Das Harvard-Konzept: Der Klassiker der Verhandlungstechnik
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Wir hatten in Augsburg auch unser Stuttgart 21. Nicht so groß, nicht so teuer, nicht so weit fortgeschritten, die Proteste nicht so heftig. Und unser Augsburg 21 kommt auch nicht, ein Bürgerentscheid hat das ganze Ende November abgelehnt.
Im Folgenden möchte ich zunächst das Problem schildern, um dann eine Lanze zu brechen für eine andere, bessere Art der Verhandlung und Diskussionsführung, welche dem Harvard Negotiation Project entstammt, und die Sie bitte außer für Innenstadtverbesserungen auch für alle anderen Arten von Verhandlungen einsetzen.
Die Aufgabenstellung: Zwei Probleme lösen
Worum geht es? Augsburg hat einen zentralen Verkehrsknotenpunkt, an dem sich alle Straßenbahnlinien (auf augschburgerisch “Strossabo”) und viele Buslinien treffen, die drei innenstädtischen Hauptverkehrsstraßen zusammenlaufen und die Fußgängerzone (dazu später) beginnt. An diesem Platz staut es sich oft sowohl auf den Straßen als auch auf den Gleisen, da an die Haltestellen eben nur ein bis zwei Straßenbahnen passen. Als wenn das nicht genug wäre, ist dieser zentrale Verkehrsknotenpunkt heißt Königsplatz und ist circa einen Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt, der Augsburg an die Welt anbindet oder anbinden könnte. Dieser wiederum erfuhr zwar im Gebäude selbst heuer eine kleine Renovierung, so dass ich nun schon fast von einer Bahnhofshalle sprechen möchte, glänzt ansonsten jedoch leider durch enge Bahnsteige, noch engere Treppen, fehlende Rolltreppen und nicht vorhandene Aufzüge. Wer dort mit Gehbehinderung, großem Rollkoffer oder Kinderwagen – am besten noch mit größerem, nebenherspringenden und zu beaufsichtigendem Zweit-Kind – unterwegs ist, hat nicht viel Spaß. Zudem ist der Bahnhof und die Straßenbahn nicht integriert, die Haltestelle “Bahnhof” liegt ums Eck eine Straße weiter.
Nun bestehen seit vielen Jahren Bestrebungen, diese zwei Problembereiche anzugehen, nachdem ein weiterer Bereich – die Fußgängerzone, die verbessert und vergrößert werden sollte – mittlerweile aufgegeben wurde.
Für den Bahnhof möchte die Politik gerne eine Straßenbahnunterführung mit Haltepunkt und die Bahnsteige ein wenig umbauen. Diese Maßnahme wird in zeitlich begrenztem Rahmen wohl auch vom Freistaat Bayern gefördert werden (merken!).
Am Königsplatz war ein Streit entbrannt, was die beste Lösung wäre. Die Vorschläge gingen von einer Vergrößerung des Haltestellendreiecks auf Kosten eines angrenzenden Parks über die Verkehrsberuhigung einer der drei Hauptstraßen bis hin zum Vorschlag, mit Hilfe eines Autotunnels einen Großteil des Verkehrs unter den Platz zu verlegen. Und es war ja nicht der erste, unter anderem gab es dazu schonmal einen Bürgerentscheid in 2007.
Die Diskussion: Zwei Probleme verknüpfen
Der derzeitige Oberbürgermeister war vor einigen Jahren in seine Antrittswahl gegangen mit als Befürworter der Tunnellösung. Die Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs, die Stadtwerke Augsburg, hatten jedoch starke Bedenken gegenüber der Tunnellösung. Bis dahin erschien mir das ganze als durchaus fruchtbare Diskussion, bis dann auf einmal die Problembereiche Bahnhof und Königsplatz miteinander verknüpft wurden, und zwar über die zeitlich begrenzte Förderung, die bei zögerlicher Umsetzung verloren ginge. Es folgte ein offener Planungswettbewerb für den Königsplatz nach Vorgaben der Stadtwerke, bei dem Vorschläge mit Tunnel von vornherein ausgeschlossen wurden. Eine Einreichung gewann, die sich naturgemäß nicht substantiell von vielen anderen unterschied. Doch sie hatte gewonnen. In der aufkommenden Diskussion gab es nun ein schönes Argument, es hätte ja nunmal ein Vorschlag den offenen Wettbewerb gewonnen, der halt keinen Tunnel beinhaltet.
