Fünfzehn Jahre und zwei Wochen ist es her, dass 54 Leute unseres Jahrgangs in Königsbrunn ihr Abiturzeugnis erhielten. Kohl war noch Kanzler, und in meiner Heimatstadt Königsbrunn kam kurz zuvor derselbe Bürgermeister ins Amt, der dieses auch heute noch nicht mehr bekleidet. Die hippen Leute (also 1-2 unseres Jahrgangs, ich bestimmt nicht) fuhren nach Berlin zur Loveparade, die damals als noch unblutiges Spektakel Millionen anzog (oder auszog?).
Und was hatten wir kurz davor gemacht? ja, als letzten Schritt nach und während den formalen Abiturprüfungen gab es natürlich auch die Abizeitung fertigzustellen. Neulich beim Abitreffen fiel sie mir wieder in die Hände, und es liegen schöne und im Rückblick auch technologisch interessante Erinnerungen darin.
Werbung und Disketten
Unsere Abizeitung war gut durchkalkuliert. Werbeanzeigen bekamen wir damals meist noch auf Folien und scannten sie dann selbst ein, einige progressive Firmen hatten sie sogar schon auf Diskette. Für die jüngeren unter den Lesern: Das sind magnetische Scheiben in einer festen Plastikhülle, etwas kleiner als eine Scheibe Toastbrot, auf die soviel Daten passen wie eine Minute eines MP3-Liedes.Auf eben solchen Disketten bekamen wir dann auch meist die einzelnen Artikel zugeliefert, und einige wenige konnten sie sogar schon per eMail schicken.
Scanner und Festplatte
Überhaupt war das Thema Datenvolumen allgegenwärtig in unserer Gruppe der Redakteure. Einer unter uns hatte einen ordentlichen Scanner. Und wieder für die jüngeren: Damals gab es noch keine Digitalkameras. Man machte als Laie Fotos auf Papier und legte diese dann in ein Gerät namens Scanner, das daraus Bilddateien erstellen konnte. Das war langwierig, jedes Bild einzeln auf die Glasscheibe zu legen und die Farbeinstellung zu kalibrieren. So saßen wir also zu zweit einen Tag dort und scannten Fotos ein.
Falls nötig Scannerscheibe und Foto reinigen. Foto auflegen, geraderichten. Sanft die Klappe schließen, damit nichts verrutscht. Farbkalibrierung und Voransicht scannen. Beschnitt festlegen. Scannen. Datentransfer abwarten. Datei speichern. Etwa vier Minuten je Foto.
Dann kam der Punkt, an dem die Festplatte voll war mit ein paar hundert Megabyte Fotos. Nun besaß ich zwar ein Iomega Zipdrive mit unglaublichen 100 Megabyte Speicherkapazität (Leihgabe Vater), doch war dies viel zu langsam und entsprechende Medien hatten wir auch zu wenig. Also hieß es die Festplatte auszubauen und mitzunehmen.
Fotos und Wartezeit
Für mich war noch eine Zwischenstufe zu tun: Zwei der Fotos sollten Fotomontagen sein, die eine möglichst realistisch aus zwei verschiedenen Fotos zusammengesetzt, die andere eine bewusst unrealistische Inszenierung aus vier Fotos. Wer jemals Mitte der neunziger Jahre mit einem mittelprächtigen PC druckbare Bildbearbeitung gemacht hat, lernte Geduld. Jedes Maskieren, jeder Schneide- und Kopiervorgang, jedes Aufhellen oder Abdunkeln brauchte bei der »hohen« Auflösung zwischen zwei und zwanzig Minuten, Zeit, in der der Computer auch für nichts anderes zu gebrauchen war. Wie auch, hatte doch der Computer ganze 64 Megabyte Hauptspeicher, das Bildbearbeitungsprogramm mitsamt Fotodaten belegte jedoch weit über 180 Megabyte. Das Betriebssystem war also die ganze Zeit am Auslagern (»swappen«).
Genau das taten dann auch die Computer, die für das Layout zum Einsatz kamen. Programm der Wahl war CorelDraw, damals der Gigant der vektororientierten Bildbearbeitung und mit dem Vorteil, dass zwei von uns es besaßen. Und mit dem unschätzbaren Vorteil gegenüber Word für Windows, dass CorelDraw eben stabil lief. Pro Seite entstand eine separate Datei, die ein improvisiertes Netzwerk mit Koaxialkabeln hin- und hergesichert wurde. Für die jüngeren: früher gab es als Netzwerkkabel ähnliche wie die, die man heute als Antennen- oder Satellitenkabel kennt. Die Datenrate lag bei wenigen Prozent dessen, was heute üblich ist.
Doch all die Rechnerpower half nichts: Es war aussichtslos, das Cover, welches wir mangels williger Künstler in unserem Jahrgang extern an Freund Alex vergaben, in der geforderten Auflösung einzuscannen und den Schriftzug digital auf das Gemälde zu bringen. Also entwarf ich den Schriftzug, bearbeitete die Fotos unseres Direktorats, druckte alle Elemente aus und verbrachte eine schöne Stunde mit Cutter und Schere, um das ganze dann auf das Gemälde zu kleben. Dieser Teil der Abizeitung ging also tatsächlich noch ganz klassisch als Papiercollage an die Druckerei. Für die jüngeren: eine Collage ist eine oft mit Schere und Klebstoff erstellte Zusammenstellung verschiedener Bildelemente. Es blieb der einzige Teil der Zeitung, den wir tatsächlich nicht digital erstellen konnten.
Fortschritt
Ich finde den Fortschritt faszinierend. Heute passt ein Vielfaches des gesamten Datenvolumens eines damaligen Computers auf einen kleinen USB-Stick. Bildbearbeitung in Sachen Belichtung und Schärfe korrigieren kann ich heute auf vielen Fotos gleichzeitig vornehmen (Lightroom sei Dank), und an Fotos komme ich ohne Umweg über Labor oder Dunkelkammer. Die Dunkelkammer nutzen einige heute noch, jedoch weil sie es wollen, nicht mehr mangels Alternativen.
Wir waren am Beginn der Zeit, in der alle diese Aufgaben auch von Halb-Laien mit dem Computer erledigt werden konnten. Profis hatten damals schon mehr Möglichkeiten, die für uns aber unerschwinglich waren. Wenige Jahre vorher wurden Texte und Fotos noch auf Papier zusammengefügt und als solches an die Druckerei gegeben. LaTeX als Textsatzsystem war erst wenige Jahre zuvor entwickelt worden. Wenige Jahre später fotografierte man schon digital, Bildbearbeitung war ein Klacks und die gesamten Rohdaten passten auf einen USB-Stick in der Größe eines Feuerzeugs. Damals war es der Übergang der meisten Bürotätigkeiten auf den Computer überhaupt (als Massenphänomen), heute ist es der Übergang ins Web (als Massenphänomen).
Ich lebe technologisch gern im Heute, und freue mich auf morgen.
Wie war das bei Euch? Wer hat noch mit Papierprototypen gearbeitet? Was sind Eure Abizeitungs-Erfahrungen?
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