Fußgelenk bietet. Während ein hoher Wanderschuh die Knöchel schützt, habe ich im FiveFingers eben schnell mal eine Schürfung, wenn ich seitlich gegen einen Felse stoße. Ebenso muss ich selbst darauf achten, dass ich nicht durch unwegsames Gelände umknicke. Trittsicherheit und Umsicht zahlt sich hier doppelt aus.
Zum eben mal unbedarft durchs Gebirge streifen taugen die Schuhe also nicht – wenn ich damit unterwegs bin, ist das in sich schon wieder ein Workout und bedarf Konzentration auf den Pfad. Und genau deswegen werde ich das beibehalten.
Barfuß laufen stärkt Konzentration und Muskulatur.
Außerdem macht es einfach Spaß, wenn entgegenkommende Wanderer grüßen mit den Worten: »Jetzt dachte ich schon da kommt einer strumpfsockert daher!«
Vibram FiveFingers auf Reisen
Seit ich meine Vibram FiveFingers besitze, habe ich wirklich auf allen Reisen meine Laufsachen dabei. Während normale Laufschuhe eben so viel Platz im Koffer beanspruchen wie es Halbschuhe eben tun, bestehen die Zehenschuhe ja nur aus einer Gummisohle mit Stoff darüber, und nehmen flach gedrückt kaum mehr Raum ein als ein iPad mit Hülle.
Und das ist ein unschätzbarer Vorteil, wenn man wie ich strikt mit einem handgepäckfähigen Trolley als einzigem Gepäckstück verreist.
Somit ist nicht nur das Laufen besser, sondern ich habe auf keiner Reise mehr die Ausrede, die Laufsachen hätten keinen Platz – mit der Folge, dass ich öfter laufen gehe.
Hinweise zum Beginn mit dem Barfuß-Joggen
Vibram FiveFingers war in den letzten Monaten auch in den Nachrichten, da in den USA ein viele Millionen USD schwerer Vergleich geschlossen wurde. Im Kern ging es darum, ob das Laufen mit Vibram FiveFingers Schäden verursachen könne, wie auch im Prozessdokument nachzulesen.
Meine Einschätzung: Ja. Wie alles, was Sie übertreiben, Schäden verursacht.
Wenn Sie mit Zehenschuhen zu Joggen anfangen und zu früh zu weit laufen, dann ist Ihre Muskulatur darauf noch nicht eingestellt. Die Muskeln am Fußgelenk werden nach einer gewissen Zeit ermüden, und Sie werden mit der Ferse auftreten statt mit dem Vorfuß. Tun Sie das über Wochen hinweg, dann beschädigt dies das Kniegelenk, und eventuell die Hüfte bzw. das Hüftgelenk. Und diese Beschädigungen sind nicht ohne, und eben völlig überflüssig, wenn man auf den Körper hört und nicht überfordert.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es viele Käufer gab, die genau das taten. Sehr leistungswillige, verbissene Männer, die nicht auf ihren Körper hören und schon immer alles durchgezogen haben, auch wenn’s mal weh tut, haben sich die Stellage damit verbogen.
Deswegen rät der Fachverkäufer im Vibram-Shop und erfahrene Läufer auch folgendes, was ich ebenfalls sehr empfehlen kann:
- Fangen Sie ganz klein an. Gehen Sie mit den Barfußschuhen erstmal einige Tage spazieren.
- Fangen Sie beim Joggen noch kleiner an. Die ersten zwei Wochen mit Fivefingers lief ich nicht mehr als einen Kilometer damit, und hatte meine normalen Laufschuhe in der Hand dabei, die ich dann wechselte, sehr zur Belustigung meines Laufpartners.
- Steigern Sie sich nur um einen Kilometer pro zwei Wochen – mindestens eine Laufeinheit pro Woche vorausgesetzt. Die Muskulatur braucht Zeit, um sich an die neue Belastung durch das Barfuß-Joggen zu gewöhnen.
- Auch bei geübtem Barfußjoggen kann ich mal einen schlechten Tag haben, an dem ich wenig Kraft in den Fußgelenken habe. Dann gilt es, das zu merken und eben nicht auf Teufel komm raus mit den Barfußschuhen durchzureißen, denn das will ich weder Knien noch der Hüfte antun.
Das Barfußlaufen ist eine Übung in Aufmerksamkeit, eben nicht nur auf den Weg und die Steine darauf, sondern auch auf den eigenen Körper, die Muskulatur und Ermüdung.
Geduld und Ausdauer
Bis ich wieder mein normales Laufpensum von zehn bis fünfzehn Kilometern mit Vibram FiveFingers lief, vergingen tatsächlich mehrere Monate. Das ist okay.
Halten Sie sich immer vor Augen, dass Sie eine neue Art des Laufens erlernen. Das ist wie eine neue Sportart, bei der die Muskulatur erst lernen muss, wie die Sache funktioniert.
Erst nach fast einem Jahr lief ich damit auch wieder eine Halbmarathondistanz. Das ist freilich nicht allein den Schuhen geschuldet, sondern deutlich meinem inneren Schweinehund.
Übertreiben Sie es nicht und hören Sie auf Ihren Körper. Ein kapitaler Muskelkater ist in Ordnung und zeigt, dass der Körper anspricht. Auch ein Muskelkater im Rücken und Bauch war bei mir normal. Wenn ich heute eine lange Distanz laufe, länger als sonst, dann spüre ich das immer noch deutlich in der gesamten Muskulatur.
Wenn Sie beim Laufen merken, dass Sie müde werden und mit der Ferse auftreffen, dann gehen Sie. Hartes Auftreffen mit der Ferse in Barfußschuhen ist nicht gut.
Laufgefühl und Wetter
Ich spüre jeden Stein, und spitze Steine auch deutlich. Und wenn ich direkt auf einen frei liegenden, kantigen Stein trete, bedeutet das durchaus Schmerz. Aber ein schöner Effekt ist eben das bessere Gefühl für den Untergrund, ohne sich daran verletzten zu können. Ich fühle mich unglaublich lebendig beim Laufen mit den Barfußschuhen.
Aufpassen heisst es bei herausstehenden Pflastersteinen. Mit solch einem habe ich mir einmal den kleinen Zehen umgeknickt, der daraufhin eine Woche lang tiefblau war. Also bei schlechtem Untergrund die Füße heben!
Bei den leichten Schuhen läuft der Regen schnell rein, aber dafür auch rasch wieder ab. Nur bei schmelzendem Schnee war es ziemlich lästig, ständig nasse Füße zu haben. Dafür gibt es als Abhilfe wasserdichte Vibram FiveFingers, von denen ich mittlerweile auch ein Paar besitze.
Locker bleiben
Ich kann das Laufen mit Vibram FiveFingers guten Gewissens empfehlen. Die Veränderung war für mich tiefgreifend und brauchte Zeit und Geduld.
Und Sie? Haben Sie schonmal Barfußschuhe oder Zehenschuhe ausprobiert? Wie laufen Sie? Und was erhielten Sie für erheiternde Kommentare?
Lassen Sie die anderen Leser ebenso wie mich teilhaben an Ihren Gedanken und schreiben Sie!
Photo: Joachim Schlosser, License Creative Commons Attribution Share-Alike
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