Der Bürgerentscheid
Die Wogen glätteten sich nicht, ein Stadtrat (!) rief ein Bürgerbegehren aus und wollte die Tunnellösung durchsetzen. Dies war zweifellos der Startschuss für eine neue, beispielhafte Phase von Kommunalpolitik, in der der Oberbürgermeister zum Tunnelgegner wurde, ein Gutteil der Stadträte der regierenden Mehrparteienkoalition diese verließ, zugegebenermaßen auch aus anderen Gründen, und die Stadtwerke eine massive Plakatierung der zentralen Plätze in Augsburg durch die Stadtwerke mit Anti-Tunnel-Plakaten vornahm. Hauptargument war stets die drohende Nichtumsetzung der Bahnhofserneuerung, also einer Querverbindung, die mit dem eigentlichen Problem gar nichts zu tun hatte. Die Stadtwerke drohten erhebliche Mehrkosten gingen selbstverständlich zu Lasten der Fahrgäste und erhöhten quasi als Fingerzeig die Fahrpreise. Andere Stimmen sagen, die jüngste Fahrpreiserhöhung wäre ja logisch, da die Anti-Tunnel-Aktionen den Etat der Stadtwerke doch erheblich beansprucht hätten, man müsse quasi als Fahrgast die Überredung der Bevölkerung selbst bezahlen.
Tunnelbefürworter zeterten, die Verkehrsberuhigung einer Straße führte unweigerlich zum Verkehrskollaps. Tunnelgegner argumentierten, der Tunnel würde mit 135m Länge plus jeweils 80m Rampen das Stadtbild verschandeln und erwartete archäologische Funde den Zeitplan vollends kippen.
Der Ausblick: Bleibt so, wie’s ist?
Der Bürgerentscheid ging dann auch so aus, wie es Wunsch der Stadtwerke, der regierenden Koalition und einem Großteil der Opposition war: Der Tunnel ist vom Tisch. Dafür wurde der oberirdische Vorschlag, der eine Stillegung einer der Straßen zugunsten einer guten Fußgängerverbindung zwischen Haltestellendreieck und Fußgängerzonen vorsah, dahin weiterentwickelt, dass eine Stilllegung der Straße nicht mehr im vollen Umfang zwingend notwendig ist, was für mich danach klingt, dass es letztlich auf den ursprünglichen Wunsch der Stadtwerke hinauslaufen wird, einfach das Haltestellendreieck auf Kosten des Parks zu vergrößern und einige Ampelschaltungen und Bodenbeläge zu ersetzen. Über den Bahnhof wird derzeit gar nicht mehr gesprochen.
Das Harvard Negotiation Project als andere Vorgehensweise für die Diskussion?
Sowohl als Bürger der Stadt und intensiver Bahnnutzer als auch als Mensch, der seinen Lebensunterhalt unter anderem mit der Diskussion mit anderen Menschen verdient, sehe ich durchaus noch Verbesserungspotential in dieser Art kommunaler Problemlösung – falls die Vorgehensweise diesen Begriff überhaupt verdient.
Das Harvard-Konzept: Der Klassiker der Verhandlungstechnik
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Das Harvard Negotiation Project stellte Mitte der 1980er Jahre eine Vorgehensweise für Verhandlungen vor, die darauf basiert, sich auf Interessen statt auf Positionen der Verhandlungsteilnehmer zu fokussieren, und nicht eine Seite auf Kosten der anderen begünstigt sondern eine langfristige positive Zusammenarbeit fördert. Es geht nicht darum, den Kuchen so aufzuteilen, dass man dem anderen ein möglichst großes Stück abluchst, sondern Wege zu finden, den Kuchen als Ganzes zu vergrößern. Es geht also weniger darum, was der einzelne will, sondern was er braucht. Das schöne an dieser Art zu verhandeln ist, dass sie umso wirkungsvoller ist, je mehr Teilnehmer sie beherrschen, und eben keine Geheimwissenschaft ist, die irgendwelche Tricks lehrt. Neben Schulungen in aller Welt gibt es auch zwei wunderbare Bücher dazu, “Getting to Yes” (auf Deutsch “Das Harvard Konzept”) und darauf aufbauend “Difficult Conversations” (auf Deutsch “Offen gesagt. Erfolgreich schwierige Gespräche meistern”), welche ich Ihnen ans Herz legen möchte.
Offen gesagt!
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Um den Unterschied zwischen Position und Interesse zu verdeutlichen, möchte ich diese für verschiedene Akteure auflisten, wobei ich über das Interesse freilich nur Vermutungen anstellen kann. Interessen werden leider nur selten öffentlich geäußert, meist sind nur Positionen zu hören. Die von mir aufgelisteten möglichen Interessen könnten auf den ersten Blick negativ interpretiert werden, oder lösen vielleicht ein “das ist eine unerhörte Unterstellung” aus, sind jedoch für sich genommen durchaus valide Interessen, die auch der jeweiligen Rollen entspringen. Hätte der jeweilige Akteur deutlich andere Interessen, widerspräche dies oftmals der Rolle oder dem Menschsein.
Position | mögliche Interessen | |
Oberbürgermeister | Tunnel ist Ideallösung Tunnel gefährdet Förderung und fügt dem Stadtbild einen Schaden zu |
(wieder-)gewählt werden
Stadtwerke nicht erzürnen |
Stadtwerke | Tunnel gefährdet Förderung Tunnel führt zu mehr Verkehr |
Umsatzsteigerung
Individualverkehr nicht attraktiver machen (eher sogar Position), um Kundenstamm an sich zu binden. |
bürgerbegehrender Stadtrat | Tunnel ist Ideallösung | Profilierung in der Öffentlichkeit
vielen Verkehrsteilnehmern das Leben erleichtern. |
Stadtrat | Stadtwerkelösung ist ideal (deutliche Mehrheit) | (wieder-)gewählt werden
vielen Verkehrsteilnehmern das Leben erleichtern Stadtwerke wohlgesonnen gegenüber den einzelnen Personen stimmen Fördermittel von Freistaat und Bund nutzen |
Bürger | Kein Tunnel (ca. 70%) Tunnel (ca. 30%) Nichtwähler (>70%) |
sich selbst das Leben angenehm gestalten
nicht viel von Politik hören das Gefühl haben, dass Steuergelder sinnvoll verwendet werden |
Der Autofahrer | <mir nicht bekannt> | schnell ans Ziel kommen
staufreies Fahren |
Der Fußgänger | <mir nicht bekannt> | unbekümmert durch die Stadt laufen
freie Sicht und keine Gefahr durch Autos Weite des Raums in der Fußgängerzone und Innenstadt |
Der Straßenbahnnutzer | <mir nicht bekannt> | flott ans Ziel kommen, keine Behinderungen
gleichbleibende Kosten |
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Die Auflistung zeigt verschiedene Aspekte:
- Positionen und Interessen sind für einzelne Akteure nicht notwendigerweise deckungsgleich.
- Akteure mit verschiedenen Positionen können gleiche Interessen haben (z.B. begehrender Stadtrat und Stadtrat, Stadtrat und Bürgermeister)
- Akteure mit gleichen Positionen haben durchaus verschiedene Interessen (z.B. Stadtwerke und Oberbürgermeister)
- Altruismus kann im Einzelfall auftreten, ist jeder weder zu erwarten noch Voraussetzung.
Die Positionen sind offensichtlich nicht zusammenzubringen. Wenn eine gewinnt, verliert die andere. Die Frage ist also, ob es eine Lösung geben kann, die einen Großteil der Interessen der Akteure befördert. Wenn der Kuchen also darin besteht, sich zwischen zwei Lösungen “135m Tunnel” und “Straße stilllegen” zu entscheiden, funktioniert das nicht. Wenn jeder der Beteiligten das Interesse hat, ein großes Stück Kuchen zu bekommen und nicht notwendigerweise ein größeres Stück als der andere, dann kann die Frage geändert werden in: Wie kann dieser Kuchen vergrößert werden?
Den Kuchen vergrößern
Verhandlungen funktionieren dann am besten, wenn beide Seiten nach Optionen suchen, die auch in völlig andere Richtungen gehen können als die ursprünglichen Positionen oder auch in ähnliche, aber darüber hinaus. Die Aufgabe lautet dann nämlich nicht mehr, dem anderen etwas wegzunehmen, sondern aus dem reichhaltigen Strauß an Optionen die Kombination herauszufinden, die allen ermöglicht, ihre Interessen insgesamt zu wahren.
Nun werden einige ausrufen, wie ich denn dafür sein könne, dass den Stadtwerken geholfen wird ihren Kundenstamm an sich zu binden, oder dem Oberbürgermeister wiedergewählt zu werden, oder dem bürgerbegehrenden Stadtrat bei der Profilierung in der Öffentlichkeit? Ich meine das sind alles valide Interessen. Eine Firma hat dafür zu sorgen, dass ihr Kundenstamm motiviert ist, weiter die Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und zu zahlen. Ein Politiker hat selbstverständlich Interesse daran, gewählt zu werden, denn nur dann kann er politisch wirklich agieren. Und natürlich will ein Stadtrat bekannter werden, sonst ginge er in eine stille Anstellung in der Verwaltung. Das Interesse als solches ist in den meisten Fällen okay.
Viele Optionen sind natürlich durch den Bürgerentscheid – der ja eine Position festlegte, nicht ein Interesse – jetzt ausgeschlossen. Ohne mir überschäumende Kompetenz anzumaßen, möchte ich einige Ideen für Optionen auflisten. Nicht alle der Optionen passen zu anderen, und doch können Sie den Kuchen für alle vergrößern. Geld ist für mich da zunächst kein Argument, da die Maßnahmen in Summe ohnehin viel davon erfordern werden. Mehr Wert darf doch auch mehr kosten, oder?
- Wenn ein kurzer Tunnel wegen der nahe beieinander liegenden Rampen das Stadtbild der Konrad-Adenauer-Allee und Fuggerstrasse verschandelt, dann könnte ein Tunnel ja vom Theodor-Heuss-Platz bis zum Stadttheater gehen.
- Virtuelle, Studien machen mögliche Ergebnisse dreidimensional erlebbar, so dass auch Ästhetik für verschiedene Lösungen evaluiert werden könnte.
- Die Stadtwerke dürfen Werbeflächen in einem Tunnel kostenfrei bestücken und damit mehr Kunden ziehen.
- Parkscheine der in der Nähe liegenden Parkhäuser enthalten einen Ein-Zonen-Fahrschein, um autofahrende Innenstadtbesucher zum Bus- oder Straßenbahnfahren zu animieren.
- Eine verkehrslastabhängige, integrierte Ampelschaltung an den ca. 20 innerstädtischen Hauptkreuzungen könnte für schnelleren und haltefreien Durch- bzw. Abfluss des Verkehrs sorgen.
- Ähnlich, wie viele Geschäfte heute schon Parkvergütungen gewähren, könnte dem Handel ein Modell angeboten werden, mit dem die Kunden durch Fahrscheine oder Anrechnung darauf zum öffentlichen Nahverkehr animiert werden.
- Im Umkreis von drei Haltestellen um den Königsplatz herum könnten Straßenbahnen kostenlos sein und der Betrag als Umlage von der Stadt an die Stadtwerke gehen. Der Werbeeffekt dürfte gigantisch sein.
- Nicht die Autos gehen in den Untergrund, sondern die Straßenbahnen auf Ost-West-Richtung zwischen Halderstraße und Moritz- oder Rathausplatz. Dies entlastet die Kreuzung der Straßenbahn mit der Fuggerstrasse und schafft zusätzlichen Raum in der Fußgängerzone.
- Die Straßenbahn geht in den Untergrund und der südliche Teil der Fuggerstraße wird für den Autoverkehr gesperrt. Eine Fußgängerzone, die dann mit kleiner Unterbrechung auch noch die Bahnhofsstrasse miteinbezieht, welche dann ebenfalls autofrei werden sollte, gibt Augsburg einen Fußgängerbereich, der der Größe der Stadt angemessen wäre.
- Die Straßenbahn wird ca. 1m tiefer gelegt im Bereich der Überfahrt über die Fuggerstraße, derselbe Bereich der Straße führt auf Stelzen über den Bereich hinweg.
- Der entstehende Platz, der Tunnel, die Überführung oder ähnliches wird dem Oberbürgermeister oder/und dem bürgerbegehrenden Stadtrat gewidmet.
- Eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe, die auch Stadträte beinhaltet, könnte die Finanzierungsthematik klären und sicherstellen, dass nicht ohne Not Fördergelder verloren gehen.
- Neue Fördermöglichkeiten auftun.
Was noch?
Welche Optionen könnten den Kuchen noch vergrößern? Vielleicht gibt es ja auch scheinbar ganz schräge Gedanken, die sich aber im Kontext betrachtet als nützlich erweisen? Bitte in die Kommentare schreiben…
Locker bleiben. Das Harvard Konzept lesen und einsetzen. Und das gilt nicht nur für diejenigen, die eine Innenstadtverbesserung planen, sondern für alle.
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